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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

Münze seien eine Menge von Ideen geworden, die man bisher nur in den
Büchern der Philosophen gefunden. Hier wie anderwärts, heißt es in einem
Bericht aus dem Hildesheimischen, sei die Zeit vorüber, wo der Bauer nichts
gekannt habe als seinen Katechismus, Gesang- und Gebetbuch; er lese Zeitungen,
die Reden der Freiheits- und Gleichheitsapostel seien ihm nicht unbekannt.
"Die französische Revolution verdrängt dnrch ihr gewaltiges Interesse alles,"
sagt Archenholz in seiner Minerva 1793; "die besten Gedichte bleiben ungelesen;
man greift nur noch nach Zeitungen und solchen Schriften, die den politischen
Heißhunger stillen"! Wir sehen: selbst die schöne Litteratur schien den breiten
Raum, den sie eine Zeit lang in dem Leben und Streben der Nation ein¬
genommen hatte, an die Politik verlieren zu sollen. "Ich weiß wohl," sagt
Tiedge bei Ankündigung einer neuen Sammlung seiner poetischen Episteln, "daß
Poesie jetzt kaum noch als ein Nebengericht in einem Journal genossen wird."
"Erst müssen die Deutschen weniger politisch, philosophisch und altklug werden,
sonst kommt der kindliche Greis immer noch zu früh," so schrieb Johann
Heinrich Voß um seinen Freund Gleim, indem er die Vollendung und Ver¬
öffentlichung seiner Homerübersetzung auf eine gelegenere Zeit hinausschob.
Das bekannteste nach dieser Richtung hin sind wohl Schillers Worte bei An¬
kündigung seiner Hören, zu Ausgang des Jahres 1794. Aus der starken
Gewalt, mit der politische Begebenheiten und Meinungsverschiedenheiten alles
gefangen genommen hätten, leitet er das dringende Bedürfnis her, "die dadurch
eingeengten Gemüter durch ein allgemeineres und höheres Interesse an allem,
was rein menschlich und über allem Einfluß der Zeiten erhaben, wieder in
Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit
und Schönheit wieder zu vereinigen." Hatte doch jene Gewalt sich mich in
dem Kreise, aus welchen: die Hören hervorgingen, aufs heftigste spüren lassen!
"Sie stritten, daß sie alle zugleich schrieen," so schrieb Frau von Stein 1791
von der Bewegung, in der sie die Träger von Deutschlands litterarischer
Herrlichkeit zu Weimar um politischer Dinge willen gefunden hatte.

Fragen wir nun aber angesichts einer so starken, durch die Revolution
hervorgerufenen Beschäftigung mit politischen Dingen, welche Stimmung oder
welches Urteil denn dieser Revolution selbst gegenüber, ob Gunst oder Ungunst,
das vorwiegende gewesen sei, so ist wohl leicht zu erkennen: jener Enthusiasmus,
wie er im Sommer 1789 Jung und Alt, Hoch und Gering, mit sich fort¬
gerissen hatte, konnte sich in solcher Allgemeinheit nicht behaupten. Je heftiger
die Revolution in ihrem weitern Fortgang gegen die bis dahin vorherrschenden
Klassen des französischen Volkes anlief, desto weniger konnte es, bei der starken
Verwandtschaft in Zuständen und Zusammensetzung aller abendländischen
Nationen, auch in Deutschland an Kreisen fehlen, die durch ihre eigensten
Interessen, Anschauungen und Empfindungen mit einem Widerwillen gegen
diese Revolution erfüllt wurden. Und dazu nun wie vieles, wodurch die


Deutsche Stimmungen

Münze seien eine Menge von Ideen geworden, die man bisher nur in den
Büchern der Philosophen gefunden. Hier wie anderwärts, heißt es in einem
Bericht aus dem Hildesheimischen, sei die Zeit vorüber, wo der Bauer nichts
gekannt habe als seinen Katechismus, Gesang- und Gebetbuch; er lese Zeitungen,
die Reden der Freiheits- und Gleichheitsapostel seien ihm nicht unbekannt.
„Die französische Revolution verdrängt dnrch ihr gewaltiges Interesse alles,"
sagt Archenholz in seiner Minerva 1793; „die besten Gedichte bleiben ungelesen;
man greift nur noch nach Zeitungen und solchen Schriften, die den politischen
Heißhunger stillen"! Wir sehen: selbst die schöne Litteratur schien den breiten
Raum, den sie eine Zeit lang in dem Leben und Streben der Nation ein¬
genommen hatte, an die Politik verlieren zu sollen. „Ich weiß wohl," sagt
Tiedge bei Ankündigung einer neuen Sammlung seiner poetischen Episteln, „daß
Poesie jetzt kaum noch als ein Nebengericht in einem Journal genossen wird."
„Erst müssen die Deutschen weniger politisch, philosophisch und altklug werden,
sonst kommt der kindliche Greis immer noch zu früh," so schrieb Johann
Heinrich Voß um seinen Freund Gleim, indem er die Vollendung und Ver¬
öffentlichung seiner Homerübersetzung auf eine gelegenere Zeit hinausschob.
Das bekannteste nach dieser Richtung hin sind wohl Schillers Worte bei An¬
kündigung seiner Hören, zu Ausgang des Jahres 1794. Aus der starken
Gewalt, mit der politische Begebenheiten und Meinungsverschiedenheiten alles
gefangen genommen hätten, leitet er das dringende Bedürfnis her, „die dadurch
eingeengten Gemüter durch ein allgemeineres und höheres Interesse an allem,
was rein menschlich und über allem Einfluß der Zeiten erhaben, wieder in
Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit
und Schönheit wieder zu vereinigen." Hatte doch jene Gewalt sich mich in
dem Kreise, aus welchen: die Hören hervorgingen, aufs heftigste spüren lassen!
„Sie stritten, daß sie alle zugleich schrieen," so schrieb Frau von Stein 1791
von der Bewegung, in der sie die Träger von Deutschlands litterarischer
Herrlichkeit zu Weimar um politischer Dinge willen gefunden hatte.

