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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Richts letztes Novellenbuch

ratur zu wünschen wäre, steht fest, aber nicht minder, daß auch die ungeheure
Überproduktion an dem ungünstigen Verhältnis zwischen Bücherverlag und
Bücherverkauf schuld ist. Und eine Fruchtbarkeit, wie sie diese litterarische
Jugend bekundet, wird das Verhältnis nicht bessern.




Richis letztes Novellenbuch

tiefes Buch beschließt den Cyclus meiner "Fünfzig Novellen", die,
in sieben Bänden nach und nach veröffentlicht, ein Ganzes bilde"!,
an welchem ich zweiundvierzig Jahre lang gearbeitet habe." Mit
dieser einfachen Ankündigung leitet H. W. Riehl, der alte, jung-
I gebliebene Kulturhistoriker und Erzähler, den neuesten und, wenn
wir den Verfasser beim Wort nehmen wollen, letzten Band der prächtigen Ge¬
schichten ein, mit denen er einen Gang durch "tausend Jahre der deutschen
Kulturgeschichte" und hie und da über die deutsche Kulturgeschichte hinaus
gemacht hat. Weder wir, noch das Publikum, werden ihn beim Worte nehmen,
wenn er die fünfzig Novellen nicht nur in ein Buch sammeln, sondern sie
zu fünfzig und einigen vermehren wollte. Es liegt also nur am Erzähler selbst,
ob er sich streng auf das Gegebene beschränken, und ob der heute vorliegende
Band Lebensrätsel*) nicht bloß für jetzt die neueste Sammlung Niehlscher
Novellen sein, sondern in der That die letzte bleiben soll. Die besten No¬
vellen des Verfassers sind längst mit allgemeiner Zustimmung dein Schatz
unsrer bleibenden Litteratur eingereiht worden, und die sprudelnde Fülle der
Erfindung, die in allen fünfzig waltet, erfrischt uns auch bei den neuesten,
die sich "Damals wie heute", "(Zracws "ä karnassum", "Fürst und Kanzler",
"Am Quell der Genesung", "Die Gerechtigkeit Gottes" nennen.

Riehl nimmt bekanntlich in der modernen deutschen Novellistik eine Sonder¬
stellung nicht nur durch die Vortrefflichkeit seiner Leistungen, sondern auch durch
die besondre Richtung und Haltung seiner Geschichten ein. ,,Jn einer Geschichte
soll vor allen Dingen etwas geschehen; der Gang der Handlung, die Er¬
findung ist die Hauptsache. Eine Geschichte soll gut erzählt werden; der gute
Erzähler aber ist knapp in seinem Vortrage, er bleibt bei der Stange und
schweift nicht aus in Betrachtungen und Malereien, er regt Stimmungen und
Gedanken an und überläßt es den, Zuhörer, sich seine weitern Stimmungen



*) Lebensrätsel. Fünf Novellen von W. H. Riehl. Stuttgart, Cott", 1LL8,
Richts letztes Novellenbuch

ratur zu wünschen wäre, steht fest, aber nicht minder, daß auch die ungeheure
Überproduktion an dem ungünstigen Verhältnis zwischen Bücherverlag und
Bücherverkauf schuld ist. Und eine Fruchtbarkeit, wie sie diese litterarische
Jugend bekundet, wird das Verhältnis nicht bessern.




Richis letztes Novellenbuch

tiefes Buch beschließt den Cyclus meiner „Fünfzig Novellen", die,
in sieben Bänden nach und nach veröffentlicht, ein Ganzes bilde»!,
an welchem ich zweiundvierzig Jahre lang gearbeitet habe." Mit
dieser einfachen Ankündigung leitet H. W. Riehl, der alte, jung-
I gebliebene Kulturhistoriker und Erzähler, den neuesten und, wenn
wir den Verfasser beim Wort nehmen wollen, letzten Band der prächtigen Ge¬
schichten ein, mit denen er einen Gang durch „tausend Jahre der deutschen
Kulturgeschichte" und hie und da über die deutsche Kulturgeschichte hinaus
gemacht hat. Weder wir, noch das Publikum, werden ihn beim Worte nehmen,
wenn er die fünfzig Novellen nicht nur in ein Buch sammeln, sondern sie
zu fünfzig und einigen vermehren wollte. Es liegt also nur am Erzähler selbst,
ob er sich streng auf das Gegebene beschränken, und ob der heute vorliegende
Band Lebensrätsel*) nicht bloß für jetzt die neueste Sammlung Niehlscher
Novellen sein, sondern in der That die letzte bleiben soll. Die besten No¬
vellen des Verfassers sind längst mit allgemeiner Zustimmung dein Schatz
unsrer bleibenden Litteratur eingereiht worden, und die sprudelnde Fülle der
Erfindung, die in allen fünfzig waltet, erfrischt uns auch bei den neuesten,
die sich „Damals wie heute", „(Zracws »ä karnassum", „Fürst und Kanzler",
„Am Quell der Genesung", „Die Gerechtigkeit Gottes" nennen.

