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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

den Besucher, in den Badegemächern die Unsauberkeit zu erkennen. Die Araber
behaupten, in Tiberias residire der König -- der Flöhe, eine anmutige Tier¬
fabel, deren Berechtigung sich jedem Besucher "einprägt." Dem leiblichen Zu¬
stande entspricht der geistige. Was ist von der einstigen Blüthe der arabischen
Gelehrsamkeit geblieben! Es bestehen noch fünf wissenschaftliche Schulen, von
denen man früher gegen hundert zählte. Dabei gleichwohl der fanatische Hoch¬
mut des Islamiten gegen Andersgläubige, der sich z. B. darin äußert, daß
es verboten ist, den Koran an sie zu verkaufen. Er ist zu hoch für sie, sie
sind seiner nicht würdig. Was in jenen Schulen gelehrt wird, ist bekannt:
Altarabisch, Koranauslegung, juristische Auslegung des heiligen Gesetzes, dazu
die faule Logik und Philosophie, der ihr Ergebnis, die Weltanschauung des
Korans, von vornherein vorgeschrieben ist. Und dabei "sitzen diese Menschen,
deren ganze Weisheit, sämtliche Ulemas mit einbegriffen, ein europäischer
Student auf einen Schluck nimmt, und dünken sich so hoch erhaben über den
Abendländer, daß sie ihn keiner Antwort würdigen." Die allgemeine Ver-
sunkenheit wird (nach einem deutschen Sozialphilvsophen nicht zufällig!) äußer¬
lich versinnbildlicht durch deu Zustand der Wege. Ein Hadschi kann unsre
Bewunderung herausfordern durch die Vielgestaltigkeit und innere Wahrheit
seiner mehr oder minder unpoetischen Anklagen orientalischer Wege. Die Sache
hat in jenen Bergländern, die die einzelnen Länder, Syrien, Palästina, trennen,
ihre sehr ernste Seite, sodaß sogar einem Hadschi der Humor dabei ausgehen
kann. Ohne die vorzüglichen Pferdegeschlechter, die der Kampf ums Fort¬
kommen auf diesen Wegen im Laufe der Zeit herangebildet haben muß, und
die noch steheu, wenn nur noch der Rand des Hufes den Felsen faßt, wären
diese Reifen überhaupt unmöglich. Das ist es vornehmlich, was Damen von
ehren ausschließt, wenn es auch immer von neuem mutige Evastöchter
wagen, an den Abhängen des Libanon oder auf dem Wege vou Jerusalem
bis Radius (dem alten sieben) einen Fall zu versuchen. Weniger schlimm
scheint es mit dem Rünbergesindel bestellt, das die Großmut der türkischen
Verwaltung hier unterhält. Meist sind es reine Räuberattrapen, die die Ver¬
achtung jedes Romantikers herausfordern, da sie eigentlich nur angreifen, um
bei der geringsten Tracht Prügel, die ihnen blühen könnte, wieder davonzu
kaufen. Übrigens sind es im Einzelverkehr manierliche Leute nach dem Exemplar
SU urteilen, das uns der Hadschi in seinem Freunde, dem "berühmten Räuber
Abu Schnappsack ihn Bluthund" vorstellt. Gleichwohl wird dies vorgebliche
Räuberwesen von den Beduinen der Grenzen zu einem sehr einträglichen
Schutzzoll ausgenutzt, der anscheinend das einzige ist, wovor man sich
schützen müßte, ohne daß das Imperium des Mutessarifs von Jerusalem sie
"n geringsten in ihrer eigenmächtigen Politik störte. Äusterste Harmlosigkeit
un Guten wie im Schlimmen kennzeichnet überhaupt das Leben und den Ver¬
kehr der Araber und ihrer Wüstenbrüder, der Beduinen. Butte entwirft eine


