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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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das städtische Vermögen und blieb auf die gemeindepolizeilichen und richterlichen
Funktionen beschränkt.

In dieser Entwicklung der Wiener Gemeindeverfassung spiegelt sich das
allgemeine politische Leben Mitteleuropas: von feudaler Abhängigkeit geht es
aufwärts zu munizipaler Freiheit, und von da zwar nicht völlig zurück zu den
alten Zuständen, aber doch wieder abwärts in eine neue Abhängigkeit, die
vom absoluten Staate. Am größten wurde diese unter Kaiser Josef, diesem
großen Feind aller partikularen und lokalen Selbständigkeit, diesem Verächter
alles historisch gewordenen. Der innere Rat, nun Magistrat genannt, wurde
ein untergeordnetes Glied in seinem büreaukratischen Allregieruugssystcm, von
ihren Befugnissen gangen die wesentlichsten an die neu errichtete Amtshaupt-
manuschaft über. Zugleich aber sollte mit den Resten von Gutsherrlichkeit
aufgeräumt werden, die noch innerhalb der Stadt bestanden.

In den Ausführungen der Denkschrift bemerkt der Leser hier eine Lücke.
Denn nnn sollte über die Entstehung der Vorstädte, die ja den weitaus
größten Teil des heutigen Wiener Gemeindegebietes ausmachen, einiges mitgeteilt
werden. Aber da fehlt es ohne Zweifel an gesichtetem Material. Es hätte aber
doch gesagt werden können, wann und unter welchen Umständen sie mit der
Stadt vereinigt worden sind. Gewiß ist, daß sie auch nach dieser Vereinigung
der Jurisdiktion ihrer alten Grundherren unterstellt blieben, an diese Steuern
zu zahlen und wohl auch Nvbott zu leisten hatten; an der völligen Freiheit
vou diesen Lasten, deren sich die eigentliche Stadt schon seit dem vierzehnten
Jahrhundert erfreute, hatten sie keinen Anteil. Noch heute, wo die Vorstädte
längst in den Gemeindebezirken aufgegangen sind, haben sich ihre Namen im
Volksmunde erhalten und erinnern vielfach an die Grundherrschnft, der sie
angehörten: so Althan (den Grafen Althan gehörig), Himmelpfortengrund
(vom Kloster der Himmelpförtnerinnen), Michelbeurengrund (nach dem Stift
Michelbeuren in Baiern) und viele andre. Kaiser Josef verfügte nun, daß
alle diese Gründe von ihren feudalen Lasten durch allmähliche Ablösung befreit
werden sollten. Aber schon nnter Franz II. geriet das Ablösungswerk ins
Stocken und wurde erst in der langen Friedenszeit von 1815--1848 nach und
nach zu Ende gebracht. Die Gemeindevertretungen (Grundgerichtsbeisitzer) der
Vorstädte -- denn diese besaßen solche ebenso gut wie die Dorfschaften auf
dem flachen Lande, die von den Gutsherrschaften schon längst ziemlich unab¬
hängig waren -- erfuhren sogar unter Kaiser Franz eine Erweiterung ihrer
Autonomie, indem ihnen das Recht, Gewerbe zu verleihen, daß sie bereits an
den Wiener Magistrat hatten abgeben müssen, 1819 wieder zuerkannt wurde.
Ihre endgiltige Auflösung erfolgte erst 1861. Die Gerichtsbarkeit der Grund¬
herren in den Vorstädten blieb bis 1848 bestehen, nachdem 1844 ein Ablösnngs-
projekt an den hohen Forderungen der Besitzer gescheitert war.

Zu den Vorzeichen der Revolution vou 1843 gehörte auch das Verlangen


das städtische Vermögen und blieb auf die gemeindepolizeilichen und richterlichen
Funktionen beschränkt.

In dieser Entwicklung der Wiener Gemeindeverfassung spiegelt sich das
allgemeine politische Leben Mitteleuropas: von feudaler Abhängigkeit geht es
aufwärts zu munizipaler Freiheit, und von da zwar nicht völlig zurück zu den
alten Zuständen, aber doch wieder abwärts in eine neue Abhängigkeit, die
vom absoluten Staate. Am größten wurde diese unter Kaiser Josef, diesem
großen Feind aller partikularen und lokalen Selbständigkeit, diesem Verächter
alles historisch gewordenen. Der innere Rat, nun Magistrat genannt, wurde
ein untergeordnetes Glied in seinem büreaukratischen Allregieruugssystcm, von
ihren Befugnissen gangen die wesentlichsten an die neu errichtete Amtshaupt-
manuschaft über. Zugleich aber sollte mit den Resten von Gutsherrlichkeit
aufgeräumt werden, die noch innerhalb der Stadt bestanden.