Riehl nimmt bekanntlich in der modernen deutschen Novellistik eine Sonder¬
stellung nicht nur durch die Vortrefflichkeit seiner Leistungen, sondern auch durch
die besondre Richtung und Haltung seiner Geschichten ein. ,,Jn einer Geschichte
soll vor allen Dingen etwas geschehen; der Gang der Handlung, die Er¬
findung ist die Hauptsache. Eine Geschichte soll gut erzählt werden; der gute
Erzähler aber ist knapp in seinem Vortrage, er bleibt bei der Stange und
schweift nicht aus in Betrachtungen und Malereien, er regt Stimmungen und
Gedanken an und überläßt es den, Zuhörer, sich seine weitern Stimmungen



*) Lebensrätsel. Fünf Novellen von W. H. Riehl. Stuttgart, Cott«, 1LL8,
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[0042] Richts letztes Novellenbuch ratur zu wünschen wäre, steht fest, aber nicht minder, daß auch die ungeheure Überproduktion an dem ungünstigen Verhältnis zwischen Bücherverlag und Bücherverkauf schuld ist. Und eine Fruchtbarkeit, wie sie diese litterarische Jugend bekundet, wird das Verhältnis nicht bessern. Richis letztes Novellenbuch tiefes Buch beschließt den Cyclus meiner „Fünfzig Novellen", die, in sieben Bänden nach und nach veröffentlicht, ein Ganzes bilde»!, an welchem ich zweiundvierzig Jahre lang gearbeitet habe." Mit dieser einfachen Ankündigung leitet H. W. Riehl, der alte, jung- I gebliebene Kulturhistoriker und Erzähler, den neuesten und, wenn wir den Verfasser beim Wort nehmen wollen, letzten Band der prächtigen Ge¬ schichten ein, mit denen er einen Gang durch „tausend Jahre der deutschen Kulturgeschichte" und hie und da über die deutsche Kulturgeschichte hinaus gemacht hat. Weder wir, noch das Publikum, werden ihn beim Worte nehmen, wenn er die fünfzig Novellen nicht nur in ein Buch sammeln, sondern sie zu fünfzig und einigen vermehren wollte. Es liegt also nur am Erzähler selbst, ob er sich streng auf das Gegebene beschränken, und ob der heute vorliegende Band Lebensrätsel*) nicht bloß für jetzt die neueste Sammlung Niehlscher Novellen sein, sondern in der That die letzte bleiben soll. Die besten No¬ vellen des Verfassers sind längst mit allgemeiner Zustimmung dein Schatz unsrer bleibenden Litteratur eingereiht worden, und die sprudelnde Fülle der Erfindung, die in allen fünfzig waltet, erfrischt uns auch bei den neuesten, die sich „Damals wie heute", „(Zracws »ä karnassum", „Fürst und Kanzler", „Am Quell der Genesung", „Die Gerechtigkeit Gottes" nennen. Riehl nimmt bekanntlich in der modernen deutschen Novellistik eine Sonder¬ stellung nicht nur durch die Vortrefflichkeit seiner Leistungen, sondern auch durch die besondre Richtung und Haltung seiner Geschichten ein. ,,Jn einer Geschichte soll vor allen Dingen etwas geschehen; der Gang der Handlung, die Er¬ findung ist die Hauptsache. Eine Geschichte soll gut erzählt werden; der gute Erzähler aber ist knapp in seinem Vortrage, er bleibt bei der Stange und schweift nicht aus in Betrachtungen und Malereien, er regt Stimmungen und Gedanken an und überläßt es den, Zuhörer, sich seine weitern Stimmungen *) Lebensrätsel. Fünf Novellen von W. H. Riehl. Stuttgart, Cott«, 1LL8,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/42>, abgerufen am 29.06.2024.