Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein populärer Minister

nicht einlassen dürfe, während Nußland die Völker befreie. Der Fall der ab¬
geschlagenen Vermittlung, deu Geffcken nur kurz berührt, ist aber so interessant
und aller Wahrscheinlichkeit nach mit seinen Einzelheiten so wenigen noch in
der Erinnerung, daß es sich verlohnt, diese ins Gedächtnis zurückzurufen.
Österreich war damals erbötig, bis auf die Etschlinie zurückzugehen, der Lom¬
bardei, Parma und Modena die Vereinigung mit Piemont freizustellen und
für Venedig eine Secundogenitur mit konstitutioneller Verfassung zu bilden.
Piemont hatte sich mit der englischen Vermittlung einverstanden erklärt, Frank¬
reich sie gebilligt. Als aber Osterreich in der Lage war, den Frieden zu
diktiren, hatte Palmerston den Humor, nun seinerseits die von ihm verworfenen
Bedingungen in Vorschlag zu bringen! Seinen Liberalismus bewährte er auch
gelegentlich durch unverschämte Äußerungen über regierende Häupter und durch
Kokettiren, um nicht zu sagen Frnternisiren mit fremden Revolutionären,
z. B. Kossuth und Genossen.

Diesen war er allerdings eine billige Entschädigung schuldig. Als Öster¬
reich die Hilfe Rußlands gegen Ungarn angerufen hatte, wandte sich Ungarn
mit Berufung auf einen Vertrag von 1711 an England; aber Palmerston
hatte plötzlich entdeckt, daß die Erhaltung Österreichs als Großmacht für die
politische Unabhängigkeit und Freiheit Europas notwendig sei.

Damit kommen wir auf die -- Ungezwungenheit, mit der er sich aus
Handeln, die unbequem zu werdeu drohten, herauszuziehen und Verpflichtungen
abzuschütteln verstand. Daß er die Sizilianer wie die Polen im Stiche ließ,
für die Dänen keinen Finger rührte, nachdem er sie durch große Worte in
ihrer Hartnäckigkeit bestärkt hatte, darüber konnten sich diese eigentlich nicht
wundern. Denn derselbe Mann, der den Skandal wegen des spanischen Juden
Pacifico durch die Tirnde zu rechtfertigen suchte, auch der geringste britische
Unterthan müsse überall sich durch die Macht seines Landes geschützt wissen,
hatte sich nicht um die im eristinischen Heere dienenden Engländer .ge¬
kümmert, als sie von den Carlisten nicht als Soldaten anerkannt, sondern
wie Banditen behandelt wurden, denn die Regierung habe wohl die Bildung
einer englischen Fremdenlegion begünstigt, aber sie nicht selbst gebildet und
nach Spanien geschickt, sei daher für deren Schicksal nicht verantwortlich. Daß
es auch Gesichtspunkte giebt, unter denen sein Verhalten in der italienischen,
der ungarischen, der polnischen und der dänischen Frage erfreulich scheinen kann,
soll nicht bestritten werden. Ohne seine Treulosigkeit und weise Vorsicht wäre
möglicherweise der italienische Einheitsstaat nicht zu Stande gekommen, dagegen
Österreich zersprengt, ein ohnmächtiges Polen und Ungarn würden eine Stellung
wie die Donaufürstentümer einnehmen und Schleswig dem dänischen Staat
einverleibt sein. Und er wäre wohl der Mann gewesen, auch solche Ent¬
schuldigungen für sich anzuführen!

Denn läßt sich eine größere Frivolität denken, als die Anwendung des


Ein populärer Minister

nicht einlassen dürfe, während Nußland die Völker befreie. Der Fall der ab¬
geschlagenen Vermittlung, deu Geffcken nur kurz berührt, ist aber so interessant
und aller Wahrscheinlichkeit nach mit seinen Einzelheiten so wenigen noch in
der Erinnerung, daß es sich verlohnt, diese ins Gedächtnis zurückzurufen.
Österreich war damals erbötig, bis auf die Etschlinie zurückzugehen, der Lom¬
bardei, Parma und Modena die Vereinigung mit Piemont freizustellen und
für Venedig eine Secundogenitur mit konstitutioneller Verfassung zu bilden.
Piemont hatte sich mit der englischen Vermittlung einverstanden erklärt, Frank¬
reich sie gebilligt. Als aber Osterreich in der Lage war, den Frieden zu
diktiren, hatte Palmerston den Humor, nun seinerseits die von ihm verworfenen
Bedingungen in Vorschlag zu bringen! Seinen Liberalismus bewährte er auch
gelegentlich durch unverschämte Äußerungen über regierende Häupter und durch
Kokettiren, um nicht zu sagen Frnternisiren mit fremden Revolutionären,
z. B. Kossuth und Genossen.

