Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin falscher Freiheitsheld des Altertums

Brutus mittels des gefangenen Bruders auch einen Druck auf M. Antonius
auszuüben hoffen. Auf diese Verhältnisse baute Brutus seinen Plan. Möglich
ist es auch, daß damals (März und April 43) M. Antonius, wie er in seiner
Bedrängnis aufs neue mit dem Senate verhandelte, so auch seine Sendboten
insgeheim ins Lager des Brutus abschickte und dessen Wünschen mit der Er¬
klärung entgegenkam, daß er bereit sei, ihm und dem Cassius den Osten zu
überlassen, wenn ihm und den: Lepidus der unbestrittene Besitz des Westens
mit Italien verbürgt würde.

Jedenfalls war Brutus damals auf dem Wege, an Cicero, den er selbst
zum Kampfe mit den Antoniern aufgereizt hatte, deu schnödesten Verrat zu
begehen und über seinen Kopf hinweg sich mit ihnen zu vertragen. Man würde
diese meine Annahme in das Gebiet unglaublicher Fabeln verweisen müssen,
wenn ihre Nichtigkeit und Wirklichkeit nicht aktenmäßig bezeugt wäre durch
einen allerdings bisher nicht gehörig beachteten Brief Ciceros an Brutus (II, 5),
der uns einen tiefen Einblick in diese sonst dunkeln Verhandlungen und Pläne
thun läßt, wie wenn die Koulisseu sich für einen Augenblick aus einander
schoben und der Hintergrund in grellster Beleuchtung sichtbar würde. Wir
entnehmen daraus folgendes.

Am 13. April erschien in Rom der ehemalige Cäsarianer Q. Pilius Celer
als Bevollmächtigter des Brutus und überbrachte, ohne Cicero vorher irgendwie
davon zu benachrichtigen, zwei Briefe, einen von Brutus und einen von seinem
Gefangenen C. Antonius. Der Vorsitzende Prätor verlas sie im Senate.
Schon die Überschrift: Antonius xrooonsul erregte bei den Senatoren peinliches
Erstannen, denn indem Brutus sie zugelassen?, hatte er die vou C. Antonius
beanspruchte, aber vom Senate für nichtig erklärte Stellung als eine zu Recht
bestehende anerkannt. Der Brief des Antonius selbst enthielt offenbar ähnliche
Aufforderungen zu einem Ausgleiche mit M. Antonius, wie sie Plancus und
Lepidus am 20. März vergeblich an den Senat hatten gelangen lassen. Und
Brutus hatte sie in seinem beigefügten Schreiben gebilligt und empfohlen.
Am folgenden Tage war die Sache das Stadtgespräch, und Pilius Celer trat
mit Positiveren Vorschlüge" heraus; dagegen erhob sich eilte stürmische Opposition
Ciceros und seiner Parteigenossen. Schließlich aber war die Verlegenheit der
Republikaner so groß, daß einer von ihnen, Labeo, im Einverständnis mit
Cicero zu dem äußerste" Mittel griff, den Brief des Brutus und die dem
Celer erteilte Vollmacht für gefälscht zu erklüreu. Die Mehrheit des Senates
trat dieser Erklärung bei, der Angriff der vereinigten Parteien des Antonius
und des Brutus war abgeschlagen. Noch einmal war dem M. Brutus durch
die eigenmächtige Entschlossenheit Ciceros das äußerliche Verbleiben bei derjenigen
Partei ermöglicht, deren Schlagwörter er mit derselben Verlogenheit im Munde
führte, wie sein edler Schwager Lepidus. Cicero übernahm die schwierige Aufgabe,
ehr von der Notwendigkeit des Vorgehens der Republikaner brieflich zu überzeugen.


Gin falscher Freiheitsheld des Altertums

Brutus mittels des gefangenen Bruders auch einen Druck auf M. Antonius
auszuüben hoffen. Auf diese Verhältnisse baute Brutus seinen Plan. Möglich
ist es auch, daß damals (März und April 43) M. Antonius, wie er in seiner
Bedrängnis aufs neue mit dem Senate verhandelte, so auch seine Sendboten
insgeheim ins Lager des Brutus abschickte und dessen Wünschen mit der Er¬
klärung entgegenkam, daß er bereit sei, ihm und dem Cassius den Osten zu
überlassen, wenn ihm und den: Lepidus der unbestrittene Besitz des Westens
mit Italien verbürgt würde.

Jedenfalls war Brutus damals auf dem Wege, an Cicero, den er selbst
zum Kampfe mit den Antoniern aufgereizt hatte, deu schnödesten Verrat zu
begehen und über seinen Kopf hinweg sich mit ihnen zu vertragen. Man würde
diese meine Annahme in das Gebiet unglaublicher Fabeln verweisen müssen,
wenn ihre Nichtigkeit und Wirklichkeit nicht aktenmäßig bezeugt wäre durch
einen allerdings bisher nicht gehörig beachteten Brief Ciceros an Brutus (II, 5),
der uns einen tiefen Einblick in diese sonst dunkeln Verhandlungen und Pläne
thun läßt, wie wenn die Koulisseu sich für einen Augenblick aus einander
schoben und der Hintergrund in grellster Beleuchtung sichtbar würde. Wir
entnehmen daraus folgendes.

