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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Es sah zuerst aus, als sollte ein neuer Wutausbruch folgen, aber mit
einer abermaligen Anstrengung faßte er sich wieder und sagte ruhig, wenn auch
mit heiserer Stimme: Gut, es sei; es ist namenlos, aber ich sehe ein, daß ich
das Urteil des Irrenarztes brauche. Lassen Sie ihn kommen.

Ich bin also zu Dr. Leonhard hingefahren, habe ihm die Sachlage erklärt
und ihn gebeten, den Patienten zu besuche". Er hat das gethan, und vor
einer Stunde erhielt ich diesen Brief, den ich Ihnen, Herr Dr. Vennrius,
übergeben soll.

Sie würden mich verpflichten, sagte der Angeredete, wenn Sie den Brief
gleich laut vorlesen wollten. Müller nickte mit dem Kopf und las:

Geehrter Kollege! Ich bin heute nachmittag zu dem vou Herrn Direktor
Müller bezeichneten Herrn Darrenbach gegangen und habe mich eine gute Stunde
lang mit ihm unterhalten. Ich bemerkte an ihn: einen ausgesprochenen Haß
gegen Sie und eine ungemein große Zornesaufregung, aber außerdem nichts
eigentlich Krankhaftes. Ohne etwas über die tiefer liegenden Gründe seiner
Aufregung erfahren zu können, habe ich alle die kleinen Hilfsmittel, die uns
unsre Kunst an die Hand giebt, vorsichtig angewendet, um ihm das Geheimnis
feiner etwaigen Monomanie abzulocken, aber er widerstand vollständig, und zwar
nicht mit der bei wirklich Irren so oft vorkommenden Schlauheit, die man
schließlich doch immer übertölpelt, sondern mit voller, unverkennbarer Naivität.
Sie wissen, daß ein auf kurze Beobachtung gegründetes Urteil über den Geistes¬
zustand eines aufgeregten Menschen nicht vollkommen zuverlässig sein kann, ich
gebe also meine Ansicht mit einem gewissen Vorbehalt; innerhalb desselben
lautet sie: der Maun ist wahrscheinlich in irgend eine Dummheit verrannt,
aber nicht eigentlich geisteskrank.

Ich habe von Herrn Müller die Art der Provokation erfahren, womit
^sum der pp. Darrenbach entgegengetreten ist. Als älterer Kollege und Vor¬
sitzender des ärztlichen Vereins darf ich nur wohl erlauben, Ihnen einige
Worte darüber zu sagen.

Ich meine, ein Mann, dessen Beruf so fest steht wie der Ihrige, kann
über einen Mensche", der sich wie ein Schuljunge ausführt, ohne weiteres
hinwegsehen. Ehe Sie sich einem Duell aussetzen, sollten Sie bedenken, daß
wi Unglück, das Ihnen etwa widerfährt, nicht bloß Sie und Ihre nächsten
freunde treffen würde, sondern einen weiten Kreis von Leuten, deren einige
geradezu ihre ganze Lebenshoffnung auf Jhre^ Geschicklichkeit gesetzt haben,
^es bitte Sie inständig, jedes Duell abzulehnen, zu dem nicht wenigstens ein
ausreichender Grund vorliegt; Sie werden, wenn Sie das thun, unser ganzes
Kollegium und alle vernünftigen Menschen unbedingt auf Ihrer Seite haben.


Mit hochachtungsvollem GrußIhr P. Leonhard.
Harte"KSpse

Es sah zuerst aus, als sollte ein neuer Wutausbruch folgen, aber mit
einer abermaligen Anstrengung faßte er sich wieder und sagte ruhig, wenn auch
mit heiserer Stimme: Gut, es sei; es ist namenlos, aber ich sehe ein, daß ich
das Urteil des Irrenarztes brauche. Lassen Sie ihn kommen.

Ich bin also zu Dr. Leonhard hingefahren, habe ihm die Sachlage erklärt
und ihn gebeten, den Patienten zu besuche». Er hat das gethan, und vor
einer Stunde erhielt ich diesen Brief, den ich Ihnen, Herr Dr. Vennrius,
übergeben soll.

Sie würden mich verpflichten, sagte der Angeredete, wenn Sie den Brief
gleich laut vorlesen wollten. Müller nickte mit dem Kopf und las:

Geehrter Kollege! Ich bin heute nachmittag zu dem vou Herrn Direktor
Müller bezeichneten Herrn Darrenbach gegangen und habe mich eine gute Stunde
lang mit ihm unterhalten. Ich bemerkte an ihn: einen ausgesprochenen Haß
gegen Sie und eine ungemein große Zornesaufregung, aber außerdem nichts
eigentlich Krankhaftes. Ohne etwas über die tiefer liegenden Gründe seiner
Aufregung erfahren zu können, habe ich alle die kleinen Hilfsmittel, die uns
unsre Kunst an die Hand giebt, vorsichtig angewendet, um ihm das Geheimnis
feiner etwaigen Monomanie abzulocken, aber er widerstand vollständig, und zwar
nicht mit der bei wirklich Irren so oft vorkommenden Schlauheit, die man
schließlich doch immer übertölpelt, sondern mit voller, unverkennbarer Naivität.
Sie wissen, daß ein auf kurze Beobachtung gegründetes Urteil über den Geistes¬
zustand eines aufgeregten Menschen nicht vollkommen zuverlässig sein kann, ich
gebe also meine Ansicht mit einem gewissen Vorbehalt; innerhalb desselben
lautet sie: der Maun ist wahrscheinlich in irgend eine Dummheit verrannt,
aber nicht eigentlich geisteskrank.

