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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Der Geheimmittelschwindel

Ich glaube, auf Grund des mitgeteilten wird mir jeder Recht geben, wenn
ich behaupte, daß wir einen unerträglichen Zustand vor uns haben, der aufs
dringendste der Abhilfe bedarf.

Mnu hat verschiedene Mittel zur Beseitigung des jetzigen Notstaudes vor¬
geschlagen, von denen zwar jedes bis zu einen gewissen Zweck etwas für sich
hat, keins aber wirklich genügt.

Vor allem wird vom rein manchesterlichen Standpunkt aus verlangt, den
Handel mit Geheimmitteln, ja vielleicht überhaupt mit Arzneimitteln ganz frei
zu geben, da er sich doch nicht verhindern lasse und da das Publikum schou
von selbst von wertlosen Mitteln zurückkommen werde. Gewiß wird, ich habe
es oben selbst hervorgehoben, das Verlangen nach Gehennmitteln und deren
Gebrauch nie aufhören. Trotzdem hat der Staat als Schützer der Schwachen
die Verpflichtung, soweit seine Kräfte reichen, ihnen auch auf diesem Gebiete
seineu Schutz zu gewähren; denu die Erkenntnis des Publikums, daß ein Mittel
wertlos sei, kommt immer erst, nachdem der Schaden angerichtet, das Geld
für ein wertloses Mittel ausgegeben und die Zeit zum Gebrauch einer richtigen
Kur ganz oder teilweise versäumt ist; dann aber hat der Schwindler, namentlich
wenn er die Reklametrommel richtig zu rühren versteht, bereits den gewünschten
Erfolg seines unsaubern Treibens eingeheimst.

Von dem Standpunkt aus, daß der Staat den Schwachen schützen müsse,
verlangt man vor allem staatliche Kontrolle des Geheimmittelverkehrs, und zwar
der Art, daß entweder der Handel zwar freigegeben, aber jedes empfohlene
Mittel von einer zu diesem Zweck eingesetzten Behörde geprüft und das Publikum,
wenn das Mittel sich nicht bewähre, davor gewarnt werden solle, oder daß
alle zum Verkauf zu bringenden Geheimmittel der erwähnten Behörde vorgelegt
und erst nach deren Genehmigung und nach Aufnahme des Mittels in ein zu
veröffentlichendes Verzeichnis öffentlich verkauft und angekündigt werden dürften.
Beide Vorschläge scheinen besser, als sie wirklich sind. Die Warnung vor einem
Mittel ist die beste Art, darauf aufmerksam zu machen, weshalb auch die Be¬
hörden allmählich wieder davou zurückkommen. Die Bekanntmachungen der
Behörden in öffentlichen Blättern werden erfahrungsmäßig, aber auch vielfach
gar nicht und dann überhaupt meist nur lückenhaft vom Publikum gelesen. Noch
viel bedenklicher wird sich dies aber mit dem zu veröffentlichenden Verzeichnis
gestalten, dessen Vervollständigung unaufhörlich notwendig wäre, so daß man
sagen kann, es wäre geradezu unmöglich, daß alle Beteiligten, Verkäufer und
Redakteure, sich stets auf dem laufenden halten könnten, der Mühseligkeit für
einen Redakteur, bei Aufgabe einer Anzeige die sämtlichen Nummern des Ver¬
zeichnisses mit allen dazu ergangenen Nachträgen zu vergleichen, gar nicht zu
gedenken. Wenn aber auch dies alles durchführbar wäre, so bleibt noch die
Frage ungelöst, woher die zur Prüfung berufene Behörde Kenntnis von den
sämtlichen in den Handel gebrachten Geheimmitteln erlangen soll. Ich habe


Der Geheimmittelschwindel

Ich glaube, auf Grund des mitgeteilten wird mir jeder Recht geben, wenn
ich behaupte, daß wir einen unerträglichen Zustand vor uns haben, der aufs
dringendste der Abhilfe bedarf.

Mnu hat verschiedene Mittel zur Beseitigung des jetzigen Notstaudes vor¬
geschlagen, von denen zwar jedes bis zu einen gewissen Zweck etwas für sich
hat, keins aber wirklich genügt.

Vor allem wird vom rein manchesterlichen Standpunkt aus verlangt, den
Handel mit Geheimmitteln, ja vielleicht überhaupt mit Arzneimitteln ganz frei
zu geben, da er sich doch nicht verhindern lasse und da das Publikum schou
von selbst von wertlosen Mitteln zurückkommen werde. Gewiß wird, ich habe
es oben selbst hervorgehoben, das Verlangen nach Gehennmitteln und deren
Gebrauch nie aufhören. Trotzdem hat der Staat als Schützer der Schwachen
die Verpflichtung, soweit seine Kräfte reichen, ihnen auch auf diesem Gebiete
seineu Schutz zu gewähren; denu die Erkenntnis des Publikums, daß ein Mittel
wertlos sei, kommt immer erst, nachdem der Schaden angerichtet, das Geld
für ein wertloses Mittel ausgegeben und die Zeit zum Gebrauch einer richtigen
Kur ganz oder teilweise versäumt ist; dann aber hat der Schwindler, namentlich
wenn er die Reklametrommel richtig zu rühren versteht, bereits den gewünschten
Erfolg seines unsaubern Treibens eingeheimst.

