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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Gin falscher Freiheitsheld des Altertums

Athen, von wo Cassius sich nach Syrien, Brutus sich nach Mazedonien
wandte.

Unterdessen hatte sich in der Gesinnung Ciceros, und zwar besonders in
seinem Verhältnisse zu M. Brutus, ein bedeutsamer Wandel vollzogen. Während
sein Verhältnis zu Brutus vorher kühl gewesen war, entbrannte er durch die
Ermordung Cäsars für Brutus von maßloser Bewunderung und begeisterter
Freundschaft. Er pries deu Brutus und Cassius als seine "Heroen," denen
"der Zugang zum Himmel" gebühre. Hatte er vorher begonnen, sich in den
Cäsarismus wie in ein unvermeidliches Fatum zu fügen, so lag das nunmehr
als abgethan hinter ihm, er erwachte wie aus langem Schlafe, sein ganzes
Wesen erschloß sich durch tiefgehende Erschütterungen zu neuem Leben. Nun
glaubte er wieder an die Möglichkeit einer gemäßigten Aristokratie, und ihm
selbst, dein "Vater des Vaterlandes," winkte die Aufgabe, durch die Macht
seiner Rede alle Gutgesinnten zu vereinen, lässigere Naturen durch sein Bei¬
spiel mit fortzureißen, Gut und Blut aller anständigen Leute gegen die Gelüste
der Militärdespotie zu verteidigen. Cicero trat in die letzte und größte Periode
seines Lebens ein. Freilich dem ersten kühnen Traume folgte bald die Er-
nüchterung. Er sah seinen M. Brutus von der politischen Bühne Roms
abtreten wie einen Gladiator, der seine Arbeit gethan hat, nirgends eine Spur
staatsmännischer Fähigkeit bei den Mördern. Dem Cicero selbst aber ver¬
sperrten die Veteranen des Antonius bald den Weg zur Rednerbühne des
Marktes wie zur Kurie. Drückender und lähmender, als man Cäsars Tyrannis
je empfunden hatte, lastete die rohe Militärherrschnft des Antonius auf den:
eingeschüchterten Senate und dem teilnahmlosen Volke. Es kamen Tage, wo
er Cäsars Tod fast beklagte und sein mildes Regiment zurnckwüuschte; denn
die blutige That hatte für ihn eben nur Wert, wenn sie die Brücke bildete
zur Wiederherstellung der sogenannten bürgerlichen Freiheit; der Gedanke, daß
die Leiter der Verschwörung selbst gar nicht auf eine gemäßigte Aristokratie
im Sinne Ciceros ausgingen, kam ihm nicht. Er hatte kein Auge für die
gähnende Kluft zwischen seinen Zielen und den Zielen des M. Brutus; er
warf sich zum Patron der Mörder Cäsars auf, weil er sich nicht denken konnte,
daß eine solche That auch um niedrigerer Ziele als um der "Befreiung des
Vaterlandes" willen begangen werden könnte. Diese Verblendung wurde sein
Verhängnis; indem er die Lebensfähigkeit der aristokratischen Stantsform über¬
schätzte und die schwere soziale Krisis, in der sich damals das ganze Römerreich
befand, übersah, bewies er den oft an ihm gerügten Mangel an staatsmännischer
Einsicht; aber man darf doch anderseits nicht verkennen, daß der falsche Idea¬
lismus Ciceros edeln Regungen einer Seele entsprang, die in der Erinnerung
um die große Vergangenheit Roms aufging. Als Cieero im Sommer 44 zwischen
Furcht und Hoffnung schwebte und eben eine Reise nach Griechenland unter¬
brochen hatte, um auf eilte seiner Villen zurückzukehren, da war es M. Brutus,


Gin falscher Freiheitsheld des Altertums

Athen, von wo Cassius sich nach Syrien, Brutus sich nach Mazedonien
wandte.

