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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

diesem Wege mehr Bürgschaften für seine Sicherheit zu gewinnen waren, als
durch den Anschluß an die nach "Revanche" dürstenden Franzosen und die
eroberungssüchtigen Russen. Eine Erweiterung des Dreibnndes zum Vicrbund
durch einen Zutritt Englands wurde versucht, aber vergebens, obwohl England
ein starkes Interesse daran, ja bei der Erwerbung Cyperns die Pflicht über¬
nommen hatte, die Türkei nicht weiter schwächen oder gar vernichten zu
lassen. Man bindet sich in London nicht gern für die Zukunft, man möchte
freie Hand behalten, um, wie herkömmlich, im Trüben fischen zu können, und
mau halt sich im Hinblick auf die insulare Lage des Landes für sicher vor
einem erfolgreichen Angriffe. So blieb es bei platonischer Freundschaft mit
Österreich, und nur eine Art von Verständigung mit Italien kam zu Staude,
die für gewisse Fälle diesem maritime Unterstützung gegen Frankreich zusichert,
welches die britischen Interessen auf und am Mittelmeere mehr als bisher
beeinträchtigen könnte, wenn es Italien besiegt Hütte.

Wir fragen weiter: Wie stehen Rumänien und die Balkanstaaten zu Ru߬
land und zu der Möglichkeit eines neuen russischen Angriffs aus die Türkei?
Rumänien hat Rußland 1877 kräftig 'unterstützt, aber die Gründe hierzu sind
jetzt nicht nur weggefallen, sondern es sind an ihre Stelle Gründe für ein
entgegengesetztes Verhalten getreten. Zum Danke für seinen Beistand bei Plewna
nötigte es Rußland, ihm einen Teil Bessarnbiens zu überlassen und die wenig
wertvolle Dobrudscha als Entschädigung dafür anzunehmen. Das im vorigen
Sommer auf den König Karol unternommene Attentat und die gleichzeitigen
Versuche, einen großen Aufstand des rumänischen Landvolks hervorzurufen,
wurden auf russische Ränke zurückgeführt und trugen dazu bei, die vorhandene
Mißstimmung hoher Kreise gegen diese Macht zu steigern. Man arbeitet mit
Eifer an der Befestigung der Hauptstadt, die nach Beendigung derselben ein
ausgedehntes befestigtes Lager sein wird, worin die rumänische Armee Platz
finden kann. Ferner sollen Galatz und Foksani in Festungen verwandelt werden.
Nicht die Pruthliuie, diese von Norden nach Süden laufende Grenze, wird zu
einer Kette von Forts und Schanzen gemacht, sondern die neuen Befestigungen
setzen die bereits vorycmdnen nach Westen fort, sodaß künftig der Durchmarsch
zwischen dem Schwarzen Meere und dem transsilvanischen Gebirgslande ver¬
sperrt sein wird. Die Gegend zwischen der See und Tultscha, der Festung
auf dem rechten Flügel, ist sumpfig und von den verschiedenen Armen der
Donaumündung durchschnitten, also für eine große Armee unvassirbnr. Nicht
fern von Tultscha liegt auf dem rechten Donauufer die Festung Jsaktscha,
weiter nordwestlich auf dem linken Galatz, das wegen seines sumpfigen Vor¬
geländes schwer anzugreifen ist. Siebzig Kilometer trennen es von dem linken
Flügelpunkte Foksani, aber das Zwischengelände wird von zahlreichen Fluß-
läufen durchzogen, fo daß auch hier der Durchmarsch schwierig erscheint, und
zehn Kilometer von Foksani beginnt schon das Gebirge. Die soeben beschriebene


Militärisch-politische Blicke nach Osten

diesem Wege mehr Bürgschaften für seine Sicherheit zu gewinnen waren, als
durch den Anschluß an die nach „Revanche" dürstenden Franzosen und die
eroberungssüchtigen Russen. Eine Erweiterung des Dreibnndes zum Vicrbund
durch einen Zutritt Englands wurde versucht, aber vergebens, obwohl England
ein starkes Interesse daran, ja bei der Erwerbung Cyperns die Pflicht über¬
nommen hatte, die Türkei nicht weiter schwächen oder gar vernichten zu
lassen. Man bindet sich in London nicht gern für die Zukunft, man möchte
freie Hand behalten, um, wie herkömmlich, im Trüben fischen zu können, und
mau halt sich im Hinblick auf die insulare Lage des Landes für sicher vor
einem erfolgreichen Angriffe. So blieb es bei platonischer Freundschaft mit
Österreich, und nur eine Art von Verständigung mit Italien kam zu Staude,
die für gewisse Fälle diesem maritime Unterstützung gegen Frankreich zusichert,
welches die britischen Interessen auf und am Mittelmeere mehr als bisher
beeinträchtigen könnte, wenn es Italien besiegt Hütte.

