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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Liu falscher Freiheitsheld des Altertums

der bei einer Zusammenkunft in Velia den falschen Idealismus und die Eitel¬
keit Ciceros geschickt benutzte, um ihn zum Kampfe gegen M. Antonius an¬
zustacheln. Cicero baute darauf, daß Brutus und Cassius bald mit Heeres¬
macht aus dem Osten zurückkehre" würden; er übernahm uach den Abmachungen
von Velia unterdessen die schwere Arbeit, sür M. Brutus die Kastanien aus
dem Feuer zu holen.

Ohne sich durch die offenbare Lebensgefahr abschrecken zu lassen, erschien
Cicero am 2. September 44 im Senate zu Rom und hielt hier die erste seiner
Philippischen Reden weniger gegen Antonius, als vielmehr an Antonius, um
ihm von der Willkür zur Gesetzlichkeit eine Brücke zu schlagen. Diese Rede,
freimütig und maßvoll zugleich, ist ein schönes Zeugnis der innern Festigkeit,
über die Cicero doch im Augenblicke der Gefahr verfügte. Er gewann die
Mehrheit des Senates für sich, nicht aber, wie er doch vielleicht im Stillen
gehofft hatte, irgend welchen Einfluß auf Antonius. Vielmehr schleuderte
dieser am 19. September im Senate eine Rede so voll Gift und Galle gegen
den unwillkommenen Mahner, dein er sogar die Urheberschaft an Cäsars Er-
mordung Schuld gab, daß Cicero, das Schlimmste befürchtend, vorläufig die
Stadt wieder verließ. Dennoch nahm er durch Ausarbeitung und Verbreitung
seiner zweiten Philippina die Fehde auf Tod und Leben auf und gewann,
während Antonius sich rüstete, um den D. Brutus aus dem cisalpinischen
Gallien zu vertreiben, den jungen C. Julius Cäsar Octavianus, den glück¬
lichen Nebenbuhler des Antonius um die Gunst der cäsarischen Krieger, mit
einigen Legionen als Schützer der Aristokratie und des Senates. Nachdem
am 1. Jm'mar 43 Hirtius und Pansa, zwei dem Antonius verfeindete Cüsa-
rianer, das Konsulat angetreten hatten, brachte Cicero auch den Senat durch
das Feuer seiner Rede zu den: Entschlüsse, den D. Brutus, den Antonius in
Mutina (Modena) belagerte, mit Waffengewalt zu entsetzen.

Im Winter ruhte jeder Verkehr zwischen Italien und dem Osten. Aber
Mitte Februar 43 traf ein Bericht des M- Brutus beim Senate in Rom ein,
der das günstigste Bild von den Fortschritten seiner Macht auf der Balkan-
Halbinsel entrollte. C. Antonius, des Marcus Antonius Bruder, hatte nach
einem von Antonius erzwungenen Senatsbeschlüsse vom 28. November 44
Mazedonien als Prätorische Provinz für 43 erhalten, doch war er trotz der
Schnelligkeit, mit der er dem Brutus zuvorzukommen suchte, nur nach Jllyrien
gelangt. Brutus dagegen hatte nach Wegnahme der großen, von Cäsar für
den parthischen Krieg angelegten Waffenlager zu Demetrias in Thessalien,
von einem aus Asien zurückkehrenden Quästvr mit dem asiatischen Tribut im
Betrage von 80 Millionen Mark unterstützt, von den bisherigen Statthaltern
von Mazedonien und Jllyrien aufgenommen und als Nachfolger anerkannt,
ein Heer vou ungefähr zehn Legionen zusammengebracht, dein auch die Reiterei
nicht fehlte.


Grenzboten I 1889 52
Liu falscher Freiheitsheld des Altertums

der bei einer Zusammenkunft in Velia den falschen Idealismus und die Eitel¬
keit Ciceros geschickt benutzte, um ihn zum Kampfe gegen M. Antonius an¬
zustacheln. Cicero baute darauf, daß Brutus und Cassius bald mit Heeres¬
macht aus dem Osten zurückkehre» würden; er übernahm uach den Abmachungen
von Velia unterdessen die schwere Arbeit, sür M. Brutus die Kastanien aus
dem Feuer zu holen.

Ohne sich durch die offenbare Lebensgefahr abschrecken zu lassen, erschien
Cicero am 2. September 44 im Senate zu Rom und hielt hier die erste seiner
Philippischen Reden weniger gegen Antonius, als vielmehr an Antonius, um
ihm von der Willkür zur Gesetzlichkeit eine Brücke zu schlagen. Diese Rede,
freimütig und maßvoll zugleich, ist ein schönes Zeugnis der innern Festigkeit,
über die Cicero doch im Augenblicke der Gefahr verfügte. Er gewann die
Mehrheit des Senates für sich, nicht aber, wie er doch vielleicht im Stillen
gehofft hatte, irgend welchen Einfluß auf Antonius. Vielmehr schleuderte
dieser am 19. September im Senate eine Rede so voll Gift und Galle gegen
den unwillkommenen Mahner, dein er sogar die Urheberschaft an Cäsars Er-
mordung Schuld gab, daß Cicero, das Schlimmste befürchtend, vorläufig die
Stadt wieder verließ. Dennoch nahm er durch Ausarbeitung und Verbreitung
seiner zweiten Philippina die Fehde auf Tod und Leben auf und gewann,
während Antonius sich rüstete, um den D. Brutus aus dem cisalpinischen
Gallien zu vertreiben, den jungen C. Julius Cäsar Octavianus, den glück¬
lichen Nebenbuhler des Antonius um die Gunst der cäsarischen Krieger, mit
einigen Legionen als Schützer der Aristokratie und des Senates. Nachdem
am 1. Jm'mar 43 Hirtius und Pansa, zwei dem Antonius verfeindete Cüsa-
rianer, das Konsulat angetreten hatten, brachte Cicero auch den Senat durch
das Feuer seiner Rede zu den: Entschlüsse, den D. Brutus, den Antonius in
Mutina (Modena) belagerte, mit Waffengewalt zu entsetzen.