Diesen war er allerdings eine billige Entschädigung schuldig. Als Öster¬
reich die Hilfe Rußlands gegen Ungarn angerufen hatte, wandte sich Ungarn
mit Berufung auf einen Vertrag von 1711 an England; aber Palmerston
hatte plötzlich entdeckt, daß die Erhaltung Österreichs als Großmacht für die
politische Unabhängigkeit und Freiheit Europas notwendig sei.

Damit kommen wir auf die — Ungezwungenheit, mit der er sich aus
Handeln, die unbequem zu werdeu drohten, herauszuziehen und Verpflichtungen
abzuschütteln verstand. Daß er die Sizilianer wie die Polen im Stiche ließ,
für die Dänen keinen Finger rührte, nachdem er sie durch große Worte in
ihrer Hartnäckigkeit bestärkt hatte, darüber konnten sich diese eigentlich nicht
wundern. Denn derselbe Mann, der den Skandal wegen des spanischen Juden
Pacifico durch die Tirnde zu rechtfertigen suchte, auch der geringste britische
Unterthan müsse überall sich durch die Macht seines Landes geschützt wissen,
hatte sich nicht um die im eristinischen Heere dienenden Engländer .ge¬
kümmert, als sie von den Carlisten nicht als Soldaten anerkannt, sondern
wie Banditen behandelt wurden, denn die Regierung habe wohl die Bildung
einer englischen Fremdenlegion begünstigt, aber sie nicht selbst gebildet und
nach Spanien geschickt, sei daher für deren Schicksal nicht verantwortlich. Daß
es auch Gesichtspunkte giebt, unter denen sein Verhalten in der italienischen,
der ungarischen, der polnischen und der dänischen Frage erfreulich scheinen kann,
soll nicht bestritten werden. Ohne seine Treulosigkeit und weise Vorsicht wäre
möglicherweise der italienische Einheitsstaat nicht zu Stande gekommen, dagegen
Österreich zersprengt, ein ohnmächtiges Polen und Ungarn würden eine Stellung
wie die Donaufürstentümer einnehmen und Schleswig dem dänischen Staat
einverleibt sein. Und er wäre wohl der Mann gewesen, auch solche Ent¬
schuldigungen für sich anzuführen!

