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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

Leben entsinnen kann, durch den ich ihm etwa hätte unangenehm werden können.
Ich halte ihn demnach für einen gemeingefährlichen Irren und gedenke darnach
zu Verfahren.

Der Notar schüttelte den Kopf. Merkwürdig, betrunken war er nicht;
bis zu dem Augenblick, wo Sie ins Wirtshaus traten, hat er ganz ruhig,
wenn auch in sich gekehrt, dagesessen; erst als Sie Platz genommen hatten,
wurde er extravagant, und das so plötzlich, daß niemand es erwarten oder
hindern konnte.

Irrsinnige haben solche Einfälle. Wissen Sie denn, ob er meine Person
wirklich gemeint hat?

Unzweifelhaft; er nannte auf dem Rückweg Ihren vollen Namen, Doktor
Conrad Franz Venarins, der zwei Jahre in Wien zugebracht habe. Es scheint
also fast, als ob Sie den Anhaltepunkt, der Ihnen fehlt, irgendwo in Wien
suchen müßten.

Venarius schüttelte den Kopf und erwiderte: Wenn ich alle meine Wiener
Erlebnisse zusammenfasse, finde ich noch immer nichts, was mir dieses Vor¬
kommnis erklären könnte; am allerwenigsten wüßte ich zu sagen, wie gerade
ein Herr Darrenbach dahinein gerät.

Nun, warten Sie noch eine kurze Zeit; Müller nud die andern haben
den -- wir wollen einmal so sagen -- Patienten nach seinem Gasthof be¬
gleitet. Einer wird gleich herkommen, dann können wir hören, was er sagt.

Es dauerte in der That nicht lange, bis der Branddirektor Müller zu
uns eintrat.

Er wurde mit unsrer Auffassung des Falles bekannt gemacht und ant¬
wortete: Ich muß sagen, meine Herren, daß Darrenbach wohl in den ersten
Minuten stark aufgeregt erschien, aber keineswegs den Eindruck eines Verrückten
machte. Er erklärte uns, er fühle selbst, daß sein Benehmen auffallen müsse, aber
es sei wohlüberlegt. Er sei mit der Absicht hergekommen, Herrn Dr. Venarius
herauszufordern, und habe die erste sich bietende Gelegenheit dazu benutzt. Die
Gründe kann ich Ihnen nicht mitteilen, so schloß er, aber der Herr Doktor
wird sie, wie ich denke, zu würdigen wissen, sobald er meinen Namen liest.
Wenn Sie sagen, Herr Doktor, daß Ihnen sein Name ebenso unbekannt sei,
wie seine Person, so weiß ich allerdings nicht, was ich denken soll.

VKöroNW 1a ksnune, murmelte der Notar.

Ich sah, daß in Venarius allmählich der Ärger aufstieg. Nun soll auch
noch ein Weib dahinterstecken, rief er aus. Ich habe vielleicht einmal der
Schwiegermutter des Menschen ein Bein abgeschnitten, ohne sie zu kennen,
aber von andern zarten Beziehungen zu einem Herrn Darrenbach wüßte ich
wahrhaftig nichts.

Seltsam, meinte der Branddirektor. Übrigens habe ich Ihnen noch aus¬
zurichten, daß Herr Darrenbach uns erklärt hat, er werde heute und morgen


Harte Köpfe

Leben entsinnen kann, durch den ich ihm etwa hätte unangenehm werden können.
Ich halte ihn demnach für einen gemeingefährlichen Irren und gedenke darnach
zu Verfahren.

Der Notar schüttelte den Kopf. Merkwürdig, betrunken war er nicht;
bis zu dem Augenblick, wo Sie ins Wirtshaus traten, hat er ganz ruhig,
wenn auch in sich gekehrt, dagesessen; erst als Sie Platz genommen hatten,
wurde er extravagant, und das so plötzlich, daß niemand es erwarten oder
hindern konnte.

Irrsinnige haben solche Einfälle. Wissen Sie denn, ob er meine Person
wirklich gemeint hat?

Unzweifelhaft; er nannte auf dem Rückweg Ihren vollen Namen, Doktor
Conrad Franz Venarins, der zwei Jahre in Wien zugebracht habe. Es scheint
also fast, als ob Sie den Anhaltepunkt, der Ihnen fehlt, irgendwo in Wien
suchen müßten.

Venarius schüttelte den Kopf und erwiderte: Wenn ich alle meine Wiener
Erlebnisse zusammenfasse, finde ich noch immer nichts, was mir dieses Vor¬
kommnis erklären könnte; am allerwenigsten wüßte ich zu sagen, wie gerade
ein Herr Darrenbach dahinein gerät.

Nun, warten Sie noch eine kurze Zeit; Müller nud die andern haben
den — wir wollen einmal so sagen — Patienten nach seinem Gasthof be¬
gleitet. Einer wird gleich herkommen, dann können wir hören, was er sagt.

