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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Österreich mich bei einer Verletzung der Neutralität Rumäniens noch Gewehr
beim Fuß zusehen würde, scheint mindestens zweifelhaft, und da die Russen,
wenn sie endlich an der Donau den Türken gegenüber stünden, ihre Verbin¬
dungen rückwärts von der nach Westen ausgewichenen rumänischen Armee
bedroht sehen würden, so wird man sich schwerlich für diesen Weg entscheiden.
Denken wir an den zweiten Weg, so ist eine Landung der Türken oder der
Russen auf dem europäischen Gebiete des Gegners, da immer nnr ein ver¬
hältnismäßig kleines Heer auf einmal ausgeschifft werden könnte, nicht aus¬
führbar, da ein solches einfach erdrückt werden würde. Der dritte Weg für
eine Invasion, der nach Kaukasien führt, würde nur von kleinen Abteilungen
eingeschlagen werden können; denn wollte Nußland mit seiner Hauptmacht
von hier nach Konstnntinopel marschiren, so würde es den Türken bei der
außerordentlich großen Entfernung der letzteren hinlänglich Zeit lassen, sich in
jeder Beziehung vorzubereiten.

Es bleibt also für eine Offensive der Russen, wenn sie nicht über Rumänien
vorgehen wollen, das vorteilhafteste, mit dem Hauptheere nach und nach, aber
mit möglichst kurzen Pausen, an der Nordküste Kleinasiens - etwa bei
Sinope -- zu landen und dann rasch von da nach Konstantinopel zu marschrren.
Die Arbeiten zur Vorbereitung dieser Expedition ließen sich vor der Türkei
und den Engländern so gut verbergen, daß diese uicht ahnten, was im Werke
wäre. Transportschiffe, mit denen sich zu wiederholten Malen 25 bis 30000
Mann und die für sie erforderlichen Pferde, Geschütze, Wagen, Munitions¬
vorräte und Lebensmittel über das Meer schaffen ließen, wären teils schon
vorhanden, teils bald zusammenzubringen. Das Weitre hätte man sich
folgendermaßen zu denken. Die Einschiffung der keinasintischen Armee findet
in den Häfen Odessa. Nikolajew. Cherson, Sebastopol, Taganrow und Rostow
statt, wohin die Truppen teils auf Eisenbahnen, teils ans den Dampfern
des Dujepr, des Don und der Wolga gebracht werden können. Ausgeschifft
werden sie in Kleinasien auf der Linie Sursum-Sinope-Jneboli. Bevor die
Transporte anfangen, geht eine russische Kriegsflotte, für die zehn Panzerschiffe,
vier Kanonen-, zehn Torpedoboote und acht armirte Dampfer zur Verfügung
bereit sind, an die nördliche Mündung des Bosporus, blockirt sie und versucht
eins der dortigen Forts zu nehmen. Läßt sich die Blockade aufrecht erhalten,
s" but Rußland den Vorteil, daß die Türkei geraume Zeit im unklaren bleibt.
Wo der Feind sich ihrer Hauptstadt nähert. Angenommen aber, ein türkisch-
walisches Geschwader sprengte die Sperre, so müßte sofort nach allen russischen
Küsten der telegraphische Befehl ergehen, die Transporte einzustellen. Die
etwa unterwegs befindliche Transpvrtstotte fährt dann entweder nach der Krun
zurück oder weiter nach Asien, je nachdem sie sich der Südküste Rußlands oder
der Nordküste Kleinasiens näher befindet. Die bereits in Asien stehenden
Truppen aber treten ohne Verzug den Marsch nach Osten ein, um der kaukasischen


Österreich mich bei einer Verletzung der Neutralität Rumäniens noch Gewehr
beim Fuß zusehen würde, scheint mindestens zweifelhaft, und da die Russen,
wenn sie endlich an der Donau den Türken gegenüber stünden, ihre Verbin¬
dungen rückwärts von der nach Westen ausgewichenen rumänischen Armee
bedroht sehen würden, so wird man sich schwerlich für diesen Weg entscheiden.
Denken wir an den zweiten Weg, so ist eine Landung der Türken oder der
Russen auf dem europäischen Gebiete des Gegners, da immer nnr ein ver¬
hältnismäßig kleines Heer auf einmal ausgeschifft werden könnte, nicht aus¬
führbar, da ein solches einfach erdrückt werden würde. Der dritte Weg für
eine Invasion, der nach Kaukasien führt, würde nur von kleinen Abteilungen
eingeschlagen werden können; denn wollte Nußland mit seiner Hauptmacht
von hier nach Konstnntinopel marschiren, so würde es den Türken bei der
außerordentlich großen Entfernung der letzteren hinlänglich Zeit lassen, sich in
jeder Beziehung vorzubereiten.