Im Winter ruhte jeder Verkehr zwischen Italien und dem Osten. Aber
Mitte Februar 43 traf ein Bericht des M- Brutus beim Senate in Rom ein,
der das günstigste Bild von den Fortschritten seiner Macht auf der Balkan-
Halbinsel entrollte. C. Antonius, des Marcus Antonius Bruder, hatte nach
einem von Antonius erzwungenen Senatsbeschlüsse vom 28. November 44
Mazedonien als Prätorische Provinz für 43 erhalten, doch war er trotz der
Schnelligkeit, mit der er dem Brutus zuvorzukommen suchte, nur nach Jllyrien
gelangt. Brutus dagegen hatte nach Wegnahme der großen, von Cäsar für
den parthischen Krieg angelegten Waffenlager zu Demetrias in Thessalien,
von einem aus Asien zurückkehrenden Quästvr mit dem asiatischen Tribut im
Betrage von 80 Millionen Mark unterstützt, von den bisherigen Statthaltern
von Mazedonien und Jllyrien aufgenommen und als Nachfolger anerkannt,
ein Heer vou ungefähr zehn Legionen zusammengebracht, dein auch die Reiterei
nicht fehlte.


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[0417] Liu falscher Freiheitsheld des Altertums der bei einer Zusammenkunft in Velia den falschen Idealismus und die Eitel¬ keit Ciceros geschickt benutzte, um ihn zum Kampfe gegen M. Antonius an¬ zustacheln. Cicero baute darauf, daß Brutus und Cassius bald mit Heeres¬ macht aus dem Osten zurückkehre» würden; er übernahm uach den Abmachungen von Velia unterdessen die schwere Arbeit, sür M. Brutus die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ohne sich durch die offenbare Lebensgefahr abschrecken zu lassen, erschien Cicero am 2. September 44 im Senate zu Rom und hielt hier die erste seiner Philippischen Reden weniger gegen Antonius, als vielmehr an Antonius, um ihm von der Willkür zur Gesetzlichkeit eine Brücke zu schlagen. Diese Rede, freimütig und maßvoll zugleich, ist ein schönes Zeugnis der innern Festigkeit, über die Cicero doch im Augenblicke der Gefahr verfügte. Er gewann die Mehrheit des Senates für sich, nicht aber, wie er doch vielleicht im Stillen gehofft hatte, irgend welchen Einfluß auf Antonius. Vielmehr schleuderte dieser am 19. September im Senate eine Rede so voll Gift und Galle gegen den unwillkommenen Mahner, dein er sogar die Urheberschaft an Cäsars Er- mordung Schuld gab, daß Cicero, das Schlimmste befürchtend, vorläufig die Stadt wieder verließ. Dennoch nahm er durch Ausarbeitung und Verbreitung seiner zweiten Philippina die Fehde auf Tod und Leben auf und gewann, während Antonius sich rüstete, um den D. Brutus aus dem cisalpinischen Gallien zu vertreiben, den jungen C. Julius Cäsar Octavianus, den glück¬ lichen Nebenbuhler des Antonius um die Gunst der cäsarischen Krieger, mit einigen Legionen als Schützer der Aristokratie und des Senates. Nachdem am 1. Jm'mar 43 Hirtius und Pansa, zwei dem Antonius verfeindete Cüsa- rianer, das Konsulat angetreten hatten, brachte Cicero auch den Senat durch das Feuer seiner Rede zu den: Entschlüsse, den D. Brutus, den Antonius in Mutina (Modena) belagerte, mit Waffengewalt zu entsetzen. Im Winter ruhte jeder Verkehr zwischen Italien und dem Osten. Aber Mitte Februar 43 traf ein Bericht des M- Brutus beim Senate in Rom ein, der das günstigste Bild von den Fortschritten seiner Macht auf der Balkan- Halbinsel entrollte. C. Antonius, des Marcus Antonius Bruder, hatte nach einem von Antonius erzwungenen Senatsbeschlüsse vom 28. November 44 Mazedonien als Prätorische Provinz für 43 erhalten, doch war er trotz der Schnelligkeit, mit der er dem Brutus zuvorzukommen suchte, nur nach Jllyrien gelangt. Brutus dagegen hatte nach Wegnahme der großen, von Cäsar für den parthischen Krieg angelegten Waffenlager zu Demetrias in Thessalien, von einem aus Asien zurückkehrenden Quästvr mit dem asiatischen Tribut im Betrage von 80 Millionen Mark unterstützt, von den bisherigen Statthaltern von Mazedonien und Jllyrien aufgenommen und als Nachfolger anerkannt, ein Heer vou ungefähr zehn Legionen zusammengebracht, dein auch die Reiterei nicht fehlte. Grenzboten I 1889 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/417>, abgerufen am 29.06.2024.