Wir fragen weiter: Wie stehen Rumänien und die Balkanstaaten zu Ru߬
land und zu der Möglichkeit eines neuen russischen Angriffs aus die Türkei?
Rumänien hat Rußland 1877 kräftig 'unterstützt, aber die Gründe hierzu sind
jetzt nicht nur weggefallen, sondern es sind an ihre Stelle Gründe für ein
entgegengesetztes Verhalten getreten. Zum Danke für seinen Beistand bei Plewna
nötigte es Rußland, ihm einen Teil Bessarnbiens zu überlassen und die wenig
wertvolle Dobrudscha als Entschädigung dafür anzunehmen. Das im vorigen
Sommer auf den König Karol unternommene Attentat und die gleichzeitigen
Versuche, einen großen Aufstand des rumänischen Landvolks hervorzurufen,
wurden auf russische Ränke zurückgeführt und trugen dazu bei, die vorhandene
Mißstimmung hoher Kreise gegen diese Macht zu steigern. Man arbeitet mit
Eifer an der Befestigung der Hauptstadt, die nach Beendigung derselben ein
ausgedehntes befestigtes Lager sein wird, worin die rumänische Armee Platz
finden kann. Ferner sollen Galatz und Foksani in Festungen verwandelt werden.
Nicht die Pruthliuie, diese von Norden nach Süden laufende Grenze, wird zu
einer Kette von Forts und Schanzen gemacht, sondern die neuen Befestigungen
setzen die bereits vorycmdnen nach Westen fort, sodaß künftig der Durchmarsch
zwischen dem Schwarzen Meere und dem transsilvanischen Gebirgslande ver¬
sperrt sein wird. Die Gegend zwischen der See und Tultscha, der Festung
auf dem rechten Flügel, ist sumpfig und von den verschiedenen Armen der
Donaumündung durchschnitten, also für eine große Armee unvassirbnr. Nicht
fern von Tultscha liegt auf dem rechten Donauufer die Festung Jsaktscha,
weiter nordwestlich auf dem linken Galatz, das wegen seines sumpfigen Vor¬
geländes schwer anzugreifen ist. Siebzig Kilometer trennen es von dem linken
Flügelpunkte Foksani, aber das Zwischengelände wird von zahlreichen Fluß-
läufen durchzogen, fo daß auch hier der Durchmarsch schwierig erscheint, und
zehn Kilometer von Foksani beginnt schon das Gebirge. Die soeben beschriebene


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[0404] Militärisch-politische Blicke nach Osten diesem Wege mehr Bürgschaften für seine Sicherheit zu gewinnen waren, als durch den Anschluß an die nach „Revanche" dürstenden Franzosen und die eroberungssüchtigen Russen. Eine Erweiterung des Dreibnndes zum Vicrbund durch einen Zutritt Englands wurde versucht, aber vergebens, obwohl England ein starkes Interesse daran, ja bei der Erwerbung Cyperns die Pflicht über¬ nommen hatte, die Türkei nicht weiter schwächen oder gar vernichten zu lassen. Man bindet sich in London nicht gern für die Zukunft, man möchte freie Hand behalten, um, wie herkömmlich, im Trüben fischen zu können, und mau halt sich im Hinblick auf die insulare Lage des Landes für sicher vor einem erfolgreichen Angriffe. So blieb es bei platonischer Freundschaft mit Österreich, und nur eine Art von Verständigung mit Italien kam zu Staude, die für gewisse Fälle diesem maritime Unterstützung gegen Frankreich zusichert, welches die britischen Interessen auf und am Mittelmeere mehr als bisher beeinträchtigen könnte, wenn es Italien besiegt Hütte. Wir fragen weiter: Wie stehen Rumänien und die Balkanstaaten zu Ru߬ land und zu der Möglichkeit eines neuen russischen Angriffs aus die Türkei? Rumänien hat Rußland 1877 kräftig 'unterstützt, aber die Gründe hierzu sind jetzt nicht nur weggefallen, sondern es sind an ihre Stelle Gründe für ein entgegengesetztes Verhalten getreten. Zum Danke für seinen Beistand bei Plewna nötigte es Rußland, ihm einen Teil Bessarnbiens zu überlassen und die wenig wertvolle Dobrudscha als Entschädigung dafür anzunehmen. Das im vorigen Sommer auf den König Karol unternommene Attentat und die gleichzeitigen Versuche, einen großen Aufstand des rumänischen Landvolks hervorzurufen, wurden auf russische Ränke zurückgeführt und trugen dazu bei, die vorhandene Mißstimmung hoher Kreise gegen diese Macht zu steigern. Man arbeitet mit Eifer an der Befestigung der Hauptstadt, die nach Beendigung derselben ein ausgedehntes befestigtes Lager sein wird, worin die rumänische Armee Platz finden kann. Ferner sollen Galatz und Foksani in Festungen verwandelt werden. Nicht die Pruthliuie, diese von Norden nach Süden laufende Grenze, wird zu einer Kette von Forts und Schanzen gemacht, sondern die neuen Befestigungen setzen die bereits vorycmdnen nach Westen fort, sodaß künftig der Durchmarsch zwischen dem Schwarzen Meere und dem transsilvanischen Gebirgslande ver¬ sperrt sein wird. Die Gegend zwischen der See und Tultscha, der Festung auf dem rechten Flügel, ist sumpfig und von den verschiedenen Armen der Donaumündung durchschnitten, also für eine große Armee unvassirbnr. Nicht fern von Tultscha liegt auf dem rechten Donauufer die Festung Jsaktscha, weiter nordwestlich auf dem linken Galatz, das wegen seines sumpfigen Vor¬ geländes schwer anzugreifen ist. Siebzig Kilometer trennen es von dem linken Flügelpunkte Foksani, aber das Zwischengelände wird von zahlreichen Fluß- läufen durchzogen, fo daß auch hier der Durchmarsch schwierig erscheint, und zehn Kilometer von Foksani beginnt schon das Gebirge. Die soeben beschriebene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/404>, abgerufen am 28.09.2024.