Ich habe von Herrn Müller die Art der Provokation erfahren, womit
^sum der pp. Darrenbach entgegengetreten ist. Als älterer Kollege und Vor¬
sitzender des ärztlichen Vereins darf ich nur wohl erlauben, Ihnen einige
Worte darüber zu sagen.

Ich meine, ein Mann, dessen Beruf so fest steht wie der Ihrige, kann
über einen Mensche«, der sich wie ein Schuljunge ausführt, ohne weiteres
hinwegsehen. Ehe Sie sich einem Duell aussetzen, sollten Sie bedenken, daß
wi Unglück, das Ihnen etwa widerfährt, nicht bloß Sie und Ihre nächsten
freunde treffen würde, sondern einen weiten Kreis von Leuten, deren einige
geradezu ihre ganze Lebenshoffnung auf Jhre^ Geschicklichkeit gesetzt haben,
^es bitte Sie inständig, jedes Duell abzulehnen, zu dem nicht wenigstens ein
ausreichender Grund vorliegt; Sie werden, wenn Sie das thun, unser ganzes
Kollegium und alle vernünftigen Menschen unbedingt auf Ihrer Seite haben.


Mit hochachtungsvollem GrußIhr P. Leonhard.
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[0439] Harte"KSpse Es sah zuerst aus, als sollte ein neuer Wutausbruch folgen, aber mit einer abermaligen Anstrengung faßte er sich wieder und sagte ruhig, wenn auch mit heiserer Stimme: Gut, es sei; es ist namenlos, aber ich sehe ein, daß ich das Urteil des Irrenarztes brauche. Lassen Sie ihn kommen. Ich bin also zu Dr. Leonhard hingefahren, habe ihm die Sachlage erklärt und ihn gebeten, den Patienten zu besuche». Er hat das gethan, und vor einer Stunde erhielt ich diesen Brief, den ich Ihnen, Herr Dr. Vennrius, übergeben soll. Sie würden mich verpflichten, sagte der Angeredete, wenn Sie den Brief gleich laut vorlesen wollten. Müller nickte mit dem Kopf und las: Geehrter Kollege! Ich bin heute nachmittag zu dem vou Herrn Direktor Müller bezeichneten Herrn Darrenbach gegangen und habe mich eine gute Stunde lang mit ihm unterhalten. Ich bemerkte an ihn: einen ausgesprochenen Haß gegen Sie und eine ungemein große Zornesaufregung, aber außerdem nichts eigentlich Krankhaftes. Ohne etwas über die tiefer liegenden Gründe seiner Aufregung erfahren zu können, habe ich alle die kleinen Hilfsmittel, die uns unsre Kunst an die Hand giebt, vorsichtig angewendet, um ihm das Geheimnis feiner etwaigen Monomanie abzulocken, aber er widerstand vollständig, und zwar nicht mit der bei wirklich Irren so oft vorkommenden Schlauheit, die man schließlich doch immer übertölpelt, sondern mit voller, unverkennbarer Naivität. Sie wissen, daß ein auf kurze Beobachtung gegründetes Urteil über den Geistes¬ zustand eines aufgeregten Menschen nicht vollkommen zuverlässig sein kann, ich gebe also meine Ansicht mit einem gewissen Vorbehalt; innerhalb desselben lautet sie: der Maun ist wahrscheinlich in irgend eine Dummheit verrannt, aber nicht eigentlich geisteskrank. Ich habe von Herrn Müller die Art der Provokation erfahren, womit ^sum der pp. Darrenbach entgegengetreten ist. Als älterer Kollege und Vor¬ sitzender des ärztlichen Vereins darf ich nur wohl erlauben, Ihnen einige Worte darüber zu sagen. Ich meine, ein Mann, dessen Beruf so fest steht wie der Ihrige, kann über einen Mensche«, der sich wie ein Schuljunge ausführt, ohne weiteres hinwegsehen. Ehe Sie sich einem Duell aussetzen, sollten Sie bedenken, daß wi Unglück, das Ihnen etwa widerfährt, nicht bloß Sie und Ihre nächsten freunde treffen würde, sondern einen weiten Kreis von Leuten, deren einige geradezu ihre ganze Lebenshoffnung auf Jhre^ Geschicklichkeit gesetzt haben, ^es bitte Sie inständig, jedes Duell abzulehnen, zu dem nicht wenigstens ein ausreichender Grund vorliegt; Sie werden, wenn Sie das thun, unser ganzes Kollegium und alle vernünftigen Menschen unbedingt auf Ihrer Seite haben. Mit hochachtungsvollem GrußIhr P. Leonhard.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/439>, abgerufen am 29.06.2024.