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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

Revolution tels gesunde Urteil und die allgemeinmenschlichen Gefühle auch des
Unbefangensten gegen sich aufregen mußte! Schon über die gräuelvollen Szenen,
unter denen, am 5. und 6. Oktober 1789, die Überführung Ludwigs XVI.
und der Nationalversammlung aus Versailles uach Paris ins Werk gesetzt
worden war, vermochte mancher aufrichtige Freund der französischen Freiheit
nur mit schwerer Mühe hinwegzukommen. Mai? denke sich ferner die National¬
versammlung in ihrer schlecht verhehlten Unlust oder Unfähigkeit, mit der
königlichen Gewalt aufrichtig gegen die einreißende Anarchie zusammenzuwirken;
man denke an jene Verfassungsberatungen, bei denen schon im Spätsommer 1789
einem Deutschen die Erfahrung alter, ökumenischer Kirchenversammlungen durch
den Sinn gehen mochte, "daß auch die respektabelsten Männer, unter einem
Dache versammelt, zu Pöbel werden könnten." Ich unterlasse es, auch uur
in allgemeinsten Andeutungen das Ärgerliche und Verwerfliche in der ferneren
Entwicklung der Revolution herauszuheben --- das immer stärkere Empor-
dringen der übelsten Volkselemente, die wachsende Gewaltsamkeit in tausend
Erscheinungen, bis endlich die Gefangenfetzung König Ludwigs (10. Aug. 1792)
und die Septembermorde in die Schreckenszeit der blutigen Konventsherrschaft
hinüberführten. Vieles ist ja wohl von Schriftstellern einer spätern Zeit, aus
Parteigcsichtspunktcn oder für sonstige Zwecke, zu Tage gefördert worden, um
auch das Ärgste und Schlimmste in jenen Vorgängen, teils als große Not¬
wendigkeit zu rechtfertigen, teils als heroische Kraftproduktion des Weltgeistes
in ein glänzendes Licht zu setzen. Den Zeitgenossen konnte von diesem Vielen
nur das Wenigste in den Sinn kommen -- wie ja auch das Meiste davon
neuerdings, gutenteils durch Frankreichs eigne Schriftsteller, wieder beiseite
geräumt worden ist.

Als um die Mitte des Jahres 1790 der einsichtsvolle Hannoveraner
Ernst Brandes, schon damals wenig erbaut von dem Gange der Dinge in
Frankreich, seine "Betrachtungen liber die französische Revolution" schrieb, warf
er zum Schlüsse einen Blick auf das Verhalten der verschiedenen Gesellschafts¬
kreise in Deutschland zu dem Gegenstande der allgemeinen Aufmerksamkeit. Bei
dem Adel und den Geschäftsmännern (was damals, in solchem Zusammenhang,
immer die im öffentlichen Dienst angestellten bedeutet) findet er die Besorgnis
vor Anarchie überwiegend; bei den Theoretikern, bei den denkenden Köpfen aus
dem dritten Stande herrsche die schrecklichste Abneigung gegen den Despotismus
vor, den sie -- nicht ganz mit Recht -- nur in der uubeschrünkteu Gewalt
eines einzelnen suchten. Mancher sehr kluge und sehr einsichtige Geschäftsmann
aber, bekannt mit dem auf dein Volke ruhenden Drucke und den schädlichen
Prätentionen des ersten Standes, lasse sich zu einer lebhaften Parteinahme für
die Nationalversammlung verleiten. Zu ihnen schlage sich auch der große Teil
derjenigen Menschen aller Stände, die ihre Bildung der Büchergelehrsamkeit
und nicht ihrer eignen Beobachtung der Welt verdankten. Von dem Miß-


Deutsche Stimmungen

Revolution tels gesunde Urteil und die allgemeinmenschlichen Gefühle auch des
Unbefangensten gegen sich aufregen mußte! Schon über die gräuelvollen Szenen,
unter denen, am 5. und 6. Oktober 1789, die Überführung Ludwigs XVI.
und der Nationalversammlung aus Versailles uach Paris ins Werk gesetzt
worden war, vermochte mancher aufrichtige Freund der französischen Freiheit
nur mit schwerer Mühe hinwegzukommen. Mai? denke sich ferner die National¬
versammlung in ihrer schlecht verhehlten Unlust oder Unfähigkeit, mit der
königlichen Gewalt aufrichtig gegen die einreißende Anarchie zusammenzuwirken;
man denke an jene Verfassungsberatungen, bei denen schon im Spätsommer 1789
einem Deutschen die Erfahrung alter, ökumenischer Kirchenversammlungen durch
den Sinn gehen mochte, „daß auch die respektabelsten Männer, unter einem
Dache versammelt, zu Pöbel werden könnten." Ich unterlasse es, auch uur
in allgemeinsten Andeutungen das Ärgerliche und Verwerfliche in der ferneren
Entwicklung der Revolution herauszuheben -— das immer stärkere Empor-
dringen der übelsten Volkselemente, die wachsende Gewaltsamkeit in tausend
Erscheinungen, bis endlich die Gefangenfetzung König Ludwigs (10. Aug. 1792)
und die Septembermorde in die Schreckenszeit der blutigen Konventsherrschaft
hinüberführten. Vieles ist ja wohl von Schriftstellern einer spätern Zeit, aus
Parteigcsichtspunktcn oder für sonstige Zwecke, zu Tage gefördert worden, um
auch das Ärgste und Schlimmste in jenen Vorgängen, teils als große Not¬
wendigkeit zu rechtfertigen, teils als heroische Kraftproduktion des Weltgeistes
in ein glänzendes Licht zu setzen. Den Zeitgenossen konnte von diesem Vielen
nur das Wenigste in den Sinn kommen — wie ja auch das Meiste davon
neuerdings, gutenteils durch Frankreichs eigne Schriftsteller, wieder beiseite
geräumt worden ist.

