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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

ebenso lustige als sicherlich im Wesentlichen getreue Charakteristik des urväter-
lichen Wesens und der festen, unverrückbaren Lebensformen des Ostens in
einem Impromptu "Arabische Sprachstunde," das eben darauf hinausläuft, daß
jeder Reifende ohne alle Sprachkenntnis durch die weitgehendste Benutzung der
Natursprache sich vollkommen verständigen kann oder nötigenfalls verständigt
wird. Die Gastfreundschaft der Beduinen ist keine Fabel, ebensowenig die edle
Zucht ihrer Pferde (wenn auch ihre Reitkunst und ihr persönlicher Mut sich
in ihren Grenzen zu halten gut thut), ihr poetisches und patriarchalisch dauerndes
Kriegerleben, auf das die Gräber ihrer Vorfahren, großer Scheichs und tapfrer
Helden, Herabseheu. "Und das ist noch ein Stück echter und gerechter Wüsten¬
poesie, diese Heidengräber auf den verlassuen Gipfeln und die todtüberdauernde
Liebe zum Stamm, die aus ihnen herausschaue. Es fällt vou ihrem Glanz
ein Schimmer auf das ganze Beduinenleben. Ja, mögen sie Ungeziefer haben,
sie merken es ja nicht; mögen sie frieren im Winter und dursten in: Sommer,
sie kennen es ja nicht anders; mögen sie zu Hunderten vor fünfzig türkisch-
knrdischen Reitern davonlaufen, sie sind ja gewohnt, den Mut und den Ruhm
nur an andern zu messen, die dessen uoch weniger haben; in ihren? Sinne
bleibt es doch ein königlich schönes Leben, wild und spannend, begrenzt nur
durch den Rand der Wildnis, aber innerhalb der Wildnis so frei wie diese.
Ich begreife es vollständig, daß sie sich mit allen Kräften sträuben, wenn die
Städtebewohner versuchen, sie unter das Joch der ehrbaren, steuerzcihlendeu,
predigthörenden Seßhaftigkeit zu zwingen; wer den Reiz dieses Nomadenlebens
gekostet hat, der kann nicht von ihm lassen, und ich glaube, wenn einmal die
europäische Kultur auch diese Landstriche in ihren Bereich zieht, dann werden
die letzten Beduinen es machen wie ihre Vettern, die roten Indianer, sich
wehrend untergehen oder am Heimweh sterben -- am Heimweh nach der Frei¬
heit und nach dem sonnenbeglänzten, weitschauenden Grab in der Wüste."

Äußerlich im schärfsten Gegensatz und doch innerlich in tiefer Beziehung
dazu steht eine andre charakteristische Erscheinung in der orientalischen Welt,
die für uns die Brücke schlägt zu den abendländischen Elementen in ihr: die
orientalischen Juden und in enger Verbindung die europäischen Pilger dieses
Volkes an den heiligen Städten. Beide Teile in großer Zahl und in noch
größerer Armut und gänzlichem Elend. Trotz aller Unterstützung durch die
europäischen Glaubensgenossen scheint dieser Jammer eher zu- als abzu¬
nehmen. Es muß eben diesen Leuten nicht zu helfen sein. Denn was
in Palästina und Jerusalem von Juden vorhanden ist, das ist da, "um dort
zu sterben." "Es ist ein merkwürdiger Anblick; die zähe Liebe des Volkes, die
heute noch die kalten steinernen Zeugen ehemaliger Größe und jetzigen Elends
mit Thränen und Küssen bedeckt, entbehrt einer gewissen Würde nicht; diese
Mauer (die Klagemauer in Jerusalem) ist der echte Mittelpunkt der Gemeinde
Israel, und das Lied, welches hier aufklingt, ist der Kitt, der jene zusammen-


Moderne Kreuzfahrer

ebenso lustige als sicherlich im Wesentlichen getreue Charakteristik des urväter-
lichen Wesens und der festen, unverrückbaren Lebensformen des Ostens in
einem Impromptu „Arabische Sprachstunde," das eben darauf hinausläuft, daß
jeder Reifende ohne alle Sprachkenntnis durch die weitgehendste Benutzung der
Natursprache sich vollkommen verständigen kann oder nötigenfalls verständigt
wird. Die Gastfreundschaft der Beduinen ist keine Fabel, ebensowenig die edle
Zucht ihrer Pferde (wenn auch ihre Reitkunst und ihr persönlicher Mut sich
in ihren Grenzen zu halten gut thut), ihr poetisches und patriarchalisch dauerndes
Kriegerleben, auf das die Gräber ihrer Vorfahren, großer Scheichs und tapfrer
Helden, Herabseheu. „Und das ist noch ein Stück echter und gerechter Wüsten¬
poesie, diese Heidengräber auf den verlassuen Gipfeln und die todtüberdauernde
Liebe zum Stamm, die aus ihnen herausschaue. Es fällt vou ihrem Glanz
ein Schimmer auf das ganze Beduinenleben. Ja, mögen sie Ungeziefer haben,
sie merken es ja nicht; mögen sie frieren im Winter und dursten in: Sommer,
sie kennen es ja nicht anders; mögen sie zu Hunderten vor fünfzig türkisch-
knrdischen Reitern davonlaufen, sie sind ja gewohnt, den Mut und den Ruhm
nur an andern zu messen, die dessen uoch weniger haben; in ihren? Sinne
bleibt es doch ein königlich schönes Leben, wild und spannend, begrenzt nur
durch den Rand der Wildnis, aber innerhalb der Wildnis so frei wie diese.
Ich begreife es vollständig, daß sie sich mit allen Kräften sträuben, wenn die
Städtebewohner versuchen, sie unter das Joch der ehrbaren, steuerzcihlendeu,
predigthörenden Seßhaftigkeit zu zwingen; wer den Reiz dieses Nomadenlebens
gekostet hat, der kann nicht von ihm lassen, und ich glaube, wenn einmal die
europäische Kultur auch diese Landstriche in ihren Bereich zieht, dann werden
die letzten Beduinen es machen wie ihre Vettern, die roten Indianer, sich
wehrend untergehen oder am Heimweh sterben — am Heimweh nach der Frei¬
heit und nach dem sonnenbeglänzten, weitschauenden Grab in der Wüste."