Es bleibt also für eine Offensive der Russen, wenn sie nicht über Rumänien
vorgehen wollen, das vorteilhafteste, mit dem Hauptheere nach und nach, aber
mit möglichst kurzen Pausen, an der Nordküste Kleinasiens - etwa bei
Sinope — zu landen und dann rasch von da nach Konstantinopel zu marschrren.
Die Arbeiten zur Vorbereitung dieser Expedition ließen sich vor der Türkei
und den Engländern so gut verbergen, daß diese uicht ahnten, was im Werke
wäre. Transportschiffe, mit denen sich zu wiederholten Malen 25 bis 30000
Mann und die für sie erforderlichen Pferde, Geschütze, Wagen, Munitions¬
vorräte und Lebensmittel über das Meer schaffen ließen, wären teils schon
vorhanden, teils bald zusammenzubringen. Das Weitre hätte man sich
folgendermaßen zu denken. Die Einschiffung der keinasintischen Armee findet
in den Häfen Odessa. Nikolajew. Cherson, Sebastopol, Taganrow und Rostow
statt, wohin die Truppen teils auf Eisenbahnen, teils ans den Dampfern
des Dujepr, des Don und der Wolga gebracht werden können. Ausgeschifft
werden sie in Kleinasien auf der Linie Sursum-Sinope-Jneboli. Bevor die
Transporte anfangen, geht eine russische Kriegsflotte, für die zehn Panzerschiffe,
vier Kanonen-, zehn Torpedoboote und acht armirte Dampfer zur Verfügung
bereit sind, an die nördliche Mündung des Bosporus, blockirt sie und versucht
eins der dortigen Forts zu nehmen. Läßt sich die Blockade aufrecht erhalten,
s" but Rußland den Vorteil, daß die Türkei geraume Zeit im unklaren bleibt.
Wo der Feind sich ihrer Hauptstadt nähert. Angenommen aber, ein türkisch-
walisches Geschwader sprengte die Sperre, so müßte sofort nach allen russischen
Küsten der telegraphische Befehl ergehen, die Transporte einzustellen. Die
etwa unterwegs befindliche Transpvrtstotte fährt dann entweder nach der Krun
zurück oder weiter nach Asien, je nachdem sie sich der Südküste Rußlands oder
der Nordküste Kleinasiens näher befindet. Die bereits in Asien stehenden
Truppen aber treten ohne Verzug den Marsch nach Osten ein, um der kaukasischen


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[0407] Österreich mich bei einer Verletzung der Neutralität Rumäniens noch Gewehr beim Fuß zusehen würde, scheint mindestens zweifelhaft, und da die Russen, wenn sie endlich an der Donau den Türken gegenüber stünden, ihre Verbin¬ dungen rückwärts von der nach Westen ausgewichenen rumänischen Armee bedroht sehen würden, so wird man sich schwerlich für diesen Weg entscheiden. Denken wir an den zweiten Weg, so ist eine Landung der Türken oder der Russen auf dem europäischen Gebiete des Gegners, da immer nnr ein ver¬ hältnismäßig kleines Heer auf einmal ausgeschifft werden könnte, nicht aus¬ führbar, da ein solches einfach erdrückt werden würde. Der dritte Weg für eine Invasion, der nach Kaukasien führt, würde nur von kleinen Abteilungen eingeschlagen werden können; denn wollte Nußland mit seiner Hauptmacht von hier nach Konstnntinopel marschiren, so würde es den Türken bei der außerordentlich großen Entfernung der letzteren hinlänglich Zeit lassen, sich in jeder Beziehung vorzubereiten. Es bleibt also für eine Offensive der Russen, wenn sie nicht über Rumänien vorgehen wollen, das vorteilhafteste, mit dem Hauptheere nach und nach, aber mit möglichst kurzen Pausen, an der Nordküste Kleinasiens - etwa bei Sinope — zu landen und dann rasch von da nach Konstantinopel zu marschrren. Die Arbeiten zur Vorbereitung dieser Expedition ließen sich vor der Türkei und den Engländern so gut verbergen, daß diese uicht ahnten, was im Werke wäre. Transportschiffe, mit denen sich zu wiederholten Malen 25 bis 30000 Mann und die für sie erforderlichen Pferde, Geschütze, Wagen, Munitions¬ vorräte und Lebensmittel über das Meer schaffen ließen, wären teils schon vorhanden, teils bald zusammenzubringen. Das Weitre hätte man sich folgendermaßen zu denken. Die Einschiffung der keinasintischen Armee findet in den Häfen Odessa. Nikolajew. Cherson, Sebastopol, Taganrow und Rostow statt, wohin die Truppen teils auf Eisenbahnen, teils ans den Dampfern des Dujepr, des Don und der Wolga gebracht werden können. Ausgeschifft werden sie in Kleinasien auf der Linie Sursum-Sinope-Jneboli. Bevor die Transporte anfangen, geht eine russische Kriegsflotte, für die zehn Panzerschiffe, vier Kanonen-, zehn Torpedoboote und acht armirte Dampfer zur Verfügung bereit sind, an die nördliche Mündung des Bosporus, blockirt sie und versucht eins der dortigen Forts zu nehmen. Läßt sich die Blockade aufrecht erhalten, s" but Rußland den Vorteil, daß die Türkei geraume Zeit im unklaren bleibt. Wo der Feind sich ihrer Hauptstadt nähert. Angenommen aber, ein türkisch- walisches Geschwader sprengte die Sperre, so müßte sofort nach allen russischen Küsten der telegraphische Befehl ergehen, die Transporte einzustellen. Die etwa unterwegs befindliche Transpvrtstotte fährt dann entweder nach der Krun zurück oder weiter nach Asien, je nachdem sie sich der Südküste Rußlands oder der Nordküste Kleinasiens näher befindet. Die bereits in Asien stehenden Truppen aber treten ohne Verzug den Marsch nach Osten ein, um der kaukasischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/407>, abgerufen am 29.06.2024.