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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

Im Hinblicke hierauf sagte Fürst Bismarck um 6. Februar 1888 im deut¬
schen Reichstage: "Diese Politik hat die russischen Truppenaufstellnngen schon
seit langer Zeit (schon 1879) geleitet. Ich nehme an, daß man auf eine
neue orientalische Krisis wartet, um dann in der Lage zu sein, die russischen
Wünsche mit dem vollen Gewichte einer nicht gerade in Kasan, sondern weiter
westwärts stehenden Armee geltend zu machen."

Wie würden sich nnn die Nachbarn Rußlands und der Türkei zu einem
neuen Kriege zwischen deu beideu letztern Machten verhalten, was würde zu¬
erst Österreich-Ungarn thun? Das Doppelreich im Donaulande ist insofern der
natürliche Gegner Rußlands, als es die vou diesem letztern beabsichtigte Um¬
gestaltung der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel nicht zugeben kann, ohne
sich erheblich zu schädigen. Aber seine Lage ist, wenn es sich auf sich allein
angewiesen sieht, deu Russen gegenüber ungünstig, weil seine Grenze im Osten,
bogenförmig nördlich von den Karpathen sich hinziehend, sehr ausgedehnt ist
und einen zentralen Vormarsch russischer Streitkräfte gestattet, und weil ander¬
seits der zwischen Grenze und Gebirge liegende Landstrich, Galizien, schmal,
nur an wenigen Stellen leicht zugänglich und somit dem strategischen Aus¬
marsche des österreich-tlngarischen Heeres hinderlich ist. Jene aus der geo¬
graphischen Lage sich ergebende Unsicherheit bewog die Wiener Politik, Gelegen¬
heit zur Anlehnung um mächtige Nachbarn herbeizuwünschen, und diese bot sich
1879 durch den Vorschlag Vismarcks, sich mit dem deutschen Reiche für den
Fall eines russischen Angriffs auf einen seiner beiden westlichen Nachbarn durch
ein Bündnis zu gemeinschaftlicher Verteidigung zu vereinigen. Der deutsche
Kanzler hatte eben so viel Ursache als die österreichischen Staatsmänner, dieses
Viindnis zu suchen, und so kam es verhältnismäßig rasch zu Stande. Auch
Deutschlands Lage war gefährdet. "Der Zustand der Besorgnis vor großen
Kriegen," sagte Bismarck noch in der erwähnten Rede vom Februar vorigen
Jahres, "vor weitern Verwicklungen, deren Kvalitionsergebnisse niemand vorher
beurteilen kann, ist bei uns ein permanenter . . . Wir liegen mitten in Europa
und haben mindestens drei Angriffsfronten, während Frankreich nur seine öst¬
liche, Nußland nur seine westliche Grenze hat, wo es angegriffen werden kann.
Wir sind außerdem der Gefahr einer Koalition nach der ganzen Entwicklung
der Weltgeschichte und nach unsrer geographischen Lage mehr ausgesetzt als
irgend ein andres Volk. Gott hat uns die unruhigste und kriegslustigste
Nation, die Franzosen, um die Seite gesetzt, und er hat in Rußland kriegerische
Neigungen groß werden lassen, die in frühern Jahrhunderten Dämlich Deutsch¬
land gegenüber) nicht in dem Maße vorhanden waren." Wie bekannt, trat später
dem Friedensbuude auch Italien bei, das die Wahl zwischen uns und Frankreich,
dem Gegner Deutschlands und Freunde Rußlands, gehabt hatte, sich aber
Mletzt für Österreich und dessen deutschen Verbündeten entschied, weil es infolge
der Ereignisse in Tunis und andrer Erfahrungen begriffen hatte, daß auf


Militärisch-politische Blicke nach Osten

Im Hinblicke hierauf sagte Fürst Bismarck um 6. Februar 1888 im deut¬
schen Reichstage: „Diese Politik hat die russischen Truppenaufstellnngen schon
seit langer Zeit (schon 1879) geleitet. Ich nehme an, daß man auf eine
neue orientalische Krisis wartet, um dann in der Lage zu sein, die russischen
Wünsche mit dem vollen Gewichte einer nicht gerade in Kasan, sondern weiter
westwärts stehenden Armee geltend zu machen."

