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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die jüngste Schule

Verlangt denn jemand von ihnen, daß sie Romane für Backfische schreiben oder
antikisirende Dramen? Ähnelt die Gegenwart der Zeit, die der feurigen Jugend
Deutschlands kein Ideal zeigte, und ihrem Thätigkeitsdrange kaum ein andres
Feld gewährte, als das der Dichtung?

Nein, es ist nicht Zufall, daß diese Gesellschaft durch deu gewühlten Partei¬
namen an eine uns der Zeit nach viel näher stehende Gruppe erinnert, und
daß Wolff ihr dasselbe vorhält, wodurch Gervinus sich den unauslöschlichen
Haß jener Früheren zuzog: "Sie wollen nichts werden; sie wollen jeder gleich
etwas sein. Sie meinen es alle hübsch und gut, aber sie wollen nichts lernen."
Auch das erste "junge Deutschland", der ins Doktrinäre übersetzte Sturm und
Drang, trat mit schmetternden Fanfaren auf, kündigte auch dem Klassizismus
Krieg bis aufs Messer an, und -- "wo is et bleweu?" würde Pastor
Sackmann fragen. Alle die Revolutionäre fanden sich sehr schnell mit der von
ihnen vervehmten Gesellschaftsordnung ab, wurden gute, ruhige Bürger und
setzten zahllose Bücher in die Welt, von denen sie nicht überlebt worden sind.
Nicht als Zertrümmerer der alten verrotteten Zustände, nicht als Herold der
"Poesie des Fleisches" kommt Laube auf die Nachwelt, sondern als Theater¬
direktor, Selbstüberschätzung brachte Gutzkow zum Wahnsinn, und als der Er¬
finder des Pnrteinameus, Wienbarg, starb, konnte man sich kaum noch auf
seine litterarische Persönlichkeit besinnen.

Die Jüngsten sollen sämtlich noch sehr jung sein, haben mithin noch Zeit
vor sich, um durch Leistungen von Wert ihre Kapriolen in Vergessenheit zu
bringen. Aber schwerlich wird ihnen das gelingen, wenn sie nach dem Willen
Wolffs sich mit der Absicht an die Arbeit machen, "die mechanischen Errungen¬
schaften zu geistigen Gütern umzuwerten, aus dein neuen Leben die neue Idee
zu abstrahiren", "unsern Geist mit der in neuer Macht offenbarten Natur zu
versöhnen", oder, wie es Bölsche zu wünschen scheint, den Hnckelismus in
Poetische Formen zu bringen. Welche eigentümlichen Vorstellungen doch manche
Ästhetiker von dem Prozeß des Dichtens haben!

Schließlich noch eine Bemerkung. Die Wortführer der "Moderne" be¬
klagen "den Mangel an litterarischem Interesse des Reiches und des Reichs¬
kanzlers" (wörtlich!), und in der besprochenen Schrift wird einmal der bestimmte
Äorwurf erhoben: "Und diesen Dichter läßt Deutschland darben!" Da ist wohl
die Frage erlaubt, was das Reich und der Reichskanzler thun sollen? In dem
Augenblicke, wo die Überzeugung immer allgemeiner wird, daß die Kunstakademien
M ihrer heutigen Gestalt vom Übel sind, etwa eine Poesieakademie gründen?
Tugendpreisc aussetzen für Verbreiter des in Reime gebrachten Pessimismus?
T'u Gegensatze zur Altersversorgung junge Dichter ans Regimentsunkosten ver¬
sorgen? Oder soll der deutsche Staatsbürger gesetzlich gezwungen werden, die
Publikationen des jüngsten Deutschlands zu kaufen? Daß den Gebildeten in
Deutschland mehr ernster Anteil an den Erzeugnissen der zeitgenössischen Litte-


Grenzbowi I 1889 5
Die jüngste Schule

Verlangt denn jemand von ihnen, daß sie Romane für Backfische schreiben oder
antikisirende Dramen? Ähnelt die Gegenwart der Zeit, die der feurigen Jugend
Deutschlands kein Ideal zeigte, und ihrem Thätigkeitsdrange kaum ein andres
Feld gewährte, als das der Dichtung?

Nein, es ist nicht Zufall, daß diese Gesellschaft durch deu gewühlten Partei¬
namen an eine uns der Zeit nach viel näher stehende Gruppe erinnert, und
daß Wolff ihr dasselbe vorhält, wodurch Gervinus sich den unauslöschlichen
Haß jener Früheren zuzog: „Sie wollen nichts werden; sie wollen jeder gleich
etwas sein. Sie meinen es alle hübsch und gut, aber sie wollen nichts lernen."
Auch das erste „junge Deutschland", der ins Doktrinäre übersetzte Sturm und
Drang, trat mit schmetternden Fanfaren auf, kündigte auch dem Klassizismus
Krieg bis aufs Messer an, und — „wo is et bleweu?" würde Pastor
Sackmann fragen. Alle die Revolutionäre fanden sich sehr schnell mit der von
ihnen vervehmten Gesellschaftsordnung ab, wurden gute, ruhige Bürger und
setzten zahllose Bücher in die Welt, von denen sie nicht überlebt worden sind.
Nicht als Zertrümmerer der alten verrotteten Zustände, nicht als Herold der
„Poesie des Fleisches" kommt Laube auf die Nachwelt, sondern als Theater¬
direktor, Selbstüberschätzung brachte Gutzkow zum Wahnsinn, und als der Er¬
finder des Pnrteinameus, Wienbarg, starb, konnte man sich kaum noch auf
seine litterarische Persönlichkeit besinnen.

