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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

Venarius hatte der Verlesung bewegungslos zugehört; nur einmal, als
von möglichem Unglück die Rede war, zog ein eignes, fast gemütliches Lächeln
über sein Gesicht. Jetzt sagte er: Bitte, geben Sie mir den Brief, Sie haben
gehört, meine Herrn, daß der fragliche Herr nicht verrückt ist. Was in dem
Falle zu thun sei, hatten wir ja vorher schon ausgesprochen. Einen ver¬
nünftigen Grund für ein Duell giebt es meines Trachtens überhaupt nicht,
aber die Gesellschaft hat es in ihren weisen Regeln so festgestellt, daß ich, der
Beleidigte, jetzt auch der Blamirte bin, wenn ich die Beleidigung auf mir
sitzen lasse. Also werde ich den Herrn fordern, und Sie, Herr Müller, muß
ich wohl oder übel bitten, mein sekundäre sein zu wollen; als Unparteiischen
könnten wir etwa den Hauptmann K. dazu bitten. Meine Bedingungen sind:
Pistolen, fünfzehn bis zwanzig Schritt, keinesfalls eine größere Entfernung,
sonst bin ich nicht sicher, den Gegner noch etwa schonen zu können. Wegen
eines größern Unglücks brauchen Sie sich dann keine Sorge zu machen. Sie
wissen noch nicht, wie man bei den Boeren schießen lernt. Ferner verlange
ich, daß das Rendezvous jenseits der Grenze stattfindet; denn ich habe keine
Lust, meine Zeit nachher noch mit gerichtlichen Schwierigkeiten zu verlieren.
Wir können übermorgen früh um fünf Uhr über die Grenze fahren und vor
elf Uhr wieder zurück sein. Kollege Sturz hat vielleicht die Güte, uns als
Paukarzt zu begleiten.

Der Branddirektor und ich, wir sprachen beide unser achselzuckendes Ja,
und die Sitzung war aufgehoben.


2

Am zweitfolgenden Morgen fuhren wir über die Grenze, die bekannten
zwei Wagen mit den bekannten acht Mann, von denen zwei ein gleichmütiges
Gesicht machen und sechs ein sorgenschweres. Die üblichen Förmlichkeiten
waren bald erledigt, und die beiden Gegner standen einander gegenüber, die
Waffe in der Hand. Kaum ertönte das Signal, so krachten beide Schüsse
fast gleichzeitig, aber nur der des Arztes war wirklich, wenn auch blitzschnell,
gezielt; sein Gegner war noch damit beschäftigt, den Arm zu senken, als er,
offenbar durch eine unwillkürliche Zuckung, die Pistole abdrückte, so daß die
.Kugel unschädlich schräg über den Kopf meines Kollegen hinweg ging. Gleich
darauf ließ Darrenbach die Pistole fallen und machte eine Bewegung nach
vorn; er fiel nicht, aber er war doch genötigt, sich ins Gras zu setzen und
sich mit der Linken aufzustutzen: der rechte Arm war offenbar schwer verletzt.
Ich sprang ihm zu Hilfe, er aber wies meine Annäherung zurück. Mit etwas
heiserer Stimme, aber mit ungebrochenen Haß und Trotz in den Zügen rief
er: Ich bin nicht zum Schuß gekommen, ich verlange einen zweiten Kugelwechsel.

Eben wollte ich als Arzt gegen diese tolle Forderung Protestiren, als
Venarius herzutrat und sagte: Ich bin bereit, mich der zweiten Kugel zu


Harte Köpfe

Venarius hatte der Verlesung bewegungslos zugehört; nur einmal, als
von möglichem Unglück die Rede war, zog ein eignes, fast gemütliches Lächeln
über sein Gesicht. Jetzt sagte er: Bitte, geben Sie mir den Brief, Sie haben
gehört, meine Herrn, daß der fragliche Herr nicht verrückt ist. Was in dem
Falle zu thun sei, hatten wir ja vorher schon ausgesprochen. Einen ver¬
nünftigen Grund für ein Duell giebt es meines Trachtens überhaupt nicht,
aber die Gesellschaft hat es in ihren weisen Regeln so festgestellt, daß ich, der
Beleidigte, jetzt auch der Blamirte bin, wenn ich die Beleidigung auf mir
sitzen lasse. Also werde ich den Herrn fordern, und Sie, Herr Müller, muß
ich wohl oder übel bitten, mein sekundäre sein zu wollen; als Unparteiischen
könnten wir etwa den Hauptmann K. dazu bitten. Meine Bedingungen sind:
Pistolen, fünfzehn bis zwanzig Schritt, keinesfalls eine größere Entfernung,
sonst bin ich nicht sicher, den Gegner noch etwa schonen zu können. Wegen
eines größern Unglücks brauchen Sie sich dann keine Sorge zu machen. Sie
wissen noch nicht, wie man bei den Boeren schießen lernt. Ferner verlange
ich, daß das Rendezvous jenseits der Grenze stattfindet; denn ich habe keine
Lust, meine Zeit nachher noch mit gerichtlichen Schwierigkeiten zu verlieren.
Wir können übermorgen früh um fünf Uhr über die Grenze fahren und vor
elf Uhr wieder zurück sein. Kollege Sturz hat vielleicht die Güte, uns als
Paukarzt zu begleiten.

