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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Gemeinde Wien

nach städtischem Selbstverwaltungsrecht, das sich schon einige Jahre vor dem
allgemeinen Ausbrüche hier und da regte. Im niederösterreichischen Landtage
kam es 1847 sogar zur Bildung eines Ausschusses, der eine neue Gemeinde¬
ordnung beraten wollte. Als Vorbild sollten die Zustünde in Lombardv-Ve-
netien dienen, denn dort herrschte noch mehr lokale Autonomie, als in den
Erbländer, ja selbst als in Ungarn oder Siebenbürgen. Die Märztage brachten
dann einen Bürgerausschuß von 36, der eine Gemeindewahlordnung ausarbeitete,
die schon am 18. Mai genehmigt war. Das Wahlrecht war nach dieser an
eine jährliche Steuer von 20 Gulden Konventionsmünze geknüpft. Am 25. Mai
traten die hundert Gewählten zur ersten Beratung zusammen, die Negierung
forderte ihre Mitwirkung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. In
der That siud auch in den schlimmsten Tagen der Revolution radikale Ele¬
mente in der freien Gemeindevertretuug niemals vorherrschend geworden; als
uach der Einnahme der Stadt durch Windischgrätz eine "Purifikation" des
Gemeinderates erfolgte, haben nur vier Mitglieder ausscheiden müssen.

Mit der Berufung des Grafen Stadion, der früher in der Verwaltung
Galiziens und des Küstenlandes thätig gewesen war, ins Ministerium beginnt
eine neue Periode im Gemeindeleben der österreichischen Monarchie. "Die
Grundlage des freien Staates ist die freie Gemeinde" -- dies was der erste
Grundsatz Stations, und nach diesem handelte er. Für das flache Land
nahm er zum Teil die lombardo-venetianische Gemeindeordnung, zum Teil die
des Großherzogtums vou Baden von 1835 zum Vorbilde, in der Reorgani¬
sation der städtischen Autonomie hielt er sich an das Steiusche Edikt von
1808, sowie an die preußische Stüdeordnung von 1831. Aber vor oberfläch¬
licher Nachahmung hütete er sich, er war zu sehr Praktiker, als daß er die
mannigfaltigen örtlichen Verhältnisse hätte unberücksichtigt lassen können. Auch
für Wien trug die Thätigkeit Stations eine herrliche Frucht: das Gemeinde¬
statut vom 6. März 1850. Den vorübergehenden Schöpfungen der Revolutions¬
zeit gegenüber bedeutet es ein Bleibendes, eine städtische NÄMg, ollMw, wert¬
voll auch für eine späte Zukunft. Die Gemeindeangehörigen erhalten wieder
ihr Wahlrecht; in drei Wahlkörpern -- gebildet nach der Steuerleistung --
wählen sie frei den Gemeinderat, der alle die Befugnisse der alten Zeit, mit
Ausnahme der richterlichen, wieder erhält: er verwaltet das Gemeindevermögen,
er besorgt die Markt- und Sanitätspolizei, das Armen- und Krankenwesen,
später fällt ihm auch die Erhaltung der Volksschulen einschließlich der Lehrcr-
bestallungen zu. Aus eignem Antriebe gründet er Gymnasien, Real- und Ge¬
werbeschulen und nimmt einen kräftigen Anteil an der baulicher Umgestaltung
der Stadt. Daneben übt er "im übertragenen Wirkungskreis" Funktionen des
Staates aus, die auf dein flachen Lande und in kleinern Städten den Bezirks¬
hauptmannschaften zufallen: sein Organ hierzu ist der Magistrat, den er er¬
nennt. Öffentlich sind alle Verhandlungen.


Die Gemeinde Wien

nach städtischem Selbstverwaltungsrecht, das sich schon einige Jahre vor dem
allgemeinen Ausbrüche hier und da regte. Im niederösterreichischen Landtage
kam es 1847 sogar zur Bildung eines Ausschusses, der eine neue Gemeinde¬
ordnung beraten wollte. Als Vorbild sollten die Zustünde in Lombardv-Ve-
netien dienen, denn dort herrschte noch mehr lokale Autonomie, als in den
Erbländer, ja selbst als in Ungarn oder Siebenbürgen. Die Märztage brachten
dann einen Bürgerausschuß von 36, der eine Gemeindewahlordnung ausarbeitete,
die schon am 18. Mai genehmigt war. Das Wahlrecht war nach dieser an
eine jährliche Steuer von 20 Gulden Konventionsmünze geknüpft. Am 25. Mai
traten die hundert Gewählten zur ersten Beratung zusammen, die Negierung
forderte ihre Mitwirkung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. In
der That siud auch in den schlimmsten Tagen der Revolution radikale Ele¬
mente in der freien Gemeindevertretuug niemals vorherrschend geworden; als
uach der Einnahme der Stadt durch Windischgrätz eine „Purifikation" des
Gemeinderates erfolgte, haben nur vier Mitglieder ausscheiden müssen.