Am 13. April erschien in Rom der ehemalige Cäsarianer Q. Pilius Celer
als Bevollmächtigter des Brutus und überbrachte, ohne Cicero vorher irgendwie
davon zu benachrichtigen, zwei Briefe, einen von Brutus und einen von seinem
Gefangenen C. Antonius. Der Vorsitzende Prätor verlas sie im Senate.
Schon die Überschrift: Antonius xrooonsul erregte bei den Senatoren peinliches
Erstannen, denn indem Brutus sie zugelassen?, hatte er die vou C. Antonius
beanspruchte, aber vom Senate für nichtig erklärte Stellung als eine zu Recht
bestehende anerkannt. Der Brief des Antonius selbst enthielt offenbar ähnliche
Aufforderungen zu einem Ausgleiche mit M. Antonius, wie sie Plancus und
Lepidus am 20. März vergeblich an den Senat hatten gelangen lassen. Und
Brutus hatte sie in seinem beigefügten Schreiben gebilligt und empfohlen.
Am folgenden Tage war die Sache das Stadtgespräch, und Pilius Celer trat
mit Positiveren Vorschlüge» heraus; dagegen erhob sich eilte stürmische Opposition
Ciceros und seiner Parteigenossen. Schließlich aber war die Verlegenheit der
Republikaner so groß, daß einer von ihnen, Labeo, im Einverständnis mit
Cicero zu dem äußerste» Mittel griff, den Brief des Brutus und die dem
Celer erteilte Vollmacht für gefälscht zu erklüreu. Die Mehrheit des Senates
trat dieser Erklärung bei, der Angriff der vereinigten Parteien des Antonius
und des Brutus war abgeschlagen. Noch einmal war dem M. Brutus durch
die eigenmächtige Entschlossenheit Ciceros das äußerliche Verbleiben bei derjenigen
Partei ermöglicht, deren Schlagwörter er mit derselben Verlogenheit im Munde
führte, wie sein edler Schwager Lepidus. Cicero übernahm die schwierige Aufgabe,
ehr von der Notwendigkeit des Vorgehens der Republikaner brieflich zu überzeugen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204508"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin falscher Freiheitsheld des Altertums</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1355" prev="#ID_1354"> Brutus mittels des gefangenen Bruders auch einen Druck auf M. Antonius<lb/>
auszuüben hoffen. Auf diese Verhältnisse baute Brutus seinen Plan. Möglich<lb/>
ist es auch, daß damals (März und April 43) M. Antonius, wie er in seiner<lb/>
Bedrängnis aufs neue mit dem Senate verhandelte, so auch seine Sendboten<lb/>
insgeheim ins Lager des Brutus abschickte und dessen Wünschen mit der Er¬<lb/>
klärung entgegenkam, daß er bereit sei, ihm und dem Cassius den Osten zu<lb/>
überlassen, wenn ihm und den: Lepidus der unbestrittene Besitz des Westens<lb/>
mit Italien verbürgt würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1356"> Jedenfalls war Brutus damals auf dem Wege, an Cicero, den er selbst<lb/>
zum Kampfe mit den Antoniern aufgereizt hatte, deu schnödesten Verrat zu<lb/>
begehen und über seinen Kopf hinweg sich mit ihnen zu vertragen. Man würde<lb/>
diese meine Annahme in das Gebiet unglaublicher Fabeln verweisen müssen,<lb/>
wenn ihre Nichtigkeit und Wirklichkeit nicht aktenmäßig bezeugt wäre durch<lb/>
einen allerdings bisher nicht gehörig beachteten Brief Ciceros an Brutus (II, 5),<lb/>
der uns einen tiefen Einblick in diese sonst dunkeln Verhandlungen und Pläne<lb/>
thun läßt, wie wenn die Koulisseu sich für einen Augenblick aus einander<lb/>
schoben und der Hintergrund in grellster Beleuchtung sichtbar würde. Wir<lb/>
entnehmen daraus folgendes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1357"> Am 13. April erschien in Rom der ehemalige Cäsarianer Q. Pilius Celer<lb/>
als Bevollmächtigter des Brutus und überbrachte, ohne Cicero vorher irgendwie<lb/>
davon zu benachrichtigen, zwei Briefe, einen von Brutus und einen von seinem<lb/>
Gefangenen C. Antonius. Der Vorsitzende Prätor verlas sie im Senate.<lb/>
Schon die Überschrift: Antonius xrooonsul erregte bei den Senatoren peinliches<lb/>
Erstannen, denn indem Brutus sie zugelassen?, hatte er die vou C. Antonius<lb/>
beanspruchte, aber vom Senate für nichtig erklärte Stellung als eine zu Recht<lb/>
bestehende anerkannt. Der Brief des Antonius selbst enthielt offenbar ähnliche<lb/>
Aufforderungen zu einem Ausgleiche mit M. Antonius, wie sie Plancus und<lb/>
Lepidus am 20. März vergeblich an den Senat hatten gelangen lassen. Und<lb/>
