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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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noch drolligere und dabei auf die lustigste Art unterrichtende Spielart jeuer
Mare-Twainschen Orientreisenden, nämlich den Mann, der sich nicht imponiren
läßt. Das ist denn nun wirklich der moderne Kreuzfahrer, wie er lebendig
das Verhältnis unsrer Zeit zu dem alten Märchenlande im Osten und seinein
heiligen Mittelpunkt veranschaulicht: die Pietät im Herzen, aber den hellen
Blick und die klare, nüchterne Urteilskraft im Kopfe. Ein solcher Mann darf
sich billig einen "Hadschi" nennen.

Hadschi oder richtig Hadschdschi bedeutet einen Kreuzfahrer, wenigstens
für uns. Denn arabisch bedeutet es im allgemeinen einen Pilger der zu seinem
obersten Heiligtume gewallt ist, den Muhmuedaner, der in Mekka, den Christen
oder Juden, der in Jerusalem, und - in den tiefblickenden Augen der Araber
giebt es uoch eine Gemeinschaft, die unfehlbar zur Seligkeit befördert -- Söhne
von Ärzten (!), die in Kos gewesen sind. In Kos befand sich nämlich im
Altertum ein Heiligtum des Äskulap, dessen Ruf sich bei den orientalischen
Ärzten uoch wenigstens in Bezug auf ihre Söhne erhalten hat, die allerdings
vor andern Sterblichen des Schutzes des Äskulap bedürftig sein mögen.

Der Hadschi, von dem wir hier reden, gehört hoffentlich nicht zu der
letztgenannten Art. Er scheint von eiuer sehr guten Gesundheit und des
Schutzes des Äskulap wenig bedürftig. Trotz aller medizinischen Warnungen
vor Orientreisen im allgemeinen hat er denn auch anstandslos im Jahre 1885
eine ausgedehnte Palästinafahrt durchgemacht und sich auf ihr deu Hadschititel
erworben. Die Ergebnisse seiner Studien, sozusagen die Hadschidissertatiou
liegt nun vor in einem liebenswürdigen kleinem Buche*), dessen "morgenländischer
Weisheit" wir hier im wesentlichen folgen. Unser Hadschi ist, wie gesagt, nicht so
unschuldig im Unglauben wie die unschuldigen Reisenden des Mark Twain. Als
deutscher Völkerpsycyolvge philosophirt er alsbald über die Märchen- und Legenden¬
sucht des Orients, die sich an alles heftet. Auffälliges und Unauffälliges, was
w irgend welche Beziehung zu berühmten Begebenheiten gesetzt werden kann, an
jeden Stein, jeden Felseindruck, jeden Trümmerhaufen. Er bemerkt, wie wenig
genau es der Orientale mit der offenkundigsten Thatsächlichkeit nimmt, wenn
es nur gilt, einen Eindruck zu erzielen, auf abendländisch, wie elegant er lügen
kann. Der Araber zeigt einen Hausen Säulen und sagt salbungsvoll: Siehe,
o Fremdling, zum Zeichen dessen hat der Prophet hier 300V Säulen hingesetzt.
Der "Fremdling" sieht, daß es zwölf Säulenreihen zu fünf Säulen sind, aber
^ sieht zugleich, daß in diesem Falle sür die Phantasie des Gläubigen
12 mal 5 eben 3000 ist. Er bildet sich alsbald sein System über die Lügeu-
kunst des Orients, und die Art, wie er es an der Hand der Vorkommnisse
einfach bestätigt, ist entschieden noch drolliger als die stereotype Beweisforderung
der erwähnten Amerikaner. Er ist auf der "geraden Straße" von Damaskus, der



*) Erfahrungen eines Hadschi. Von E.Butte. Leipzi-,, Fr. Wilh. Gnmow. 1888.
Ärenzbotcn 1 1889 ^

noch drolligere und dabei auf die lustigste Art unterrichtende Spielart jeuer
Mare-Twainschen Orientreisenden, nämlich den Mann, der sich nicht imponiren
läßt. Das ist denn nun wirklich der moderne Kreuzfahrer, wie er lebendig
das Verhältnis unsrer Zeit zu dem alten Märchenlande im Osten und seinein
heiligen Mittelpunkt veranschaulicht: die Pietät im Herzen, aber den hellen
Blick und die klare, nüchterne Urteilskraft im Kopfe. Ein solcher Mann darf
sich billig einen „Hadschi" nennen.

Hadschi oder richtig Hadschdschi bedeutet einen Kreuzfahrer, wenigstens
für uns. Denn arabisch bedeutet es im allgemeinen einen Pilger der zu seinem
obersten Heiligtume gewallt ist, den Muhmuedaner, der in Mekka, den Christen
oder Juden, der in Jerusalem, und - in den tiefblickenden Augen der Araber
giebt es uoch eine Gemeinschaft, die unfehlbar zur Seligkeit befördert — Söhne
von Ärzten (!), die in Kos gewesen sind. In Kos befand sich nämlich im
Altertum ein Heiligtum des Äskulap, dessen Ruf sich bei den orientalischen
Ärzten uoch wenigstens in Bezug auf ihre Söhne erhalten hat, die allerdings
vor andern Sterblichen des Schutzes des Äskulap bedürftig sein mögen.

