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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

den Polizeipräfekten strenge Maßregeln zur Verhinderung der Demonstration,
worauf diese Kundgebung sowie ähnliche, die in Lyon, Marseille, Bordeaux
und Lille beabsichtigt waren, unterblieb. Ein solches Huos e^o wäre am Ende
auch für die Voulaugerei und die mit ihr verbündete Masse der verschiedenen
Gegner der Republik angebracht und von einigem Erfolge. Es hieße jedoch
die Klugheit dieser Gegner stark unterschätzen, wollte man hoffen, sie würden
der Regierung selbst die gesetzliche" Waffen zum Einschreiten gegen sich in die
Hand spielen. Irgendwelches herausfordernde Auftreten dieser Leute, das im
gegenwärtigen Augenblicke stattfände, würde unfehlbar den Zusammenschluß der
Kammermehrheit zur Folge haben. Das soll aber gerade verhindert werden,
und deshalb werden Boulanger und seiue Verbündeten vorerst wahrscheinlich
die Regierung und die republikanische Kammermehrheit sich selber überlassen.




Deutsche Stimmungen
beim Eintritt in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
von ZVoldemar !Venet

le gewaltigen Erregungen und Spannungen, die dnrch die ersten,
großen Schläge der französischen Revolution -- im Jahre 1789 --
in das geistige Leben der Deutschen gebracht worden waren,
setzten sich in das folgenden Jahrzehnt hinein fort, in einer Weise,
daß mau wohl sagen kaun: seit den Tagen der Reformation war
"iemnls durch die innere Entwicklung des einen Volkes das Denken und Fühlen
des andern so mächtig beeinflußt worden. Sowohl in der andauernden Kon-
zmtnrung des Interesses auf die politischen Fragen, als in der Ausbreitung
dieses politischen Interesses auf weitere Volkskreise gab sich das zu erkennen.
Wenn bereits in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die
Zunahme Polnischer Reflexion und Schriftstellerei in Deutschland manchen in
Verwunderung gesetzt hatte, wie weit trat alles zurück gegen die jetzt hervor-
gcbrochene Teilnahme und die Schnelligkeit ihres Wachstums! "Glückseliges
Zeitalter! Bald wird unser Deutschland lauter Politiker und lauter Genies
aufweisen," spricht sich eine Stimme im Berliner Journal über das Urmaß
Polnischer Diskussion aus, das man sich gefallen lassen müsse. Zur kurrenten


Grenzboten 1 1889 ü7
Deutsche Stimmungen

den Polizeipräfekten strenge Maßregeln zur Verhinderung der Demonstration,
worauf diese Kundgebung sowie ähnliche, die in Lyon, Marseille, Bordeaux
und Lille beabsichtigt waren, unterblieb. Ein solches Huos e^o wäre am Ende
auch für die Voulaugerei und die mit ihr verbündete Masse der verschiedenen
Gegner der Republik angebracht und von einigem Erfolge. Es hieße jedoch
die Klugheit dieser Gegner stark unterschätzen, wollte man hoffen, sie würden
der Regierung selbst die gesetzliche« Waffen zum Einschreiten gegen sich in die
Hand spielen. Irgendwelches herausfordernde Auftreten dieser Leute, das im
gegenwärtigen Augenblicke stattfände, würde unfehlbar den Zusammenschluß der
Kammermehrheit zur Folge haben. Das soll aber gerade verhindert werden,
und deshalb werden Boulanger und seiue Verbündeten vorerst wahrscheinlich
die Regierung und die republikanische Kammermehrheit sich selber überlassen.




Deutsche Stimmungen
beim Eintritt in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
von ZVoldemar !Venet

le gewaltigen Erregungen und Spannungen, die dnrch die ersten,
großen Schläge der französischen Revolution — im Jahre 1789 —
in das geistige Leben der Deutschen gebracht worden waren,
setzten sich in das folgenden Jahrzehnt hinein fort, in einer Weise,
daß mau wohl sagen kaun: seit den Tagen der Reformation war
«iemnls durch die innere Entwicklung des einen Volkes das Denken und Fühlen
des andern so mächtig beeinflußt worden. Sowohl in der andauernden Kon-
zmtnrung des Interesses auf die politischen Fragen, als in der Ausbreitung
dieses politischen Interesses auf weitere Volkskreise gab sich das zu erkennen.
Wenn bereits in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die
Zunahme Polnischer Reflexion und Schriftstellerei in Deutschland manchen in
Verwunderung gesetzt hatte, wie weit trat alles zurück gegen die jetzt hervor-
gcbrochene Teilnahme und die Schnelligkeit ihres Wachstums! „Glückseliges
Zeitalter! Bald wird unser Deutschland lauter Politiker und lauter Genies
aufweisen," spricht sich eine Stimme im Berliner Journal über das Urmaß
Polnischer Diskussion aus, das man sich gefallen lassen müsse. Zur kurrenten


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[0457] Deutsche Stimmungen den Polizeipräfekten strenge Maßregeln zur Verhinderung der Demonstration, worauf diese Kundgebung sowie ähnliche, die in Lyon, Marseille, Bordeaux und Lille beabsichtigt waren, unterblieb. Ein solches Huos e^o wäre am Ende auch für die Voulaugerei und die mit ihr verbündete Masse der verschiedenen Gegner der Republik angebracht und von einigem Erfolge. Es hieße jedoch die Klugheit dieser Gegner stark unterschätzen, wollte man hoffen, sie würden der Regierung selbst die gesetzliche« Waffen zum Einschreiten gegen sich in die Hand spielen. Irgendwelches herausfordernde Auftreten dieser Leute, das im gegenwärtigen Augenblicke stattfände, würde unfehlbar den Zusammenschluß der Kammermehrheit zur Folge haben. Das soll aber gerade verhindert werden, und deshalb werden Boulanger und seiue Verbündeten vorerst wahrscheinlich die Regierung und die republikanische Kammermehrheit sich selber überlassen. Deutsche Stimmungen beim Eintritt in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts von ZVoldemar !Venet le gewaltigen Erregungen und Spannungen, die dnrch die ersten, großen Schläge der französischen Revolution — im Jahre 1789 — in das geistige Leben der Deutschen gebracht worden waren, setzten sich in das folgenden Jahrzehnt hinein fort, in einer Weise, daß mau wohl sagen kaun: seit den Tagen der Reformation war «iemnls durch die innere Entwicklung des einen Volkes das Denken und Fühlen des andern so mächtig beeinflußt worden. Sowohl in der andauernden Kon- zmtnrung des Interesses auf die politischen Fragen, als in der Ausbreitung dieses politischen Interesses auf weitere Volkskreise gab sich das zu erkennen. Wenn bereits in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Zunahme Polnischer Reflexion und Schriftstellerei in Deutschland manchen in Verwunderung gesetzt hatte, wie weit trat alles zurück gegen die jetzt hervor- gcbrochene Teilnahme und die Schnelligkeit ihres Wachstums! „Glückseliges Zeitalter! Bald wird unser Deutschland lauter Politiker und lauter Genies aufweisen," spricht sich eine Stimme im Berliner Journal über das Urmaß Polnischer Diskussion aus, das man sich gefallen lassen müsse. Zur kurrenten Grenzboten 1 1889 ü7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/457>, abgerufen am 29.06.2024.