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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Sie beobachten mit Trauer, daß Deutschland, das bei den Mächten so wohl
gelitten war, so lange es selbst keine Macht war, gelegentlich einen Grad von
Selbstgefühl an den Tag legt, der in andern Ländern unangenehm berühren
könnte. Wie gewisse nicht gerade die verständigsten -- Erzieher den
Kindern, predigen sie uns, doch immer darauf Rücksicht zu nehmen, was die
Leute zu unsrer Aufführung sagen, und bitten uns dringend, nur jn keine
Chauvinisten zu werden. Wohl hat es damit keine Gefahr, und das Reich
hat noch keinen Schritt gethan, der billigerweise so ausgelegt werden kann,
daß er in die natürlichen Lebensbedingungen oder das Selbstbestimmungsrecht
andrer Nationen störend eingreifen möchte. Aber, sagen die Herren, die andern
Völker sind nun einmal von einer vielleicht übertriebenen Empfindlichkeit, sie
wissen, daß sie selbst bei gleichen Machtmitteln nicht so gerecht und schonend
Verfahren würden, und deshalb trauen sie den friedlichen Absichten Deutsch¬
lands uicht. Nehmen wir auf diese Nervosität nicht Rücksicht, so fühlen sie
sich verletzt; auf diese Art gewinnen wir keine Freunde. Deshalb sollte
Deutschland es sich zur Regel machen, so oft ihm auf den Fuß getreten wird,
höflich um Entschuldigung zu bitten und an jeder offenen Thür mit einem
verbindlichen "Nach Ihnen!" bescheiden zurückzutreten.

Nun hat man daran erinnert, daß dieselbe Partei, welche den Knigge
für den Umgang mit Staaten bearbeitet hat, ehemals für denjenigen Minister
Englands schwärmte, der sich dnrch sein unaufhörliches Einmischen in fremde
Angelegenheiten den Beinamen Lord Feuerbrand erworben hatte. Aber da
lagen in der That die Dinge ganz anders. Palmerston war ein Ausländer
^ Positiv, ein Engländer -- Comparativ, und er schürte, hetzte, zettelte und
drohte stets nur "für die Freiheit" -- Superlativ. Diese drei Punkte würden
schon völlig genügen, um zu erklären, weshalb die festen Fortschrittsmänner,
wie man damals sagte, gerade ihn zu ihren: Liebling erkoren hatten. Die
Schule der .Höflichkeit gilt ja nur für Deutsche, denen ihr Dasein erst ver¬
ziehen werden muß; vollends ein Engländer und nun gar ein Lord darf sich
überhaupt alles erlauben, weil er gar nicht anders als edel sein kann, schon
sein Reichtum hebt ihn über die Schwächen andrer Erdenwürmer hinaus --
das steht ja feit den Romanen und Theaterstücken des vorigen Jahrhunderts
sest; und endlich muß ein jeder, der Sklavenketten brechen will, ein wenig
gewaltsam vorgehen, nnr so kann er Wohlthäter der Menschheit werden. Da¬
neben wäre noch zu beachten, daß Palmerston immer nur handelnd auftrat,
wenn er auf die Schwäche oder Unentschlossenheit des Gegners rechnen durfte,
also sein Land keiner ernstlichen Verwicklung aussetzte. Nach alledem mußten
die Freisinnigen in Palmerston ihr Ideal erblicken, und wenn aus seiner Schule
ein englischer Staatsmann hervorgehen sollte, der sich eben so anmaßlich, un¬
gezogen und ränkevoll benähme wie Old Pan (an dem guten Willen gebräche
es Gladstone uicht, nur an der rechten Konsequenz), so würde die genannte


Grenzboten I 1889 51

Sie beobachten mit Trauer, daß Deutschland, das bei den Mächten so wohl
gelitten war, so lange es selbst keine Macht war, gelegentlich einen Grad von
Selbstgefühl an den Tag legt, der in andern Ländern unangenehm berühren
könnte. Wie gewisse nicht gerade die verständigsten — Erzieher den
Kindern, predigen sie uns, doch immer darauf Rücksicht zu nehmen, was die
Leute zu unsrer Aufführung sagen, und bitten uns dringend, nur jn keine
Chauvinisten zu werden. Wohl hat es damit keine Gefahr, und das Reich
hat noch keinen Schritt gethan, der billigerweise so ausgelegt werden kann,
daß er in die natürlichen Lebensbedingungen oder das Selbstbestimmungsrecht
andrer Nationen störend eingreifen möchte. Aber, sagen die Herren, die andern
Völker sind nun einmal von einer vielleicht übertriebenen Empfindlichkeit, sie
wissen, daß sie selbst bei gleichen Machtmitteln nicht so gerecht und schonend
Verfahren würden, und deshalb trauen sie den friedlichen Absichten Deutsch¬
lands uicht. Nehmen wir auf diese Nervosität nicht Rücksicht, so fühlen sie
sich verletzt; auf diese Art gewinnen wir keine Freunde. Deshalb sollte
Deutschland es sich zur Regel machen, so oft ihm auf den Fuß getreten wird,
höflich um Entschuldigung zu bitten und an jeder offenen Thür mit einem
verbindlichen „Nach Ihnen!" bescheiden zurückzutreten.

