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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

Zeugin jener gewaltigen Begebenheit in der Apostelgeschichte. "Wenn Mark Twain
sagt, sie sei gerader als ein Korkzieher, aber nicht so gerade wie ein Regen¬
bogen, so hat er einem guten Witz zu liebe die Genauigkeit ein wenig hint¬
angesetzt; sie ist thatsächlich ziemlich gerade." Der Platz, wo der Apostel sich
bekehrte, wurde ihm auf dem Wege nach Palmyra gezeigt. Die philosophischste
Auffassung der Sache fand er bei einem dortigen Dragoman. "Ihm trug ein
Amerikaner das Verlangen vor, an die Stelle geführt zu werdeu, wo Saulus
die Erscheinung hatte. Unser Dragoman überlegte klug: der Manu wird um
so mehr bezahlen, je weiter ich ihn hinausschleppe, und beschloß, ihn einige
Stunden weit auf den Weg nach Jerusalem zu führen. Gedacht, gethan;
nach etwa zwei Stunden aber schien ihm die Sonne doch zu heiß auf den
Kopf, er ward des Rittes müde, hielt sein Pferd mitten im freien Felde an
und sprach: Hier ist die Stelle. Der Amerikaner ritt zunächst herzu und gab
dem Dragoman eine Ohrfeige, weil er nicht vor dem geheiligten Platz den
Hut abgenommen hatte, stieg dann ab, küßte den Boden und ritt wieder zurück
in den Gasthof. Nachher stand auf der Rechnung: Ritt zur Stelle der Be¬
kehrung zehn Franken, Eine Ohrfeige zwei Franken, und damit war die Sache
erledigt."

Das Treiben der wackern Muselmänner hat Butte in solchen kleinen
Schnurren zu den ergötzlichsten Charakterstudien zusammengefaßt, die trotz
ihres komischen Gepräges doch gerade im Innersten treffend sind. Er berichtet
die "Geschichte von zwei Heiligen" nach der Erzählung eines neugewonnenen
Freundes, des Scheichs eines türkischen Derwischklosters. Beide Heilige, deren
Grabkapellen, im Besitze eines Derwischs und seines Schülers, im weiten Gerüche
der Wunderkraft stehen, und, von Unzähligen aufgesucht, für beide ein ansehn¬
liches Kapital darstellen, werden in vertrauter Stunde von den beiden Wissenden
gegenseitig als -- Esel erkannt. Der Heilige des Schülers ist der Sohn des
Grautieres seines Meisters, mit dem er einst auszog, um sein Glück zu machen,
das es ihm durch sein vorzeitiges Ende wirklich eingebracht hat. In
Damaskus wundert sich unser Hadschi über die lebhafte Bauthätigkeit um den
Moscheen. Auf seine Erkundigung wird ihm die Antwort: Junge Leute, die
nachweisen, daß sie eine gewisse Zeit lang an einer Moschee gebaut haben,
sind nach dem heiligen Gesetz vom Militärdienst befreit. Uwe- laoriinas!
Stumpfe Unthätigkeit gegenüber allem Verbesserungsbedürftigen ist ja im Gegen¬
teil Grundzug des Islamiten. Er läßt seine Wohnung ruhig unter dem dräu¬
enden Überhang von Festungsmauern stehen, von denen eine nur auf ein kleines,
ganz kleines Erdbeben wartet, um ein Dutzend Häuser in Kuchcnform zu
quetschen. Kismet, -- das Schicksal will es, sagt der Araber. Der Schmutz
ist sein Element. In der Nähe von Tabarlze (Tiberias) liegt ein bei den
Eingebornen berühmtes heißes Bad, zu dem Bädeker die richtige und tröst¬
liche Bemerkung macht: Der Dunst, der dem heißen Wasser entsteigt, hindert


Moderne Kreuzfahrer

Zeugin jener gewaltigen Begebenheit in der Apostelgeschichte. „Wenn Mark Twain
sagt, sie sei gerader als ein Korkzieher, aber nicht so gerade wie ein Regen¬
bogen, so hat er einem guten Witz zu liebe die Genauigkeit ein wenig hint¬
angesetzt; sie ist thatsächlich ziemlich gerade." Der Platz, wo der Apostel sich
bekehrte, wurde ihm auf dem Wege nach Palmyra gezeigt. Die philosophischste
Auffassung der Sache fand er bei einem dortigen Dragoman. „Ihm trug ein
Amerikaner das Verlangen vor, an die Stelle geführt zu werdeu, wo Saulus
die Erscheinung hatte. Unser Dragoman überlegte klug: der Manu wird um
so mehr bezahlen, je weiter ich ihn hinausschleppe, und beschloß, ihn einige
Stunden weit auf den Weg nach Jerusalem zu führen. Gedacht, gethan;
nach etwa zwei Stunden aber schien ihm die Sonne doch zu heiß auf den
Kopf, er ward des Rittes müde, hielt sein Pferd mitten im freien Felde an
und sprach: Hier ist die Stelle. Der Amerikaner ritt zunächst herzu und gab
dem Dragoman eine Ohrfeige, weil er nicht vor dem geheiligten Platz den
Hut abgenommen hatte, stieg dann ab, küßte den Boden und ritt wieder zurück
in den Gasthof. Nachher stand auf der Rechnung: Ritt zur Stelle der Be¬
kehrung zehn Franken, Eine Ohrfeige zwei Franken, und damit war die Sache
erledigt."

