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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

Linie trennt, von Südosten nach Nordwesten laufend, die Moldau von der
Walachei, den nördlichen Teil Rumäniens vom südlichen. Eine vom Norden
her kommende russische Armee würde sich den Durchmarsch wahrscheinlich erkämpfen
müssen, und ^das würde ihr, wenn Österreich den Rumänen beistünde, kaum
gelingen. Die Befestigungslinie schützt die Hauptstadt vor rascher Besetzung
und sichert anderseits den Betrieb der südlich von ihr gelegnen Eisenbahnen,
besonders der nach Ungarn führenden, vor Störung.

Bulgariens Zukunft ist noch in Dunkel gehüllt. Ob Ferdinand von Orleans
(so ist er wohl am richtigsten zu bezeichnen) einst wie jetzt als Vasall der
Pforte oder als Werkzeug' der russischen Politik die Geschicke des Landes leiten
wird, ob in dein Lande die Gegner Rußlands die Oberhand behalten oder um dessen
freunde verlieren werden, läßt sich zur Zeit nicht sage". Das Land scheint
verurteilt, noch lange in Ungewißheit und Unordnung zu verharre", und was
'se die Hauptursache? Offenbar Rußland, das entweder auf eine neue bul¬
garische Bewegung wartet, die dem jetzigen Zustande ein Ende macht, oder
wsgeheim mit dem Prinzen Ferdinand über eine Verständigung unterhandelt.

Serbien erfreut sich der russischen Freundschaft nicht, feine geographische
Lage weist es nach Osterreich hin, der König ist bisher dieser Weisung gefolgt,
aber Nußland hat in der radikalen Partei viele Anhänger, und diese Partei
^ jetzt die stärkste und in der Volksvertretung sehr einflußreich. Montenegro
steht völlig auf russischer Seite. Zwei Töchter des Fürsten werden in Ru߬
land erzogen und Verkehren hänfig mit dem dortigen Hofe, ja es war schon
von dem Plane einer Vermählung des Thronfolgers mit der ältern der beiden
Prinzessinnen die Rede. Auch in Griechenland richtet man seine Augen vielfach
auf Rußland, obwohl man dort wissen sollte, daß dieses die großgriechische
^dee nur bis zu einem gewissen Maße begünstigen und befördern kann, und
"er Ausbruch eines neuen russischen Kriegs mit der Pforte würde sehr wahr¬
scheinlich ein hellenisches Heer auf dein Marsche zur Eroberung türkischer
Grenzprovinzen sehen.

Nach dem Vorstehenden zerfallen die europäischen Staaten bei einem neuen
"griffe der Russe" auf das Osmnnenreich ihren Interessen nach zunächst in
zwei Gruppen: 1) Rußland, Montenegro, Griechenland und Frankreich. 2) Türkei,
Österreich-Ungarn, Rumänien, England, das Deutsche Reich und Italien. Die
Lage Österreichs ist jetzt sehr günstig, da Italien und Deutschland seine Bundes¬
genossen, also wenigstens Kriege Österreichs mit diese" Staate" ausgeschlossen
und Frankreich das Kaiserreich nicht mehr unmittelbar angreifen kann,
^as die Stellung des Deutschen Reiches bei Beginn eines solchen Krieges
""geht, so hat sie Fürst Bismarck mit folgenden Worten klar bezeichnet: "Wenn
°!e orientalische Krisis eintritt, so sind wir bei ihr nicht gerade in erster Linie
beteiligt. Wir sind dn vollkommen und ohne irgend welcher Verpflichtung zu
nahe zu treten, in der Lage, abzuwarten, daß die im Mittelländischen Meere und


Militärisch-politische Blicke nach Osten

Linie trennt, von Südosten nach Nordwesten laufend, die Moldau von der
Walachei, den nördlichen Teil Rumäniens vom südlichen. Eine vom Norden
her kommende russische Armee würde sich den Durchmarsch wahrscheinlich erkämpfen
müssen, und ^das würde ihr, wenn Österreich den Rumänen beistünde, kaum
gelingen. Die Befestigungslinie schützt die Hauptstadt vor rascher Besetzung
und sichert anderseits den Betrieb der südlich von ihr gelegnen Eisenbahnen,
besonders der nach Ungarn führenden, vor Störung.

Bulgariens Zukunft ist noch in Dunkel gehüllt. Ob Ferdinand von Orleans
(so ist er wohl am richtigsten zu bezeichnen) einst wie jetzt als Vasall der
Pforte oder als Werkzeug' der russischen Politik die Geschicke des Landes leiten
wird, ob in dein Lande die Gegner Rußlands die Oberhand behalten oder um dessen
freunde verlieren werden, läßt sich zur Zeit nicht sage». Das Land scheint
verurteilt, noch lange in Ungewißheit und Unordnung zu verharre», und was
'se die Hauptursache? Offenbar Rußland, das entweder auf eine neue bul¬
garische Bewegung wartet, die dem jetzigen Zustande ein Ende macht, oder
wsgeheim mit dem Prinzen Ferdinand über eine Verständigung unterhandelt.

