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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

Erscheinungen in seiner Umgebung. In dem Württembergischen Lande, wo
die noch frischen Erinnerungen an Karl Eugens Despotismus und seinen
Kampf mit den Landständen den Eindrücken der französischen Revolution einen
günstigen Boden bereiten mochten, rief der Dichter Schubart -- er selbst
einst, in langer Kerkerhaft, ein Opfer des Despoten -- in seiner "Deutsche,:
Chronik" sein schwäbisches Publikum zu Heller Bewunderung des im Westen
aufgegangenen Lichtes empor. In der Lieblingsstiftung Karl Eugens, der
Karlsschule, beging eine Anzahl von Zöglingen in geheimer Feier am 14. Juli 1790
den Jahrestag der Vastillenerstürmuug! der Bruder eines frommen Dichters
späterer Tage, der reichbegabte Georg Kerner, warf dabei den Adelsbrief seiner
Familie, den er zu diesem Zwecke an sich gebracht hatte, ins Feuer. Und
ebenso wenig, wie hier die militärische Disziplin der fürstlichen Lehr- und
Erziehungsanstalt, verhinderte an der Tübinger Universität die klösterliche
Zucht des sogenannten Stiftes das Eindringen des neuen Geistes, in welchem
sich dort Jünglinge vou bedeutender Zukunft, Hölderlin, Schelling, Hegel u. a.
zusammenfanden. Gar verwunderlich ist auch, aus diesem Württembergischen
Lande, die Festrede bei der offiziellen Stuttgarter Feier des herzoglichen Ge¬
burtstages im Jahre 1792 zu lesen; der Redner wagte es, sich darin über
die Schwächen und Schäden von Reichs- und Landesverfassung in einer Weise
auszulasten, daß eine Wendung von fast humoristischer Kühnheit dazu gehörte,
um schließlich deu Weg zu der obligaten Huldigung für den hohen Gefeierten
zu finden.

Aber auch in minder beweglichen oder von Frankreich entfernter" Be¬
völkerungen als den rheinischen oder schwäbischen war das Wehen eines gleichen
Geistes zu empfinden. Ja obschon ärmer an tumultuarischen Nachahmungen
des französischen Beispiels, war man doch an eigentlichem Verständnis für die
Gedanken, die die französische Revolution bewegten, in Nord- und Mittel¬
deutschland vor dem Süden und Osten entschieden voraus. Fand man sich
doch dort durch die viel größere Verbreitung der Aufklärung für die Erfassung
jener Gedanken ungleich besser vorbereitet, als in den geistlichen Herrschaften
des Westens oder in den pfalzbairischen Landen, wo die spärlich verstreuten
Anhänger moderner Ideen erst vor kurzem durch die arge Jlluminatenverfvlgung
genötigt worden waren, zu entweichen oder doch von der Oberfläche zu
verschwinden.

Von Berlin aus richtete damals einer der wunderlichen Gesellen jener
Tage, der sich aber immer eine gewisse Beachtung zu schaffen wußte, August
Friedrich Cranz, in düster mahnenden Tone ein "Wort der Beherzigung an
die Fürsten und Herren Deutschlands." Er spricht (1790) von der politischen
Influenza, welche, wie die Physische Krankheit dieses Namens vor acht Jahren
vom Norden her, so jetzt vom Westen her alles überziehe. "Hört mich, ihr
Fürsten, und merkt auf meine Rede, ihr Regenten der Erde, denn ich habe


Deutsche Stimmungen

Erscheinungen in seiner Umgebung. In dem Württembergischen Lande, wo
die noch frischen Erinnerungen an Karl Eugens Despotismus und seinen
Kampf mit den Landständen den Eindrücken der französischen Revolution einen
günstigen Boden bereiten mochten, rief der Dichter Schubart — er selbst
einst, in langer Kerkerhaft, ein Opfer des Despoten — in seiner „Deutsche,:
Chronik" sein schwäbisches Publikum zu Heller Bewunderung des im Westen
aufgegangenen Lichtes empor. In der Lieblingsstiftung Karl Eugens, der
Karlsschule, beging eine Anzahl von Zöglingen in geheimer Feier am 14. Juli 1790
den Jahrestag der Vastillenerstürmuug! der Bruder eines frommen Dichters
späterer Tage, der reichbegabte Georg Kerner, warf dabei den Adelsbrief seiner
Familie, den er zu diesem Zwecke an sich gebracht hatte, ins Feuer. Und
ebenso wenig, wie hier die militärische Disziplin der fürstlichen Lehr- und
Erziehungsanstalt, verhinderte an der Tübinger Universität die klösterliche
Zucht des sogenannten Stiftes das Eindringen des neuen Geistes, in welchem
sich dort Jünglinge vou bedeutender Zukunft, Hölderlin, Schelling, Hegel u. a.
zusammenfanden. Gar verwunderlich ist auch, aus diesem Württembergischen
Lande, die Festrede bei der offiziellen Stuttgarter Feier des herzoglichen Ge¬
burtstages im Jahre 1792 zu lesen; der Redner wagte es, sich darin über
die Schwächen und Schäden von Reichs- und Landesverfassung in einer Weise
auszulasten, daß eine Wendung von fast humoristischer Kühnheit dazu gehörte,
um schließlich deu Weg zu der obligaten Huldigung für den hohen Gefeierten
zu finden.

