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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die jüngste Schule

von Theaterdichtern niederen Ranges? Und um gar die "Emanzipation des
Fleisches," die Verherrlichung käuflicher Weiber, die Mätressentragödien, die
Geschichten von der Wehrlosigkeit des sinnlichen Mannes gegenüber der herz¬
losen Kokette u. s. w. ^ das sollen neue Themen sein? Wolff selbst neun
eS "nicht mehr ganz neu," daß ein Weib, um den geliebten Mann zu retten,
sich einem Machthaber preisgiebt, und bei der Standrede einer Buhlerin gegen
die Verführer fallt ihm die Grafin Orsina ein. Aber er keimt doch Manon
Leseault und ihre zahllosen Nachfolgerinnen? Er kennt Ardinghello und Lucinde
und Laubes Jugendwerke und Grisebach und - wo wäre ein Ende zu finden!
Er kennt wahrscheinlich mich "Roderick Hudson" von dem jünger" James, und
sollte ihm das Buch entgangen sein, so sei es ihm empfohlen, es würde ihm
vermutlich etwas mehr Genuß bieten, als die Romane seiner Schützlinge. Und
da schon Ausländer genannt werden, mag auch Wetterbergh erwähnt sein, der,
ohne der jüngsten Generation anzugehören und ohne mit Programmen auf¬
zutreten, soziale Probleme ganz realistisch behandelt hat.

Nach alledenn was bleibt der Schule Originelles selbst in der Schilderung
eines Mannes, der den beste" Willen hat, Großes um ihr zu entdecken, der
einen neuen Schiller ernennt und nur schüchterne Bemerkungen gegen das
Gefasel eines Herrn Bölsche wagt, dem durch die Abfertigung in dem Schriftchen
"Was dunkel euch um Heine?" entschiede" zu viel Ehre erwiesen worden ist?
Woran erkennen wir "die neue Poesie, welcher Arno Holz ein donnerndes
Wiegenlied (!) gesungen hat"? An "sonderbarer Renommage mit der Sünde
und daneben greisenhaftem Kvkettire" mit Sinnenrnffinement und Weltüber-
drnß", an einem "widerlichen Gemisch von Gemeinheit, Geschmacklosigkeit und
Talentlosigkeit", an "phrasenhaftein Pathos", "im Schmutze verkommendem
Schmutze" - gesegnete Mahlzeit!

Welche Berechtigung heutzutage ein neuer "Sturm und Drang" habe,
das hat der Erfinder dieses Schlagwortes, Klinger, im voraus beantwortet,
indem er die Auflehnung gegen die französische Form rechtfertigt. "Also wäre
das wilde Thun bisher doch nichts anders, als eine Form zu suchen, die uns
besage! Machten wir eine Nation aus, so hätten wir die Form gewiß vor¬
gefunden, denn es läßt sich wohl mit Gewißheit sagen, daß in diesem Falle
die Wissenschaften bei uns mit unsern Nachbarn gleich fortgegangen wären . . .
Genug, die einfachste Form ist gewiß die beste; aber mich deucht, der Deutsche
möchte mehr Leben, Handlung und That sehen, als schallende Deklamation
hören. El" solches Stück ist um freilich schwerer zu schreiben, als zehn wilde
Phantasien, wo der unerfahrene Autor alles aus sich selbst nimmt, und dies
vermehrt ihre Menge." Aber noch leichter ist es, Manifeste gegen eingebildete
Gewalten zu erlassen und immer aufs neue anzukündigen, daß man nächstens
etwas thun werde. Wer oder was hindert die Jüngsten, durch unsterbliche
Werke alles zu verdunkeln, was vor ihnen gesungen und gesagt worden ist?


Die jüngste Schule

von Theaterdichtern niederen Ranges? Und um gar die „Emanzipation des
Fleisches," die Verherrlichung käuflicher Weiber, die Mätressentragödien, die
Geschichten von der Wehrlosigkeit des sinnlichen Mannes gegenüber der herz¬
losen Kokette u. s. w. ^ das sollen neue Themen sein? Wolff selbst neun
eS „nicht mehr ganz neu," daß ein Weib, um den geliebten Mann zu retten,
sich einem Machthaber preisgiebt, und bei der Standrede einer Buhlerin gegen
die Verführer fallt ihm die Grafin Orsina ein. Aber er keimt doch Manon
Leseault und ihre zahllosen Nachfolgerinnen? Er kennt Ardinghello und Lucinde
und Laubes Jugendwerke und Grisebach und - wo wäre ein Ende zu finden!
Er kennt wahrscheinlich mich „Roderick Hudson" von dem jünger» James, und
sollte ihm das Buch entgangen sein, so sei es ihm empfohlen, es würde ihm
vermutlich etwas mehr Genuß bieten, als die Romane seiner Schützlinge. Und
da schon Ausländer genannt werden, mag auch Wetterbergh erwähnt sein, der,
ohne der jüngsten Generation anzugehören und ohne mit Programmen auf¬
zutreten, soziale Probleme ganz realistisch behandelt hat.

Nach alledenn was bleibt der Schule Originelles selbst in der Schilderung
eines Mannes, der den beste» Willen hat, Großes um ihr zu entdecken, der
einen neuen Schiller ernennt und nur schüchterne Bemerkungen gegen das
Gefasel eines Herrn Bölsche wagt, dem durch die Abfertigung in dem Schriftchen
„Was dunkel euch um Heine?" entschiede» zu viel Ehre erwiesen worden ist?
Woran erkennen wir „die neue Poesie, welcher Arno Holz ein donnerndes
Wiegenlied (!) gesungen hat"? An „sonderbarer Renommage mit der Sünde
und daneben greisenhaftem Kvkettire» mit Sinnenrnffinement und Weltüber-
drnß", an einem „widerlichen Gemisch von Gemeinheit, Geschmacklosigkeit und
Talentlosigkeit", an „phrasenhaftein Pathos", „im Schmutze verkommendem
Schmutze" - gesegnete Mahlzeit!

Welche Berechtigung heutzutage ein neuer „Sturm und Drang" habe,
das hat der Erfinder dieses Schlagwortes, Klinger, im voraus beantwortet,
indem er die Auflehnung gegen die französische Form rechtfertigt. „Also wäre
das wilde Thun bisher doch nichts anders, als eine Form zu suchen, die uns
besage! Machten wir eine Nation aus, so hätten wir die Form gewiß vor¬
gefunden, denn es läßt sich wohl mit Gewißheit sagen, daß in diesem Falle
die Wissenschaften bei uns mit unsern Nachbarn gleich fortgegangen wären . . .
Genug, die einfachste Form ist gewiß die beste; aber mich deucht, der Deutsche
möchte mehr Leben, Handlung und That sehen, als schallende Deklamation
hören. El» solches Stück ist um freilich schwerer zu schreiben, als zehn wilde
Phantasien, wo der unerfahrene Autor alles aus sich selbst nimmt, und dies
vermehrt ihre Menge." Aber noch leichter ist es, Manifeste gegen eingebildete
Gewalten zu erlassen und immer aufs neue anzukündigen, daß man nächstens
etwas thun werde. Wer oder was hindert die Jüngsten, durch unsterbliche
Werke alles zu verdunkeln, was vor ihnen gesungen und gesagt worden ist?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/40>, abgerufen am 28.09.2024.