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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Lin falscher Freiheitsheld des Altertums

Brutus war, da die Stellung des M. Antonius bei Mutina bald darauf
zusammenbrach, klug genug, von seinen Friedensvorschlägen nichts mehr ver¬
lauten zu lassen. Noch verzweifelte Cicero uicht an der Treue des Brutus;
er redete sich ein, daß nicht die Absicht des Brutus schlecht gewesen sei, sondern
daß er sich uur in den Mitteln vergriffen habe. Immerhin beginnen sich
seitdem die Beziehungen zwischen Brutus und Cicero zu lockern. Brutus
hüllte sich zunächst in ein grollendes Schweigen, aus dem er erst gegen Mitte
Mai auf die Nachricht von der gänzlichen Niederlage und Flucht des Antonius
bei Mutina wieder hervortrat. Doch lenkte sein Brief alsbald von dem kühlen
Ausdrucke der Siegesfreude zurück zu der Streitfrage in Betreff des C. Antonius
und warf dann dem Cicero sein Verhältnis zu Oktavian, das er doch bis
dahin geduldet hatte, als einen schweren Fehler, ja als ein Verbrechen gegen die
Republik vor. Cicero war darauf uicht im mindesten gefaßt, weil Brutus
so gut wie er selbst wissen mußte, daß es ohne Oktavians Schutz kaum noch
eine Republik gebe. Cicero hatte sogar daran gedacht, nach dem Tode des
bei Mutina gefallenen Konsuls den Oktavian für seine Dienste durch die
Wahl zum Lonsul Lnllvows für den Rest des Jahres 43 zu belohnen. Er
hoffte, den jungen Maun, der sich ihm bisher durchaus willfährig gezeigt hatte,
so am leichtesten unter seinem Einfluße erhalten zu können. Dagegen wandte
sich Brutus mit solcher Entschiedenheit, daß Cicero sofort von seinem Vorhaben
zurück kam und sich in der Folge auf jede Weise bemühte, den Oktavian von
seiner Bewerbung um das Konsulat abzubringen. Er bewies sich also dem
Brutus gegenüber auch in dieser schwierigen Lage durchaus als einen ehrlichen
Bundesgenossen. Oktavian freilich gehorchte der Mahnung des greisen Redners
nicht mehr; ihn trieb die eigne Kraft und das Vermächtnis feines großen
Adoptivvaters unaufhaltsam vorwärts. Am 13. Juli forderten 400 Centurionen
und Soldaten seines Heeres von den: fast wehrlosen Senate das Konsulat
für ihren Kriegsherrn. Dazu kam uoch eine andre Not. M. Antonius war
bald nach der Schlacht bei Mutina wie ein Phönix ans der Asche zu neuer
Macht emporgestiegen und hatte am 29. Mai sein Heer im Narbonensischen
Gallien mit dem des Lepidus vereint. Und schon spannen sich zwischen den
vereinigten Lagern des Antonius und Lepidus einerseits und dem Lager des
Oktavian die Fäden, die nachher zum Abschlüsse des Triumvirates führten.

Der Senat war nicht blind gegen die aufsteigenden Ungewitter. Seit
Mitte Mai bereits waren an Brutus Anforderungen des Senats und später
auch private Bitten Ciceros ergangen, mit seinem Heere nach Italien zu
kommen; seit Anfang Juni waren diese Hilferufe immer dringender geworden;
er war durch Cicero und seine Agenten in Rom vollkommen von der dort
herrschenden Lage in Kenntnis gesetzt. Er konnte bequem noch im Juni sein
Herr an der adriatischen Küste zusammengezogen haben; der Überfahrt nach
Italien stand keine Flotte, kein Feind, kein Hindernis durch die Jahreszeit


Lin falscher Freiheitsheld des Altertums

Brutus war, da die Stellung des M. Antonius bei Mutina bald darauf
zusammenbrach, klug genug, von seinen Friedensvorschlägen nichts mehr ver¬
lauten zu lassen. Noch verzweifelte Cicero uicht an der Treue des Brutus;
er redete sich ein, daß nicht die Absicht des Brutus schlecht gewesen sei, sondern
daß er sich uur in den Mitteln vergriffen habe. Immerhin beginnen sich
seitdem die Beziehungen zwischen Brutus und Cicero zu lockern. Brutus
hüllte sich zunächst in ein grollendes Schweigen, aus dem er erst gegen Mitte
Mai auf die Nachricht von der gänzlichen Niederlage und Flucht des Antonius
bei Mutina wieder hervortrat. Doch lenkte sein Brief alsbald von dem kühlen
Ausdrucke der Siegesfreude zurück zu der Streitfrage in Betreff des C. Antonius
und warf dann dem Cicero sein Verhältnis zu Oktavian, das er doch bis
dahin geduldet hatte, als einen schweren Fehler, ja als ein Verbrechen gegen die
Republik vor. Cicero war darauf uicht im mindesten gefaßt, weil Brutus
so gut wie er selbst wissen mußte, daß es ohne Oktavians Schutz kaum noch
eine Republik gebe. Cicero hatte sogar daran gedacht, nach dem Tode des
bei Mutina gefallenen Konsuls den Oktavian für seine Dienste durch die
Wahl zum Lonsul Lnllvows für den Rest des Jahres 43 zu belohnen. Er
hoffte, den jungen Maun, der sich ihm bisher durchaus willfährig gezeigt hatte,
so am leichtesten unter seinem Einfluße erhalten zu können. Dagegen wandte
sich Brutus mit solcher Entschiedenheit, daß Cicero sofort von seinem Vorhaben
zurück kam und sich in der Folge auf jede Weise bemühte, den Oktavian von
seiner Bewerbung um das Konsulat abzubringen. Er bewies sich also dem
Brutus gegenüber auch in dieser schwierigen Lage durchaus als einen ehrlichen
Bundesgenossen. Oktavian freilich gehorchte der Mahnung des greisen Redners
nicht mehr; ihn trieb die eigne Kraft und das Vermächtnis feines großen
Adoptivvaters unaufhaltsam vorwärts. Am 13. Juli forderten 400 Centurionen
und Soldaten seines Heeres von den: fast wehrlosen Senate das Konsulat
für ihren Kriegsherrn. Dazu kam uoch eine andre Not. M. Antonius war
bald nach der Schlacht bei Mutina wie ein Phönix ans der Asche zu neuer
Macht emporgestiegen und hatte am 29. Mai sein Heer im Narbonensischen
Gallien mit dem des Lepidus vereint. Und schon spannen sich zwischen den
vereinigten Lagern des Antonius und Lepidus einerseits und dem Lager des
Oktavian die Fäden, die nachher zum Abschlüsse des Triumvirates führten.

