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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

zu Hause bleiben. Der Unmut im Antlitz des Doktors stieg. Nun, murmelte
er, wenn der Pinsel es uicht anders will, so kann ihm geholfen werden.
Aber nein, so geht es doch nicht. Herr Müller. Sie haben sich der Sache
nun einmal soweit angenommen und sind auch als Zeuge so weit hinein ver¬
wickelt, daß ich nicht wohl einen andern als Sie damit behelligen kaum Ich
ersuche Sie, als freiwilliger Ehrenrichter in erster Instanz zwischen Herrn Darreu-
bach und mir zu entscheiden. Wenn Sie wollen, so adjungiren Sie sich noch
einen Genossen. Ich selbst will Ihnen meine Erklärung sofort geben: Ein
Herr, von dessen Dasein ich nie gehört habe, kommt hierher mit der aus¬
gesprochenen Absicht, ein Duell mit mir zu suchen. Er giebt keine Gründe
an, und ich habe nicht die leiseste Vermutung darüber, was ihn zu seinem
Schritt veranlaßt, oder vielmehr, ich habe die bestimmte Vermutung, daß er
verrückt ist. Wüßte ich ihn bei Sinnen, nun wohl, ich würde das Duell mit
ihm für eine Abgeschmacktheit halten, aber ich würde diese Abgeschmacktheit
begehen, denn ich müßte sie als einen Akt der Notwehr ansehen, zu dem mich
die geistreichen Satzungen der Gesellschaft zwingen, und - ich bin uicht mehr
so gutmütig, daß ich mir mein Dasein durch die Laune eiues beliebigen
Dummkopfs verderben lassen sollte. So wie aber die Sachen stehen, kann
davon keine Rede sein. Daß ich. als Arzt, mich vor der Welt und vor mir
selber blamiren soll, indem ich auf einen Menschen schieße, an dessen Geistes-
gesundheit ich zweifle, das geht nicht an. Also, entweder ich will die Gründe
kennen, mit denen Herr Darrenbach so geheimnisvoll thut, und dann mag das
Ehrengericht darüber entscheiden, ob sie ausreichend sind, oder ich will ein
wllgiltiges Zeugnis darüber haben, daß er gesund ist. Wenn der Jrrenarzt
Leonhard bezeugt, daß der Betreffende vollständig zurechnungsfähig ist, nun,
so mag er seinen Willen haben. Zeit dazu gebe ich bis morgen früh; wenn
ich bis dahin keine genügende Auskunft habe, lasse ich als Beleidigter die
Sache fallen und stelle als Arzt den Antrag, daß Dnrrenbach einer geeigneten
Überwachung anheimgegeben werde, oder besser, ich bitte Sie, Kollege Sturz,
den Antrag zu stellen -- ich denke, Sie werden mit mir einverstanden sein,
daß er motivirt ist.

Vollständig, antwortete ich. Der Branddirektor aber verbeugte sich und
sagte: Ich nehme Ihren Auftrag zwar nicht gern an. aber ich nehme ihn an.
Die Sache ist mir bis jetzt völlig unverständlich, aber ich werde versuchen,
'ob sich Licht hinein bringen läßt. Können wir uns um sechs Uhr wiedersehen?

Nein, antworteten wir beide fast gleichzeitig, und Venarius fügte hinzu:
Meine Kranken sind mir wichtiger, als diese alberne Geschichte; bei meinem
letzten Operirten von heute morgen muß ich um acht Uhr noch einmal nach¬
sehen; ist alles in Ordnung, so kann ich gegen neun Uhr hier sein.

Hieraus trennten wir uns; ich ging noch eine Strecke mit Müller. Eine
wunderliche Sache, sagte er, sind Sie ganz sicher, daß Ihr Kollege sich


Harte Köpfe

zu Hause bleiben. Der Unmut im Antlitz des Doktors stieg. Nun, murmelte
er, wenn der Pinsel es uicht anders will, so kann ihm geholfen werden.
Aber nein, so geht es doch nicht. Herr Müller. Sie haben sich der Sache
nun einmal soweit angenommen und sind auch als Zeuge so weit hinein ver¬
wickelt, daß ich nicht wohl einen andern als Sie damit behelligen kaum Ich
ersuche Sie, als freiwilliger Ehrenrichter in erster Instanz zwischen Herrn Darreu-
bach und mir zu entscheiden. Wenn Sie wollen, so adjungiren Sie sich noch
einen Genossen. Ich selbst will Ihnen meine Erklärung sofort geben: Ein
Herr, von dessen Dasein ich nie gehört habe, kommt hierher mit der aus¬
gesprochenen Absicht, ein Duell mit mir zu suchen. Er giebt keine Gründe
an, und ich habe nicht die leiseste Vermutung darüber, was ihn zu seinem
Schritt veranlaßt, oder vielmehr, ich habe die bestimmte Vermutung, daß er
verrückt ist. Wüßte ich ihn bei Sinnen, nun wohl, ich würde das Duell mit
ihm für eine Abgeschmacktheit halten, aber ich würde diese Abgeschmacktheit
begehen, denn ich müßte sie als einen Akt der Notwehr ansehen, zu dem mich
die geistreichen Satzungen der Gesellschaft zwingen, und - ich bin uicht mehr
so gutmütig, daß ich mir mein Dasein durch die Laune eiues beliebigen
Dummkopfs verderben lassen sollte. So wie aber die Sachen stehen, kann
davon keine Rede sein. Daß ich. als Arzt, mich vor der Welt und vor mir
selber blamiren soll, indem ich auf einen Menschen schieße, an dessen Geistes-
gesundheit ich zweifle, das geht nicht an. Also, entweder ich will die Gründe
kennen, mit denen Herr Darrenbach so geheimnisvoll thut, und dann mag das
Ehrengericht darüber entscheiden, ob sie ausreichend sind, oder ich will ein
wllgiltiges Zeugnis darüber haben, daß er gesund ist. Wenn der Jrrenarzt
Leonhard bezeugt, daß der Betreffende vollständig zurechnungsfähig ist, nun,
so mag er seinen Willen haben. Zeit dazu gebe ich bis morgen früh; wenn
ich bis dahin keine genügende Auskunft habe, lasse ich als Beleidigter die
Sache fallen und stelle als Arzt den Antrag, daß Dnrrenbach einer geeigneten
Überwachung anheimgegeben werde, oder besser, ich bitte Sie, Kollege Sturz,
den Antrag zu stellen — ich denke, Sie werden mit mir einverstanden sein,
daß er motivirt ist.