Der Hadschi, von dem wir hier reden, gehört hoffentlich nicht zu der
letztgenannten Art. Er scheint von eiuer sehr guten Gesundheit und des
Schutzes des Äskulap wenig bedürftig. Trotz aller medizinischen Warnungen
vor Orientreisen im allgemeinen hat er denn auch anstandslos im Jahre 1885
eine ausgedehnte Palästinafahrt durchgemacht und sich auf ihr deu Hadschititel
erworben. Die Ergebnisse seiner Studien, sozusagen die Hadschidissertatiou
liegt nun vor in einem liebenswürdigen kleinem Buche*), dessen „morgenländischer
Weisheit" wir hier im wesentlichen folgen. Unser Hadschi ist, wie gesagt, nicht so
unschuldig im Unglauben wie die unschuldigen Reisenden des Mark Twain. Als
deutscher Völkerpsycyolvge philosophirt er alsbald über die Märchen- und Legenden¬
sucht des Orients, die sich an alles heftet. Auffälliges und Unauffälliges, was
w irgend welche Beziehung zu berühmten Begebenheiten gesetzt werden kann, an
jeden Stein, jeden Felseindruck, jeden Trümmerhaufen. Er bemerkt, wie wenig
genau es der Orientale mit der offenkundigsten Thatsächlichkeit nimmt, wenn
es nur gilt, einen Eindruck zu erzielen, auf abendländisch, wie elegant er lügen
kann. Der Araber zeigt einen Hausen Säulen und sagt salbungsvoll: Siehe,
o Fremdling, zum Zeichen dessen hat der Prophet hier 300V Säulen hingesetzt.
Der „Fremdling" sieht, daß es zwölf Säulenreihen zu fünf Säulen sind, aber
^ sieht zugleich, daß in diesem Falle sür die Phantasie des Gläubigen
12 mal 5 eben 3000 ist. Er bildet sich alsbald sein System über die Lügeu-
kunst des Orients, und die Art, wie er es an der Hand der Vorkommnisse
einfach bestätigt, ist entschieden noch drolliger als die stereotype Beweisforderung
der erwähnten Amerikaner. Er ist auf der „geraden Straße" von Damaskus, der



*) Erfahrungen eines Hadschi. Von E.Butte. Leipzi-,, Fr. Wilh. Gnmow. 1888.
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[0425] noch drolligere und dabei auf die lustigste Art unterrichtende Spielart jeuer Mare-Twainschen Orientreisenden, nämlich den Mann, der sich nicht imponiren läßt. Das ist denn nun wirklich der moderne Kreuzfahrer, wie er lebendig das Verhältnis unsrer Zeit zu dem alten Märchenlande im Osten und seinein heiligen Mittelpunkt veranschaulicht: die Pietät im Herzen, aber den hellen Blick und die klare, nüchterne Urteilskraft im Kopfe. Ein solcher Mann darf sich billig einen „Hadschi" nennen. Hadschi oder richtig Hadschdschi bedeutet einen Kreuzfahrer, wenigstens für uns. Denn arabisch bedeutet es im allgemeinen einen Pilger der zu seinem obersten Heiligtume gewallt ist, den Muhmuedaner, der in Mekka, den Christen oder Juden, der in Jerusalem, und - in den tiefblickenden Augen der Araber giebt es uoch eine Gemeinschaft, die unfehlbar zur Seligkeit befördert — Söhne von Ärzten (!), die in Kos gewesen sind. In Kos befand sich nämlich im Altertum ein Heiligtum des Äskulap, dessen Ruf sich bei den orientalischen Ärzten uoch wenigstens in Bezug auf ihre Söhne erhalten hat, die allerdings vor andern Sterblichen des Schutzes des Äskulap bedürftig sein mögen. Der Hadschi, von dem wir hier reden, gehört hoffentlich nicht zu der letztgenannten Art. Er scheint von eiuer sehr guten Gesundheit und des Schutzes des Äskulap wenig bedürftig. Trotz aller medizinischen Warnungen vor Orientreisen im allgemeinen hat er denn auch anstandslos im Jahre 1885 eine ausgedehnte Palästinafahrt durchgemacht und sich auf ihr deu Hadschititel erworben. Die Ergebnisse seiner Studien, sozusagen die Hadschidissertatiou liegt nun vor in einem liebenswürdigen kleinem Buche*), dessen „morgenländischer Weisheit" wir hier im wesentlichen folgen. Unser Hadschi ist, wie gesagt, nicht so unschuldig im Unglauben wie die unschuldigen Reisenden des Mark Twain. Als deutscher Völkerpsycyolvge philosophirt er alsbald über die Märchen- und Legenden¬ sucht des Orients, die sich an alles heftet. Auffälliges und Unauffälliges, was w irgend welche Beziehung zu berühmten Begebenheiten gesetzt werden kann, an jeden Stein, jeden Felseindruck, jeden Trümmerhaufen. Er bemerkt, wie wenig genau es der Orientale mit der offenkundigsten Thatsächlichkeit nimmt, wenn es nur gilt, einen Eindruck zu erzielen, auf abendländisch, wie elegant er lügen kann. Der Araber zeigt einen Hausen Säulen und sagt salbungsvoll: Siehe, o Fremdling, zum Zeichen dessen hat der Prophet hier 300V Säulen hingesetzt. Der „Fremdling" sieht, daß es zwölf Säulenreihen zu fünf Säulen sind, aber ^ sieht zugleich, daß in diesem Falle sür die Phantasie des Gläubigen 12 mal 5 eben 3000 ist. Er bildet sich alsbald sein System über die Lügeu- kunst des Orients, und die Art, wie er es an der Hand der Vorkommnisse einfach bestätigt, ist entschieden noch drolliger als die stereotype Beweisforderung der erwähnten Amerikaner. Er ist auf der „geraden Straße" von Damaskus, der *) Erfahrungen eines Hadschi. Von E.Butte. Leipzi-,, Fr. Wilh. Gnmow. 1888. Ärenzbotcn 1 1889 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/425>, abgerufen am 29.06.2024.