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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

hält. Aber in der rein materiellen Auffassung des Messias, der nichts andres
zu thun haben soll, als die Juden wieder zu Besitzern in Palästina zu machen,
da spricht sich der Realismus und die nationale Beschränktheit so derb aus,
daß die Feier trotz des großen historischen Zuges, den sie enthält, deu Zuschauer
nicht sympathisch berühren kann; er kann ihre Trauer verstehen, aber ihre
Hoffnungen nur an Rothschild verweisen." Daß das heilige Land auf Schritt
und Tritt Vergleiche dieser Art anregt, ist natürlich. Jeder Ortsname ruft
hier die Erinnerung wach an die Besitzergreifung des gelobten Landes, den
"furchtbarsten Eroberungskrieg, von dein die Geschichte" berichtet, an die gewal¬
tigen Thaten der alten Helden, die hier als Richter und Könige gewaltet,
gekämpft und gesiegt haben, und von denen uns das heilige Buch in erschütternder
Einfachheit berichtet. "Seltsamer Gegensatz zwischen einst und jetzt! Dort
die blutige, harte Heidenschaft eines erobernden Volkes, hier das gedrückte
Duldertum einer lange mißhandelten Rasse; dort der alte Geschichtsschreiber,
der das größte Trauerspiel mit zwei markigen Worten erzählt, ohne eine Silbe
von Gefühlskommentar, hier der Sohn desselben Stammes, der seinen modernen
Weltschmerz in den zartesten Versen besingt und allen voran den Kultus des
Liebeskummers treibt; dort das Schwert und der Pflug, hier der Kurszettel. -
Wenn der alte Josua einmal wieder auferstünde, was der wohl zu seinen Erben
sagen würde!"

Leider bietet auch die Vertretung des vornehmlich christlichen Elementes
im Morgenlande nicht das erhebendste Bild. In Syrien, Damaskus giebt
es abendländische Kaufleute, offenbar von ziemlichem Wohlstand, die ihre Kultur
und Bildung schon so entschieden durchgesetzt haben, daß es "Ton" unter den
mohammedanischen Eingevornen geworden ist, in den europäischen Kreisen gelitten
zu werden und dabei den Muselmann zu verleugnen. Das letztere nun ist
schwer, um so mehr, da die Sitte des Handschnhtragens dort noch nicht herrschend
geworden zu sein scheint und eine gewisse blaue Tätowirung auf der Hand
uach unserm Bericht dem kundigen Beobachter alsbald den Sachverhalt verrät
und den armen Europasüchtigen in arge Verlegenheit versetzt. Auch in Jeru¬
salem giebt es ein besondres europäisches Viertel, wenn auch dort von europäischer
Geselligkeit nicht viel die Rede ist und begreiflicher Weife sein kann. Ob freilich
dort alles so auf den Grabeston gestimmt ist, wie er uns hier geschildert
vürd, können wir nicht entscheiden, da Berichte grade über diese Seite des
Lebens im heiligen Lande nicht allzuhäufig sind. Wenn man wirklich im
deutschen Kasino dort nur mit "halbflüsternder Grabesstimme" reden darf, und
das Schachspiel als zu weltliche Unterhaltung verboten ist, so geht das ohne
Frage zu weit. Wenn aber der russische Konsul dort Bälle abhalten will, so
fragen wir doch, ohne Zeloten zu sein, ob dazu gerade der Boden von Golgatha
der passende Ort sei, und finden es ganz am Platze, wenn das "Zetergeschrei
der Pietisten" die tanzlustige "Welt von Jerusalem" daran erinnerte, daß auch


Moderne Kreuzfahrer

hält. Aber in der rein materiellen Auffassung des Messias, der nichts andres
zu thun haben soll, als die Juden wieder zu Besitzern in Palästina zu machen,
da spricht sich der Realismus und die nationale Beschränktheit so derb aus,
daß die Feier trotz des großen historischen Zuges, den sie enthält, deu Zuschauer
nicht sympathisch berühren kann; er kann ihre Trauer verstehen, aber ihre
Hoffnungen nur an Rothschild verweisen." Daß das heilige Land auf Schritt
und Tritt Vergleiche dieser Art anregt, ist natürlich. Jeder Ortsname ruft
hier die Erinnerung wach an die Besitzergreifung des gelobten Landes, den
„furchtbarsten Eroberungskrieg, von dein die Geschichte" berichtet, an die gewal¬
tigen Thaten der alten Helden, die hier als Richter und Könige gewaltet,
gekämpft und gesiegt haben, und von denen uns das heilige Buch in erschütternder
Einfachheit berichtet. „Seltsamer Gegensatz zwischen einst und jetzt! Dort
die blutige, harte Heidenschaft eines erobernden Volkes, hier das gedrückte
Duldertum einer lange mißhandelten Rasse; dort der alte Geschichtsschreiber,
der das größte Trauerspiel mit zwei markigen Worten erzählt, ohne eine Silbe
von Gefühlskommentar, hier der Sohn desselben Stammes, der seinen modernen
Weltschmerz in den zartesten Versen besingt und allen voran den Kultus des
Liebeskummers treibt; dort das Schwert und der Pflug, hier der Kurszettel. -
Wenn der alte Josua einmal wieder auferstünde, was der wohl zu seinen Erben
sagen würde!"

