Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Harte Köpfe

in seinen exotischen Jahren nichts eingepflanzt hat, wovon er jetzt die
Früchte erntet?

Da er es sagt, bin ich dessen sicher, antwortete ich; ich kenne ihn seit
nunmehr fünf Jahren aus nächster Nähe und weiß, daß sein Wort, wie sein
Schnitt, absolut zuverlässig ist. Und was sein Gedächtnis angeht, ich wollte, ich
hätte die Hälfte davon. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß der Herr Darren¬
bach mir schon bei meinem Eintritt in das Nestaurationszimmer aufgefallen
ist; ich neige durchaus zu der Ansicht, daß eine fachmännische Beobachtung
erwünscht wäre. Damit schüttelte ich ihm die Hand und ging meines Weges.

Am Abend trafen wir wieder bei Sternberg zusammen, und der Direktor
Müller stattete seinen Bericht ab. Ich bin, sagte er, gleich nach Mittag zu
Herrn Darrenbach gegangen und habe ihm zunächst die Erklärung mitgeteilt,
die mir heute morgen gemacht wurde. Die Behauptung, daß Dr. Vencirius
ihn nicht kenne und von nichts wisse, schien ihn nicht sowohl zu erstaunen
als zu empören. Als ich ihm die Bedingungen mitteilte, geriet er in eine
namenlose Wut; er schäumte buchstäblich vor Zorn und Verachtung. Auf die
Wiedergabe seiner Ausdrücke muß ich verzichten; ich habe selbst eine Zeit lang
geglaubt, er sei uicht bei Sinnen, und von dieser Auffassung ausgehend, sagte
ich ihm schließlich: Nun, wenn Sie keine Gründe angeben können, ist wohl
anzunehmen, daß Sie auch keine haben. Ich muß dann jede weitere Vermitt¬
lung ablehnen, und Sie dürfen sich durchaus nicht wundern, wenn Sie als
unzurechnungsfähig behandelt werden. Da raffte er sich gewaltsam zusammen
und sprach, wie ein halb vernünftiger Mensch. Wenn Sie meine Gründe
wüßten, sagte er, so würden Sie es selbst begreiflich finden, daß ich sie nicht
an die Öffentlichkeit bringen will.

Aber es steht ja nichts im Wege, antwortete ich, daß Sie diese Gründe
dem Dr. Vennrius unter vier Augen mitteilen; er ist Manns genug, um selber
zu sehen, wieviel Sie wert sind.

Da blitzte noch einmal die furchtbare Wut in seinen Zügen auf, und er
erwiderte: Wenn ich den Dr. Venarius erst unter vier Augen hätte, würde
einer von uns das Zimmer nicht lebend verlassen.

Dann, sagte ich, kann ich Ihnen nur den Rat geben, sich sofort einer
Untersuchung durch Dr. Leonhard zu unterwerfen. Denn wenn Sie das nicht
thun, sitzen Sie morgen mittag als gefährlicher Kranker hinter Schloß und
Riegel. Und wenn Sie dann nicht als Monomane festgehalten werden wollen,
werden Sie Ihre Gründe wohl öffentlich angeben müssen, nötigenfalls vor
Gerichtshof und geehrten Publikum. Sie werden mir wenigstens das zugeben
müssen, daß Sie einem Arzt, der Sie einsperren lassen will, die Sache sehr leicht
gemacht haben. Dr. Sturz, den Sie in Venarius' Begleitung gesehen haben,
hat mir bereits gesagt, nach seiner Meinung liege bei Ihnen ein dringender
Verdacht auf Geistesstörung vor.


Harte Köpfe

in seinen exotischen Jahren nichts eingepflanzt hat, wovon er jetzt die
Früchte erntet?

Da er es sagt, bin ich dessen sicher, antwortete ich; ich kenne ihn seit
nunmehr fünf Jahren aus nächster Nähe und weiß, daß sein Wort, wie sein
Schnitt, absolut zuverlässig ist. Und was sein Gedächtnis angeht, ich wollte, ich
hätte die Hälfte davon. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß der Herr Darren¬
bach mir schon bei meinem Eintritt in das Nestaurationszimmer aufgefallen
ist; ich neige durchaus zu der Ansicht, daß eine fachmännische Beobachtung
erwünscht wäre. Damit schüttelte ich ihm die Hand und ging meines Weges.