Aber auch in minder beweglichen oder von Frankreich entfernter» Be¬
völkerungen als den rheinischen oder schwäbischen war das Wehen eines gleichen
Geistes zu empfinden. Ja obschon ärmer an tumultuarischen Nachahmungen
des französischen Beispiels, war man doch an eigentlichem Verständnis für die
Gedanken, die die französische Revolution bewegten, in Nord- und Mittel¬
deutschland vor dem Süden und Osten entschieden voraus. Fand man sich
doch dort durch die viel größere Verbreitung der Aufklärung für die Erfassung
jener Gedanken ungleich besser vorbereitet, als in den geistlichen Herrschaften
des Westens oder in den pfalzbairischen Landen, wo die spärlich verstreuten
Anhänger moderner Ideen erst vor kurzem durch die arge Jlluminatenverfvlgung
genötigt worden waren, zu entweichen oder doch von der Oberfläche zu
verschwinden.

Von Berlin aus richtete damals einer der wunderlichen Gesellen jener
Tage, der sich aber immer eine gewisse Beachtung zu schaffen wußte, August
Friedrich Cranz, in düster mahnenden Tone ein „Wort der Beherzigung an
die Fürsten und Herren Deutschlands." Er spricht (1790) von der politischen
Influenza, welche, wie die Physische Krankheit dieses Namens vor acht Jahren
vom Norden her, so jetzt vom Westen her alles überziehe. „Hört mich, ihr
Fürsten, und merkt auf meine Rede, ihr Regenten der Erde, denn ich habe


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[0461] Deutsche Stimmungen Erscheinungen in seiner Umgebung. In dem Württembergischen Lande, wo die noch frischen Erinnerungen an Karl Eugens Despotismus und seinen Kampf mit den Landständen den Eindrücken der französischen Revolution einen günstigen Boden bereiten mochten, rief der Dichter Schubart — er selbst einst, in langer Kerkerhaft, ein Opfer des Despoten — in seiner „Deutsche,: Chronik" sein schwäbisches Publikum zu Heller Bewunderung des im Westen aufgegangenen Lichtes empor. In der Lieblingsstiftung Karl Eugens, der Karlsschule, beging eine Anzahl von Zöglingen in geheimer Feier am 14. Juli 1790 den Jahrestag der Vastillenerstürmuug! der Bruder eines frommen Dichters späterer Tage, der reichbegabte Georg Kerner, warf dabei den Adelsbrief seiner Familie, den er zu diesem Zwecke an sich gebracht hatte, ins Feuer. Und ebenso wenig, wie hier die militärische Disziplin der fürstlichen Lehr- und Erziehungsanstalt, verhinderte an der Tübinger Universität die klösterliche Zucht des sogenannten Stiftes das Eindringen des neuen Geistes, in welchem sich dort Jünglinge vou bedeutender Zukunft, Hölderlin, Schelling, Hegel u. a. zusammenfanden. Gar verwunderlich ist auch, aus diesem Württembergischen Lande, die Festrede bei der offiziellen Stuttgarter Feier des herzoglichen Ge¬ burtstages im Jahre 1792 zu lesen; der Redner wagte es, sich darin über die Schwächen und Schäden von Reichs- und Landesverfassung in einer Weise auszulasten, daß eine Wendung von fast humoristischer Kühnheit dazu gehörte, um schließlich deu Weg zu der obligaten Huldigung für den hohen Gefeierten zu finden. Aber auch in minder beweglichen oder von Frankreich entfernter» Be¬ völkerungen als den rheinischen oder schwäbischen war das Wehen eines gleichen Geistes zu empfinden. Ja obschon ärmer an tumultuarischen Nachahmungen des französischen Beispiels, war man doch an eigentlichem Verständnis für die Gedanken, die die französische Revolution bewegten, in Nord- und Mittel¬ deutschland vor dem Süden und Osten entschieden voraus. Fand man sich doch dort durch die viel größere Verbreitung der Aufklärung für die Erfassung jener Gedanken ungleich besser vorbereitet, als in den geistlichen Herrschaften des Westens oder in den pfalzbairischen Landen, wo die spärlich verstreuten Anhänger moderner Ideen erst vor kurzem durch die arge Jlluminatenverfvlgung genötigt worden waren, zu entweichen oder doch von der Oberfläche zu verschwinden. Von Berlin aus richtete damals einer der wunderlichen Gesellen jener Tage, der sich aber immer eine gewisse Beachtung zu schaffen wußte, August Friedrich Cranz, in düster mahnenden Tone ein „Wort der Beherzigung an die Fürsten und Herren Deutschlands." Er spricht (1790) von der politischen Influenza, welche, wie die Physische Krankheit dieses Namens vor acht Jahren vom Norden her, so jetzt vom Westen her alles überziehe. „Hört mich, ihr Fürsten, und merkt auf meine Rede, ihr Regenten der Erde, denn ich habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/461>, abgerufen am 28.09.2024.