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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

den das Volk nur insofern gelauten sei, als der Fürst die Bedingungen er¬
fülle. Ein ganz andrer Ton, heißt es, sei seit 1789 in der Behandlung
Polnischer Fragen eingerissen; von Fürsten- und Volksrechten werde in einer
Sprache gesprochen, stärker als man sie früher jemals gehört habe. Worüber
man noch vor 10 Jahren, sagte 1792 Karl Friedrich von Moser, als ein
Majestätsschander fiskalisirt worden wäre und sich, wie Hütten dem Erasmus,
das Fliehe, fliehe! hätte zurufen müssen, das werde nun auf allen Kathedern
behauptet, unter kaiserliche" und königlichen Privilegien gedruckt, von den
Häuptern der Völker selbst erkannt, bekannt, gelobt, gepriesen, und, gern oder
ungern, befolgt.


Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen,
Halb nur geachtet den Mann, dem sie vom Munde nicht floh.

Nun kalte alles Volk entzückt die Sprache der Franken.
Zürnet, Mächtige, nicht! Was ihr verlangtet, geschieht!


So lautet eines von Goethes venetianischen Epigrammen, die im Anfange
der neunziger Jahre entstanden. Und welche Mühe wurde nicht von so manchem,
der die weitverbreiteten Anschauungen zu widerlegen oder zu ermäßigen be¬
strebt war, daran gesetzt, diese weite Verbreitung auf ihre natürlichen Ursachen
zurückzuführen und so ihres bestechenden Eindruckes zu berauben! Indem dabei
die Verbreitung selbst als eine gar nicht abzuleugnende Thatsache vorausgesetzt
ist, haben wir auch hierin ein neues, und zwar ein recht nachdrückliches An¬
zeichen dafür zu erkennen, in welchem Maße der Name der Freiheit den Zauber,
den er einst auf deutschem Boden hauptsächlich in Kämpfen um Glauben und
Denken gewonnen hatte, jetzt in der Beschäftigung mit politischen und bürger¬
lichen Ereignissen und Verhältnissen zur Geltung brachte.

Für uns aber mögen eben jene Versuche der Gegner, die starke Wirkung
der Revolutionsideen in Deutschland ans andern Ursachen als ihrer innern
Wahrheit zu erklären, bei eurer spätern Gelegenheit den Gegenstand der Auf¬
merksamkeit abgeben.




Grenzboten I 186!)58
Deutsche Stimmungen

den das Volk nur insofern gelauten sei, als der Fürst die Bedingungen er¬
fülle. Ein ganz andrer Ton, heißt es, sei seit 1789 in der Behandlung
Polnischer Fragen eingerissen; von Fürsten- und Volksrechten werde in einer
Sprache gesprochen, stärker als man sie früher jemals gehört habe. Worüber
man noch vor 10 Jahren, sagte 1792 Karl Friedrich von Moser, als ein
Majestätsschander fiskalisirt worden wäre und sich, wie Hütten dem Erasmus,
das Fliehe, fliehe! hätte zurufen müssen, das werde nun auf allen Kathedern
behauptet, unter kaiserliche» und königlichen Privilegien gedruckt, von den
Häuptern der Völker selbst erkannt, bekannt, gelobt, gepriesen, und, gern oder
ungern, befolgt.


Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen,
Halb nur geachtet den Mann, dem sie vom Munde nicht floh.

Nun kalte alles Volk entzückt die Sprache der Franken.
Zürnet, Mächtige, nicht! Was ihr verlangtet, geschieht!


So lautet eines von Goethes venetianischen Epigrammen, die im Anfange
der neunziger Jahre entstanden. Und welche Mühe wurde nicht von so manchem,
der die weitverbreiteten Anschauungen zu widerlegen oder zu ermäßigen be¬
strebt war, daran gesetzt, diese weite Verbreitung auf ihre natürlichen Ursachen
zurückzuführen und so ihres bestechenden Eindruckes zu berauben! Indem dabei
die Verbreitung selbst als eine gar nicht abzuleugnende Thatsache vorausgesetzt
ist, haben wir auch hierin ein neues, und zwar ein recht nachdrückliches An¬
zeichen dafür zu erkennen, in welchem Maße der Name der Freiheit den Zauber,
den er einst auf deutschem Boden hauptsächlich in Kämpfen um Glauben und
Denken gewonnen hatte, jetzt in der Beschäftigung mit politischen und bürger¬
lichen Ereignissen und Verhältnissen zur Geltung brachte.

Für uns aber mögen eben jene Versuche der Gegner, die starke Wirkung
der Revolutionsideen in Deutschland ans andern Ursachen als ihrer innern
Wahrheit zu erklären, bei eurer spätern Gelegenheit den Gegenstand der Auf¬
merksamkeit abgeben.




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[0465] Deutsche Stimmungen den das Volk nur insofern gelauten sei, als der Fürst die Bedingungen er¬ fülle. Ein ganz andrer Ton, heißt es, sei seit 1789 in der Behandlung Polnischer Fragen eingerissen; von Fürsten- und Volksrechten werde in einer Sprache gesprochen, stärker als man sie früher jemals gehört habe. Worüber man noch vor 10 Jahren, sagte 1792 Karl Friedrich von Moser, als ein Majestätsschander fiskalisirt worden wäre und sich, wie Hütten dem Erasmus, das Fliehe, fliehe! hätte zurufen müssen, das werde nun auf allen Kathedern behauptet, unter kaiserliche» und königlichen Privilegien gedruckt, von den Häuptern der Völker selbst erkannt, bekannt, gelobt, gepriesen, und, gern oder ungern, befolgt. Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen, Halb nur geachtet den Mann, dem sie vom Munde nicht floh. Nun kalte alles Volk entzückt die Sprache der Franken. Zürnet, Mächtige, nicht! Was ihr verlangtet, geschieht! So lautet eines von Goethes venetianischen Epigrammen, die im Anfange der neunziger Jahre entstanden. Und welche Mühe wurde nicht von so manchem, der die weitverbreiteten Anschauungen zu widerlegen oder zu ermäßigen be¬ strebt war, daran gesetzt, diese weite Verbreitung auf ihre natürlichen Ursachen zurückzuführen und so ihres bestechenden Eindruckes zu berauben! Indem dabei die Verbreitung selbst als eine gar nicht abzuleugnende Thatsache vorausgesetzt ist, haben wir auch hierin ein neues, und zwar ein recht nachdrückliches An¬ zeichen dafür zu erkennen, in welchem Maße der Name der Freiheit den Zauber, den er einst auf deutschem Boden hauptsächlich in Kämpfen um Glauben und Denken gewonnen hatte, jetzt in der Beschäftigung mit politischen und bürger¬ lichen Ereignissen und Verhältnissen zur Geltung brachte. Für uns aber mögen eben jene Versuche der Gegner, die starke Wirkung der Revolutionsideen in Deutschland ans andern Ursachen als ihrer innern Wahrheit zu erklären, bei eurer spätern Gelegenheit den Gegenstand der Auf¬ merksamkeit abgeben. Grenzboten I 186!)58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/465>, abgerufen am 29.06.2024.