Mit der Berufung des Grafen Stadion, der früher in der Verwaltung
Galiziens und des Küstenlandes thätig gewesen war, ins Ministerium beginnt
eine neue Periode im Gemeindeleben der österreichischen Monarchie. „Die
Grundlage des freien Staates ist die freie Gemeinde" — dies was der erste
Grundsatz Stations, und nach diesem handelte er. Für das flache Land
nahm er zum Teil die lombardo-venetianische Gemeindeordnung, zum Teil die
des Großherzogtums vou Baden von 1835 zum Vorbilde, in der Reorgani¬
sation der städtischen Autonomie hielt er sich an das Steiusche Edikt von
1808, sowie an die preußische Stüdeordnung von 1831. Aber vor oberfläch¬
licher Nachahmung hütete er sich, er war zu sehr Praktiker, als daß er die
mannigfaltigen örtlichen Verhältnisse hätte unberücksichtigt lassen können. Auch
für Wien trug die Thätigkeit Stations eine herrliche Frucht: das Gemeinde¬
statut vom 6. März 1850. Den vorübergehenden Schöpfungen der Revolutions¬
zeit gegenüber bedeutet es ein Bleibendes, eine städtische NÄMg, ollMw, wert¬
voll auch für eine späte Zukunft. Die Gemeindeangehörigen erhalten wieder
ihr Wahlrecht; in drei Wahlkörpern — gebildet nach der Steuerleistung —
wählen sie frei den Gemeinderat, der alle die Befugnisse der alten Zeit, mit
Ausnahme der richterlichen, wieder erhält: er verwaltet das Gemeindevermögen,
er besorgt die Markt- und Sanitätspolizei, das Armen- und Krankenwesen,
später fällt ihm auch die Erhaltung der Volksschulen einschließlich der Lehrcr-
bestallungen zu. Aus eignem Antriebe gründet er Gymnasien, Real- und Ge¬
werbeschulen und nimmt einen kräftigen Anteil an der baulicher Umgestaltung
der Stadt. Daneben übt er „im übertragenen Wirkungskreis" Funktionen des
Staates aus, die auf dein flachen Lande und in kleinern Städten den Bezirks¬
hauptmannschaften zufallen: sein Organ hierzu ist der Magistrat, den er er¬
nennt. Öffentlich sind alle Verhandlungen.


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[0381] Die Gemeinde Wien nach städtischem Selbstverwaltungsrecht, das sich schon einige Jahre vor dem allgemeinen Ausbrüche hier und da regte. Im niederösterreichischen Landtage kam es 1847 sogar zur Bildung eines Ausschusses, der eine neue Gemeinde¬ ordnung beraten wollte. Als Vorbild sollten die Zustünde in Lombardv-Ve- netien dienen, denn dort herrschte noch mehr lokale Autonomie, als in den Erbländer, ja selbst als in Ungarn oder Siebenbürgen. Die Märztage brachten dann einen Bürgerausschuß von 36, der eine Gemeindewahlordnung ausarbeitete, die schon am 18. Mai genehmigt war. Das Wahlrecht war nach dieser an eine jährliche Steuer von 20 Gulden Konventionsmünze geknüpft. Am 25. Mai traten die hundert Gewählten zur ersten Beratung zusammen, die Negierung forderte ihre Mitwirkung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. In der That siud auch in den schlimmsten Tagen der Revolution radikale Ele¬ mente in der freien Gemeindevertretuug niemals vorherrschend geworden; als uach der Einnahme der Stadt durch Windischgrätz eine „Purifikation" des Gemeinderates erfolgte, haben nur vier Mitglieder ausscheiden müssen. Mit der Berufung des Grafen Stadion, der früher in der Verwaltung Galiziens und des Küstenlandes thätig gewesen war, ins Ministerium beginnt eine neue Periode im Gemeindeleben der österreichischen Monarchie. „Die Grundlage des freien Staates ist die freie Gemeinde" — dies was der erste Grundsatz Stations, und nach diesem handelte er. Für das flache Land nahm er zum Teil die lombardo-venetianische Gemeindeordnung, zum Teil die des Großherzogtums vou Baden von 1835 zum Vorbilde, in der Reorgani¬ sation der städtischen Autonomie hielt er sich an das Steiusche Edikt von 1808, sowie an die preußische Stüdeordnung von 1831. Aber vor oberfläch¬ licher Nachahmung hütete er sich, er war zu sehr Praktiker, als daß er die mannigfaltigen örtlichen Verhältnisse hätte unberücksichtigt lassen können. Auch für Wien trug die Thätigkeit Stations eine herrliche Frucht: das Gemeinde¬ statut vom 6. März 1850. Den vorübergehenden Schöpfungen der Revolutions¬ zeit gegenüber bedeutet es ein Bleibendes, eine städtische NÄMg, ollMw, wert¬ voll auch für eine späte Zukunft. Die Gemeindeangehörigen erhalten wieder ihr Wahlrecht; in drei Wahlkörpern — gebildet nach der Steuerleistung — wählen sie frei den Gemeinderat, der alle die Befugnisse der alten Zeit, mit Ausnahme der richterlichen, wieder erhält: er verwaltet das Gemeindevermögen, er besorgt die Markt- und Sanitätspolizei, das Armen- und Krankenwesen, später fällt ihm auch die Erhaltung der Volksschulen einschließlich der Lehrcr- bestallungen zu. Aus eignem Antriebe gründet er Gymnasien, Real- und Ge¬ werbeschulen und nimmt einen kräftigen Anteil an der baulicher Umgestaltung der Stadt. Daneben übt er „im übertragenen Wirkungskreis" Funktionen des Staates aus, die auf dein flachen Lande und in kleinern Städten den Bezirks¬ hauptmannschaften zufallen: sein Organ hierzu ist der Magistrat, den er er¬ nennt. Öffentlich sind alle Verhandlungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/381>, abgerufen am 26.06.2024.