Von dem Standpunkt aus, daß der Staat den Schwachen schützen müsse,
verlangt man vor allem staatliche Kontrolle des Geheimmittelverkehrs, und zwar
der Art, daß entweder der Handel zwar freigegeben, aber jedes empfohlene
Mittel von einer zu diesem Zweck eingesetzten Behörde geprüft und das Publikum,
wenn das Mittel sich nicht bewähre, davor gewarnt werden solle, oder daß
alle zum Verkauf zu bringenden Geheimmittel der erwähnten Behörde vorgelegt
und erst nach deren Genehmigung und nach Aufnahme des Mittels in ein zu
veröffentlichendes Verzeichnis öffentlich verkauft und angekündigt werden dürften.
Beide Vorschläge scheinen besser, als sie wirklich sind. Die Warnung vor einem
Mittel ist die beste Art, darauf aufmerksam zu machen, weshalb auch die Be¬
hörden allmählich wieder davou zurückkommen. Die Bekanntmachungen der
Behörden in öffentlichen Blättern werden erfahrungsmäßig, aber auch vielfach
gar nicht und dann überhaupt meist nur lückenhaft vom Publikum gelesen. Noch
viel bedenklicher wird sich dies aber mit dem zu veröffentlichenden Verzeichnis
gestalten, dessen Vervollständigung unaufhörlich notwendig wäre, so daß man
sagen kann, es wäre geradezu unmöglich, daß alle Beteiligten, Verkäufer und
Redakteure, sich stets auf dem laufenden halten könnten, der Mühseligkeit für
einen Redakteur, bei Aufgabe einer Anzeige die sämtlichen Nummern des Ver¬
zeichnisses mit allen dazu ergangenen Nachträgen zu vergleichen, gar nicht zu
gedenken. Wenn aber auch dies alles durchführbar wäre, so bleibt noch die
Frage ungelöst, woher die zur Prüfung berufene Behörde Kenntnis von den
sämtlichen in den Handel gebrachten Geheimmitteln erlangen soll. Ich habe


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[0365] Der Geheimmittelschwindel Ich glaube, auf Grund des mitgeteilten wird mir jeder Recht geben, wenn ich behaupte, daß wir einen unerträglichen Zustand vor uns haben, der aufs dringendste der Abhilfe bedarf. Mnu hat verschiedene Mittel zur Beseitigung des jetzigen Notstaudes vor¬ geschlagen, von denen zwar jedes bis zu einen gewissen Zweck etwas für sich hat, keins aber wirklich genügt. Vor allem wird vom rein manchesterlichen Standpunkt aus verlangt, den Handel mit Geheimmitteln, ja vielleicht überhaupt mit Arzneimitteln ganz frei zu geben, da er sich doch nicht verhindern lasse und da das Publikum schou von selbst von wertlosen Mitteln zurückkommen werde. Gewiß wird, ich habe es oben selbst hervorgehoben, das Verlangen nach Gehennmitteln und deren Gebrauch nie aufhören. Trotzdem hat der Staat als Schützer der Schwachen die Verpflichtung, soweit seine Kräfte reichen, ihnen auch auf diesem Gebiete seineu Schutz zu gewähren; denu die Erkenntnis des Publikums, daß ein Mittel wertlos sei, kommt immer erst, nachdem der Schaden angerichtet, das Geld für ein wertloses Mittel ausgegeben und die Zeit zum Gebrauch einer richtigen Kur ganz oder teilweise versäumt ist; dann aber hat der Schwindler, namentlich wenn er die Reklametrommel richtig zu rühren versteht, bereits den gewünschten Erfolg seines unsaubern Treibens eingeheimst. Von dem Standpunkt aus, daß der Staat den Schwachen schützen müsse, verlangt man vor allem staatliche Kontrolle des Geheimmittelverkehrs, und zwar der Art, daß entweder der Handel zwar freigegeben, aber jedes empfohlene Mittel von einer zu diesem Zweck eingesetzten Behörde geprüft und das Publikum, wenn das Mittel sich nicht bewähre, davor gewarnt werden solle, oder daß alle zum Verkauf zu bringenden Geheimmittel der erwähnten Behörde vorgelegt und erst nach deren Genehmigung und nach Aufnahme des Mittels in ein zu veröffentlichendes Verzeichnis öffentlich verkauft und angekündigt werden dürften. Beide Vorschläge scheinen besser, als sie wirklich sind. Die Warnung vor einem Mittel ist die beste Art, darauf aufmerksam zu machen, weshalb auch die Be¬ hörden allmählich wieder davou zurückkommen. Die Bekanntmachungen der Behörden in öffentlichen Blättern werden erfahrungsmäßig, aber auch vielfach gar nicht und dann überhaupt meist nur lückenhaft vom Publikum gelesen. Noch viel bedenklicher wird sich dies aber mit dem zu veröffentlichenden Verzeichnis gestalten, dessen Vervollständigung unaufhörlich notwendig wäre, so daß man sagen kann, es wäre geradezu unmöglich, daß alle Beteiligten, Verkäufer und Redakteure, sich stets auf dem laufenden halten könnten, der Mühseligkeit für einen Redakteur, bei Aufgabe einer Anzeige die sämtlichen Nummern des Ver¬ zeichnisses mit allen dazu ergangenen Nachträgen zu vergleichen, gar nicht zu gedenken. Wenn aber auch dies alles durchführbar wäre, so bleibt noch die Frage ungelöst, woher die zur Prüfung berufene Behörde Kenntnis von den sämtlichen in den Handel gebrachten Geheimmitteln erlangen soll. Ich habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/365>, abgerufen am 26.06.2024.