Leider bietet auch die Vertretung des vornehmlich christlichen Elementes
im Morgenlande nicht das erhebendste Bild. In Syrien, Damaskus giebt
es abendländische Kaufleute, offenbar von ziemlichem Wohlstand, die ihre Kultur
und Bildung schon so entschieden durchgesetzt haben, daß es „Ton" unter den
mohammedanischen Eingevornen geworden ist, in den europäischen Kreisen gelitten
zu werden und dabei den Muselmann zu verleugnen. Das letztere nun ist
schwer, um so mehr, da die Sitte des Handschnhtragens dort noch nicht herrschend
geworden zu sein scheint und eine gewisse blaue Tätowirung auf der Hand
uach unserm Bericht dem kundigen Beobachter alsbald den Sachverhalt verrät
und den armen Europasüchtigen in arge Verlegenheit versetzt. Auch in Jeru¬
salem giebt es ein besondres europäisches Viertel, wenn auch dort von europäischer
Geselligkeit nicht viel die Rede ist und begreiflicher Weife sein kann. Ob freilich
dort alles so auf den Grabeston gestimmt ist, wie er uns hier geschildert
vürd, können wir nicht entscheiden, da Berichte grade über diese Seite des
Lebens im heiligen Lande nicht allzuhäufig sind. Wenn man wirklich im
deutschen Kasino dort nur mit „halbflüsternder Grabesstimme" reden darf, und
das Schachspiel als zu weltliche Unterhaltung verboten ist, so geht das ohne
Frage zu weit. Wenn aber der russische Konsul dort Bälle abhalten will, so
fragen wir doch, ohne Zeloten zu sein, ob dazu gerade der Boden von Golgatha
der passende Ort sei, und finden es ganz am Platze, wenn das „Zetergeschrei
der Pietisten" die tanzlustige „Welt von Jerusalem" daran erinnerte, daß auch


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[0429] Moderne Kreuzfahrer hält. Aber in der rein materiellen Auffassung des Messias, der nichts andres zu thun haben soll, als die Juden wieder zu Besitzern in Palästina zu machen, da spricht sich der Realismus und die nationale Beschränktheit so derb aus, daß die Feier trotz des großen historischen Zuges, den sie enthält, deu Zuschauer nicht sympathisch berühren kann; er kann ihre Trauer verstehen, aber ihre Hoffnungen nur an Rothschild verweisen." Daß das heilige Land auf Schritt und Tritt Vergleiche dieser Art anregt, ist natürlich. Jeder Ortsname ruft hier die Erinnerung wach an die Besitzergreifung des gelobten Landes, den „furchtbarsten Eroberungskrieg, von dein die Geschichte" berichtet, an die gewal¬ tigen Thaten der alten Helden, die hier als Richter und Könige gewaltet, gekämpft und gesiegt haben, und von denen uns das heilige Buch in erschütternder Einfachheit berichtet. „Seltsamer Gegensatz zwischen einst und jetzt! Dort die blutige, harte Heidenschaft eines erobernden Volkes, hier das gedrückte Duldertum einer lange mißhandelten Rasse; dort der alte Geschichtsschreiber, der das größte Trauerspiel mit zwei markigen Worten erzählt, ohne eine Silbe von Gefühlskommentar, hier der Sohn desselben Stammes, der seinen modernen Weltschmerz in den zartesten Versen besingt und allen voran den Kultus des Liebeskummers treibt; dort das Schwert und der Pflug, hier der Kurszettel. - Wenn der alte Josua einmal wieder auferstünde, was der wohl zu seinen Erben sagen würde!" Leider bietet auch die Vertretung des vornehmlich christlichen Elementes im Morgenlande nicht das erhebendste Bild. In Syrien, Damaskus giebt es abendländische Kaufleute, offenbar von ziemlichem Wohlstand, die ihre Kultur und Bildung schon so entschieden durchgesetzt haben, daß es „Ton" unter den mohammedanischen Eingevornen geworden ist, in den europäischen Kreisen gelitten zu werden und dabei den Muselmann zu verleugnen. Das letztere nun ist schwer, um so mehr, da die Sitte des Handschnhtragens dort noch nicht herrschend geworden zu sein scheint und eine gewisse blaue Tätowirung auf der Hand uach unserm Bericht dem kundigen Beobachter alsbald den Sachverhalt verrät und den armen Europasüchtigen in arge Verlegenheit versetzt. Auch in Jeru¬ salem giebt es ein besondres europäisches Viertel, wenn auch dort von europäischer Geselligkeit nicht viel die Rede ist und begreiflicher Weife sein kann. Ob freilich dort alles so auf den Grabeston gestimmt ist, wie er uns hier geschildert vürd, können wir nicht entscheiden, da Berichte grade über diese Seite des Lebens im heiligen Lande nicht allzuhäufig sind. Wenn man wirklich im deutschen Kasino dort nur mit „halbflüsternder Grabesstimme" reden darf, und das Schachspiel als zu weltliche Unterhaltung verboten ist, so geht das ohne Frage zu weit. Wenn aber der russische Konsul dort Bälle abhalten will, so fragen wir doch, ohne Zeloten zu sein, ob dazu gerade der Boden von Golgatha der passende Ort sei, und finden es ganz am Platze, wenn das „Zetergeschrei der Pietisten" die tanzlustige „Welt von Jerusalem" daran erinnerte, daß auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/429>, abgerufen am 29.06.2024.