Vollständig, antwortete ich. Der Branddirektor aber verbeugte sich und
sagte: Ich nehme Ihren Auftrag zwar nicht gern an. aber ich nehme ihn an.
Die Sache ist mir bis jetzt völlig unverständlich, aber ich werde versuchen,
'ob sich Licht hinein bringen läßt. Können wir uns um sechs Uhr wiedersehen?

Nein, antworteten wir beide fast gleichzeitig, und Venarius fügte hinzu:
Meine Kranken sind mir wichtiger, als diese alberne Geschichte; bei meinem
letzten Operirten von heute morgen muß ich um acht Uhr noch einmal nach¬
sehen; ist alles in Ordnung, so kann ich gegen neun Uhr hier sein.

Hieraus trennten wir uns; ich ging noch eine Strecke mit Müller. Eine
wunderliche Sache, sagte er, sind Sie ganz sicher, daß Ihr Kollege sich


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[0437] Harte Köpfe zu Hause bleiben. Der Unmut im Antlitz des Doktors stieg. Nun, murmelte er, wenn der Pinsel es uicht anders will, so kann ihm geholfen werden. Aber nein, so geht es doch nicht. Herr Müller. Sie haben sich der Sache nun einmal soweit angenommen und sind auch als Zeuge so weit hinein ver¬ wickelt, daß ich nicht wohl einen andern als Sie damit behelligen kaum Ich ersuche Sie, als freiwilliger Ehrenrichter in erster Instanz zwischen Herrn Darreu- bach und mir zu entscheiden. Wenn Sie wollen, so adjungiren Sie sich noch einen Genossen. Ich selbst will Ihnen meine Erklärung sofort geben: Ein Herr, von dessen Dasein ich nie gehört habe, kommt hierher mit der aus¬ gesprochenen Absicht, ein Duell mit mir zu suchen. Er giebt keine Gründe an, und ich habe nicht die leiseste Vermutung darüber, was ihn zu seinem Schritt veranlaßt, oder vielmehr, ich habe die bestimmte Vermutung, daß er verrückt ist. Wüßte ich ihn bei Sinnen, nun wohl, ich würde das Duell mit ihm für eine Abgeschmacktheit halten, aber ich würde diese Abgeschmacktheit begehen, denn ich müßte sie als einen Akt der Notwehr ansehen, zu dem mich die geistreichen Satzungen der Gesellschaft zwingen, und - ich bin uicht mehr so gutmütig, daß ich mir mein Dasein durch die Laune eiues beliebigen Dummkopfs verderben lassen sollte. So wie aber die Sachen stehen, kann davon keine Rede sein. Daß ich. als Arzt, mich vor der Welt und vor mir selber blamiren soll, indem ich auf einen Menschen schieße, an dessen Geistes- gesundheit ich zweifle, das geht nicht an. Also, entweder ich will die Gründe kennen, mit denen Herr Darrenbach so geheimnisvoll thut, und dann mag das Ehrengericht darüber entscheiden, ob sie ausreichend sind, oder ich will ein wllgiltiges Zeugnis darüber haben, daß er gesund ist. Wenn der Jrrenarzt Leonhard bezeugt, daß der Betreffende vollständig zurechnungsfähig ist, nun, so mag er seinen Willen haben. Zeit dazu gebe ich bis morgen früh; wenn ich bis dahin keine genügende Auskunft habe, lasse ich als Beleidigter die Sache fallen und stelle als Arzt den Antrag, daß Dnrrenbach einer geeigneten Überwachung anheimgegeben werde, oder besser, ich bitte Sie, Kollege Sturz, den Antrag zu stellen — ich denke, Sie werden mit mir einverstanden sein, daß er motivirt ist. Vollständig, antwortete ich. Der Branddirektor aber verbeugte sich und sagte: Ich nehme Ihren Auftrag zwar nicht gern an. aber ich nehme ihn an. Die Sache ist mir bis jetzt völlig unverständlich, aber ich werde versuchen, 'ob sich Licht hinein bringen läßt. Können wir uns um sechs Uhr wiedersehen? Nein, antworteten wir beide fast gleichzeitig, und Venarius fügte hinzu: Meine Kranken sind mir wichtiger, als diese alberne Geschichte; bei meinem letzten Operirten von heute morgen muß ich um acht Uhr noch einmal nach¬ sehen; ist alles in Ordnung, so kann ich gegen neun Uhr hier sein. Hieraus trennten wir uns; ich ging noch eine Strecke mit Müller. Eine wunderliche Sache, sagte er, sind Sie ganz sicher, daß Ihr Kollege sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/437>, abgerufen am 29.06.2024.