Das Treiben der wackern Muselmänner hat Butte in solchen kleinen
Schnurren zu den ergötzlichsten Charakterstudien zusammengefaßt, die trotz
ihres komischen Gepräges doch gerade im Innersten treffend sind. Er berichtet
die „Geschichte von zwei Heiligen" nach der Erzählung eines neugewonnenen
Freundes, des Scheichs eines türkischen Derwischklosters. Beide Heilige, deren
Grabkapellen, im Besitze eines Derwischs und seines Schülers, im weiten Gerüche
der Wunderkraft stehen, und, von Unzähligen aufgesucht, für beide ein ansehn¬
liches Kapital darstellen, werden in vertrauter Stunde von den beiden Wissenden
gegenseitig als — Esel erkannt. Der Heilige des Schülers ist der Sohn des
Grautieres seines Meisters, mit dem er einst auszog, um sein Glück zu machen,
das es ihm durch sein vorzeitiges Ende wirklich eingebracht hat. In
Damaskus wundert sich unser Hadschi über die lebhafte Bauthätigkeit um den
Moscheen. Auf seine Erkundigung wird ihm die Antwort: Junge Leute, die
nachweisen, daß sie eine gewisse Zeit lang an einer Moschee gebaut haben,
sind nach dem heiligen Gesetz vom Militärdienst befreit. Uwe- laoriinas!
Stumpfe Unthätigkeit gegenüber allem Verbesserungsbedürftigen ist ja im Gegen¬
teil Grundzug des Islamiten. Er läßt seine Wohnung ruhig unter dem dräu¬
enden Überhang von Festungsmauern stehen, von denen eine nur auf ein kleines,
ganz kleines Erdbeben wartet, um ein Dutzend Häuser in Kuchcnform zu
quetschen. Kismet, — das Schicksal will es, sagt der Araber. Der Schmutz
ist sein Element. In der Nähe von Tabarlze (Tiberias) liegt ein bei den
Eingebornen berühmtes heißes Bad, zu dem Bädeker die richtige und tröst¬
liche Bemerkung macht: Der Dunst, der dem heißen Wasser entsteigt, hindert


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[0426] Moderne Kreuzfahrer Zeugin jener gewaltigen Begebenheit in der Apostelgeschichte. „Wenn Mark Twain sagt, sie sei gerader als ein Korkzieher, aber nicht so gerade wie ein Regen¬ bogen, so hat er einem guten Witz zu liebe die Genauigkeit ein wenig hint¬ angesetzt; sie ist thatsächlich ziemlich gerade." Der Platz, wo der Apostel sich bekehrte, wurde ihm auf dem Wege nach Palmyra gezeigt. Die philosophischste Auffassung der Sache fand er bei einem dortigen Dragoman. „Ihm trug ein Amerikaner das Verlangen vor, an die Stelle geführt zu werdeu, wo Saulus die Erscheinung hatte. Unser Dragoman überlegte klug: der Manu wird um so mehr bezahlen, je weiter ich ihn hinausschleppe, und beschloß, ihn einige Stunden weit auf den Weg nach Jerusalem zu führen. Gedacht, gethan; nach etwa zwei Stunden aber schien ihm die Sonne doch zu heiß auf den Kopf, er ward des Rittes müde, hielt sein Pferd mitten im freien Felde an und sprach: Hier ist die Stelle. Der Amerikaner ritt zunächst herzu und gab dem Dragoman eine Ohrfeige, weil er nicht vor dem geheiligten Platz den Hut abgenommen hatte, stieg dann ab, küßte den Boden und ritt wieder zurück in den Gasthof. Nachher stand auf der Rechnung: Ritt zur Stelle der Be¬ kehrung zehn Franken, Eine Ohrfeige zwei Franken, und damit war die Sache erledigt." Das Treiben der wackern Muselmänner hat Butte in solchen kleinen Schnurren zu den ergötzlichsten Charakterstudien zusammengefaßt, die trotz ihres komischen Gepräges doch gerade im Innersten treffend sind. Er berichtet die „Geschichte von zwei Heiligen" nach der Erzählung eines neugewonnenen Freundes, des Scheichs eines türkischen Derwischklosters. Beide Heilige, deren Grabkapellen, im Besitze eines Derwischs und seines Schülers, im weiten Gerüche der Wunderkraft stehen, und, von Unzähligen aufgesucht, für beide ein ansehn¬ liches Kapital darstellen, werden in vertrauter Stunde von den beiden Wissenden gegenseitig als — Esel erkannt. Der Heilige des Schülers ist der Sohn des Grautieres seines Meisters, mit dem er einst auszog, um sein Glück zu machen, das es ihm durch sein vorzeitiges Ende wirklich eingebracht hat. In Damaskus wundert sich unser Hadschi über die lebhafte Bauthätigkeit um den Moscheen. Auf seine Erkundigung wird ihm die Antwort: Junge Leute, die nachweisen, daß sie eine gewisse Zeit lang an einer Moschee gebaut haben, sind nach dem heiligen Gesetz vom Militärdienst befreit. Uwe- laoriinas! Stumpfe Unthätigkeit gegenüber allem Verbesserungsbedürftigen ist ja im Gegen¬ teil Grundzug des Islamiten. Er läßt seine Wohnung ruhig unter dem dräu¬ enden Überhang von Festungsmauern stehen, von denen eine nur auf ein kleines, ganz kleines Erdbeben wartet, um ein Dutzend Häuser in Kuchcnform zu quetschen. Kismet, — das Schicksal will es, sagt der Araber. Der Schmutz ist sein Element. In der Nähe von Tabarlze (Tiberias) liegt ein bei den Eingebornen berühmtes heißes Bad, zu dem Bädeker die richtige und tröst¬ liche Bemerkung macht: Der Dunst, der dem heißen Wasser entsteigt, hindert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/426>, abgerufen am 29.06.2024.