Äußerlich im schärfsten Gegensatz und doch innerlich in tiefer Beziehung
dazu steht eine andre charakteristische Erscheinung in der orientalischen Welt,
die für uns die Brücke schlägt zu den abendländischen Elementen in ihr: die
orientalischen Juden und in enger Verbindung die europäischen Pilger dieses
Volkes an den heiligen Städten. Beide Teile in großer Zahl und in noch
größerer Armut und gänzlichem Elend. Trotz aller Unterstützung durch die
europäischen Glaubensgenossen scheint dieser Jammer eher zu- als abzu¬
nehmen. Es muß eben diesen Leuten nicht zu helfen sein. Denn was
in Palästina und Jerusalem von Juden vorhanden ist, das ist da, „um dort
zu sterben." „Es ist ein merkwürdiger Anblick; die zähe Liebe des Volkes, die
heute noch die kalten steinernen Zeugen ehemaliger Größe und jetzigen Elends
mit Thränen und Küssen bedeckt, entbehrt einer gewissen Würde nicht; diese
Mauer (die Klagemauer in Jerusalem) ist der echte Mittelpunkt der Gemeinde
Israel, und das Lied, welches hier aufklingt, ist der Kitt, der jene zusammen-


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[0428] Moderne Kreuzfahrer ebenso lustige als sicherlich im Wesentlichen getreue Charakteristik des urväter- lichen Wesens und der festen, unverrückbaren Lebensformen des Ostens in einem Impromptu „Arabische Sprachstunde," das eben darauf hinausläuft, daß jeder Reifende ohne alle Sprachkenntnis durch die weitgehendste Benutzung der Natursprache sich vollkommen verständigen kann oder nötigenfalls verständigt wird. Die Gastfreundschaft der Beduinen ist keine Fabel, ebensowenig die edle Zucht ihrer Pferde (wenn auch ihre Reitkunst und ihr persönlicher Mut sich in ihren Grenzen zu halten gut thut), ihr poetisches und patriarchalisch dauerndes Kriegerleben, auf das die Gräber ihrer Vorfahren, großer Scheichs und tapfrer Helden, Herabseheu. „Und das ist noch ein Stück echter und gerechter Wüsten¬ poesie, diese Heidengräber auf den verlassuen Gipfeln und die todtüberdauernde Liebe zum Stamm, die aus ihnen herausschaue. Es fällt vou ihrem Glanz ein Schimmer auf das ganze Beduinenleben. Ja, mögen sie Ungeziefer haben, sie merken es ja nicht; mögen sie frieren im Winter und dursten in: Sommer, sie kennen es ja nicht anders; mögen sie zu Hunderten vor fünfzig türkisch- knrdischen Reitern davonlaufen, sie sind ja gewohnt, den Mut und den Ruhm nur an andern zu messen, die dessen uoch weniger haben; in ihren? Sinne bleibt es doch ein königlich schönes Leben, wild und spannend, begrenzt nur durch den Rand der Wildnis, aber innerhalb der Wildnis so frei wie diese. Ich begreife es vollständig, daß sie sich mit allen Kräften sträuben, wenn die Städtebewohner versuchen, sie unter das Joch der ehrbaren, steuerzcihlendeu, predigthörenden Seßhaftigkeit zu zwingen; wer den Reiz dieses Nomadenlebens gekostet hat, der kann nicht von ihm lassen, und ich glaube, wenn einmal die europäische Kultur auch diese Landstriche in ihren Bereich zieht, dann werden die letzten Beduinen es machen wie ihre Vettern, die roten Indianer, sich wehrend untergehen oder am Heimweh sterben — am Heimweh nach der Frei¬ heit und nach dem sonnenbeglänzten, weitschauenden Grab in der Wüste." Äußerlich im schärfsten Gegensatz und doch innerlich in tiefer Beziehung dazu steht eine andre charakteristische Erscheinung in der orientalischen Welt, die für uns die Brücke schlägt zu den abendländischen Elementen in ihr: die orientalischen Juden und in enger Verbindung die europäischen Pilger dieses Volkes an den heiligen Städten. Beide Teile in großer Zahl und in noch größerer Armut und gänzlichem Elend. Trotz aller Unterstützung durch die europäischen Glaubensgenossen scheint dieser Jammer eher zu- als abzu¬ nehmen. Es muß eben diesen Leuten nicht zu helfen sein. Denn was in Palästina und Jerusalem von Juden vorhanden ist, das ist da, „um dort zu sterben." „Es ist ein merkwürdiger Anblick; die zähe Liebe des Volkes, die heute noch die kalten steinernen Zeugen ehemaliger Größe und jetzigen Elends mit Thränen und Küssen bedeckt, entbehrt einer gewissen Würde nicht; diese Mauer (die Klagemauer in Jerusalem) ist der echte Mittelpunkt der Gemeinde Israel, und das Lied, welches hier aufklingt, ist der Kitt, der jene zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/428>, abgerufen am 29.06.2024.