Der Senat war nicht blind gegen die aufsteigenden Ungewitter. Seit
Mitte Mai bereits waren an Brutus Anforderungen des Senats und später
auch private Bitten Ciceros ergangen, mit seinem Heere nach Italien zu
kommen; seit Anfang Juni waren diese Hilferufe immer dringender geworden;
er war durch Cicero und seine Agenten in Rom vollkommen von der dort
herrschenden Lage in Kenntnis gesetzt. Er konnte bequem noch im Juni sein
Herr an der adriatischen Küste zusammengezogen haben; der Überfahrt nach
Italien stand keine Flotte, kein Feind, kein Hindernis durch die Jahreszeit


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[0420] Lin falscher Freiheitsheld des Altertums Brutus war, da die Stellung des M. Antonius bei Mutina bald darauf zusammenbrach, klug genug, von seinen Friedensvorschlägen nichts mehr ver¬ lauten zu lassen. Noch verzweifelte Cicero uicht an der Treue des Brutus; er redete sich ein, daß nicht die Absicht des Brutus schlecht gewesen sei, sondern daß er sich uur in den Mitteln vergriffen habe. Immerhin beginnen sich seitdem die Beziehungen zwischen Brutus und Cicero zu lockern. Brutus hüllte sich zunächst in ein grollendes Schweigen, aus dem er erst gegen Mitte Mai auf die Nachricht von der gänzlichen Niederlage und Flucht des Antonius bei Mutina wieder hervortrat. Doch lenkte sein Brief alsbald von dem kühlen Ausdrucke der Siegesfreude zurück zu der Streitfrage in Betreff des C. Antonius und warf dann dem Cicero sein Verhältnis zu Oktavian, das er doch bis dahin geduldet hatte, als einen schweren Fehler, ja als ein Verbrechen gegen die Republik vor. Cicero war darauf uicht im mindesten gefaßt, weil Brutus so gut wie er selbst wissen mußte, daß es ohne Oktavians Schutz kaum noch eine Republik gebe. Cicero hatte sogar daran gedacht, nach dem Tode des bei Mutina gefallenen Konsuls den Oktavian für seine Dienste durch die Wahl zum Lonsul Lnllvows für den Rest des Jahres 43 zu belohnen. Er hoffte, den jungen Maun, der sich ihm bisher durchaus willfährig gezeigt hatte, so am leichtesten unter seinem Einfluße erhalten zu können. Dagegen wandte sich Brutus mit solcher Entschiedenheit, daß Cicero sofort von seinem Vorhaben zurück kam und sich in der Folge auf jede Weise bemühte, den Oktavian von seiner Bewerbung um das Konsulat abzubringen. Er bewies sich also dem Brutus gegenüber auch in dieser schwierigen Lage durchaus als einen ehrlichen Bundesgenossen. Oktavian freilich gehorchte der Mahnung des greisen Redners nicht mehr; ihn trieb die eigne Kraft und das Vermächtnis feines großen Adoptivvaters unaufhaltsam vorwärts. Am 13. Juli forderten 400 Centurionen und Soldaten seines Heeres von den: fast wehrlosen Senate das Konsulat für ihren Kriegsherrn. Dazu kam uoch eine andre Not. M. Antonius war bald nach der Schlacht bei Mutina wie ein Phönix ans der Asche zu neuer Macht emporgestiegen und hatte am 29. Mai sein Heer im Narbonensischen Gallien mit dem des Lepidus vereint. Und schon spannen sich zwischen den vereinigten Lagern des Antonius und Lepidus einerseits und dem Lager des Oktavian die Fäden, die nachher zum Abschlüsse des Triumvirates führten. Der Senat war nicht blind gegen die aufsteigenden Ungewitter. Seit Mitte Mai bereits waren an Brutus Anforderungen des Senats und später auch private Bitten Ciceros ergangen, mit seinem Heere nach Italien zu kommen; seit Anfang Juni waren diese Hilferufe immer dringender geworden; er war durch Cicero und seine Agenten in Rom vollkommen von der dort herrschenden Lage in Kenntnis gesetzt. Er konnte bequem noch im Juni sein Herr an der adriatischen Küste zusammengezogen haben; der Überfahrt nach Italien stand keine Flotte, kein Feind, kein Hindernis durch die Jahreszeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/420>, abgerufen am 29.06.2024.