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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

behagen vieler Geschäftsmänner an dem französischen Verfassnngswerke, ander¬
seits von den Freiheitsdeklamationen und dem wenig gediegenen Enthusiasmus
der meisten Usus äiz8 IkttrW redet gelegentlich mich Brandes jüngerer Landes¬
und Gesinnungsgenosse Rehberg.

Man sieht: lebhafte Verstimmung gegen den Gang der französischen Dinge,
starke Mißbilligung des dort geschehenden, waren jetzt in Deutschland an mehr
als eiuer Stelle zu finden. Schon aus den angeführten Worten von Brandes
aber -- wenn man darnach versuchen wollte, gewissermaßen die Summen der
Revolutioiisfreunde und -Feinde in ungefähren Überschlag sich zusammen¬
zurechnen -- möchte sich dasselbe ergeben, was uns noch deutlicher aus einer
um zwei Jahre jüngeren Schrift des gleichen Schriftstellers, überdies aber aus
einer Menge von sousiigeu Zeugnissen und Anzeichen entgegentritt, daß es
nämlich ein großer Irrtum sein würde all einen eigentlichen Umschlag zu
denken, der in der Stimmung der Deutschell eingetreten wäre. Vielmehr blieb,
trotz der Abschwächung der ursprünglichen Begeisterung und indem die Meinungen
sich schieden, doch bei der großen Mehrzahl derer, die überhaupt hier als
Träger einer Meinung in Frage kommen konnten, ein sympathisches Verhalten
zur französischen Sache das Vorwaltende; eine starke Neigung, diese Sache in
engstem Zusammenhange mit der Sache politischer Freiheit und menschlicher
Vervollkommnung zu denken, erhielt sich bei der ganz überwiegenden Mehrzahl
derer in Kraft, die von den Bewegungen der Zeit innerlich berührt wurden.

Große Verschiedenheiten in dem Wärmegrade und in der Ausdrucksweise
dieser Neigung waren ja allerdings, je nach Landschaft, nach Bildungsstufe
und anderm, zu verspüren; gewiß aber wußte Johannes Müller recht gut, was
er meinte, wenn er im März 1790 einem Freunde von dem alles pervadirenden
Geiste der Freiheit sprach. Er, der noch vor kurzem, gegenüber der Million
wohldisziplinirter Krieger, die zu deu Fürsten standen, die Sache der Völker
fast verloren gegeben hatte, wollte jetzt in den meisten adlichen Korporationen
nur noch ein eaxut morwuiri erblicken. In heikler rheinischen Atmosphäre
mochte der schweizerische Gelehrte lind Staatsmann, damals beim Kurfürsten
von Mainz in Diensten, derartige Betrachtungen sich besonders nahe gelegt
finden. Die Nichtigkeit der Vemerknng, daß fast allen Reichsständen die
fürchterlichsten Revolutionen ihrer Unterthanen bevorftüuden, so läßt sich um
März 1791 eine Stimme vernehmen, müßte wenigstens in diesen Gegenden
jeder Deutsche einsehen. Zu Frankfurt wollte man im September 1790, bei
dem prunkvollen Einzuge der kurfürstlichen Gesandten zur Kaiserwahl Leopolds II-,
das Wort aus der Menge gehört haben: Das sind die letzten Seufzer der
sterbenden Aristokratie. In Mannheim entwarf einige Zeit darauf Jffland in
einem Trauerspiel "Die Kokarden" ein Schaudergemälde von Zuständen, wie
sie nun auch für deutsche Städte zu erwarten wären; wegen der düstern
Farben, deren er sich bedient hatte, zur Rede gesetzt, berief er sich auf die


Deutsche Stimmungen

behagen vieler Geschäftsmänner an dem französischen Verfassnngswerke, ander¬
seits von den Freiheitsdeklamationen und dem wenig gediegenen Enthusiasmus
der meisten Usus äiz8 IkttrW redet gelegentlich mich Brandes jüngerer Landes¬
und Gesinnungsgenosse Rehberg.

Man sieht: lebhafte Verstimmung gegen den Gang der französischen Dinge,
starke Mißbilligung des dort geschehenden, waren jetzt in Deutschland an mehr
als eiuer Stelle zu finden. Schon aus den angeführten Worten von Brandes
aber — wenn man darnach versuchen wollte, gewissermaßen die Summen der
Revolutioiisfreunde und -Feinde in ungefähren Überschlag sich zusammen¬
zurechnen — möchte sich dasselbe ergeben, was uns noch deutlicher aus einer
um zwei Jahre jüngeren Schrift des gleichen Schriftstellers, überdies aber aus
einer Menge von sousiigeu Zeugnissen und Anzeichen entgegentritt, daß es
nämlich ein großer Irrtum sein würde all einen eigentlichen Umschlag zu
denken, der in der Stimmung der Deutschell eingetreten wäre. Vielmehr blieb,
trotz der Abschwächung der ursprünglichen Begeisterung und indem die Meinungen
sich schieden, doch bei der großen Mehrzahl derer, die überhaupt hier als
Träger einer Meinung in Frage kommen konnten, ein sympathisches Verhalten
zur französischen Sache das Vorwaltende; eine starke Neigung, diese Sache in
engstem Zusammenhange mit der Sache politischer Freiheit und menschlicher
Vervollkommnung zu denken, erhielt sich bei der ganz überwiegenden Mehrzahl
derer in Kraft, die von den Bewegungen der Zeit innerlich berührt wurden.