In den Ausführungen der Denkschrift bemerkt der Leser hier eine Lücke.
Denn nnn sollte über die Entstehung der Vorstädte, die ja den weitaus
größten Teil des heutigen Wiener Gemeindegebietes ausmachen, einiges mitgeteilt
werden. Aber da fehlt es ohne Zweifel an gesichtetem Material. Es hätte aber
doch gesagt werden können, wann und unter welchen Umständen sie mit der
Stadt vereinigt worden sind. Gewiß ist, daß sie auch nach dieser Vereinigung
der Jurisdiktion ihrer alten Grundherren unterstellt blieben, an diese Steuern
zu zahlen und wohl auch Nvbott zu leisten hatten; an der völligen Freiheit
vou diesen Lasten, deren sich die eigentliche Stadt schon seit dem vierzehnten
Jahrhundert erfreute, hatten sie keinen Anteil. Noch heute, wo die Vorstädte
längst in den Gemeindebezirken aufgegangen sind, haben sich ihre Namen im
Volksmunde erhalten und erinnern vielfach an die Grundherrschnft, der sie
angehörten: so Althan (den Grafen Althan gehörig), Himmelpfortengrund
(vom Kloster der Himmelpförtnerinnen), Michelbeurengrund (nach dem Stift
Michelbeuren in Baiern) und viele andre. Kaiser Josef verfügte nun, daß
alle diese Gründe von ihren feudalen Lasten durch allmähliche Ablösung befreit
werden sollten. Aber schon nnter Franz II. geriet das Ablösungswerk ins
Stocken und wurde erst in der langen Friedenszeit von 1815—1848 nach und
nach zu Ende gebracht. Die Gemeindevertretungen (Grundgerichtsbeisitzer) der
Vorstädte — denn diese besaßen solche ebenso gut wie die Dorfschaften auf
dem flachen Lande, die von den Gutsherrschaften schon längst ziemlich unab¬
hängig waren — erfuhren sogar unter Kaiser Franz eine Erweiterung ihrer
Autonomie, indem ihnen das Recht, Gewerbe zu verleihen, daß sie bereits an
den Wiener Magistrat hatten abgeben müssen, 1819 wieder zuerkannt wurde.
Ihre endgiltige Auflösung erfolgte erst 1861. Die Gerichtsbarkeit der Grund¬
herren in den Vorstädten blieb bis 1848 bestehen, nachdem 1844 ein Ablösnngs-
projekt an den hohen Forderungen der Besitzer gescheitert war.

Zu den Vorzeichen der Revolution vou 1843 gehörte auch das Verlangen


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[0380] das städtische Vermögen und blieb auf die gemeindepolizeilichen und richterlichen Funktionen beschränkt. In dieser Entwicklung der Wiener Gemeindeverfassung spiegelt sich das allgemeine politische Leben Mitteleuropas: von feudaler Abhängigkeit geht es aufwärts zu munizipaler Freiheit, und von da zwar nicht völlig zurück zu den alten Zuständen, aber doch wieder abwärts in eine neue Abhängigkeit, die vom absoluten Staate. Am größten wurde diese unter Kaiser Josef, diesem großen Feind aller partikularen und lokalen Selbständigkeit, diesem Verächter alles historisch gewordenen. Der innere Rat, nun Magistrat genannt, wurde ein untergeordnetes Glied in seinem büreaukratischen Allregieruugssystcm, von ihren Befugnissen gangen die wesentlichsten an die neu errichtete Amtshaupt- manuschaft über. Zugleich aber sollte mit den Resten von Gutsherrlichkeit aufgeräumt werden, die noch innerhalb der Stadt bestanden. In den Ausführungen der Denkschrift bemerkt der Leser hier eine Lücke. Denn nnn sollte über die Entstehung der Vorstädte, die ja den weitaus größten Teil des heutigen Wiener Gemeindegebietes ausmachen, einiges mitgeteilt werden. Aber da fehlt es ohne Zweifel an gesichtetem Material. Es hätte aber doch gesagt werden können, wann und unter welchen Umständen sie mit der Stadt vereinigt worden sind. Gewiß ist, daß sie auch nach dieser Vereinigung der Jurisdiktion ihrer alten Grundherren unterstellt blieben, an diese Steuern zu zahlen und wohl auch Nvbott zu leisten hatten; an der völligen Freiheit vou diesen Lasten, deren sich die eigentliche Stadt schon seit dem vierzehnten Jahrhundert erfreute, hatten sie keinen Anteil. Noch heute, wo die Vorstädte längst in den Gemeindebezirken aufgegangen sind, haben sich ihre Namen im Volksmunde erhalten und erinnern vielfach an die Grundherrschnft, der sie angehörten: so Althan (den Grafen Althan gehörig), Himmelpfortengrund (vom Kloster der Himmelpförtnerinnen), Michelbeurengrund (nach dem Stift Michelbeuren in Baiern) und viele andre. Kaiser Josef verfügte nun, daß alle diese Gründe von ihren feudalen Lasten durch allmähliche Ablösung befreit werden sollten. Aber schon nnter Franz II. geriet das Ablösungswerk ins Stocken und wurde erst in der langen Friedenszeit von 1815—1848 nach und nach zu Ende gebracht. Die Gemeindevertretungen (Grundgerichtsbeisitzer) der Vorstädte — denn diese besaßen solche ebenso gut wie die Dorfschaften auf dem flachen Lande, die von den Gutsherrschaften schon längst ziemlich unab¬ hängig waren — erfuhren sogar unter Kaiser Franz eine Erweiterung ihrer Autonomie, indem ihnen das Recht, Gewerbe zu verleihen, daß sie bereits an den Wiener Magistrat hatten abgeben müssen, 1819 wieder zuerkannt wurde. Ihre endgiltige Auflösung erfolgte erst 1861. Die Gerichtsbarkeit der Grund¬ herren in den Vorstädten blieb bis 1848 bestehen, nachdem 1844 ein Ablösnngs- projekt an den hohen Forderungen der Besitzer gescheitert war. Zu den Vorzeichen der Revolution vou 1843 gehörte auch das Verlangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/380>, abgerufen am 26.06.2024.