Denn läßt sich eine größere Frivolität denken, als die Anwendung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204501"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein populärer Minister</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> nicht einlassen dürfe, während Nußland die Völker befreie. Der Fall der ab¬<lb/>
geschlagenen Vermittlung, deu Geffcken nur kurz berührt, ist aber so interessant<lb/>
und aller Wahrscheinlichkeit nach mit seinen Einzelheiten so wenigen noch in<lb/>
der Erinnerung, daß es sich verlohnt, diese ins Gedächtnis zurückzurufen.<lb/>
Österreich war damals erbötig, bis auf die Etschlinie zurückzugehen, der Lom¬<lb/>
bardei, Parma und Modena die Vereinigung mit Piemont freizustellen und<lb/>
für Venedig eine Secundogenitur mit konstitutioneller Verfassung zu bilden.<lb/>
Piemont hatte sich mit der englischen Vermittlung einverstanden erklärt, Frank¬<lb/>
reich sie gebilligt. Als aber Osterreich in der Lage war, den Frieden zu<lb/>
diktiren, hatte Palmerston den Humor, nun seinerseits die von ihm verworfenen<lb/>
Bedingungen in Vorschlag zu bringen! Seinen Liberalismus bewährte er auch<lb/>
gelegentlich durch unverschämte Äußerungen über regierende Häupter und durch<lb/>
Kokettiren, um nicht zu sagen Frnternisiren mit fremden Revolutionären,<lb/>
z. B. Kossuth und Genossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1339"> Diesen war er allerdings eine billige Entschädigung schuldig. Als Öster¬<lb/>
reich die Hilfe Rußlands gegen Ungarn angerufen hatte, wandte sich Ungarn<lb/>
mit Berufung auf einen Vertrag von 1711 an England; aber Palmerston<lb/>
hatte plötzlich entdeckt, daß die Erhaltung Österreichs als Großmacht für die<lb/>
politische Unabhängigkeit und Freiheit Europas notwendig sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1340"> Damit kommen wir auf die &#x2014; Ungezwungenheit, mit der er sich aus<lb/>
Handeln, die unbequem zu werdeu drohten, herauszuziehen und Verpflichtungen<lb/>
abzuschütteln verstand. Daß er die Sizilianer wie die Polen im Stiche ließ,<lb/>
für die Dänen keinen Finger rührte, nachdem er sie durch große Worte in<lb/>
ihrer Hartnäckigkeit bestärkt hatte, darüber konnten sich diese eigentlich nicht<lb/>
wundern. Denn derselbe Mann, der den Skandal wegen des spanischen Juden<lb/>
Pacifico durch die Tirnde zu rechtfertigen suchte, auch der geringste britische<lb/>
Unterthan müsse überall sich durch die Macht seines Landes geschützt wissen,<lb/>
hatte sich nicht um die im eristinischen Heere dienenden Engländer .ge¬<lb/>
kümmert, als sie von den Carlisten nicht als Soldaten anerkannt, sondern<lb/>
wie Banditen behandelt wurden, denn die Regierung habe wohl die Bildung<lb/>
einer englischen Fremdenlegion begünstigt, aber sie nicht selbst gebildet und<lb/>
nach Spanien geschickt, sei daher für deren Schicksal nicht verantwortlich. Daß<lb/>
es auch Gesichtspunkte giebt, unter denen sein Verhalten in der italienischen,<lb/>
der ungarischen, der polnischen und der dänischen Frage erfreulich scheinen kann,<lb/>
soll nicht bestritten werden. Ohne seine Treulosigkeit und weise Vorsicht wäre<lb/>
möglicherweise der italienische Einheitsstaat nicht zu Stande gekommen, dagegen<lb/>
Österreich zersprengt, ein ohnmächtiges Polen und Ungarn würden eine Stellung<lb/>
wie die Donaufürstentümer einnehmen und Schleswig dem dänischen Staat<lb/>
einverleibt sein. Und er wäre wohl der Mann gewesen, auch solche Ent¬<lb/>
schuldigungen für sich anzuführen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1341" next="#ID_1342"> Denn läßt sich eine größere Frivolität denken, als die Anwendung des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] Ein populärer Minister nicht einlassen dürfe, während Nußland die Völker befreie. Der Fall der ab¬ geschlagenen Vermittlung, deu Geffcken nur kurz berührt, ist aber so interessant und aller Wahrscheinlichkeit nach mit seinen Einzelheiten so wenigen noch in der Erinnerung, daß es sich verlohnt, diese ins Gedächtnis zurückzurufen. Österreich war damals erbötig, bis auf die Etschlinie zurückzugehen, der Lom¬ bardei, Parma und Modena die Vereinigung mit Piemont freizustellen und für Venedig eine Secundogenitur mit konstitutioneller Verfassung zu bilden. Piemont hatte sich mit der englischen Vermittlung einverstanden erklärt, Frank¬ reich sie gebilligt. Als aber Osterreich in der Lage war, den Frieden zu diktiren, hatte Palmerston den Humor, nun seinerseits die von ihm verworfenen Bedingungen in Vorschlag zu bringen! Seinen Liberalismus bewährte er auch gelegentlich durch unverschämte Äußerungen über regierende Häupter und durch Kokettiren, um nicht zu sagen Frnternisiren mit fremden Revolutionären, z. B. Kossuth und Genossen. Diesen war er allerdings eine billige Entschädigung schuldig. Als Öster¬ reich die Hilfe Rußlands gegen Ungarn angerufen hatte, wandte sich Ungarn mit Berufung auf einen Vertrag von 1711 an England; aber Palmerston hatte plötzlich entdeckt, daß die Erhaltung Österreichs als Großmacht für die politische Unabhängigkeit und Freiheit Europas notwendig sei. Damit kommen wir auf die — Ungezwungenheit, mit der er sich aus Handeln, die unbequem zu werdeu drohten, herauszuziehen und Verpflichtungen abzuschütteln verstand. Daß er die Sizilianer wie die Polen im Stiche ließ, für die Dänen keinen Finger rührte, nachdem er sie durch große Worte in ihrer Hartnäckigkeit bestärkt hatte, darüber konnten sich diese eigentlich nicht wundern. Denn derselbe Mann, der den Skandal wegen des spanischen Juden Pacifico durch die Tirnde zu rechtfertigen suchte, auch der geringste britische Unterthan müsse überall sich durch die Macht seines Landes geschützt wissen, hatte sich nicht um die im eristinischen Heere dienenden Engländer .ge¬ kümmert, als sie von den Carlisten nicht als Soldaten anerkannt, sondern wie Banditen behandelt wurden, denn die Regierung habe wohl die Bildung einer englischen Fremdenlegion begünstigt, aber sie nicht selbst gebildet und nach Spanien geschickt, sei daher für deren Schicksal nicht verantwortlich. Daß es auch Gesichtspunkte giebt, unter denen sein Verhalten in der italienischen, der ungarischen, der polnischen und der dänischen Frage erfreulich scheinen kann, soll nicht bestritten werden. Ohne seine Treulosigkeit und weise Vorsicht wäre möglicherweise der italienische Einheitsstaat nicht zu Stande gekommen, dagegen Österreich zersprengt, ein ohnmächtiges Polen und Ungarn würden eine Stellung wie die Donaufürstentümer einnehmen und Schleswig dem dänischen Staat einverleibt sein. Und er wäre wohl der Mann gewesen, auch solche Ent¬ schuldigungen für sich anzuführen! Denn läßt sich eine größere Frivolität denken, als die Anwendung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/412>, abgerufen am 29.06.2024.