Als um die Mitte des Jahres 1790 der einsichtsvolle Hannoveraner
Ernst Brandes, schon damals wenig erbaut von dem Gange der Dinge in
Frankreich, seine „Betrachtungen liber die französische Revolution" schrieb, warf
er zum Schlüsse einen Blick auf das Verhalten der verschiedenen Gesellschafts¬
kreise in Deutschland zu dem Gegenstande der allgemeinen Aufmerksamkeit. Bei
dem Adel und den Geschäftsmännern (was damals, in solchem Zusammenhang,
immer die im öffentlichen Dienst angestellten bedeutet) findet er die Besorgnis
vor Anarchie überwiegend; bei den Theoretikern, bei den denkenden Köpfen aus
dem dritten Stande herrsche die schrecklichste Abneigung gegen den Despotismus
vor, den sie — nicht ganz mit Recht — nur in der uubeschrünkteu Gewalt
eines einzelnen suchten. Mancher sehr kluge und sehr einsichtige Geschäftsmann
aber, bekannt mit dem auf dein Volke ruhenden Drucke und den schädlichen
Prätentionen des ersten Standes, lasse sich zu einer lebhaften Parteinahme für
die Nationalversammlung verleiten. Zu ihnen schlage sich auch der große Teil
derjenigen Menschen aller Stände, die ihre Bildung der Büchergelehrsamkeit
und nicht ihrer eignen Beobachtung der Welt verdankten. Von dem Miß-


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[0459] Deutsche Stimmungen Revolution tels gesunde Urteil und die allgemeinmenschlichen Gefühle auch des Unbefangensten gegen sich aufregen mußte! Schon über die gräuelvollen Szenen, unter denen, am 5. und 6. Oktober 1789, die Überführung Ludwigs XVI. und der Nationalversammlung aus Versailles uach Paris ins Werk gesetzt worden war, vermochte mancher aufrichtige Freund der französischen Freiheit nur mit schwerer Mühe hinwegzukommen. Mai? denke sich ferner die National¬ versammlung in ihrer schlecht verhehlten Unlust oder Unfähigkeit, mit der königlichen Gewalt aufrichtig gegen die einreißende Anarchie zusammenzuwirken; man denke an jene Verfassungsberatungen, bei denen schon im Spätsommer 1789 einem Deutschen die Erfahrung alter, ökumenischer Kirchenversammlungen durch den Sinn gehen mochte, „daß auch die respektabelsten Männer, unter einem Dache versammelt, zu Pöbel werden könnten." Ich unterlasse es, auch uur in allgemeinsten Andeutungen das Ärgerliche und Verwerfliche in der ferneren Entwicklung der Revolution herauszuheben -— das immer stärkere Empor- dringen der übelsten Volkselemente, die wachsende Gewaltsamkeit in tausend Erscheinungen, bis endlich die Gefangenfetzung König Ludwigs (10. Aug. 1792) und die Septembermorde in die Schreckenszeit der blutigen Konventsherrschaft hinüberführten. Vieles ist ja wohl von Schriftstellern einer spätern Zeit, aus Parteigcsichtspunktcn oder für sonstige Zwecke, zu Tage gefördert worden, um auch das Ärgste und Schlimmste in jenen Vorgängen, teils als große Not¬ wendigkeit zu rechtfertigen, teils als heroische Kraftproduktion des Weltgeistes in ein glänzendes Licht zu setzen. Den Zeitgenossen konnte von diesem Vielen nur das Wenigste in den Sinn kommen — wie ja auch das Meiste davon neuerdings, gutenteils durch Frankreichs eigne Schriftsteller, wieder beiseite geräumt worden ist. Als um die Mitte des Jahres 1790 der einsichtsvolle Hannoveraner Ernst Brandes, schon damals wenig erbaut von dem Gange der Dinge in Frankreich, seine „Betrachtungen liber die französische Revolution" schrieb, warf er zum Schlüsse einen Blick auf das Verhalten der verschiedenen Gesellschafts¬ kreise in Deutschland zu dem Gegenstande der allgemeinen Aufmerksamkeit. Bei dem Adel und den Geschäftsmännern (was damals, in solchem Zusammenhang, immer die im öffentlichen Dienst angestellten bedeutet) findet er die Besorgnis vor Anarchie überwiegend; bei den Theoretikern, bei den denkenden Köpfen aus dem dritten Stande herrsche die schrecklichste Abneigung gegen den Despotismus vor, den sie — nicht ganz mit Recht — nur in der uubeschrünkteu Gewalt eines einzelnen suchten. Mancher sehr kluge und sehr einsichtige Geschäftsmann aber, bekannt mit dem auf dein Volke ruhenden Drucke und den schädlichen Prätentionen des ersten Standes, lasse sich zu einer lebhaften Parteinahme für die Nationalversammlung verleiten. Zu ihnen schlage sich auch der große Teil derjenigen Menschen aller Stände, die ihre Bildung der Büchergelehrsamkeit und nicht ihrer eignen Beobachtung der Welt verdankten. Von dem Miß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/459>, abgerufen am 29.06.2024.