Unterdessen hatte sich in der Gesinnung Ciceros, und zwar besonders in
seinem Verhältnisse zu M. Brutus, ein bedeutsamer Wandel vollzogen. Während
sein Verhältnis zu Brutus vorher kühl gewesen war, entbrannte er durch die
Ermordung Cäsars für Brutus von maßloser Bewunderung und begeisterter
Freundschaft. Er pries deu Brutus und Cassius als seine „Heroen," denen
„der Zugang zum Himmel" gebühre. Hatte er vorher begonnen, sich in den
Cäsarismus wie in ein unvermeidliches Fatum zu fügen, so lag das nunmehr
als abgethan hinter ihm, er erwachte wie aus langem Schlafe, sein ganzes
Wesen erschloß sich durch tiefgehende Erschütterungen zu neuem Leben. Nun
glaubte er wieder an die Möglichkeit einer gemäßigten Aristokratie, und ihm
selbst, dein „Vater des Vaterlandes," winkte die Aufgabe, durch die Macht
seiner Rede alle Gutgesinnten zu vereinen, lässigere Naturen durch sein Bei¬
spiel mit fortzureißen, Gut und Blut aller anständigen Leute gegen die Gelüste
der Militärdespotie zu verteidigen. Cicero trat in die letzte und größte Periode
seines Lebens ein. Freilich dem ersten kühnen Traume folgte bald die Er-
nüchterung. Er sah seinen M. Brutus von der politischen Bühne Roms
abtreten wie einen Gladiator, der seine Arbeit gethan hat, nirgends eine Spur
staatsmännischer Fähigkeit bei den Mördern. Dem Cicero selbst aber ver¬
sperrten die Veteranen des Antonius bald den Weg zur Rednerbühne des
Marktes wie zur Kurie. Drückender und lähmender, als man Cäsars Tyrannis
je empfunden hatte, lastete die rohe Militärherrschnft des Antonius auf den:
eingeschüchterten Senate und dem teilnahmlosen Volke. Es kamen Tage, wo
er Cäsars Tod fast beklagte und sein mildes Regiment zurnckwüuschte; denn
die blutige That hatte für ihn eben nur Wert, wenn sie die Brücke bildete
zur Wiederherstellung der sogenannten bürgerlichen Freiheit; der Gedanke, daß
die Leiter der Verschwörung selbst gar nicht auf eine gemäßigte Aristokratie
im Sinne Ciceros ausgingen, kam ihm nicht. Er hatte kein Auge für die
gähnende Kluft zwischen seinen Zielen und den Zielen des M. Brutus; er
warf sich zum Patron der Mörder Cäsars auf, weil er sich nicht denken konnte,
daß eine solche That auch um niedrigerer Ziele als um der „Befreiung des
Vaterlandes" willen begangen werden könnte. Diese Verblendung wurde sein
Verhängnis; indem er die Lebensfähigkeit der aristokratischen Stantsform über¬
schätzte und die schwere soziale Krisis, in der sich damals das ganze Römerreich
befand, übersah, bewies er den oft an ihm gerügten Mangel an staatsmännischer
Einsicht; aber man darf doch anderseits nicht verkennen, daß der falsche Idea¬
lismus Ciceros edeln Regungen einer Seele entsprang, die in der Erinnerung
um die große Vergangenheit Roms aufging. Als Cieero im Sommer 44 zwischen
Furcht und Hoffnung schwebte und eben eine Reise nach Griechenland unter¬
brochen hatte, um auf eilte seiner Villen zurückzukehren, da war es M. Brutus,


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[0416] Gin falscher Freiheitsheld des Altertums Athen, von wo Cassius sich nach Syrien, Brutus sich nach Mazedonien wandte. Unterdessen hatte sich in der Gesinnung Ciceros, und zwar besonders in seinem Verhältnisse zu M. Brutus, ein bedeutsamer Wandel vollzogen. Während sein Verhältnis zu Brutus vorher kühl gewesen war, entbrannte er durch die Ermordung Cäsars für Brutus von maßloser Bewunderung und begeisterter Freundschaft. Er pries deu Brutus und Cassius als seine „Heroen," denen „der Zugang zum Himmel" gebühre. Hatte er vorher begonnen, sich in den Cäsarismus wie in ein unvermeidliches Fatum zu fügen, so lag das nunmehr als abgethan hinter ihm, er erwachte wie aus langem Schlafe, sein ganzes Wesen erschloß sich durch tiefgehende Erschütterungen zu neuem Leben. Nun glaubte er wieder an die Möglichkeit einer gemäßigten Aristokratie, und ihm selbst, dein „Vater des Vaterlandes," winkte die Aufgabe, durch die Macht seiner Rede alle Gutgesinnten zu vereinen, lässigere Naturen durch sein Bei¬ spiel mit fortzureißen, Gut und Blut aller anständigen Leute gegen die Gelüste der Militärdespotie zu verteidigen. Cicero trat in die letzte und größte Periode seines Lebens ein. Freilich dem ersten kühnen Traume folgte bald die Er- nüchterung. Er sah seinen M. Brutus von der politischen Bühne Roms abtreten wie einen Gladiator, der seine Arbeit gethan hat, nirgends eine Spur staatsmännischer Fähigkeit bei den Mördern. Dem Cicero selbst aber ver¬ sperrten die Veteranen des Antonius bald den Weg zur Rednerbühne des Marktes wie zur Kurie. Drückender und lähmender, als man Cäsars Tyrannis je empfunden hatte, lastete die rohe Militärherrschnft des Antonius auf den: eingeschüchterten Senate und dem teilnahmlosen Volke. Es kamen Tage, wo er Cäsars Tod fast beklagte und sein mildes Regiment zurnckwüuschte; denn die blutige That hatte für ihn eben nur Wert, wenn sie die Brücke bildete zur Wiederherstellung der sogenannten bürgerlichen Freiheit; der Gedanke, daß die Leiter der Verschwörung selbst gar nicht auf eine gemäßigte Aristokratie im Sinne Ciceros ausgingen, kam ihm nicht. Er hatte kein Auge für die gähnende Kluft zwischen seinen Zielen und den Zielen des M. Brutus; er warf sich zum Patron der Mörder Cäsars auf, weil er sich nicht denken konnte, daß eine solche That auch um niedrigerer Ziele als um der „Befreiung des Vaterlandes" willen begangen werden könnte. Diese Verblendung wurde sein Verhängnis; indem er die Lebensfähigkeit der aristokratischen Stantsform über¬ schätzte und die schwere soziale Krisis, in der sich damals das ganze Römerreich befand, übersah, bewies er den oft an ihm gerügten Mangel an staatsmännischer Einsicht; aber man darf doch anderseits nicht verkennen, daß der falsche Idea¬ lismus Ciceros edeln Regungen einer Seele entsprang, die in der Erinnerung um die große Vergangenheit Roms aufging. Als Cieero im Sommer 44 zwischen Furcht und Hoffnung schwebte und eben eine Reise nach Griechenland unter¬ brochen hatte, um auf eilte seiner Villen zurückzukehren, da war es M. Brutus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/416>, abgerufen am 28.09.2024.