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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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ab! Wie seltsam vergleichen sich die satanischen Mord- und Zerstörnngsfeste
der katholischen Unterthanen König Philipps in der neuen Welt mit der
Kreuzfahrt Peters von Amiens oder heute z. B. mit dem Sklavereiaufrnse des
Kardinals Lnvigerie!

Dies ist der große, weltgeschichtliche Hintergrund für das neuerwachte
allgemeine Interesse für den Orient. Man bilde sich nicht ein, daß es von
heute und gestern stamme, über Nacht erweckt, durch einen Zeitungsartikel beim
Frühkaffee und künstlich erhalten durch Aufrufe und Versammlungen. So
etwas bereitet sich von langer Hand vor und kündigt sich in allerlei Zügen
und charakteristischen Einzelheiten um, die gerade das Leben des Tages an die
Oberfläche fördert. Ein sehr bedeutsames Merkmal scheint uns hier, so äußer¬
lich es manchem vorkommen mag, jene moderne KreuzfahrtbeN'egung, die sich
ganz privater Kreise schon seit geraumer Zeit bemächtigt hat und unter den
Zeichen des Tages natürlich mir zunehmen kann, die Orientreise des gebildeten
Westlanders, Deutschen, Engländers und -- seltsam ganz besonders Ameri¬
kaners. Die Franzosen scheinen sich weniger daran zu beteiligen, obgleich im
Anfang des Jahrhunderts gerade französische Werke, Chateaubriands (Z-suis cku
vkristianismo, Volneys ü>nass, einen zweifellos starken ersten Anstoß zu den
heutigen Pilgerfahrten nach den heiligen Stätten und den Ruinen der alten
Weltreiche gegeben haben. Man darf die Pietät, das heilige Interesse daran
nicht über-, aber man darf es auch nicht unterschätzen. So etwas wird ja
immer leicht Sport, Mode, ja noch schlimmer Philisterei, wie es so ganz nackt und
blos die unnmgüngliche "italienische Reise" ganz besonders der grünen und
silbernen Ehepaare, die sichs leisten können, bei uns geworden ist. Aber ob¬
wohl Madame Buchholz allerncuestens auch uach dem Orient ihr Stricknetz
ausgeworfen hat, so ist doch vor der Eröffnung von Wüsteneisenbahnen
mit Schlafkupees und Nundreisebillets nicht zu befürchten, daß sie allzuviel
Familienkarawanen zur Nachfolge anregen wird. Zwar haben die.^Stangen"
beider Weltteile auch den Orient in den Bereich ihrer die Sache der Menschheit
fördernden "Expeditionen" gezogen. Mit wie überraschendem Erfolge, mögen
die Juno<;vnd,8 Ävrcmä des amerikanischen Humoristen (Marc Twain) denen,
die sie und den Orient noch nicht kennen, zu Gemüte sichren. Findet man bei
diesen harmlosen Seelen eine ganz unamerikanische bocksteifige Unglüubigkeit,
wenn auch nicht gegen die geweihten Stätten, so doch gegen die Erklärungen
ihrer Führer, so ist das nur ein Beweis, was mau der Gläubigkeit dieses be¬
sondern Reisepublikums zuzumuten wagt. Der amerikanische und der englische
lisvöi'sunt ist eben meist ein zu dankbarer Orientreisender. Macht ein Deutscher
die Reise, so braucht er kein Pastor zu sein, um neben gelehrtem Rüstzeug ein
gut Teil historischer und antiquarischer Kritik, zugleich aber gegenwärtig ein
ganz besondres ethnologisches und politisches Interesse mit zu führen. Hat
er uun zugleich, wie ein rechter deutscher Reisender Humor, so zeigt er eine


ab! Wie seltsam vergleichen sich die satanischen Mord- und Zerstörnngsfeste
der katholischen Unterthanen König Philipps in der neuen Welt mit der
Kreuzfahrt Peters von Amiens oder heute z. B. mit dem Sklavereiaufrnse des
Kardinals Lnvigerie!

Dies ist der große, weltgeschichtliche Hintergrund für das neuerwachte
allgemeine Interesse für den Orient. Man bilde sich nicht ein, daß es von
heute und gestern stamme, über Nacht erweckt, durch einen Zeitungsartikel beim
Frühkaffee und künstlich erhalten durch Aufrufe und Versammlungen. So
etwas bereitet sich von langer Hand vor und kündigt sich in allerlei Zügen
und charakteristischen Einzelheiten um, die gerade das Leben des Tages an die
Oberfläche fördert. Ein sehr bedeutsames Merkmal scheint uns hier, so äußer¬
lich es manchem vorkommen mag, jene moderne KreuzfahrtbeN'egung, die sich
ganz privater Kreise schon seit geraumer Zeit bemächtigt hat und unter den
Zeichen des Tages natürlich mir zunehmen kann, die Orientreise des gebildeten
Westlanders, Deutschen, Engländers und — seltsam ganz besonders Ameri¬
kaners. Die Franzosen scheinen sich weniger daran zu beteiligen, obgleich im
Anfang des Jahrhunderts gerade französische Werke, Chateaubriands (Z-suis cku
vkristianismo, Volneys ü>nass, einen zweifellos starken ersten Anstoß zu den
heutigen Pilgerfahrten nach den heiligen Stätten und den Ruinen der alten
Weltreiche gegeben haben. Man darf die Pietät, das heilige Interesse daran
nicht über-, aber man darf es auch nicht unterschätzen. So etwas wird ja
immer leicht Sport, Mode, ja noch schlimmer Philisterei, wie es so ganz nackt und
blos die unnmgüngliche „italienische Reise" ganz besonders der grünen und
silbernen Ehepaare, die sichs leisten können, bei uns geworden ist. Aber ob¬
wohl Madame Buchholz allerncuestens auch uach dem Orient ihr Stricknetz
ausgeworfen hat, so ist doch vor der Eröffnung von Wüsteneisenbahnen
mit Schlafkupees und Nundreisebillets nicht zu befürchten, daß sie allzuviel
Familienkarawanen zur Nachfolge anregen wird. Zwar haben die.^Stangen"
beider Weltteile auch den Orient in den Bereich ihrer die Sache der Menschheit
fördernden „Expeditionen" gezogen. Mit wie überraschendem Erfolge, mögen
die Juno<;vnd,8 Ävrcmä des amerikanischen Humoristen (Marc Twain) denen,
die sie und den Orient noch nicht kennen, zu Gemüte sichren. Findet man bei
diesen harmlosen Seelen eine ganz unamerikanische bocksteifige Unglüubigkeit,
wenn auch nicht gegen die geweihten Stätten, so doch gegen die Erklärungen
ihrer Führer, so ist das nur ein Beweis, was mau der Gläubigkeit dieses be¬
sondern Reisepublikums zuzumuten wagt. Der amerikanische und der englische
lisvöi'sunt ist eben meist ein zu dankbarer Orientreisender. Macht ein Deutscher
die Reise, so braucht er kein Pastor zu sein, um neben gelehrtem Rüstzeug ein
gut Teil historischer und antiquarischer Kritik, zugleich aber gegenwärtig ein
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er uun zugleich, wie ein rechter deutscher Reisender Humor, so zeigt er eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/424>, abgerufen am 28.09.2024.