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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

Aber Sie sind ja mit den Herren Sternberg und Müller bekannt, die werden
Ihnen wohl Aufschluß geben können.

Ja, sagte Venarins, ich werde wohl einen von ihnen fragen müssen, und
da Sie einmal Zeuge des Skandals gewesen sind, Kollege, werde ich Sie auch
bitten dürfen, mich nachher zu Sternberg zu begleiten. Jetzt aber beendigen
Sie Ihr Frühstück, und dann wollen wir zu unserm Kranken gehen.

Sind Ihre Nerven ruhig genug dazu?

Ja, antwortete er trocken, ich sehe in den: Fall nichts andres, als Material
zu einer Diagnose, die den Betroffenen ins Irrenhaus führen wird. Das ist
betrübend für ihn, aber für uns leider etwas Gewöhnliches.

Wir gingen und thaten unsre Pflicht am Krankenbett; ich chloroformirte,
und er schnitt eine bösartige Geschwulst aus. Anfangs sah ich etwas mi߬
trauisch auf seine Hände, aber er führte die Klinge so sicher, als ob nichts
vorgefallen wäre. Die Operation ging schnell und ohne Störung zu Ende,
der Verband war mit peinlichster Sorgfalt angelegt, und wir empfahlen uns,
wobei er versprach, am Abend wieder zu kommen. Die Vorschriften für die
Wartung gab er in seiner gewöhnlichen, ruhig befehlenden, keinen Zweifel zu¬
lassenden Art.

Nun also zu Sternberg oder Müller, sagte er, als wir auf der Straße
waren; einer von beiden wird wohl so klug gewesen sein, zu Hause zu bleiben.

In der That trafen wir den Notar Sternberg an. Der behübige Herr
kam uns schon im Hausgang entgegen und sprach sein lebhaftes Bedauern
über den Vorfall ans. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Herr Doktor, daß
keiner von uns geahnt hat, Darrenbach könne irgend etwas gegen Sie im
Schilde führen, sonst hätten wir ihn gar nicht in unsre Gesellschaft zugelassen.

Ich zweifle nicht daran ; aber nun bitte ich Sie, mir erst einmal zu sagen:
Wer und was ist Herr Darrenbach? und haben Sie einen Grund, den Mann
nicht für verrückt zu halten?

Wer Herr Darrenbach ist, das müssen Sie am Ende doch besser wissen
als ich; wir kennen ihn als einen Mann, der zuweilen hierher kommt und
dann einem guten Frühschoppen nicht aus dem Wege geht. Er stammt, wenn
ich nicht irre, aus Hamburg, soll seiner Zeit flott gelebt, sich dann aber "rangirt"
haben. Er besitzt noch einen Rest von Vermögen und hat außerdem eine
Thätigkeit als Rentmeister, ich weiß nicht recht, für wen und was, angenommen.
Seit ich ihn kenne, hat er nichts Auffallendes ausgeführt. Verheiratet ist er,
wie man sagt, nicht sehr glücklich. Das ist so ziemlich alles, was ich von
ihm weiß. Mit Ausnahme der Sache von heute morgen ist mir nichts bekannt,
was gegen seinen Charakter spräche.

So; nun erkläre ich Ihnen, Herr Sternberg, und zwar in vollem Ernst
und auf mein Wort, daß ich Herrn Darrenbach nie gesehen und seinen Namen
ins heute nie gehört habe, und daß ich mich auch keines Vorfalls aus meinem


Harte Köpfe

Aber Sie sind ja mit den Herren Sternberg und Müller bekannt, die werden
Ihnen wohl Aufschluß geben können.

Ja, sagte Venarins, ich werde wohl einen von ihnen fragen müssen, und
da Sie einmal Zeuge des Skandals gewesen sind, Kollege, werde ich Sie auch
bitten dürfen, mich nachher zu Sternberg zu begleiten. Jetzt aber beendigen
Sie Ihr Frühstück, und dann wollen wir zu unserm Kranken gehen.

Sind Ihre Nerven ruhig genug dazu?

Ja, antwortete er trocken, ich sehe in den: Fall nichts andres, als Material
zu einer Diagnose, die den Betroffenen ins Irrenhaus führen wird. Das ist
betrübend für ihn, aber für uns leider etwas Gewöhnliches.

Wir gingen und thaten unsre Pflicht am Krankenbett; ich chloroformirte,
und er schnitt eine bösartige Geschwulst aus. Anfangs sah ich etwas mi߬
trauisch auf seine Hände, aber er führte die Klinge so sicher, als ob nichts
vorgefallen wäre. Die Operation ging schnell und ohne Störung zu Ende,
der Verband war mit peinlichster Sorgfalt angelegt, und wir empfahlen uns,
wobei er versprach, am Abend wieder zu kommen. Die Vorschriften für die
Wartung gab er in seiner gewöhnlichen, ruhig befehlenden, keinen Zweifel zu¬
lassenden Art.

Nun also zu Sternberg oder Müller, sagte er, als wir auf der Straße
waren; einer von beiden wird wohl so klug gewesen sein, zu Hause zu bleiben.

