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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Gotteswort an euch" -- so beginnt er, in des Propheten Weise, seine An¬
sprache. Die Zeit der Revolutionen sei angegangen und wälze sich über
Europas Horizont immer näher herauf wie der dämmernde Morgen oder --
wie die allmählich einbrechende Nacht, die Zeit von Revolutionen, welche nicht,
wie die der Vorzeit, gegen unerträglichen Thrannendruck in plötzlichem Stoße
vereinzelt hervorbrachen, sondern vielmehr, durch die moderne Aufklärung von
lange her vorbereitet, aus allgemeinen tieferliegenden Antrieben auch wohl-
wollende Regierungen und gedeihliche Staatsverhältnisse mit Erschütterung
heimsuchten.

Was Preußen und insbesondre Berlin betrifft, so war dort eine scharfe
und freie Art, sich auszusprechen, schon in Friedrichs des Großen Tagen
dem Fremden aufgefallen und äußerte sich eben zur Zeit des Ausbruchs der
französischen Revolution bei einen: lebhaften Gegensatze, in welchem sich der
größere Teil der Gebildeten zu der hervorstechendsten Willensrichtung von
Friedrichs des Großen Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., befand. Nur be¬
wegte sich der Gegensatz freilich um Fragen und Streitpunkte ganz andrer
Art, als die in dem französischen Kampfe zwischen Volk und Königtum die
Hauptrolle spielten. Es handelte sich in Preußen weniger um Staats- und
Gesellschaftsformen; am wenigsten dürfte man denken, daß eine sofortige Mi߬
achtung des preußischen Staatsgebäudes, gegenüber dem im Werke befindlichen
französischen Neubau, eingetreten wäre. Wohl verfolgte man auch in Preußen,
wie anderwärts, den Gang der französischen Dinge mit lebhafter Teilnahme,
und der größte Philosoph der Zeit, Immanuel Kant in Königsberg, war
keineswegs der einzige im Lande, der sich jetzt stärker als je zur Erörterung
allgemeiner politischer Prinzipfragen angeregt fühlte. Keineswegs ging man
jedoch hier in der Bewunderung der französischen Herrlichkeit in solchem Grade
auf, daß man darüber den Wert des eignen Besitzes ohne weiteres hintangesetzt
hätte. Ein nicht unbedeutendes Interesse, ganz geeignet, alle Preußen in einer
vaterländischen Spannung zusammenzuhalten, war zunächst, bis tief in das
Jahr 1790, dnrch die von Hertzberg geleitete auswärtige Politik gegeben, die
jeden Augenblick zu einem vielversprechenden Kriege gegen Oesterreich und
vielleicht auch gegen Rußland führen zu sollen schien. Überhaupt aber gab
es hier in Preußen ein politisches Selbstgefühl, es gab einen Staat, der sich
bisher durch seine Leistungen zum Gegenstande der Genugthuung und An¬
hänglichkeit für die Angehörigen gemacht hatte. Ihm ohne weiteres alle
Schätzung und Beachtung zu entziehen, um etwa für ein Ideal nach französischem
Zuschnitt zu schwärmen, war man hier nicht so rasch geneigt, wie in den
ärgerlichen oder doch ganz unbefriedigender Verhältnissen mancher Kleinstaaten.
Das geachtetste Organ der Berliner Aufklärung, die Berliner Monatschrift,
hielt sich in seinen politischen Aufsätzen von allen Überschwenglichkeiten fern
und gab hier sehr verschiedenen Meinungen Raum. Ein nichts weniger als


Gotteswort an euch" — so beginnt er, in des Propheten Weise, seine An¬
sprache. Die Zeit der Revolutionen sei angegangen und wälze sich über
Europas Horizont immer näher herauf wie der dämmernde Morgen oder —
wie die allmählich einbrechende Nacht, die Zeit von Revolutionen, welche nicht,
wie die der Vorzeit, gegen unerträglichen Thrannendruck in plötzlichem Stoße
vereinzelt hervorbrachen, sondern vielmehr, durch die moderne Aufklärung von
lange her vorbereitet, aus allgemeinen tieferliegenden Antrieben auch wohl-
wollende Regierungen und gedeihliche Staatsverhältnisse mit Erschütterung
heimsuchten.

