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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

die Weltflucht ihre Stätten auf dieser sonst ja so toleranten Welt beanspruchen
darf. Es macht ja so schou einen traurigen Eindruck, gerade an diesem Orte
der Welt so ziemlich den geraden Gegensatz des evangelischen Geistes vertreten
zusehen. Die griechischen Orthodoxen und die römischen Katholiken ("Lateiner")
benutzen die Grabeskirche und jeden Zoll breit von ihr als Zankobjekt, und
wenn auch die das einfache Anstandsgefühl beleidigenden beständigen Prügeleien
an dieser Stätte gerade in den letzten zwei Jahren nachgelassen, ja aufgehört
haben sollen, so ist gerade bei dem jetzigen Spannungsverhältnisse zwischen den
beiden Kirchen auf slavischem Boden nicht abzusehen, ob sie nicht bald in
verstärktem Maße wieder nnsbrechen werden. Die beiderseitige Geistlichkeit,
Popen und Kapuziner, bilden die Anführer und Rufer im Streit bei diesen
unheiligen Kämpfen, Armenier, Syrer und Kopten kommen hinzu, und das
Ende vom Liede ist, daß der türkische Polizeipräfekt einschreitet und die Bande
in des Wortes eigentlichster Bedeutung zum Tempel hinaustreibt. Übrigens
nicht bloß hier, sondern auch in Bethlehem an den heiligen Stätten deuten
türkische Wachen um, daß sie nicht umsonst an diesen Orten aufgestellt sind.
Das Ärgernis besteht nicht bloß in diesen Raufereien. Von Seiten der armenischen
und russischen Pilger geschehen schlimmere Dinge, das berühmte Osterfest mit
der Ceremonie des heiligen Feuers ist nichts als ein einfacher großer Skandal.
Es ist daher leider kein Wunder, daß der Islam nach wie vor keine besonders
hohe Meinung von der Religion der "Ungläubigen" bekommt und ihre Fort¬
schritte bei ihm gleich Null sind. "Man denke sich etwa, daß bei uns die
Juden in fünf Sekten zerfielen, daß diese Sekten sich gegenseitig verdammten
und unter einander in den Synagogen balgten, daß eine der andern ihre
Seelen abspenstig machte und über die Rettung der gewonnenen triumphirte,
daß dabei das Judentum mit der Absicht aufträte, etwa die katholische Bauern¬
schaft einer deutschen Provinz zu sich zu bekehre" - so wie der münster-
ländische Bauer auf diese Juden blicken würde, blickt der arabische Muhammedaner
auf die Christen zu Jerusalem."

Gleichwohl ist, wie wir sahen, auch auf diesem hartumstrittnen Grenz¬
gebiete der Gegensatz des Orients und Occidents nicht mehr der unüberbrück¬
bare von früher. Zwar das häufige Anbieten bairischer Münzen neuesten
Datums als' ^.rckiog, durch die orientalischen Händler (offenbar Folge der
griechischen Vermittlung) und die famosen Tempelgemeinden der Herren Hoff-
mann und Hardegg aus Württemberg, die als echt schwäbische Harttvpfe die
Araber zum "Schwäbelu" zwingen, solche Erscheinungen sind noch nicht als end¬
licher, gemütlicher Ausgleich der Gegensätze anzusehen. Wenn in den kultivirten
Strichen auch Christenschlächtereien nicht mehr das sind, worauf man jeden
Tag gefaßt fein muß, noch immer sammelt sich den dortigen Christen der Begriff
Politik in der Bedeutung Ruhe und Ungeschorenheit. Wie der alte Zünd¬
stoff nach wie vor vorhanden ist, bereit, beim richtigen Zunder noch jederzeit


Moderne Kreuzfahrer

die Weltflucht ihre Stätten auf dieser sonst ja so toleranten Welt beanspruchen
darf. Es macht ja so schou einen traurigen Eindruck, gerade an diesem Orte
der Welt so ziemlich den geraden Gegensatz des evangelischen Geistes vertreten
zusehen. Die griechischen Orthodoxen und die römischen Katholiken („Lateiner")
benutzen die Grabeskirche und jeden Zoll breit von ihr als Zankobjekt, und
wenn auch die das einfache Anstandsgefühl beleidigenden beständigen Prügeleien
an dieser Stätte gerade in den letzten zwei Jahren nachgelassen, ja aufgehört
haben sollen, so ist gerade bei dem jetzigen Spannungsverhältnisse zwischen den
beiden Kirchen auf slavischem Boden nicht abzusehen, ob sie nicht bald in
verstärktem Maße wieder nnsbrechen werden. Die beiderseitige Geistlichkeit,
Popen und Kapuziner, bilden die Anführer und Rufer im Streit bei diesen
unheiligen Kämpfen, Armenier, Syrer und Kopten kommen hinzu, und das
Ende vom Liede ist, daß der türkische Polizeipräfekt einschreitet und die Bande
in des Wortes eigentlichster Bedeutung zum Tempel hinaustreibt. Übrigens
nicht bloß hier, sondern auch in Bethlehem an den heiligen Stätten deuten
türkische Wachen um, daß sie nicht umsonst an diesen Orten aufgestellt sind.
Das Ärgernis besteht nicht bloß in diesen Raufereien. Von Seiten der armenischen
und russischen Pilger geschehen schlimmere Dinge, das berühmte Osterfest mit
der Ceremonie des heiligen Feuers ist nichts als ein einfacher großer Skandal.
Es ist daher leider kein Wunder, daß der Islam nach wie vor keine besonders
hohe Meinung von der Religion der „Ungläubigen" bekommt und ihre Fort¬
schritte bei ihm gleich Null sind. „Man denke sich etwa, daß bei uns die
Juden in fünf Sekten zerfielen, daß diese Sekten sich gegenseitig verdammten
und unter einander in den Synagogen balgten, daß eine der andern ihre
Seelen abspenstig machte und über die Rettung der gewonnenen triumphirte,
daß dabei das Judentum mit der Absicht aufträte, etwa die katholische Bauern¬
schaft einer deutschen Provinz zu sich zu bekehre» - so wie der münster-
ländische Bauer auf diese Juden blicken würde, blickt der arabische Muhammedaner
auf die Christen zu Jerusalem."