Die Jüngsten sollen sämtlich noch sehr jung sein, haben mithin noch Zeit
vor sich, um durch Leistungen von Wert ihre Kapriolen in Vergessenheit zu
bringen. Aber schwerlich wird ihnen das gelingen, wenn sie nach dem Willen
Wolffs sich mit der Absicht an die Arbeit machen, „die mechanischen Errungen¬
schaften zu geistigen Gütern umzuwerten, aus dein neuen Leben die neue Idee
zu abstrahiren", „unsern Geist mit der in neuer Macht offenbarten Natur zu
versöhnen", oder, wie es Bölsche zu wünschen scheint, den Hnckelismus in
Poetische Formen zu bringen. Welche eigentümlichen Vorstellungen doch manche
Ästhetiker von dem Prozeß des Dichtens haben!

Schließlich noch eine Bemerkung. Die Wortführer der „Moderne" be¬
klagen „den Mangel an litterarischem Interesse des Reiches und des Reichs¬
kanzlers" (wörtlich!), und in der besprochenen Schrift wird einmal der bestimmte
Äorwurf erhoben: „Und diesen Dichter läßt Deutschland darben!" Da ist wohl
die Frage erlaubt, was das Reich und der Reichskanzler thun sollen? In dem
Augenblicke, wo die Überzeugung immer allgemeiner wird, daß die Kunstakademien
M ihrer heutigen Gestalt vom Übel sind, etwa eine Poesieakademie gründen?
Tugendpreisc aussetzen für Verbreiter des in Reime gebrachten Pessimismus?
T'u Gegensatze zur Altersversorgung junge Dichter ans Regimentsunkosten ver¬
sorgen? Oder soll der deutsche Staatsbürger gesetzlich gezwungen werden, die
Publikationen des jüngsten Deutschlands zu kaufen? Daß den Gebildeten in
Deutschland mehr ernster Anteil an den Erzeugnissen der zeitgenössischen Litte-


Grenzbowi I 1889 5
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[0041] Die jüngste Schule Verlangt denn jemand von ihnen, daß sie Romane für Backfische schreiben oder antikisirende Dramen? Ähnelt die Gegenwart der Zeit, die der feurigen Jugend Deutschlands kein Ideal zeigte, und ihrem Thätigkeitsdrange kaum ein andres Feld gewährte, als das der Dichtung? Nein, es ist nicht Zufall, daß diese Gesellschaft durch deu gewühlten Partei¬ namen an eine uns der Zeit nach viel näher stehende Gruppe erinnert, und daß Wolff ihr dasselbe vorhält, wodurch Gervinus sich den unauslöschlichen Haß jener Früheren zuzog: „Sie wollen nichts werden; sie wollen jeder gleich etwas sein. Sie meinen es alle hübsch und gut, aber sie wollen nichts lernen." Auch das erste „junge Deutschland", der ins Doktrinäre übersetzte Sturm und Drang, trat mit schmetternden Fanfaren auf, kündigte auch dem Klassizismus Krieg bis aufs Messer an, und — „wo is et bleweu?" würde Pastor Sackmann fragen. Alle die Revolutionäre fanden sich sehr schnell mit der von ihnen vervehmten Gesellschaftsordnung ab, wurden gute, ruhige Bürger und setzten zahllose Bücher in die Welt, von denen sie nicht überlebt worden sind. Nicht als Zertrümmerer der alten verrotteten Zustände, nicht als Herold der „Poesie des Fleisches" kommt Laube auf die Nachwelt, sondern als Theater¬ direktor, Selbstüberschätzung brachte Gutzkow zum Wahnsinn, und als der Er¬ finder des Pnrteinameus, Wienbarg, starb, konnte man sich kaum noch auf seine litterarische Persönlichkeit besinnen. Die Jüngsten sollen sämtlich noch sehr jung sein, haben mithin noch Zeit vor sich, um durch Leistungen von Wert ihre Kapriolen in Vergessenheit zu bringen. Aber schwerlich wird ihnen das gelingen, wenn sie nach dem Willen Wolffs sich mit der Absicht an die Arbeit machen, „die mechanischen Errungen¬ schaften zu geistigen Gütern umzuwerten, aus dein neuen Leben die neue Idee zu abstrahiren", „unsern Geist mit der in neuer Macht offenbarten Natur zu versöhnen", oder, wie es Bölsche zu wünschen scheint, den Hnckelismus in Poetische Formen zu bringen. Welche eigentümlichen Vorstellungen doch manche Ästhetiker von dem Prozeß des Dichtens haben! Schließlich noch eine Bemerkung. Die Wortführer der „Moderne" be¬ klagen „den Mangel an litterarischem Interesse des Reiches und des Reichs¬ kanzlers" (wörtlich!), und in der besprochenen Schrift wird einmal der bestimmte Äorwurf erhoben: „Und diesen Dichter läßt Deutschland darben!" Da ist wohl die Frage erlaubt, was das Reich und der Reichskanzler thun sollen? In dem Augenblicke, wo die Überzeugung immer allgemeiner wird, daß die Kunstakademien M ihrer heutigen Gestalt vom Übel sind, etwa eine Poesieakademie gründen? Tugendpreisc aussetzen für Verbreiter des in Reime gebrachten Pessimismus? T'u Gegensatze zur Altersversorgung junge Dichter ans Regimentsunkosten ver¬ sorgen? Oder soll der deutsche Staatsbürger gesetzlich gezwungen werden, die Publikationen des jüngsten Deutschlands zu kaufen? Daß den Gebildeten in Deutschland mehr ernster Anteil an den Erzeugnissen der zeitgenössischen Litte- Grenzbowi I 1889 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/41>, abgerufen am 28.09.2024.