Fragen wir nun aber angesichts einer so starken, durch die Revolution
hervorgerufenen Beschäftigung mit politischen Dingen, welche Stimmung oder
welches Urteil denn dieser Revolution selbst gegenüber, ob Gunst oder Ungunst,
das vorwiegende gewesen sei, so ist wohl leicht zu erkennen: jener Enthusiasmus,
wie er im Sommer 1789 Jung und Alt, Hoch und Gering, mit sich fort¬
gerissen hatte, konnte sich in solcher Allgemeinheit nicht behaupten. Je heftiger
die Revolution in ihrem weitern Fortgang gegen die bis dahin vorherrschenden
Klassen des französischen Volkes anlief, desto weniger konnte es, bei der starken
Verwandtschaft in Zuständen und Zusammensetzung aller abendländischen
Nationen, auch in Deutschland an Kreisen fehlen, die durch ihre eigensten
Interessen, Anschauungen und Empfindungen mit einem Widerwillen gegen
diese Revolution erfüllt wurden. Und dazu nun wie vieles, wodurch die


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[0458] Deutsche Stimmungen Münze seien eine Menge von Ideen geworden, die man bisher nur in den Büchern der Philosophen gefunden. Hier wie anderwärts, heißt es in einem Bericht aus dem Hildesheimischen, sei die Zeit vorüber, wo der Bauer nichts gekannt habe als seinen Katechismus, Gesang- und Gebetbuch; er lese Zeitungen, die Reden der Freiheits- und Gleichheitsapostel seien ihm nicht unbekannt. „Die französische Revolution verdrängt dnrch ihr gewaltiges Interesse alles," sagt Archenholz in seiner Minerva 1793; „die besten Gedichte bleiben ungelesen; man greift nur noch nach Zeitungen und solchen Schriften, die den politischen Heißhunger stillen"! Wir sehen: selbst die schöne Litteratur schien den breiten Raum, den sie eine Zeit lang in dem Leben und Streben der Nation ein¬ genommen hatte, an die Politik verlieren zu sollen. „Ich weiß wohl," sagt Tiedge bei Ankündigung einer neuen Sammlung seiner poetischen Episteln, „daß Poesie jetzt kaum noch als ein Nebengericht in einem Journal genossen wird." „Erst müssen die Deutschen weniger politisch, philosophisch und altklug werden, sonst kommt der kindliche Greis immer noch zu früh," so schrieb Johann Heinrich Voß um seinen Freund Gleim, indem er die Vollendung und Ver¬ öffentlichung seiner Homerübersetzung auf eine gelegenere Zeit hinausschob. Das bekannteste nach dieser Richtung hin sind wohl Schillers Worte bei An¬ kündigung seiner Hören, zu Ausgang des Jahres 1794. Aus der starken Gewalt, mit der politische Begebenheiten und Meinungsverschiedenheiten alles gefangen genommen hätten, leitet er das dringende Bedürfnis her, „die dadurch eingeengten Gemüter durch ein allgemeineres und höheres Interesse an allem, was rein menschlich und über allem Einfluß der Zeiten erhaben, wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen." Hatte doch jene Gewalt sich mich in dem Kreise, aus welchen: die Hören hervorgingen, aufs heftigste spüren lassen! „Sie stritten, daß sie alle zugleich schrieen," so schrieb Frau von Stein 1791 von der Bewegung, in der sie die Träger von Deutschlands litterarischer Herrlichkeit zu Weimar um politischer Dinge willen gefunden hatte. Fragen wir nun aber angesichts einer so starken, durch die Revolution hervorgerufenen Beschäftigung mit politischen Dingen, welche Stimmung oder welches Urteil denn dieser Revolution selbst gegenüber, ob Gunst oder Ungunst, das vorwiegende gewesen sei, so ist wohl leicht zu erkennen: jener Enthusiasmus, wie er im Sommer 1789 Jung und Alt, Hoch und Gering, mit sich fort¬ gerissen hatte, konnte sich in solcher Allgemeinheit nicht behaupten. Je heftiger die Revolution in ihrem weitern Fortgang gegen die bis dahin vorherrschenden Klassen des französischen Volkes anlief, desto weniger konnte es, bei der starken Verwandtschaft in Zuständen und Zusammensetzung aller abendländischen Nationen, auch in Deutschland an Kreisen fehlen, die durch ihre eigensten Interessen, Anschauungen und Empfindungen mit einem Widerwillen gegen diese Revolution erfüllt wurden. Und dazu nun wie vieles, wodurch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/458>, abgerufen am 29.06.2024.