Nun hat man daran erinnert, daß dieselbe Partei, welche den Knigge
für den Umgang mit Staaten bearbeitet hat, ehemals für denjenigen Minister
Englands schwärmte, der sich dnrch sein unaufhörliches Einmischen in fremde
Angelegenheiten den Beinamen Lord Feuerbrand erworben hatte. Aber da
lagen in der That die Dinge ganz anders. Palmerston war ein Ausländer
^ Positiv, ein Engländer — Comparativ, und er schürte, hetzte, zettelte und
drohte stets nur „für die Freiheit" — Superlativ. Diese drei Punkte würden
schon völlig genügen, um zu erklären, weshalb die festen Fortschrittsmänner,
wie man damals sagte, gerade ihn zu ihren: Liebling erkoren hatten. Die
Schule der .Höflichkeit gilt ja nur für Deutsche, denen ihr Dasein erst ver¬
ziehen werden muß; vollends ein Engländer und nun gar ein Lord darf sich
überhaupt alles erlauben, weil er gar nicht anders als edel sein kann, schon
sein Reichtum hebt ihn über die Schwächen andrer Erdenwürmer hinaus —
das steht ja feit den Romanen und Theaterstücken des vorigen Jahrhunderts
sest; und endlich muß ein jeder, der Sklavenketten brechen will, ein wenig
gewaltsam vorgehen, nnr so kann er Wohlthäter der Menschheit werden. Da¬
neben wäre noch zu beachten, daß Palmerston immer nur handelnd auftrat,
wenn er auf die Schwäche oder Unentschlossenheit des Gegners rechnen durfte,
also sein Land keiner ernstlichen Verwicklung aussetzte. Nach alledem mußten
die Freisinnigen in Palmerston ihr Ideal erblicken, und wenn aus seiner Schule
ein englischer Staatsmann hervorgehen sollte, der sich eben so anmaßlich, un¬
gezogen und ränkevoll benähme wie Old Pan (an dem guten Willen gebräche
es Gladstone uicht, nur an der rechten Konsequenz), so würde die genannte


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[0409] Sie beobachten mit Trauer, daß Deutschland, das bei den Mächten so wohl gelitten war, so lange es selbst keine Macht war, gelegentlich einen Grad von Selbstgefühl an den Tag legt, der in andern Ländern unangenehm berühren könnte. Wie gewisse nicht gerade die verständigsten — Erzieher den Kindern, predigen sie uns, doch immer darauf Rücksicht zu nehmen, was die Leute zu unsrer Aufführung sagen, und bitten uns dringend, nur jn keine Chauvinisten zu werden. Wohl hat es damit keine Gefahr, und das Reich hat noch keinen Schritt gethan, der billigerweise so ausgelegt werden kann, daß er in die natürlichen Lebensbedingungen oder das Selbstbestimmungsrecht andrer Nationen störend eingreifen möchte. Aber, sagen die Herren, die andern Völker sind nun einmal von einer vielleicht übertriebenen Empfindlichkeit, sie wissen, daß sie selbst bei gleichen Machtmitteln nicht so gerecht und schonend Verfahren würden, und deshalb trauen sie den friedlichen Absichten Deutsch¬ lands uicht. Nehmen wir auf diese Nervosität nicht Rücksicht, so fühlen sie sich verletzt; auf diese Art gewinnen wir keine Freunde. Deshalb sollte Deutschland es sich zur Regel machen, so oft ihm auf den Fuß getreten wird, höflich um Entschuldigung zu bitten und an jeder offenen Thür mit einem verbindlichen „Nach Ihnen!" bescheiden zurückzutreten. Nun hat man daran erinnert, daß dieselbe Partei, welche den Knigge für den Umgang mit Staaten bearbeitet hat, ehemals für denjenigen Minister Englands schwärmte, der sich dnrch sein unaufhörliches Einmischen in fremde Angelegenheiten den Beinamen Lord Feuerbrand erworben hatte. Aber da lagen in der That die Dinge ganz anders. Palmerston war ein Ausländer ^ Positiv, ein Engländer — Comparativ, und er schürte, hetzte, zettelte und drohte stets nur „für die Freiheit" — Superlativ. Diese drei Punkte würden schon völlig genügen, um zu erklären, weshalb die festen Fortschrittsmänner, wie man damals sagte, gerade ihn zu ihren: Liebling erkoren hatten. Die Schule der .Höflichkeit gilt ja nur für Deutsche, denen ihr Dasein erst ver¬ ziehen werden muß; vollends ein Engländer und nun gar ein Lord darf sich überhaupt alles erlauben, weil er gar nicht anders als edel sein kann, schon sein Reichtum hebt ihn über die Schwächen andrer Erdenwürmer hinaus — das steht ja feit den Romanen und Theaterstücken des vorigen Jahrhunderts sest; und endlich muß ein jeder, der Sklavenketten brechen will, ein wenig gewaltsam vorgehen, nnr so kann er Wohlthäter der Menschheit werden. Da¬ neben wäre noch zu beachten, daß Palmerston immer nur handelnd auftrat, wenn er auf die Schwäche oder Unentschlossenheit des Gegners rechnen durfte, also sein Land keiner ernstlichen Verwicklung aussetzte. Nach alledem mußten die Freisinnigen in Palmerston ihr Ideal erblicken, und wenn aus seiner Schule ein englischer Staatsmann hervorgehen sollte, der sich eben so anmaßlich, un¬ gezogen und ränkevoll benähme wie Old Pan (an dem guten Willen gebräche es Gladstone uicht, nur an der rechten Konsequenz), so würde die genannte Grenzboten I 1889 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/409>, abgerufen am 28.09.2024.