Am Abend trafen wir wieder bei Sternberg zusammen, und der Direktor
Müller stattete seinen Bericht ab. Ich bin, sagte er, gleich nach Mittag zu
Herrn Darrenbach gegangen und habe ihm zunächst die Erklärung mitgeteilt,
die mir heute morgen gemacht wurde. Die Behauptung, daß Dr. Vencirius
ihn nicht kenne und von nichts wisse, schien ihn nicht sowohl zu erstaunen
als zu empören. Als ich ihm die Bedingungen mitteilte, geriet er in eine
namenlose Wut; er schäumte buchstäblich vor Zorn und Verachtung. Auf die
Wiedergabe seiner Ausdrücke muß ich verzichten; ich habe selbst eine Zeit lang
geglaubt, er sei uicht bei Sinnen, und von dieser Auffassung ausgehend, sagte
ich ihm schließlich: Nun, wenn Sie keine Gründe angeben können, ist wohl
anzunehmen, daß Sie auch keine haben. Ich muß dann jede weitere Vermitt¬
lung ablehnen, und Sie dürfen sich durchaus nicht wundern, wenn Sie als
unzurechnungsfähig behandelt werden. Da raffte er sich gewaltsam zusammen
und sprach, wie ein halb vernünftiger Mensch. Wenn Sie meine Gründe
wüßten, sagte er, so würden Sie es selbst begreiflich finden, daß ich sie nicht
an die Öffentlichkeit bringen will.

Aber es steht ja nichts im Wege, antwortete ich, daß Sie diese Gründe
dem Dr. Vennrius unter vier Augen mitteilen; er ist Manns genug, um selber
zu sehen, wieviel Sie wert sind.

Da blitzte noch einmal die furchtbare Wut in seinen Zügen auf, und er
erwiderte: Wenn ich den Dr. Venarius erst unter vier Augen hätte, würde
einer von uns das Zimmer nicht lebend verlassen.

