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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Am populärer Minister

Partei auch diesem zujubeln können, ohne ihren Grundsätzen etwas zu ver¬
geben.

Seit Palmerstons Tode ist nun bald ein Vierteljahrhundert verflossen.
Das Schicksal ersparte ihm den Schmerz, Zeuge der Einigung Deutschlands
und des Sturzes seines Freundes Napoleon zu werden, und die Welt hat ihn
sast vergessen. Nur in liberalen Encyklopädien wird ihm Treue bezeigt und
Freundschaft gehalten. Dem gegenüber lassen wir uns gern von einem Manne,
der gegen den Verdacht parteilicher Voreingenommenheit geschützt ist, das
wahre Bild des "populären Ministers" zeigen. Es ist F. H. Geffcken, der
im vergangenen Jahr eine Sammlung von Charakterstudien veröffentlicht hat.*)
Da erscheint neben einer umfangreicheren Arbeit, die bei Gelegenheit der Lon¬
doner Kolonialausstellung von 1886 die Entstehung und die gegenwärtige
Lage des "britischen Weltreiches" darlegt und den entschlossenen Bruch mit
der Politik des Friedens um jeden Preis und den Anschluß um das mittel¬
europäische Bündnis als die Bedingungen bezeichnet, von denen der Fort¬
bestand Englands als Großmacht abhänge, eine Reihe von Bildnissen hervor¬
ragender Persönlichkeiten unsrer Zeit: Prinz Albert, Disraeli, G laostone,
Nothomb, der Polyhistor Gras Circourt und dessen Gemahlin, die Königin
eines Salons im alten Sinne, endlich Palmerston. In den meisten Fällen
kann der Verfasser dabei eigne Wahrnehmungen im Umgange verwerten, was
seine Mitteilungen natürlich um so anziehender macht. Mit Palmerston scheint
er keine persönlichen Beziehungen gehabt zu haben, desto objektiver fällt sein
Urteil aus.

Schon in seiner ersten Rede im Parlament stellte der dreiundzwanzigjährige
Palmerston sein politisches Programm auf. Die Engländer hatten nicht nur
die dänische Flotte weggenommen, damit Napoleon sich ihrer nicht bedienen
könne, sondern auch Kopenhagen drei Tage lang bombardirt, zur Strafe, weil
Dänemark den Abschluß eines Bündnisses verweigert hatte. Palmerston fand,
daß England durch das Gebot der Selbsterhaltung dazu genötigt gewesen sei,
und erklärte sich gegen die Vorlegung der diplomatischen Aktenstücke über diesen
Fall, weil dergleichen unzeitige Enthüllungen eine wirksame auswärtige Politik
unmöglich machen würden. Dieser Satz kann den Freisinnigen eben so wenig
gefallen, wie sein entschiedenes Auftreten (1816) gegen den Gedanken eines
Parlamentsheeres. Ob etwa das Parlament anstatt der Krone die notwendige
Kontrolle über die Armee führen solle? fragte er, und setzte hinzu: "Wo je
Volksversammlungen versucht haben, einer Kriegsmacht zu befehlen, hat die
Sache damit geendigt, daß die Kriegsmacht ihnen befohlen hat." Auch als
Peel (1829) im Widerspruch mit seiner frühern Haltung Schritte zur Gleich-



*) Politische Federzeichnungen. Berlin, Allgemeiner Berein für Deutsche Lit¬
teratur. 1833.
Am populärer Minister

Partei auch diesem zujubeln können, ohne ihren Grundsätzen etwas zu ver¬
geben.

Seit Palmerstons Tode ist nun bald ein Vierteljahrhundert verflossen.
Das Schicksal ersparte ihm den Schmerz, Zeuge der Einigung Deutschlands
und des Sturzes seines Freundes Napoleon zu werden, und die Welt hat ihn
sast vergessen. Nur in liberalen Encyklopädien wird ihm Treue bezeigt und
Freundschaft gehalten. Dem gegenüber lassen wir uns gern von einem Manne,
der gegen den Verdacht parteilicher Voreingenommenheit geschützt ist, das
wahre Bild des „populären Ministers" zeigen. Es ist F. H. Geffcken, der
im vergangenen Jahr eine Sammlung von Charakterstudien veröffentlicht hat.*)
Da erscheint neben einer umfangreicheren Arbeit, die bei Gelegenheit der Lon¬
doner Kolonialausstellung von 1886 die Entstehung und die gegenwärtige
Lage des „britischen Weltreiches" darlegt und den entschlossenen Bruch mit
der Politik des Friedens um jeden Preis und den Anschluß um das mittel¬
europäische Bündnis als die Bedingungen bezeichnet, von denen der Fort¬
bestand Englands als Großmacht abhänge, eine Reihe von Bildnissen hervor¬
ragender Persönlichkeiten unsrer Zeit: Prinz Albert, Disraeli, G laostone,
Nothomb, der Polyhistor Gras Circourt und dessen Gemahlin, die Königin
eines Salons im alten Sinne, endlich Palmerston. In den meisten Fällen
kann der Verfasser dabei eigne Wahrnehmungen im Umgange verwerten, was
seine Mitteilungen natürlich um so anziehender macht. Mit Palmerston scheint
er keine persönlichen Beziehungen gehabt zu haben, desto objektiver fällt sein
Urteil aus.

