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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Der Geheimmittelschwindel

und machte den Verkäufer, der gerade den gesetzlichen Vorschriften möglichst
zu genügen die Absicht hatte, strafbar. Schwere Bedenken bestehen ferner
bezüglich der Frage, was unter Unkundigen oder Anpreisen verstanden werden
muß. Gehört zu einer Ankündigung oder Anpreisung eine Zeitungsanzeige
oder die Verbreitung eines Plakates, oder ist es bereits als geschehen anzu¬
nehmen, wenn das fragliche Mittel mit geeigneter Aufschrift in das Schaufenster
oder den jedermann zugänglichen Laden den: Besucher sichtbar aufgestellt wird?
Kann ein redaktioneller Artikel als eine Anpreisung angesehen werden, und wie
ist eine Anzeige aufzufassen des Inhaltes, daß der Leser bei einer bestimmt
angegebenen Adresse Nachrichten über ein sicher wirksames Mittel, sagen wir
zum Beispiel gegen den Bandwurm, erlangen könne? In welche Lage werden
dnrch solche Bestimmungen Publikum und Polizei versetzt! Die Grenze, wo
das Heilmittel anfängt und das kosmetische oder Erfrischungsmittel aufhört,
ist kaum noch festzustellen, seitdem z. B. Wasser gegen das Schuppen der
Kopfhaut nicht als kosmetisches und der Benediktiner-Doppelkräiltermagenbitter
nicht als bloßes Erfrischnngsmittel, sondern beide als Heilmittel anerkannt
sind. Es bleibt nichts andres übrig, als in jedem nur irgend zweifelhaft er¬
scheinenden Fall einen Sachverständigen, sei es den Physikus, sei es einen
Apotheker, zu Rate zu ziehen und nötigenfalls eine gerichtliche Entscheidung
herbeizuführen. Aber auch da findet man widersprechende Ansichten. So
erklärte der Obergesundheitsrat zu Karlsruhe die Pflanze lloinsriimg, für den
bei uns heimischen Vogelknöterich (^oh^ouum, avieularL), vor den Gerichten
zu Duisburg, Düsseldorf und Hildesheim wurde aber nachgewiesen, daß die
UomN-luna, wirklich aus Nußland eingeführt wurde. Den rheinischen Traubeu-
brusthonig haben das Schöffengericht Nees und das Landgericht Emmerich
als denn freien Verkehr ungehörig anerkannt, das Schöffen- und Landgericht
Hildesheim für ein Honigprüparat im Sinne der kaiserlichen Verordnung vom
3- Januar 1883 erklärt. Bezüglich der Vielefelder Tropfen hat das Schöffen¬
gericht Hildesheim (entgegen 5er Ansicht eines in der Verhandlung vernommenen
Sachverständigen, der sie für einen Auszug im Sinne der Tabelle ^ der
Verordnung vom 4. Januar 1875 bezeichnet hatte) auf Freisprechung erkannt,
weil sie vorzugsweise Erfrischuugsmittel seien und als solche vom Angeklagten,
einem Konditor, verkauft würden, während das Kanunergericht, wie schon ge¬
sagt, bezüglich des Dvppelkräutermagenbitter die Eigenschaft eines Erfrischungs-
nuttels neben der eines Heilmittels für unerheblich erklärt hat. Wegen Weiß-
mnnns Schlagwasser erkannte das Amtsgericht Bilshofen, wegen des Bonner
Krciftznckers das Amtsgericht Emmerich freisprechend, während das Amtsgericht
Hildesheim bezüglich beider Gegenstände zur Verurteilung gelangte. Will man
also volle Klarheit haben, so müßte man wegen jedes in Frage kommenden
Mittels eine Entscheidung der höchsten Instanz erwirken, wie dies bezüglich
der Brandtschen Schweizerpillen geschah, die das Kammergericht als ein