Wie würden sich nnn die Nachbarn Rußlands und der Türkei zu einem
neuen Kriege zwischen deu beideu letztern Machten verhalten, was würde zu¬
erst Österreich-Ungarn thun? Das Doppelreich im Donaulande ist insofern der
natürliche Gegner Rußlands, als es die vou diesem letztern beabsichtigte Um¬
gestaltung der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel nicht zugeben kann, ohne
sich erheblich zu schädigen. Aber seine Lage ist, wenn es sich auf sich allein
angewiesen sieht, deu Russen gegenüber ungünstig, weil seine Grenze im Osten,
bogenförmig nördlich von den Karpathen sich hinziehend, sehr ausgedehnt ist
und einen zentralen Vormarsch russischer Streitkräfte gestattet, und weil ander¬
seits der zwischen Grenze und Gebirge liegende Landstrich, Galizien, schmal,
nur an wenigen Stellen leicht zugänglich und somit dem strategischen Aus¬
marsche des österreich-tlngarischen Heeres hinderlich ist. Jene aus der geo¬
graphischen Lage sich ergebende Unsicherheit bewog die Wiener Politik, Gelegen¬
heit zur Anlehnung um mächtige Nachbarn herbeizuwünschen, und diese bot sich
1879 durch den Vorschlag Vismarcks, sich mit dem deutschen Reiche für den
Fall eines russischen Angriffs auf einen seiner beiden westlichen Nachbarn durch
ein Bündnis zu gemeinschaftlicher Verteidigung zu vereinigen. Der deutsche
Kanzler hatte eben so viel Ursache als die österreichischen Staatsmänner, dieses
Viindnis zu suchen, und so kam es verhältnismäßig rasch zu Stande. Auch
Deutschlands Lage war gefährdet. „Der Zustand der Besorgnis vor großen
Kriegen," sagte Bismarck noch in der erwähnten Rede vom Februar vorigen
Jahres, „vor weitern Verwicklungen, deren Kvalitionsergebnisse niemand vorher
beurteilen kann, ist bei uns ein permanenter . . . Wir liegen mitten in Europa
und haben mindestens drei Angriffsfronten, während Frankreich nur seine öst¬
liche, Nußland nur seine westliche Grenze hat, wo es angegriffen werden kann.
Wir sind außerdem der Gefahr einer Koalition nach der ganzen Entwicklung
der Weltgeschichte und nach unsrer geographischen Lage mehr ausgesetzt als
irgend ein andres Volk. Gott hat uns die unruhigste und kriegslustigste
Nation, die Franzosen, um die Seite gesetzt, und er hat in Rußland kriegerische
Neigungen groß werden lassen, die in frühern Jahrhunderten Dämlich Deutsch¬
land gegenüber) nicht in dem Maße vorhanden waren." Wie bekannt, trat später
dem Friedensbuude auch Italien bei, das die Wahl zwischen uns und Frankreich,
dem Gegner Deutschlands und Freunde Rußlands, gehabt hatte, sich aber
Mletzt für Österreich und dessen deutschen Verbündeten entschied, weil es infolge
der Ereignisse in Tunis und andrer Erfahrungen begriffen hatte, daß auf


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[0403] Militärisch-politische Blicke nach Osten Im Hinblicke hierauf sagte Fürst Bismarck um 6. Februar 1888 im deut¬ schen Reichstage: „Diese Politik hat die russischen Truppenaufstellnngen schon seit langer Zeit (schon 1879) geleitet. Ich nehme an, daß man auf eine neue orientalische Krisis wartet, um dann in der Lage zu sein, die russischen Wünsche mit dem vollen Gewichte einer nicht gerade in Kasan, sondern weiter westwärts stehenden Armee geltend zu machen." Wie würden sich nnn die Nachbarn Rußlands und der Türkei zu einem neuen Kriege zwischen deu beideu letztern Machten verhalten, was würde zu¬ erst Österreich-Ungarn thun? Das Doppelreich im Donaulande ist insofern der natürliche Gegner Rußlands, als es die vou diesem letztern beabsichtigte Um¬ gestaltung der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel nicht zugeben kann, ohne sich erheblich zu schädigen. Aber seine Lage ist, wenn es sich auf sich allein angewiesen sieht, deu Russen gegenüber ungünstig, weil seine Grenze im Osten, bogenförmig nördlich von den Karpathen sich hinziehend, sehr ausgedehnt ist und einen zentralen Vormarsch russischer Streitkräfte gestattet, und weil ander¬ seits der zwischen Grenze und Gebirge liegende Landstrich, Galizien, schmal, nur an wenigen Stellen leicht zugänglich und somit dem strategischen Aus¬ marsche des österreich-tlngarischen Heeres hinderlich ist. Jene aus der geo¬ graphischen Lage sich ergebende Unsicherheit bewog die Wiener Politik, Gelegen¬ heit zur Anlehnung um mächtige Nachbarn herbeizuwünschen, und diese bot sich 1879 durch den Vorschlag Vismarcks, sich mit dem deutschen Reiche für den Fall eines russischen Angriffs auf einen seiner beiden westlichen Nachbarn durch ein Bündnis zu gemeinschaftlicher Verteidigung zu vereinigen. Der deutsche Kanzler hatte eben so viel Ursache als die österreichischen Staatsmänner, dieses Viindnis zu suchen, und so kam es verhältnismäßig rasch zu Stande. Auch Deutschlands Lage war gefährdet. „Der Zustand der Besorgnis vor großen Kriegen," sagte Bismarck noch in der erwähnten Rede vom Februar vorigen Jahres, „vor weitern Verwicklungen, deren Kvalitionsergebnisse niemand vorher beurteilen kann, ist bei uns ein permanenter . . . Wir liegen mitten in Europa und haben mindestens drei Angriffsfronten, während Frankreich nur seine öst¬ liche, Nußland nur seine westliche Grenze hat, wo es angegriffen werden kann. Wir sind außerdem der Gefahr einer Koalition nach der ganzen Entwicklung der Weltgeschichte und nach unsrer geographischen Lage mehr ausgesetzt als irgend ein andres Volk. Gott hat uns die unruhigste und kriegslustigste Nation, die Franzosen, um die Seite gesetzt, und er hat in Rußland kriegerische Neigungen groß werden lassen, die in frühern Jahrhunderten Dämlich Deutsch¬ land gegenüber) nicht in dem Maße vorhanden waren." Wie bekannt, trat später dem Friedensbuude auch Italien bei, das die Wahl zwischen uns und Frankreich, dem Gegner Deutschlands und Freunde Rußlands, gehabt hatte, sich aber Mletzt für Österreich und dessen deutschen Verbündeten entschied, weil es infolge der Ereignisse in Tunis und andrer Erfahrungen begriffen hatte, daß auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/403>, abgerufen am 29.06.2024.