Der Branddirektor und ich, wir sprachen beide unser achselzuckendes Ja,
und die Sitzung war aufgehoben.


2

Am zweitfolgenden Morgen fuhren wir über die Grenze, die bekannten
zwei Wagen mit den bekannten acht Mann, von denen zwei ein gleichmütiges
Gesicht machen und sechs ein sorgenschweres. Die üblichen Förmlichkeiten
waren bald erledigt, und die beiden Gegner standen einander gegenüber, die
Waffe in der Hand. Kaum ertönte das Signal, so krachten beide Schüsse
fast gleichzeitig, aber nur der des Arztes war wirklich, wenn auch blitzschnell,
gezielt; sein Gegner war noch damit beschäftigt, den Arm zu senken, als er,
offenbar durch eine unwillkürliche Zuckung, die Pistole abdrückte, so daß die
.Kugel unschädlich schräg über den Kopf meines Kollegen hinweg ging. Gleich
darauf ließ Darrenbach die Pistole fallen und machte eine Bewegung nach
vorn; er fiel nicht, aber er war doch genötigt, sich ins Gras zu setzen und
sich mit der Linken aufzustutzen: der rechte Arm war offenbar schwer verletzt.
Ich sprang ihm zu Hilfe, er aber wies meine Annäherung zurück. Mit etwas
heiserer Stimme, aber mit ungebrochenen Haß und Trotz in den Zügen rief
er: Ich bin nicht zum Schuß gekommen, ich verlange einen zweiten Kugelwechsel.

Eben wollte ich als Arzt gegen diese tolle Forderung Protestiren, als
Venarius herzutrat und sagte: Ich bin bereit, mich der zweiten Kugel zu


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[0440] Harte Köpfe Venarius hatte der Verlesung bewegungslos zugehört; nur einmal, als von möglichem Unglück die Rede war, zog ein eignes, fast gemütliches Lächeln über sein Gesicht. Jetzt sagte er: Bitte, geben Sie mir den Brief, Sie haben gehört, meine Herrn, daß der fragliche Herr nicht verrückt ist. Was in dem Falle zu thun sei, hatten wir ja vorher schon ausgesprochen. Einen ver¬ nünftigen Grund für ein Duell giebt es meines Trachtens überhaupt nicht, aber die Gesellschaft hat es in ihren weisen Regeln so festgestellt, daß ich, der Beleidigte, jetzt auch der Blamirte bin, wenn ich die Beleidigung auf mir sitzen lasse. Also werde ich den Herrn fordern, und Sie, Herr Müller, muß ich wohl oder übel bitten, mein sekundäre sein zu wollen; als Unparteiischen könnten wir etwa den Hauptmann K. dazu bitten. Meine Bedingungen sind: Pistolen, fünfzehn bis zwanzig Schritt, keinesfalls eine größere Entfernung, sonst bin ich nicht sicher, den Gegner noch etwa schonen zu können. Wegen eines größern Unglücks brauchen Sie sich dann keine Sorge zu machen. Sie wissen noch nicht, wie man bei den Boeren schießen lernt. Ferner verlange ich, daß das Rendezvous jenseits der Grenze stattfindet; denn ich habe keine Lust, meine Zeit nachher noch mit gerichtlichen Schwierigkeiten zu verlieren. Wir können übermorgen früh um fünf Uhr über die Grenze fahren und vor elf Uhr wieder zurück sein. Kollege Sturz hat vielleicht die Güte, uns als Paukarzt zu begleiten. Der Branddirektor und ich, wir sprachen beide unser achselzuckendes Ja, und die Sitzung war aufgehoben. 2 Am zweitfolgenden Morgen fuhren wir über die Grenze, die bekannten zwei Wagen mit den bekannten acht Mann, von denen zwei ein gleichmütiges Gesicht machen und sechs ein sorgenschweres. Die üblichen Förmlichkeiten waren bald erledigt, und die beiden Gegner standen einander gegenüber, die Waffe in der Hand. Kaum ertönte das Signal, so krachten beide Schüsse fast gleichzeitig, aber nur der des Arztes war wirklich, wenn auch blitzschnell, gezielt; sein Gegner war noch damit beschäftigt, den Arm zu senken, als er, offenbar durch eine unwillkürliche Zuckung, die Pistole abdrückte, so daß die .Kugel unschädlich schräg über den Kopf meines Kollegen hinweg ging. Gleich darauf ließ Darrenbach die Pistole fallen und machte eine Bewegung nach vorn; er fiel nicht, aber er war doch genötigt, sich ins Gras zu setzen und sich mit der Linken aufzustutzen: der rechte Arm war offenbar schwer verletzt. Ich sprang ihm zu Hilfe, er aber wies meine Annäherung zurück. Mit etwas heiserer Stimme, aber mit ungebrochenen Haß und Trotz in den Zügen rief er: Ich bin nicht zum Schuß gekommen, ich verlange einen zweiten Kugelwechsel. Eben wollte ich als Arzt gegen diese tolle Forderung Protestiren, als Venarius herzutrat und sagte: Ich bin bereit, mich der zweiten Kugel zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/440>, abgerufen am 29.06.2024.