Der Geheimmittelschwindel

und machte den Verkäufer, der gerade den gesetzlichen Vorschriften möglichst
zu genügen die Absicht hatte, strafbar. Schwere Bedenken bestehen ferner
bezüglich der Frage, was unter Unkundigen oder Anpreisen verstanden werden
muß. Gehört zu einer Ankündigung oder Anpreisung eine Zeitungsanzeige
oder die Verbreitung eines Plakates, oder ist es bereits als geschehen anzu¬
nehmen, wenn das fragliche Mittel mit geeigneter Aufschrift in das Schaufenster
oder den jedermann zugänglichen Laden den: Besucher sichtbar aufgestellt wird?
Kann ein redaktioneller Artikel als eine Anpreisung angesehen werden, und wie
ist eine Anzeige aufzufassen des Inhaltes, daß der Leser bei einer bestimmt
angegebenen Adresse Nachrichten über ein sicher wirksames Mittel, sagen wir
zum Beispiel gegen den Bandwurm, erlangen könne? In welche Lage werden
dnrch solche Bestimmungen Publikum und Polizei versetzt! Die Grenze, wo
das Heilmittel anfängt und das kosmetische oder Erfrischungsmittel aufhört,
ist kaum noch festzustellen, seitdem z. B. Wasser gegen das Schuppen der
Kopfhaut nicht als kosmetisches und der Benediktiner-Doppelkräiltermagenbitter
nicht als bloßes Erfrischnngsmittel, sondern beide als Heilmittel anerkannt
sind. Es bleibt nichts andres übrig, als in jedem nur irgend zweifelhaft er¬
scheinenden Fall einen Sachverständigen, sei es den Physikus, sei es einen
Apotheker, zu Rate zu ziehen und nötigenfalls eine gerichtliche Entscheidung
herbeizuführen. Aber auch da findet man widersprechende Ansichten. So
erklärte der Obergesundheitsrat zu Karlsruhe die Pflanze lloinsriimg, für den
bei uns heimischen Vogelknöterich (^oh^ouum, avieularL), vor den Gerichten
zu Duisburg, Düsseldorf und Hildesheim wurde aber nachgewiesen, daß die
UomN-luna, wirklich aus Nußland eingeführt wurde. Den rheinischen Traubeu-
brusthonig haben das Schöffengericht Nees und das Landgericht Emmerich
als denn freien Verkehr ungehörig anerkannt, das Schöffen- und Landgericht
Hildesheim für ein Honigprüparat im Sinne der kaiserlichen Verordnung vom
3- Januar 1883 erklärt. Bezüglich der Vielefelder Tropfen hat das Schöffen¬
gericht Hildesheim (entgegen 5er Ansicht eines in der Verhandlung vernommenen
Sachverständigen, der sie für einen Auszug im Sinne der Tabelle ^ der
Verordnung vom 4. Januar 1875 bezeichnet hatte) auf Freisprechung erkannt,
weil sie vorzugsweise Erfrischuugsmittel seien und als solche vom Angeklagten,
einem Konditor, verkauft würden, während das Kanunergericht, wie schon ge¬
sagt, bezüglich des Dvppelkräutermagenbitter die Eigenschaft eines Erfrischungs-
nuttels neben der eines Heilmittels für unerheblich erklärt hat. Wegen Weiß-
mnnns Schlagwasser erkannte das Amtsgericht Bilshofen, wegen des Bonner
Krciftznckers das Amtsgericht Emmerich freisprechend, während das Amtsgericht
Hildesheim bezüglich beider Gegenstände zur Verurteilung gelangte. Will man
also volle Klarheit haben, so müßte man wegen jedes in Frage kommenden
Mittels eine Entscheidung der höchsten Instanz erwirken, wie dies bezüglich
der Brandtschen Schweizerpillen geschah, die das Kammergericht als ein


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[0363] Der Geheimmittelschwindel und machte den Verkäufer, der gerade den gesetzlichen Vorschriften möglichst zu genügen die Absicht hatte, strafbar. Schwere Bedenken bestehen ferner bezüglich der Frage, was unter Unkundigen oder Anpreisen verstanden werden muß. Gehört zu einer Ankündigung oder Anpreisung eine Zeitungsanzeige oder die Verbreitung eines Plakates, oder ist es bereits als geschehen anzu¬ nehmen, wenn das fragliche Mittel mit geeigneter Aufschrift in das Schaufenster oder den jedermann zugänglichen Laden den: Besucher sichtbar aufgestellt wird? Kann ein redaktioneller Artikel als eine Anpreisung angesehen werden, und wie ist eine Anzeige aufzufassen des Inhaltes, daß der Leser bei einer bestimmt angegebenen Adresse Nachrichten über ein sicher wirksames Mittel, sagen wir zum Beispiel gegen den Bandwurm, erlangen könne? In welche Lage werden dnrch solche Bestimmungen Publikum und Polizei versetzt! Die Grenze, wo das Heilmittel anfängt und das kosmetische oder Erfrischungsmittel aufhört, ist kaum noch festzustellen, seitdem z. B. Wasser gegen das Schuppen der Kopfhaut nicht als kosmetisches und der Benediktiner-Doppelkräiltermagenbitter nicht als bloßes Erfrischnngsmittel, sondern beide als Heilmittel anerkannt sind. Es bleibt nichts andres übrig, als in jedem nur irgend zweifelhaft er¬ scheinenden Fall einen Sachverständigen, sei es den Physikus, sei es einen Apotheker, zu Rate zu ziehen und nötigenfalls eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Aber auch da findet man widersprechende Ansichten. So erklärte der Obergesundheitsrat zu Karlsruhe die Pflanze lloinsriimg, für den bei uns heimischen Vogelknöterich (^oh^ouum, avieularL), vor den Gerichten zu Duisburg, Düsseldorf und Hildesheim wurde aber nachgewiesen, daß die UomN-luna, wirklich aus Nußland eingeführt wurde. Den rheinischen Traubeu- brusthonig haben das Schöffengericht Nees und das Landgericht Emmerich als denn freien Verkehr ungehörig anerkannt, das Schöffen- und Landgericht Hildesheim für ein Honigprüparat im Sinne der kaiserlichen Verordnung vom 3- Januar 1883 erklärt. Bezüglich der Vielefelder Tropfen hat das Schöffen¬ gericht Hildesheim (entgegen 5er Ansicht eines in der Verhandlung vernommenen Sachverständigen, der sie für einen Auszug im Sinne der Tabelle ^ der Verordnung vom 4. Januar 1875 bezeichnet hatte) auf Freisprechung erkannt, weil sie vorzugsweise Erfrischuugsmittel seien und als solche vom Angeklagten, einem Konditor, verkauft würden, während das Kanunergericht, wie schon ge¬ sagt, bezüglich des Dvppelkräutermagenbitter die Eigenschaft eines Erfrischungs- nuttels neben der eines Heilmittels für unerheblich erklärt hat. Wegen Weiß- mnnns Schlagwasser erkannte das Amtsgericht Bilshofen, wegen des Bonner Krciftznckers das Amtsgericht Emmerich freisprechend, während das Amtsgericht Hildesheim bezüglich beider Gegenstände zur Verurteilung gelangte. Will man also volle Klarheit haben, so müßte man wegen jedes in Frage kommenden Mittels eine Entscheidung der höchsten Instanz erwirken, wie dies bezüglich der Brandtschen Schweizerpillen geschah, die das Kammergericht als ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/363>, abgerufen am 26.06.2024.