Was Preußen und insbesondre Berlin betrifft, so war dort eine scharfe
und freie Art, sich auszusprechen, schon in Friedrichs des Großen Tagen
dem Fremden aufgefallen und äußerte sich eben zur Zeit des Ausbruchs der
französischen Revolution bei einen: lebhaften Gegensatze, in welchem sich der
größere Teil der Gebildeten zu der hervorstechendsten Willensrichtung von
Friedrichs des Großen Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., befand. Nur be¬
wegte sich der Gegensatz freilich um Fragen und Streitpunkte ganz andrer
Art, als die in dem französischen Kampfe zwischen Volk und Königtum die
Hauptrolle spielten. Es handelte sich in Preußen weniger um Staats- und
Gesellschaftsformen; am wenigsten dürfte man denken, daß eine sofortige Mi߬
achtung des preußischen Staatsgebäudes, gegenüber dem im Werke befindlichen
französischen Neubau, eingetreten wäre. Wohl verfolgte man auch in Preußen,
wie anderwärts, den Gang der französischen Dinge mit lebhafter Teilnahme,
und der größte Philosoph der Zeit, Immanuel Kant in Königsberg, war
keineswegs der einzige im Lande, der sich jetzt stärker als je zur Erörterung
allgemeiner politischer Prinzipfragen angeregt fühlte. Keineswegs ging man
jedoch hier in der Bewunderung der französischen Herrlichkeit in solchem Grade
auf, daß man darüber den Wert des eignen Besitzes ohne weiteres hintangesetzt
hätte. Ein nicht unbedeutendes Interesse, ganz geeignet, alle Preußen in einer
vaterländischen Spannung zusammenzuhalten, war zunächst, bis tief in das
Jahr 1790, dnrch die von Hertzberg geleitete auswärtige Politik gegeben, die
jeden Augenblick zu einem vielversprechenden Kriege gegen Oesterreich und
vielleicht auch gegen Rußland führen zu sollen schien. Überhaupt aber gab
es hier in Preußen ein politisches Selbstgefühl, es gab einen Staat, der sich
bisher durch seine Leistungen zum Gegenstande der Genugthuung und An¬
hänglichkeit für die Angehörigen gemacht hatte. Ihm ohne weiteres alle
Schätzung und Beachtung zu entziehen, um etwa für ein Ideal nach französischem
Zuschnitt zu schwärmen, war man hier nicht so rasch geneigt, wie in den
ärgerlichen oder doch ganz unbefriedigender Verhältnissen mancher Kleinstaaten.
Das geachtetste Organ der Berliner Aufklärung, die Berliner Monatschrift,
hielt sich in seinen politischen Aufsätzen von allen Überschwenglichkeiten fern
und gab hier sehr verschiedenen Meinungen Raum. Ein nichts weniger als


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[0462] Gotteswort an euch" — so beginnt er, in des Propheten Weise, seine An¬ sprache. Die Zeit der Revolutionen sei angegangen und wälze sich über Europas Horizont immer näher herauf wie der dämmernde Morgen oder — wie die allmählich einbrechende Nacht, die Zeit von Revolutionen, welche nicht, wie die der Vorzeit, gegen unerträglichen Thrannendruck in plötzlichem Stoße vereinzelt hervorbrachen, sondern vielmehr, durch die moderne Aufklärung von lange her vorbereitet, aus allgemeinen tieferliegenden Antrieben auch wohl- wollende Regierungen und gedeihliche Staatsverhältnisse mit Erschütterung heimsuchten. Was Preußen und insbesondre Berlin betrifft, so war dort eine scharfe und freie Art, sich auszusprechen, schon in Friedrichs des Großen Tagen dem Fremden aufgefallen und äußerte sich eben zur Zeit des Ausbruchs der französischen Revolution bei einen: lebhaften Gegensatze, in welchem sich der größere Teil der Gebildeten zu der hervorstechendsten Willensrichtung von Friedrichs des Großen Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., befand. Nur be¬ wegte sich der Gegensatz freilich um Fragen und Streitpunkte ganz andrer Art, als die in dem französischen Kampfe zwischen Volk und Königtum die Hauptrolle spielten. Es handelte sich in Preußen weniger um Staats- und Gesellschaftsformen; am wenigsten dürfte man denken, daß eine sofortige Mi߬ achtung des preußischen Staatsgebäudes, gegenüber dem im Werke befindlichen französischen Neubau, eingetreten wäre. Wohl verfolgte man auch in Preußen, wie anderwärts, den Gang der französischen Dinge mit lebhafter Teilnahme, und der größte Philosoph der Zeit, Immanuel Kant in Königsberg, war keineswegs der einzige im Lande, der sich jetzt stärker als je zur Erörterung allgemeiner politischer Prinzipfragen angeregt fühlte. Keineswegs ging man jedoch hier in der Bewunderung der französischen Herrlichkeit in solchem Grade auf, daß man darüber den Wert des eignen Besitzes ohne weiteres hintangesetzt hätte. Ein nicht unbedeutendes Interesse, ganz geeignet, alle Preußen in einer vaterländischen Spannung zusammenzuhalten, war zunächst, bis tief in das Jahr 1790, dnrch die von Hertzberg geleitete auswärtige Politik gegeben, die jeden Augenblick zu einem vielversprechenden Kriege gegen Oesterreich und vielleicht auch gegen Rußland führen zu sollen schien. Überhaupt aber gab es hier in Preußen ein politisches Selbstgefühl, es gab einen Staat, der sich bisher durch seine Leistungen zum Gegenstande der Genugthuung und An¬ hänglichkeit für die Angehörigen gemacht hatte. Ihm ohne weiteres alle Schätzung und Beachtung zu entziehen, um etwa für ein Ideal nach französischem Zuschnitt zu schwärmen, war man hier nicht so rasch geneigt, wie in den ärgerlichen oder doch ganz unbefriedigender Verhältnissen mancher Kleinstaaten. Das geachtetste Organ der Berliner Aufklärung, die Berliner Monatschrift, hielt sich in seinen politischen Aufsätzen von allen Überschwenglichkeiten fern und gab hier sehr verschiedenen Meinungen Raum. Ein nichts weniger als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/462>, abgerufen am 28.09.2024.