Serbien erfreut sich der russischen Freundschaft nicht, feine geographische
Lage weist es nach Osterreich hin, der König ist bisher dieser Weisung gefolgt,
aber Nußland hat in der radikalen Partei viele Anhänger, und diese Partei
^ jetzt die stärkste und in der Volksvertretung sehr einflußreich. Montenegro
steht völlig auf russischer Seite. Zwei Töchter des Fürsten werden in Ru߬
land erzogen und Verkehren hänfig mit dem dortigen Hofe, ja es war schon
von dem Plane einer Vermählung des Thronfolgers mit der ältern der beiden
Prinzessinnen die Rede. Auch in Griechenland richtet man seine Augen vielfach
auf Rußland, obwohl man dort wissen sollte, daß dieses die großgriechische
^dee nur bis zu einem gewissen Maße begünstigen und befördern kann, und
"er Ausbruch eines neuen russischen Kriegs mit der Pforte würde sehr wahr¬
scheinlich ein hellenisches Heer auf dein Marsche zur Eroberung türkischer
Grenzprovinzen sehen.

Nach dem Vorstehenden zerfallen die europäischen Staaten bei einem neuen
"griffe der Russe» auf das Osmnnenreich ihren Interessen nach zunächst in
zwei Gruppen: 1) Rußland, Montenegro, Griechenland und Frankreich. 2) Türkei,
Österreich-Ungarn, Rumänien, England, das Deutsche Reich und Italien. Die
Lage Österreichs ist jetzt sehr günstig, da Italien und Deutschland seine Bundes¬
genossen, also wenigstens Kriege Österreichs mit diese» Staate» ausgeschlossen
und Frankreich das Kaiserreich nicht mehr unmittelbar angreifen kann,
^as die Stellung des Deutschen Reiches bei Beginn eines solchen Krieges
""geht, so hat sie Fürst Bismarck mit folgenden Worten klar bezeichnet: „Wenn
°!e orientalische Krisis eintritt, so sind wir bei ihr nicht gerade in erster Linie
beteiligt. Wir sind dn vollkommen und ohne irgend welcher Verpflichtung zu
nahe zu treten, in der Lage, abzuwarten, daß die im Mittelländischen Meere und


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[0405] Militärisch-politische Blicke nach Osten Linie trennt, von Südosten nach Nordwesten laufend, die Moldau von der Walachei, den nördlichen Teil Rumäniens vom südlichen. Eine vom Norden her kommende russische Armee würde sich den Durchmarsch wahrscheinlich erkämpfen müssen, und ^das würde ihr, wenn Österreich den Rumänen beistünde, kaum gelingen. Die Befestigungslinie schützt die Hauptstadt vor rascher Besetzung und sichert anderseits den Betrieb der südlich von ihr gelegnen Eisenbahnen, besonders der nach Ungarn führenden, vor Störung. Bulgariens Zukunft ist noch in Dunkel gehüllt. Ob Ferdinand von Orleans (so ist er wohl am richtigsten zu bezeichnen) einst wie jetzt als Vasall der Pforte oder als Werkzeug' der russischen Politik die Geschicke des Landes leiten wird, ob in dein Lande die Gegner Rußlands die Oberhand behalten oder um dessen freunde verlieren werden, läßt sich zur Zeit nicht sage». Das Land scheint verurteilt, noch lange in Ungewißheit und Unordnung zu verharre», und was 'se die Hauptursache? Offenbar Rußland, das entweder auf eine neue bul¬ garische Bewegung wartet, die dem jetzigen Zustande ein Ende macht, oder wsgeheim mit dem Prinzen Ferdinand über eine Verständigung unterhandelt. Serbien erfreut sich der russischen Freundschaft nicht, feine geographische Lage weist es nach Osterreich hin, der König ist bisher dieser Weisung gefolgt, aber Nußland hat in der radikalen Partei viele Anhänger, und diese Partei ^ jetzt die stärkste und in der Volksvertretung sehr einflußreich. Montenegro steht völlig auf russischer Seite. Zwei Töchter des Fürsten werden in Ru߬ land erzogen und Verkehren hänfig mit dem dortigen Hofe, ja es war schon von dem Plane einer Vermählung des Thronfolgers mit der ältern der beiden Prinzessinnen die Rede. Auch in Griechenland richtet man seine Augen vielfach auf Rußland, obwohl man dort wissen sollte, daß dieses die großgriechische ^dee nur bis zu einem gewissen Maße begünstigen und befördern kann, und "er Ausbruch eines neuen russischen Kriegs mit der Pforte würde sehr wahr¬ scheinlich ein hellenisches Heer auf dein Marsche zur Eroberung türkischer Grenzprovinzen sehen. Nach dem Vorstehenden zerfallen die europäischen Staaten bei einem neuen "griffe der Russe» auf das Osmnnenreich ihren Interessen nach zunächst in zwei Gruppen: 1) Rußland, Montenegro, Griechenland und Frankreich. 2) Türkei, Österreich-Ungarn, Rumänien, England, das Deutsche Reich und Italien. Die Lage Österreichs ist jetzt sehr günstig, da Italien und Deutschland seine Bundes¬ genossen, also wenigstens Kriege Österreichs mit diese» Staate» ausgeschlossen und Frankreich das Kaiserreich nicht mehr unmittelbar angreifen kann, ^as die Stellung des Deutschen Reiches bei Beginn eines solchen Krieges ""geht, so hat sie Fürst Bismarck mit folgenden Worten klar bezeichnet: „Wenn °!e orientalische Krisis eintritt, so sind wir bei ihr nicht gerade in erster Linie beteiligt. Wir sind dn vollkommen und ohne irgend welcher Verpflichtung zu nahe zu treten, in der Lage, abzuwarten, daß die im Mittelländischen Meere und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/405>, abgerufen am 28.09.2024.