Dann, sagte ich, kann ich Ihnen nur den Rat geben, sich sofort einer
Untersuchung durch Dr. Leonhard zu unterwerfen. Denn wenn Sie das nicht
thun, sitzen Sie morgen mittag als gefährlicher Kranker hinter Schloß und
Riegel. Und wenn Sie dann nicht als Monomane festgehalten werden wollen,
werden Sie Ihre Gründe wohl öffentlich angeben müssen, nötigenfalls vor
Gerichtshof und geehrten Publikum. Sie werden mir wenigstens das zugeben
müssen, daß Sie einem Arzt, der Sie einsperren lassen will, die Sache sehr leicht
gemacht haben. Dr. Sturz, den Sie in Venarius' Begleitung gesehen haben,
hat mir bereits gesagt, nach seiner Meinung liege bei Ihnen ein dringender
Verdacht auf Geistesstörung vor.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204527"/>
            <fw type="header" place="top"> Harte Köpfe</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429"> in seinen exotischen Jahren nichts eingepflanzt hat, wovon er jetzt die<lb/>
Früchte erntet?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1431"> Da er es sagt, bin ich dessen sicher, antwortete ich; ich kenne ihn seit<lb/>
nunmehr fünf Jahren aus nächster Nähe und weiß, daß sein Wort, wie sein<lb/>
Schnitt, absolut zuverlässig ist. Und was sein Gedächtnis angeht, ich wollte, ich<lb/>
hätte die Hälfte davon. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß der Herr Darren¬<lb/>
bach mir schon bei meinem Eintritt in das Nestaurationszimmer aufgefallen<lb/>
ist; ich neige durchaus zu der Ansicht, daß eine fachmännische Beobachtung<lb/>
erwünscht wäre.  Damit schüttelte ich ihm die Hand und ging meines Weges.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1432"> Am Abend trafen wir wieder bei Sternberg zusammen, und der Direktor<lb/>
Müller stattete seinen Bericht ab. Ich bin, sagte er, gleich nach Mittag zu<lb/>
Herrn Darrenbach gegangen und habe ihm zunächst die Erklärung mitgeteilt,<lb/>
die mir heute morgen gemacht wurde. Die Behauptung, daß Dr. Vencirius<lb/>
ihn nicht kenne und von nichts wisse, schien ihn nicht sowohl zu erstaunen<lb/>
als zu empören. Als ich ihm die Bedingungen mitteilte, geriet er in eine<lb/>
namenlose Wut; er schäumte buchstäblich vor Zorn und Verachtung. Auf die<lb/>
Wiedergabe seiner Ausdrücke muß ich verzichten; ich habe selbst eine Zeit lang<lb/>
geglaubt, er sei uicht bei Sinnen, und von dieser Auffassung ausgehend, sagte<lb/>
ich ihm schließlich: Nun, wenn Sie keine Gründe angeben können, ist wohl<lb/>
anzunehmen, daß Sie auch keine haben. Ich muß dann jede weitere Vermitt¬<lb/>
lung ablehnen, und Sie dürfen sich durchaus nicht wundern, wenn Sie als<lb/>
unzurechnungsfähig behandelt werden. Da raffte er sich gewaltsam zusammen<lb/>
und sprach, wie ein halb vernünftiger Mensch. Wenn Sie meine Gründe<lb/>
wüßten, sagte er, so würden Sie es selbst begreiflich finden, daß ich sie nicht<lb/>
an die Öffentlichkeit bringen will.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1433"> Aber es steht ja nichts im Wege, antwortete ich, daß Sie diese Gründe<lb/>
dem Dr. Vennrius unter vier Augen mitteilen; er ist Manns genug, um selber<lb/>
zu sehen, wieviel Sie wert sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1434"> Da blitzte noch einmal die furchtbare Wut in seinen Zügen auf, und er<lb/>
erwiderte: Wenn ich den Dr. Venarius erst unter vier Augen hätte, würde<lb/>
einer von uns das Zimmer nicht lebend verlassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1435"> Dann, sagte ich, kann ich Ihnen nur den Rat geben, sich sofort einer<lb/>
Untersuchung durch Dr. Leonhard zu unterwerfen. Denn wenn Sie das nicht<lb/>
thun, sitzen Sie morgen mittag als gefährlicher Kranker hinter Schloß und<lb/>
Riegel. Und wenn Sie dann nicht als Monomane festgehalten werden wollen,<lb/>
werden Sie Ihre Gründe wohl öffentlich angeben müssen, nötigenfalls vor<lb/>
Gerichtshof und geehrten Publikum. Sie werden mir wenigstens das zugeben<lb/>
müssen, daß Sie einem Arzt, der Sie einsperren lassen will, die Sache sehr leicht<lb/>
gemacht haben. Dr. Sturz, den Sie in Venarius' Begleitung gesehen haben,<lb/>
hat mir bereits gesagt, nach seiner Meinung liege bei Ihnen ein dringender<lb/>
Verdacht auf Geistesstörung vor.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Harte Köpfe in seinen exotischen Jahren nichts eingepflanzt hat, wovon er jetzt die Früchte erntet? Da er es sagt, bin ich dessen sicher, antwortete ich; ich kenne ihn seit nunmehr fünf Jahren aus nächster Nähe und weiß, daß sein Wort, wie sein Schnitt, absolut zuverlässig ist. Und was sein Gedächtnis angeht, ich wollte, ich hätte die Hälfte davon. Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß der Herr Darren¬ bach mir schon bei meinem Eintritt in das Nestaurationszimmer aufgefallen ist; ich neige durchaus zu der Ansicht, daß eine fachmännische Beobachtung erwünscht wäre. Damit schüttelte ich ihm die Hand und ging meines Weges. Am Abend trafen wir wieder bei Sternberg zusammen, und der Direktor Müller stattete seinen Bericht ab. Ich bin, sagte er, gleich nach Mittag zu Herrn Darrenbach gegangen und habe ihm zunächst die Erklärung mitgeteilt, die mir heute morgen gemacht wurde. Die Behauptung, daß Dr. Vencirius ihn nicht kenne und von nichts wisse, schien ihn nicht sowohl zu erstaunen als zu empören. Als ich ihm die Bedingungen mitteilte, geriet er in eine namenlose Wut; er schäumte buchstäblich vor Zorn und Verachtung. Auf die Wiedergabe seiner Ausdrücke muß ich verzichten; ich habe selbst eine Zeit lang geglaubt, er sei uicht bei Sinnen, und von dieser Auffassung ausgehend, sagte ich ihm schließlich: Nun, wenn Sie keine Gründe angeben können, ist wohl anzunehmen, daß Sie auch keine haben. Ich muß dann jede weitere Vermitt¬ lung ablehnen, und Sie dürfen sich durchaus nicht wundern, wenn Sie als unzurechnungsfähig behandelt werden. Da raffte er sich gewaltsam zusammen und sprach, wie ein halb vernünftiger Mensch. Wenn Sie meine Gründe wüßten, sagte er, so würden Sie es selbst begreiflich finden, daß ich sie nicht an die Öffentlichkeit bringen will. Aber es steht ja nichts im Wege, antwortete ich, daß Sie diese Gründe dem Dr. Vennrius unter vier Augen mitteilen; er ist Manns genug, um selber zu sehen, wieviel Sie wert sind. Da blitzte noch einmal die furchtbare Wut in seinen Zügen auf, und er erwiderte: Wenn ich den Dr. Venarius erst unter vier Augen hätte, würde einer von uns das Zimmer nicht lebend verlassen. Dann, sagte ich, kann ich Ihnen nur den Rat geben, sich sofort einer Untersuchung durch Dr. Leonhard zu unterwerfen. Denn wenn Sie das nicht thun, sitzen Sie morgen mittag als gefährlicher Kranker hinter Schloß und Riegel. Und wenn Sie dann nicht als Monomane festgehalten werden wollen, werden Sie Ihre Gründe wohl öffentlich angeben müssen, nötigenfalls vor Gerichtshof und geehrten Publikum. Sie werden mir wenigstens das zugeben müssen, daß Sie einem Arzt, der Sie einsperren lassen will, die Sache sehr leicht gemacht haben. Dr. Sturz, den Sie in Venarius' Begleitung gesehen haben, hat mir bereits gesagt, nach seiner Meinung liege bei Ihnen ein dringender Verdacht auf Geistesstörung vor.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/438>, abgerufen am 29.06.2024.