Brutus hatte sie in seinem beigefügten Schreiben gebilligt und empfohlen.<lb/>
Am folgenden Tage war die Sache das Stadtgespräch, und Pilius Celer trat<lb/>
mit Positiveren Vorschlüge» heraus; dagegen erhob sich eilte stürmische Opposition<lb/>
Ciceros und seiner Parteigenossen. Schließlich aber war die Verlegenheit der<lb/>
Republikaner so groß, daß einer von ihnen, Labeo, im Einverständnis mit<lb/>
Cicero zu dem äußerste» Mittel griff, den Brief des Brutus und die dem<lb/>
Celer erteilte Vollmacht für gefälscht zu erklüreu. Die Mehrheit des Senates<lb/>
trat dieser Erklärung bei, der Angriff der vereinigten Parteien des Antonius<lb/>
und des Brutus war abgeschlagen. Noch einmal war dem M. Brutus durch<lb/>
die eigenmächtige Entschlossenheit Ciceros das äußerliche Verbleiben bei derjenigen<lb/>
Partei ermöglicht, deren Schlagwörter er mit derselben Verlogenheit im Munde<lb/>
führte, wie sein edler Schwager Lepidus. Cicero übernahm die schwierige Aufgabe,<lb/>
ehr von der Notwendigkeit des Vorgehens der Republikaner brieflich zu überzeugen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Gin falscher Freiheitsheld des Altertums Brutus mittels des gefangenen Bruders auch einen Druck auf M. Antonius auszuüben hoffen. Auf diese Verhältnisse baute Brutus seinen Plan. Möglich ist es auch, daß damals (März und April 43) M. Antonius, wie er in seiner Bedrängnis aufs neue mit dem Senate verhandelte, so auch seine Sendboten insgeheim ins Lager des Brutus abschickte und dessen Wünschen mit der Er¬ klärung entgegenkam, daß er bereit sei, ihm und dem Cassius den Osten zu überlassen, wenn ihm und den: Lepidus der unbestrittene Besitz des Westens mit Italien verbürgt würde. Jedenfalls war Brutus damals auf dem Wege, an Cicero, den er selbst zum Kampfe mit den Antoniern aufgereizt hatte, deu schnödesten Verrat zu begehen und über seinen Kopf hinweg sich mit ihnen zu vertragen. Man würde diese meine Annahme in das Gebiet unglaublicher Fabeln verweisen müssen, wenn ihre Nichtigkeit und Wirklichkeit nicht aktenmäßig bezeugt wäre durch einen allerdings bisher nicht gehörig beachteten Brief Ciceros an Brutus (II, 5), der uns einen tiefen Einblick in diese sonst dunkeln Verhandlungen und Pläne thun läßt, wie wenn die Koulisseu sich für einen Augenblick aus einander schoben und der Hintergrund in grellster Beleuchtung sichtbar würde. Wir entnehmen daraus folgendes. Am 13. April erschien in Rom der ehemalige Cäsarianer Q. Pilius Celer als Bevollmächtigter des Brutus und überbrachte, ohne Cicero vorher irgendwie davon zu benachrichtigen, zwei Briefe, einen von Brutus und einen von seinem Gefangenen C. Antonius. Der Vorsitzende Prätor verlas sie im Senate. Schon die Überschrift: Antonius xrooonsul erregte bei den Senatoren peinliches Erstannen, denn indem Brutus sie zugelassen?, hatte er die vou C. Antonius beanspruchte, aber vom Senate für nichtig erklärte Stellung als eine zu Recht bestehende anerkannt. Der Brief des Antonius selbst enthielt offenbar ähnliche Aufforderungen zu einem Ausgleiche mit M. Antonius, wie sie Plancus und Lepidus am 20. März vergeblich an den Senat hatten gelangen lassen. Und Brutus hatte sie in seinem beigefügten Schreiben gebilligt und empfohlen. Am folgenden Tage war die Sache das Stadtgespräch, und Pilius Celer trat mit Positiveren Vorschlüge» heraus; dagegen erhob sich eilte stürmische Opposition Ciceros und seiner Parteigenossen. Schließlich aber war die Verlegenheit der Republikaner so groß, daß einer von ihnen, Labeo, im Einverständnis mit Cicero zu dem äußerste» Mittel griff, den Brief des Brutus und die dem Celer erteilte Vollmacht für gefälscht zu erklüreu. Die Mehrheit des Senates trat dieser Erklärung bei, der Angriff der vereinigten Parteien des Antonius und des Brutus war abgeschlagen. Noch einmal war dem M. Brutus durch die eigenmächtige Entschlossenheit Ciceros das äußerliche Verbleiben bei derjenigen Partei ermöglicht, deren Schlagwörter er mit derselben Verlogenheit im Munde führte, wie sein edler Schwager Lepidus. Cicero übernahm die schwierige Aufgabe, ehr von der Notwendigkeit des Vorgehens der Republikaner brieflich zu überzeugen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/419>, abgerufen am 29.06.2024.