Gleichwohl ist, wie wir sahen, auch auf diesem hartumstrittnen Grenz¬
gebiete der Gegensatz des Orients und Occidents nicht mehr der unüberbrück¬
bare von früher. Zwar das häufige Anbieten bairischer Münzen neuesten
Datums als' ^.rckiog, durch die orientalischen Händler (offenbar Folge der
griechischen Vermittlung) und die famosen Tempelgemeinden der Herren Hoff-
mann und Hardegg aus Württemberg, die als echt schwäbische Harttvpfe die
Araber zum „Schwäbelu" zwingen, solche Erscheinungen sind noch nicht als end¬
licher, gemütlicher Ausgleich der Gegensätze anzusehen. Wenn in den kultivirten
Strichen auch Christenschlächtereien nicht mehr das sind, worauf man jeden
Tag gefaßt fein muß, noch immer sammelt sich den dortigen Christen der Begriff
Politik in der Bedeutung Ruhe und Ungeschorenheit. Wie der alte Zünd¬
stoff nach wie vor vorhanden ist, bereit, beim richtigen Zunder noch jederzeit


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[0430] Moderne Kreuzfahrer die Weltflucht ihre Stätten auf dieser sonst ja so toleranten Welt beanspruchen darf. Es macht ja so schou einen traurigen Eindruck, gerade an diesem Orte der Welt so ziemlich den geraden Gegensatz des evangelischen Geistes vertreten zusehen. Die griechischen Orthodoxen und die römischen Katholiken („Lateiner") benutzen die Grabeskirche und jeden Zoll breit von ihr als Zankobjekt, und wenn auch die das einfache Anstandsgefühl beleidigenden beständigen Prügeleien an dieser Stätte gerade in den letzten zwei Jahren nachgelassen, ja aufgehört haben sollen, so ist gerade bei dem jetzigen Spannungsverhältnisse zwischen den beiden Kirchen auf slavischem Boden nicht abzusehen, ob sie nicht bald in verstärktem Maße wieder nnsbrechen werden. Die beiderseitige Geistlichkeit, Popen und Kapuziner, bilden die Anführer und Rufer im Streit bei diesen unheiligen Kämpfen, Armenier, Syrer und Kopten kommen hinzu, und das Ende vom Liede ist, daß der türkische Polizeipräfekt einschreitet und die Bande in des Wortes eigentlichster Bedeutung zum Tempel hinaustreibt. Übrigens nicht bloß hier, sondern auch in Bethlehem an den heiligen Stätten deuten türkische Wachen um, daß sie nicht umsonst an diesen Orten aufgestellt sind. Das Ärgernis besteht nicht bloß in diesen Raufereien. Von Seiten der armenischen und russischen Pilger geschehen schlimmere Dinge, das berühmte Osterfest mit der Ceremonie des heiligen Feuers ist nichts als ein einfacher großer Skandal. Es ist daher leider kein Wunder, daß der Islam nach wie vor keine besonders hohe Meinung von der Religion der „Ungläubigen" bekommt und ihre Fort¬ schritte bei ihm gleich Null sind. „Man denke sich etwa, daß bei uns die Juden in fünf Sekten zerfielen, daß diese Sekten sich gegenseitig verdammten und unter einander in den Synagogen balgten, daß eine der andern ihre Seelen abspenstig machte und über die Rettung der gewonnenen triumphirte, daß dabei das Judentum mit der Absicht aufträte, etwa die katholische Bauern¬ schaft einer deutschen Provinz zu sich zu bekehre» - so wie der münster- ländische Bauer auf diese Juden blicken würde, blickt der arabische Muhammedaner auf die Christen zu Jerusalem." Gleichwohl ist, wie wir sahen, auch auf diesem hartumstrittnen Grenz¬ gebiete der Gegensatz des Orients und Occidents nicht mehr der unüberbrück¬ bare von früher. Zwar das häufige Anbieten bairischer Münzen neuesten Datums als' ^.rckiog, durch die orientalischen Händler (offenbar Folge der griechischen Vermittlung) und die famosen Tempelgemeinden der Herren Hoff- mann und Hardegg aus Württemberg, die als echt schwäbische Harttvpfe die Araber zum „Schwäbelu" zwingen, solche Erscheinungen sind noch nicht als end¬ licher, gemütlicher Ausgleich der Gegensätze anzusehen. Wenn in den kultivirten Strichen auch Christenschlächtereien nicht mehr das sind, worauf man jeden Tag gefaßt fein muß, noch immer sammelt sich den dortigen Christen der Begriff Politik in der Bedeutung Ruhe und Ungeschorenheit. Wie der alte Zünd¬ stoff nach wie vor vorhanden ist, bereit, beim richtigen Zunder noch jederzeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/430>, abgerufen am 29.06.2024.