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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Ein populärer Minister

Stellung der Katholiken that, benahm sich Palmerston höchst inkorrekt nach
deutsch-parlamentarischen Begriffen. Da er zur Opposition gehörte, hätte er
jede Gelegenheit benutzen müssen, um die Negierung zu schädigen, und wie
bequem war gerade jene Gelegenheit! Er konnte dem Minister mit dessen
eignen frühern Aussprüchen zu Leibe gehen und unterstützte ihn noch mit
einem Argumente, das unsre Entschiedenliberalen niemals gelten lassen: alle
Kämpfe in einer gesetzgebenden Versammlung hätten nur den Zweck, "sich
gegenseitig davon zu überzeugen, was recht sei." Dieses "gegenseitig" ist es
ja. was jene nicht anerkennen. Hier kam bei Palmerston jenes allen Deutschen
zu wünschende Nationalgefühl zur Geltung, das bei Ausbruch des Krimkrieges
dem in der Opposition stehenden Disraeli die Erklärung eingab, kein britischer
Feldherr an der Donau werde, wie einst Wellington in Spanien, die schmerzliche
Erfahrung machen, daß die Opposition daheim seine Anstrengungen verkenne
oder seine Fähigkeiten ins lächerliche ziehe.

Dies Gefühl hielt freilich nicht Stand, wenn die "öffentliche Meinung"
in andrer Richtung trieb. Das Toryministerium beobachtete die Neutralität
in dem Kampfe zwischen Dom Miguel und Donna Maria, und deswegen
mußte es angegriffen werden, denn Dom Miguel war verhaßt; und als
Minister mischte Palmerston sich denn auch ebenso in die portugiesischen wie
in die spanischen inneren Wirren, oder -- "er erhob sich über alle engen Vor-
urteile, um jenen Ländern die Segnungen verfassungsmäßiger Regierung zu
geben." Er hatte dann noch hinlänglich Gelegenheit, sich an den Anblick der
Spanien verschafften Segnungen zu erfreuen, ließ sich aber darob kein graues
Haar wachsen. Der Köder wurde ausgeworfen, so oft er ihm paßte, und der
Liberalismus, nicht nur in England, biß pünktlich darauf an; mußten doch
sogar Baierns "freie Institutionen" zur Rechtfertigung der Wahl des un¬
mündigen Prinzen Otto zum König von Griechenland herhalten -- 1832, in
der Zeit der Verurteilungen zur Abbitte vor dem Bilde des Königs Ludwig!
Darum unterließ er es auch, das spanische Ministerium zu unterstützen, das
nicht gesonnen war, sich der französischen Anmaßung in der Frage der Ver¬
mählung der Königin Jsabella zu fügen; denn dieses Ministerium gehörte
der konservativen Partei an, und Palmerston mußte es mit den Progressisten
halten. Darum hielt ihn der im Dezember 1847 dem Könige von Neapel
ausgedrückte "aufrichtige Wunsch," die alten Bande der Freundschaft zwischen
beiden Staaten zu erhalten und womöglich noch enger zu ziehen, nicht ab. im
Januar 1848 den Aufstand in Sizilien zu unterstützen und dem Herzog von
Genua im voraus die Anerkennung Englands als König von Sizilien zu
verheißen. Darum lehnte er die Vermittlung zwischen Österreich und Piemont
in demselben Jahre ab, denn Österreich hatte sie nachgesucht, und Osterreich,
Dom Miguel und den Sultan hatte Palmerston schon während des griechischen
Aufstandes für die größten Ungeheuer der Welt erklärt, mit denen man sich


Ein populärer Minister

Stellung der Katholiken that, benahm sich Palmerston höchst inkorrekt nach
deutsch-parlamentarischen Begriffen. Da er zur Opposition gehörte, hätte er
jede Gelegenheit benutzen müssen, um die Negierung zu schädigen, und wie
bequem war gerade jene Gelegenheit! Er konnte dem Minister mit dessen
eignen frühern Aussprüchen zu Leibe gehen und unterstützte ihn noch mit
einem Argumente, das unsre Entschiedenliberalen niemals gelten lassen: alle
Kämpfe in einer gesetzgebenden Versammlung hätten nur den Zweck, „sich
gegenseitig davon zu überzeugen, was recht sei." Dieses „gegenseitig" ist es
ja. was jene nicht anerkennen. Hier kam bei Palmerston jenes allen Deutschen
zu wünschende Nationalgefühl zur Geltung, das bei Ausbruch des Krimkrieges
dem in der Opposition stehenden Disraeli die Erklärung eingab, kein britischer
Feldherr an der Donau werde, wie einst Wellington in Spanien, die schmerzliche
Erfahrung machen, daß die Opposition daheim seine Anstrengungen verkenne
oder seine Fähigkeiten ins lächerliche ziehe.

Dies Gefühl hielt freilich nicht Stand, wenn die „öffentliche Meinung"
in andrer Richtung trieb. Das Toryministerium beobachtete die Neutralität
in dem Kampfe zwischen Dom Miguel und Donna Maria, und deswegen
mußte es angegriffen werden, denn Dom Miguel war verhaßt; und als
Minister mischte Palmerston sich denn auch ebenso in die portugiesischen wie
in die spanischen inneren Wirren, oder — „er erhob sich über alle engen Vor-
urteile, um jenen Ländern die Segnungen verfassungsmäßiger Regierung zu
geben." Er hatte dann noch hinlänglich Gelegenheit, sich an den Anblick der
Spanien verschafften Segnungen zu erfreuen, ließ sich aber darob kein graues
Haar wachsen. Der Köder wurde ausgeworfen, so oft er ihm paßte, und der
Liberalismus, nicht nur in England, biß pünktlich darauf an; mußten doch
sogar Baierns „freie Institutionen" zur Rechtfertigung der Wahl des un¬
mündigen Prinzen Otto zum König von Griechenland herhalten — 1832, in
der Zeit der Verurteilungen zur Abbitte vor dem Bilde des Königs Ludwig!
Darum unterließ er es auch, das spanische Ministerium zu unterstützen, das
nicht gesonnen war, sich der französischen Anmaßung in der Frage der Ver¬
mählung der Königin Jsabella zu fügen; denn dieses Ministerium gehörte
der konservativen Partei an, und Palmerston mußte es mit den Progressisten
halten. Darum hielt ihn der im Dezember 1847 dem Könige von Neapel
ausgedrückte „aufrichtige Wunsch," die alten Bande der Freundschaft zwischen
beiden Staaten zu erhalten und womöglich noch enger zu ziehen, nicht ab. im
Januar 1848 den Aufstand in Sizilien zu unterstützen und dem Herzog von
Genua im voraus die Anerkennung Englands als König von Sizilien zu
verheißen. Darum lehnte er die Vermittlung zwischen Österreich und Piemont
in demselben Jahre ab, denn Österreich hatte sie nachgesucht, und Osterreich,
Dom Miguel und den Sultan hatte Palmerston schon während des griechischen
Aufstandes für die größten Ungeheuer der Welt erklärt, mit denen man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/411>, abgerufen am 29.06.2024.