Es dauerte in der That nicht lange, bis der Branddirektor Müller zu
uns eintrat.

Er wurde mit unsrer Auffassung des Falles bekannt gemacht und ant¬
wortete: Ich muß sagen, meine Herren, daß Darrenbach wohl in den ersten
Minuten stark aufgeregt erschien, aber keineswegs den Eindruck eines Verrückten
machte. Er erklärte uns, er fühle selbst, daß sein Benehmen auffallen müsse, aber
es sei wohlüberlegt. Er sei mit der Absicht hergekommen, Herrn Dr. Venarius
herauszufordern, und habe die erste sich bietende Gelegenheit dazu benutzt. Die
Gründe kann ich Ihnen nicht mitteilen, so schloß er, aber der Herr Doktor
wird sie, wie ich denke, zu würdigen wissen, sobald er meinen Namen liest.
Wenn Sie sagen, Herr Doktor, daß Ihnen sein Name ebenso unbekannt sei,
wie seine Person, so weiß ich allerdings nicht, was ich denken soll.

VKöroNW 1a ksnune, murmelte der Notar.

Ich sah, daß in Venarius allmählich der Ärger aufstieg. Nun soll auch
noch ein Weib dahinterstecken, rief er aus. Ich habe vielleicht einmal der
Schwiegermutter des Menschen ein Bein abgeschnitten, ohne sie zu kennen,
aber von andern zarten Beziehungen zu einem Herrn Darrenbach wüßte ich
wahrhaftig nichts.

Seltsam, meinte der Branddirektor. Übrigens habe ich Ihnen noch aus¬
zurichten, daß Herr Darrenbach uns erklärt hat, er werde heute und morgen


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[0436] Harte Köpfe Leben entsinnen kann, durch den ich ihm etwa hätte unangenehm werden können. Ich halte ihn demnach für einen gemeingefährlichen Irren und gedenke darnach zu Verfahren. Der Notar schüttelte den Kopf. Merkwürdig, betrunken war er nicht; bis zu dem Augenblick, wo Sie ins Wirtshaus traten, hat er ganz ruhig, wenn auch in sich gekehrt, dagesessen; erst als Sie Platz genommen hatten, wurde er extravagant, und das so plötzlich, daß niemand es erwarten oder hindern konnte. Irrsinnige haben solche Einfälle. Wissen Sie denn, ob er meine Person wirklich gemeint hat? Unzweifelhaft; er nannte auf dem Rückweg Ihren vollen Namen, Doktor Conrad Franz Venarins, der zwei Jahre in Wien zugebracht habe. Es scheint also fast, als ob Sie den Anhaltepunkt, der Ihnen fehlt, irgendwo in Wien suchen müßten. Venarius schüttelte den Kopf und erwiderte: Wenn ich alle meine Wiener Erlebnisse zusammenfasse, finde ich noch immer nichts, was mir dieses Vor¬ kommnis erklären könnte; am allerwenigsten wüßte ich zu sagen, wie gerade ein Herr Darrenbach dahinein gerät. Nun, warten Sie noch eine kurze Zeit; Müller nud die andern haben den — wir wollen einmal so sagen — Patienten nach seinem Gasthof be¬ gleitet. Einer wird gleich herkommen, dann können wir hören, was er sagt. Es dauerte in der That nicht lange, bis der Branddirektor Müller zu uns eintrat. Er wurde mit unsrer Auffassung des Falles bekannt gemacht und ant¬ wortete: Ich muß sagen, meine Herren, daß Darrenbach wohl in den ersten Minuten stark aufgeregt erschien, aber keineswegs den Eindruck eines Verrückten machte. Er erklärte uns, er fühle selbst, daß sein Benehmen auffallen müsse, aber es sei wohlüberlegt. Er sei mit der Absicht hergekommen, Herrn Dr. Venarius herauszufordern, und habe die erste sich bietende Gelegenheit dazu benutzt. Die Gründe kann ich Ihnen nicht mitteilen, so schloß er, aber der Herr Doktor wird sie, wie ich denke, zu würdigen wissen, sobald er meinen Namen liest. Wenn Sie sagen, Herr Doktor, daß Ihnen sein Name ebenso unbekannt sei, wie seine Person, so weiß ich allerdings nicht, was ich denken soll. VKöroNW 1a ksnune, murmelte der Notar. Ich sah, daß in Venarius allmählich der Ärger aufstieg. Nun soll auch noch ein Weib dahinterstecken, rief er aus. Ich habe vielleicht einmal der Schwiegermutter des Menschen ein Bein abgeschnitten, ohne sie zu kennen, aber von andern zarten Beziehungen zu einem Herrn Darrenbach wüßte ich wahrhaftig nichts. Seltsam, meinte der Branddirektor. Übrigens habe ich Ihnen noch aus¬ zurichten, daß Herr Darrenbach uns erklärt hat, er werde heute und morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/436>, abgerufen am 28.09.2024.