In der That trafen wir den Notar Sternberg an. Der behübige Herr
kam uns schon im Hausgang entgegen und sprach sein lebhaftes Bedauern
über den Vorfall ans. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Herr Doktor, daß
keiner von uns geahnt hat, Darrenbach könne irgend etwas gegen Sie im
Schilde führen, sonst hätten wir ihn gar nicht in unsre Gesellschaft zugelassen.

Ich zweifle nicht daran ; aber nun bitte ich Sie, mir erst einmal zu sagen:
Wer und was ist Herr Darrenbach? und haben Sie einen Grund, den Mann
nicht für verrückt zu halten?

Wer Herr Darrenbach ist, das müssen Sie am Ende doch besser wissen
als ich; wir kennen ihn als einen Mann, der zuweilen hierher kommt und
dann einem guten Frühschoppen nicht aus dem Wege geht. Er stammt, wenn
ich nicht irre, aus Hamburg, soll seiner Zeit flott gelebt, sich dann aber „rangirt"
haben. Er besitzt noch einen Rest von Vermögen und hat außerdem eine
Thätigkeit als Rentmeister, ich weiß nicht recht, für wen und was, angenommen.
Seit ich ihn kenne, hat er nichts Auffallendes ausgeführt. Verheiratet ist er,
wie man sagt, nicht sehr glücklich. Das ist so ziemlich alles, was ich von
ihm weiß. Mit Ausnahme der Sache von heute morgen ist mir nichts bekannt,
was gegen seinen Charakter spräche.

So; nun erkläre ich Ihnen, Herr Sternberg, und zwar in vollem Ernst
und auf mein Wort, daß ich Herrn Darrenbach nie gesehen und seinen Namen
ins heute nie gehört habe, und daß ich mich auch keines Vorfalls aus meinem


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[0435] Harte Köpfe Aber Sie sind ja mit den Herren Sternberg und Müller bekannt, die werden Ihnen wohl Aufschluß geben können. Ja, sagte Venarins, ich werde wohl einen von ihnen fragen müssen, und da Sie einmal Zeuge des Skandals gewesen sind, Kollege, werde ich Sie auch bitten dürfen, mich nachher zu Sternberg zu begleiten. Jetzt aber beendigen Sie Ihr Frühstück, und dann wollen wir zu unserm Kranken gehen. Sind Ihre Nerven ruhig genug dazu? Ja, antwortete er trocken, ich sehe in den: Fall nichts andres, als Material zu einer Diagnose, die den Betroffenen ins Irrenhaus führen wird. Das ist betrübend für ihn, aber für uns leider etwas Gewöhnliches. Wir gingen und thaten unsre Pflicht am Krankenbett; ich chloroformirte, und er schnitt eine bösartige Geschwulst aus. Anfangs sah ich etwas mi߬ trauisch auf seine Hände, aber er führte die Klinge so sicher, als ob nichts vorgefallen wäre. Die Operation ging schnell und ohne Störung zu Ende, der Verband war mit peinlichster Sorgfalt angelegt, und wir empfahlen uns, wobei er versprach, am Abend wieder zu kommen. Die Vorschriften für die Wartung gab er in seiner gewöhnlichen, ruhig befehlenden, keinen Zweifel zu¬ lassenden Art. Nun also zu Sternberg oder Müller, sagte er, als wir auf der Straße waren; einer von beiden wird wohl so klug gewesen sein, zu Hause zu bleiben. In der That trafen wir den Notar Sternberg an. Der behübige Herr kam uns schon im Hausgang entgegen und sprach sein lebhaftes Bedauern über den Vorfall ans. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Herr Doktor, daß keiner von uns geahnt hat, Darrenbach könne irgend etwas gegen Sie im Schilde führen, sonst hätten wir ihn gar nicht in unsre Gesellschaft zugelassen. Ich zweifle nicht daran ; aber nun bitte ich Sie, mir erst einmal zu sagen: Wer und was ist Herr Darrenbach? und haben Sie einen Grund, den Mann nicht für verrückt zu halten? Wer Herr Darrenbach ist, das müssen Sie am Ende doch besser wissen als ich; wir kennen ihn als einen Mann, der zuweilen hierher kommt und dann einem guten Frühschoppen nicht aus dem Wege geht. Er stammt, wenn ich nicht irre, aus Hamburg, soll seiner Zeit flott gelebt, sich dann aber „rangirt" haben. Er besitzt noch einen Rest von Vermögen und hat außerdem eine Thätigkeit als Rentmeister, ich weiß nicht recht, für wen und was, angenommen. Seit ich ihn kenne, hat er nichts Auffallendes ausgeführt. Verheiratet ist er, wie man sagt, nicht sehr glücklich. Das ist so ziemlich alles, was ich von ihm weiß. Mit Ausnahme der Sache von heute morgen ist mir nichts bekannt, was gegen seinen Charakter spräche. So; nun erkläre ich Ihnen, Herr Sternberg, und zwar in vollem Ernst und auf mein Wort, daß ich Herrn Darrenbach nie gesehen und seinen Namen ins heute nie gehört habe, und daß ich mich auch keines Vorfalls aus meinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/435>, abgerufen am 29.06.2024.