Moderne Kreuzfahrer

den Besucher, in den Badegemächern die Unsauberkeit zu erkennen. Die Araber
behaupten, in Tiberias residire der König — der Flöhe, eine anmutige Tier¬
fabel, deren Berechtigung sich jedem Besucher „einprägt." Dem leiblichen Zu¬
stande entspricht der geistige. Was ist von der einstigen Blüthe der arabischen
Gelehrsamkeit geblieben! Es bestehen noch fünf wissenschaftliche Schulen, von
denen man früher gegen hundert zählte. Dabei gleichwohl der fanatische Hoch¬
mut des Islamiten gegen Andersgläubige, der sich z. B. darin äußert, daß
es verboten ist, den Koran an sie zu verkaufen. Er ist zu hoch für sie, sie
sind seiner nicht würdig. Was in jenen Schulen gelehrt wird, ist bekannt:
Altarabisch, Koranauslegung, juristische Auslegung des heiligen Gesetzes, dazu
die faule Logik und Philosophie, der ihr Ergebnis, die Weltanschauung des
Korans, von vornherein vorgeschrieben ist. Und dabei „sitzen diese Menschen,
deren ganze Weisheit, sämtliche Ulemas mit einbegriffen, ein europäischer
Student auf einen Schluck nimmt, und dünken sich so hoch erhaben über den
Abendländer, daß sie ihn keiner Antwort würdigen." Die allgemeine Ver-
sunkenheit wird (nach einem deutschen Sozialphilvsophen nicht zufällig!) äußer¬
lich versinnbildlicht durch deu Zustand der Wege. Ein Hadschi kann unsre
Bewunderung herausfordern durch die Vielgestaltigkeit und innere Wahrheit
seiner mehr oder minder unpoetischen Anklagen orientalischer Wege. Die Sache
hat in jenen Bergländern, die die einzelnen Länder, Syrien, Palästina, trennen,
ihre sehr ernste Seite, sodaß sogar einem Hadschi der Humor dabei ausgehen
kann. Ohne die vorzüglichen Pferdegeschlechter, die der Kampf ums Fort¬
kommen auf diesen Wegen im Laufe der Zeit herangebildet haben muß, und
die noch steheu, wenn nur noch der Rand des Hufes den Felsen faßt, wären
diese Reifen überhaupt unmöglich. Das ist es vornehmlich, was Damen von
ehren ausschließt, wenn es auch immer von neuem mutige Evastöchter
wagen, an den Abhängen des Libanon oder auf dem Wege vou Jerusalem
bis Radius (dem alten sieben) einen Fall zu versuchen. Weniger schlimm
scheint es mit dem Rünbergesindel bestellt, das die Großmut der türkischen
Verwaltung hier unterhält. Meist sind es reine Räuberattrapen, die die Ver¬
achtung jedes Romantikers herausfordern, da sie eigentlich nur angreifen, um
bei der geringsten Tracht Prügel, die ihnen blühen könnte, wieder davonzu
kaufen. Übrigens sind es im Einzelverkehr manierliche Leute nach dem Exemplar
SU urteilen, das uns der Hadschi in seinem Freunde, dem „berühmten Räuber
Abu Schnappsack ihn Bluthund" vorstellt. Gleichwohl wird dies vorgebliche
Räuberwesen von den Beduinen der Grenzen zu einem sehr einträglichen
Schutzzoll ausgenutzt, der anscheinend das einzige ist, wovor man sich
schützen müßte, ohne daß das Imperium des Mutessarifs von Jerusalem sie
"n geringsten in ihrer eigenmächtigen Politik störte. Äusterste Harmlosigkeit
un Guten wie im Schlimmen kennzeichnet überhaupt das Leben und den Ver¬
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[0427] Moderne Kreuzfahrer den Besucher, in den Badegemächern die Unsauberkeit zu erkennen. Die Araber behaupten, in Tiberias residire der König — der Flöhe, eine anmutige Tier¬ fabel, deren Berechtigung sich jedem Besucher „einprägt." Dem leiblichen Zu¬ stande entspricht der geistige. Was ist von der einstigen Blüthe der arabischen Gelehrsamkeit geblieben! Es bestehen noch fünf wissenschaftliche Schulen, von denen man früher gegen hundert zählte. Dabei gleichwohl der fanatische Hoch¬ mut des Islamiten gegen Andersgläubige, der sich z. B. darin äußert, daß es verboten ist, den Koran an sie zu verkaufen. Er ist zu hoch für sie, sie sind seiner nicht würdig. Was in jenen Schulen gelehrt wird, ist bekannt: Altarabisch, Koranauslegung, juristische Auslegung des heiligen Gesetzes, dazu die faule Logik und Philosophie, der ihr Ergebnis, die Weltanschauung des Korans, von vornherein vorgeschrieben ist. Und dabei „sitzen diese Menschen, deren ganze Weisheit, sämtliche Ulemas mit einbegriffen, ein europäischer Student auf einen Schluck nimmt, und dünken sich so hoch erhaben über den Abendländer, daß sie ihn keiner Antwort würdigen." Die allgemeine Ver- sunkenheit wird (nach einem deutschen Sozialphilvsophen nicht zufällig!) äußer¬ lich versinnbildlicht durch deu Zustand der Wege. Ein Hadschi kann unsre Bewunderung herausfordern durch die Vielgestaltigkeit und innere Wahrheit seiner mehr oder minder unpoetischen Anklagen orientalischer Wege. Die Sache hat in jenen Bergländern, die die einzelnen Länder, Syrien, Palästina, trennen, ihre sehr ernste Seite, sodaß sogar einem Hadschi der Humor dabei ausgehen kann. Ohne die vorzüglichen Pferdegeschlechter, die der Kampf ums Fort¬ kommen auf diesen Wegen im Laufe der Zeit herangebildet haben muß, und die noch steheu, wenn nur noch der Rand des Hufes den Felsen faßt, wären diese Reifen überhaupt unmöglich. Das ist es vornehmlich, was Damen von ehren ausschließt, wenn es auch immer von neuem mutige Evastöchter wagen, an den Abhängen des Libanon oder auf dem Wege vou Jerusalem bis Radius (dem alten sieben) einen Fall zu versuchen. Weniger schlimm scheint es mit dem Rünbergesindel bestellt, das die Großmut der türkischen Verwaltung hier unterhält. Meist sind es reine Räuberattrapen, die die Ver¬ achtung jedes Romantikers herausfordern, da sie eigentlich nur angreifen, um bei der geringsten Tracht Prügel, die ihnen blühen könnte, wieder davonzu kaufen. Übrigens sind es im Einzelverkehr manierliche Leute nach dem Exemplar SU urteilen, das uns der Hadschi in seinem Freunde, dem „berühmten Räuber Abu Schnappsack ihn Bluthund" vorstellt. Gleichwohl wird dies vorgebliche Räuberwesen von den Beduinen der Grenzen zu einem sehr einträglichen Schutzzoll ausgenutzt, der anscheinend das einzige ist, wovor man sich schützen müßte, ohne daß das Imperium des Mutessarifs von Jerusalem sie "n geringsten in ihrer eigenmächtigen Politik störte. Äusterste Harmlosigkeit un Guten wie im Schlimmen kennzeichnet überhaupt das Leben und den Ver¬ kehr der Araber und ihrer Wüstenbrüder, der Beduinen. Butte entwirft eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/427>, abgerufen am 29.06.2024.