Schon in seiner ersten Rede im Parlament stellte der dreiundzwanzigjährige
Palmerston sein politisches Programm auf. Die Engländer hatten nicht nur
die dänische Flotte weggenommen, damit Napoleon sich ihrer nicht bedienen
könne, sondern auch Kopenhagen drei Tage lang bombardirt, zur Strafe, weil
Dänemark den Abschluß eines Bündnisses verweigert hatte. Palmerston fand,
daß England durch das Gebot der Selbsterhaltung dazu genötigt gewesen sei,
und erklärte sich gegen die Vorlegung der diplomatischen Aktenstücke über diesen
Fall, weil dergleichen unzeitige Enthüllungen eine wirksame auswärtige Politik
unmöglich machen würden. Dieser Satz kann den Freisinnigen eben so wenig
gefallen, wie sein entschiedenes Auftreten (1816) gegen den Gedanken eines
Parlamentsheeres. Ob etwa das Parlament anstatt der Krone die notwendige
Kontrolle über die Armee führen solle? fragte er, und setzte hinzu: „Wo je
Volksversammlungen versucht haben, einer Kriegsmacht zu befehlen, hat die
Sache damit geendigt, daß die Kriegsmacht ihnen befohlen hat." Auch als
Peel (1829) im Widerspruch mit seiner frühern Haltung Schritte zur Gleich-



*) Politische Federzeichnungen. Berlin, Allgemeiner Berein für Deutsche Lit¬
teratur. 1833.
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[0410] Am populärer Minister Partei auch diesem zujubeln können, ohne ihren Grundsätzen etwas zu ver¬ geben. Seit Palmerstons Tode ist nun bald ein Vierteljahrhundert verflossen. Das Schicksal ersparte ihm den Schmerz, Zeuge der Einigung Deutschlands und des Sturzes seines Freundes Napoleon zu werden, und die Welt hat ihn sast vergessen. Nur in liberalen Encyklopädien wird ihm Treue bezeigt und Freundschaft gehalten. Dem gegenüber lassen wir uns gern von einem Manne, der gegen den Verdacht parteilicher Voreingenommenheit geschützt ist, das wahre Bild des „populären Ministers" zeigen. Es ist F. H. Geffcken, der im vergangenen Jahr eine Sammlung von Charakterstudien veröffentlicht hat.*) Da erscheint neben einer umfangreicheren Arbeit, die bei Gelegenheit der Lon¬ doner Kolonialausstellung von 1886 die Entstehung und die gegenwärtige Lage des „britischen Weltreiches" darlegt und den entschlossenen Bruch mit der Politik des Friedens um jeden Preis und den Anschluß um das mittel¬ europäische Bündnis als die Bedingungen bezeichnet, von denen der Fort¬ bestand Englands als Großmacht abhänge, eine Reihe von Bildnissen hervor¬ ragender Persönlichkeiten unsrer Zeit: Prinz Albert, Disraeli, G laostone, Nothomb, der Polyhistor Gras Circourt und dessen Gemahlin, die Königin eines Salons im alten Sinne, endlich Palmerston. In den meisten Fällen kann der Verfasser dabei eigne Wahrnehmungen im Umgange verwerten, was seine Mitteilungen natürlich um so anziehender macht. Mit Palmerston scheint er keine persönlichen Beziehungen gehabt zu haben, desto objektiver fällt sein Urteil aus. Schon in seiner ersten Rede im Parlament stellte der dreiundzwanzigjährige Palmerston sein politisches Programm auf. Die Engländer hatten nicht nur die dänische Flotte weggenommen, damit Napoleon sich ihrer nicht bedienen könne, sondern auch Kopenhagen drei Tage lang bombardirt, zur Strafe, weil Dänemark den Abschluß eines Bündnisses verweigert hatte. Palmerston fand, daß England durch das Gebot der Selbsterhaltung dazu genötigt gewesen sei, und erklärte sich gegen die Vorlegung der diplomatischen Aktenstücke über diesen Fall, weil dergleichen unzeitige Enthüllungen eine wirksame auswärtige Politik unmöglich machen würden. Dieser Satz kann den Freisinnigen eben so wenig gefallen, wie sein entschiedenes Auftreten (1816) gegen den Gedanken eines Parlamentsheeres. Ob etwa das Parlament anstatt der Krone die notwendige Kontrolle über die Armee führen solle? fragte er, und setzte hinzu: „Wo je Volksversammlungen versucht haben, einer Kriegsmacht zu befehlen, hat die Sache damit geendigt, daß die Kriegsmacht ihnen befohlen hat." Auch als Peel (1829) im Widerspruch mit seiner frühern Haltung Schritte zur Gleich- *) Politische Federzeichnungen. Berlin, Allgemeiner Berein für Deutsche Lit¬ teratur. 1833.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/410>, abgerufen am 28.09.2024.