Große Verschiedenheiten in dem Wärmegrade und in der Ausdrucksweise
dieser Neigung waren ja allerdings, je nach Landschaft, nach Bildungsstufe
und anderm, zu verspüren; gewiß aber wußte Johannes Müller recht gut, was
er meinte, wenn er im März 1790 einem Freunde von dem alles pervadirenden
Geiste der Freiheit sprach. Er, der noch vor kurzem, gegenüber der Million
wohldisziplinirter Krieger, die zu deu Fürsten standen, die Sache der Völker
fast verloren gegeben hatte, wollte jetzt in den meisten adlichen Korporationen
nur noch ein eaxut morwuiri erblicken. In heikler rheinischen Atmosphäre
mochte der schweizerische Gelehrte lind Staatsmann, damals beim Kurfürsten
von Mainz in Diensten, derartige Betrachtungen sich besonders nahe gelegt
finden. Die Nichtigkeit der Vemerknng, daß fast allen Reichsständen die
fürchterlichsten Revolutionen ihrer Unterthanen bevorftüuden, so läßt sich um
März 1791 eine Stimme vernehmen, müßte wenigstens in diesen Gegenden
jeder Deutsche einsehen. Zu Frankfurt wollte man im September 1790, bei
dem prunkvollen Einzuge der kurfürstlichen Gesandten zur Kaiserwahl Leopolds II-,
das Wort aus der Menge gehört haben: Das sind die letzten Seufzer der
sterbenden Aristokratie. In Mannheim entwarf einige Zeit darauf Jffland in
einem Trauerspiel „Die Kokarden" ein Schaudergemälde von Zuständen, wie
sie nun auch für deutsche Städte zu erwarten wären; wegen der düstern
Farben, deren er sich bedient hatte, zur Rede gesetzt, berief er sich auf die


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[0460] Deutsche Stimmungen behagen vieler Geschäftsmänner an dem französischen Verfassnngswerke, ander¬ seits von den Freiheitsdeklamationen und dem wenig gediegenen Enthusiasmus der meisten Usus äiz8 IkttrW redet gelegentlich mich Brandes jüngerer Landes¬ und Gesinnungsgenosse Rehberg. Man sieht: lebhafte Verstimmung gegen den Gang der französischen Dinge, starke Mißbilligung des dort geschehenden, waren jetzt in Deutschland an mehr als eiuer Stelle zu finden. Schon aus den angeführten Worten von Brandes aber — wenn man darnach versuchen wollte, gewissermaßen die Summen der Revolutioiisfreunde und -Feinde in ungefähren Überschlag sich zusammen¬ zurechnen — möchte sich dasselbe ergeben, was uns noch deutlicher aus einer um zwei Jahre jüngeren Schrift des gleichen Schriftstellers, überdies aber aus einer Menge von sousiigeu Zeugnissen und Anzeichen entgegentritt, daß es nämlich ein großer Irrtum sein würde all einen eigentlichen Umschlag zu denken, der in der Stimmung der Deutschell eingetreten wäre. Vielmehr blieb, trotz der Abschwächung der ursprünglichen Begeisterung und indem die Meinungen sich schieden, doch bei der großen Mehrzahl derer, die überhaupt hier als Träger einer Meinung in Frage kommen konnten, ein sympathisches Verhalten zur französischen Sache das Vorwaltende; eine starke Neigung, diese Sache in engstem Zusammenhange mit der Sache politischer Freiheit und menschlicher Vervollkommnung zu denken, erhielt sich bei der ganz überwiegenden Mehrzahl derer in Kraft, die von den Bewegungen der Zeit innerlich berührt wurden. Große Verschiedenheiten in dem Wärmegrade und in der Ausdrucksweise dieser Neigung waren ja allerdings, je nach Landschaft, nach Bildungsstufe und anderm, zu verspüren; gewiß aber wußte Johannes Müller recht gut, was er meinte, wenn er im März 1790 einem Freunde von dem alles pervadirenden Geiste der Freiheit sprach. Er, der noch vor kurzem, gegenüber der Million wohldisziplinirter Krieger, die zu deu Fürsten standen, die Sache der Völker fast verloren gegeben hatte, wollte jetzt in den meisten adlichen Korporationen nur noch ein eaxut morwuiri erblicken. In heikler rheinischen Atmosphäre mochte der schweizerische Gelehrte lind Staatsmann, damals beim Kurfürsten von Mainz in Diensten, derartige Betrachtungen sich besonders nahe gelegt finden. Die Nichtigkeit der Vemerknng, daß fast allen Reichsständen die fürchterlichsten Revolutionen ihrer Unterthanen bevorftüuden, so läßt sich um März 1791 eine Stimme vernehmen, müßte wenigstens in diesen Gegenden jeder Deutsche einsehen. Zu Frankfurt wollte man im September 1790, bei dem prunkvollen Einzuge der kurfürstlichen Gesandten zur Kaiserwahl Leopolds II-, das Wort aus der Menge gehört haben: Das sind die letzten Seufzer der sterbenden Aristokratie. In Mannheim entwarf einige Zeit darauf Jffland in einem Trauerspiel „Die Kokarden" ein Schaudergemälde von Zuständen, wie sie nun auch für deutsche Städte zu erwarten wären; wegen der düstern Farben, deren er sich bedient hatte, zur Rede gesetzt, berief er sich auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/460>, abgerufen am 29.06.2024.