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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Uaisorfrago und Gesslers Tagebnchsblätter

lösung des Bundesstantes in einen Staatenbund durch. Für seinen Enkel
Karl V. war das deutsche Reich nur eine Provinz seines Weltreiches, und nicht
diejenige, die ihm die liebste war. Das war vielmehr Spanien, für das
er Italien eroberte, nachdem er die Franzosen von da vertrieben hatte, mit
dessen militärischen Kräften er die deutschen Protestanten bekämpfte, und das
ihm gemeinschaftlich mit Italien die Rate lieferte, denen er dann die Leitung
der deutschen Politik übertrug. Wie der Protestantismus von der alten Kirche,
so war unter ihm die deutsche Nationalität von Fremdherrschaft bedroht, und
wenn in keinem Nachbarstaate über dem religiösen Streite das nationale Be¬
wußtsein für geraume Zeit verloren ging, so war dies unter diesem welt¬
beherrschenden Kaiser in Deutschland der Fall. Der Kaiser bedrängte die
evangelischen Fürsten mit spanischen Heerhaufen, und die Fürsten riefen dagegen
französischen Beistand auf. Der Kaiser bezahlte die spanische Hilfe mit Über¬
weisung der Niederlande, die Fürsten die französische mit Überlassung von Metz,
Toul und Verdun. Wie die Weltpolitik der mittelalterlichen Kaiser die Kräfte
Deutschlands für hoffnungslose Aufgaben im Auslande vergeudet hatte, so
riß die des ersten Kaisers der neuen Zeit die Glieder der Nation stückweise
ans einander. Ähnlich verfuhren in wichtigen Fragen die österreichischen Nach¬
folger Karls, indem sie ihre Thätigkeit für die Verteidigung Deutschlands gegen
Frankreich nicht nach dem deutschen, sondern nach dein Habsburgischen und
dem kirchlichen Interesse bemaßcn.

Konnte nnn der Kronprinz bei seinem Widerstreben gegen den Kaisertitel
auf diese Erinnerungen hinweisen, so war ihm zu erwidern, daß an eine
Erneuerung des heiligen römische" Reiches, an einen halb priesterlichen Charakter
seines Oberhauptes nicht gedacht werde und gar nicht gedacht werden konnte,
und daß in dem Namen Kaiser, deutscher Kaiser nicht das Streben nach Er¬
oberung fremder Länder, nicht die Absicht, ein Weltreich zu gründen, liege,
ja durch ihn ausdrücklich ausgeschlossen sei. Deutscher Kaiser bedeute nationaler
Kaiser, nicht, gleich dein Papste, den Anspruch ans Regierung der ganzen
Christenheit erhebender Kaiser, nicht Weltbeherrscher, nicht einmal Gebieter
über alle Deutschen, auch die in Österreich, Holland und den baltischen
Landen beisammen wohnenden, oder auch nur die Hoffnung auf eine zukünftige
Stellung der Art. Die große Mehrheit der Nation verwerfe jede Erinnerung
an das mittelalterliche Kaisertum mit seinen Kreuzzügen und Nomfahrten und
wolle auch von nichts ähnlichen! wissen. Sie verlange einen friedlichen
Herrscher, der das Volk zusammenhalte, seine Kräfte für die innere Wohlfahrt
entwickle und seine Freiheit gegen das Ausland sicher stelle und wahre.

Die Königsidee, so argumentirte der Kanzler, sei unausführbar und ohne
Stütze im Volke und bei deu meisten Fürsten. Drei kleinere Könige unter
einem größern seien etwas noch nicht dagewesenes. Ans gütlichem Wege
ließen sich die Könige nicht degradiren. Dann wurden dem Kronprinzen die


Die Uaisorfrago und Gesslers Tagebnchsblätter

lösung des Bundesstantes in einen Staatenbund durch. Für seinen Enkel
Karl V. war das deutsche Reich nur eine Provinz seines Weltreiches, und nicht
diejenige, die ihm die liebste war. Das war vielmehr Spanien, für das
er Italien eroberte, nachdem er die Franzosen von da vertrieben hatte, mit
dessen militärischen Kräften er die deutschen Protestanten bekämpfte, und das
ihm gemeinschaftlich mit Italien die Rate lieferte, denen er dann die Leitung
der deutschen Politik übertrug. Wie der Protestantismus von der alten Kirche,
so war unter ihm die deutsche Nationalität von Fremdherrschaft bedroht, und
wenn in keinem Nachbarstaate über dem religiösen Streite das nationale Be¬
wußtsein für geraume Zeit verloren ging, so war dies unter diesem welt¬
beherrschenden Kaiser in Deutschland der Fall. Der Kaiser bedrängte die
evangelischen Fürsten mit spanischen Heerhaufen, und die Fürsten riefen dagegen
französischen Beistand auf. Der Kaiser bezahlte die spanische Hilfe mit Über¬
weisung der Niederlande, die Fürsten die französische mit Überlassung von Metz,
Toul und Verdun. Wie die Weltpolitik der mittelalterlichen Kaiser die Kräfte
Deutschlands für hoffnungslose Aufgaben im Auslande vergeudet hatte, so
riß die des ersten Kaisers der neuen Zeit die Glieder der Nation stückweise
ans einander. Ähnlich verfuhren in wichtigen Fragen die österreichischen Nach¬
folger Karls, indem sie ihre Thätigkeit für die Verteidigung Deutschlands gegen
Frankreich nicht nach dem deutschen, sondern nach dein Habsburgischen und
dem kirchlichen Interesse bemaßcn.

Konnte nnn der Kronprinz bei seinem Widerstreben gegen den Kaisertitel
auf diese Erinnerungen hinweisen, so war ihm zu erwidern, daß an eine
Erneuerung des heiligen römische» Reiches, an einen halb priesterlichen Charakter
seines Oberhauptes nicht gedacht werde und gar nicht gedacht werden konnte,
und daß in dem Namen Kaiser, deutscher Kaiser nicht das Streben nach Er¬
oberung fremder Länder, nicht die Absicht, ein Weltreich zu gründen, liege,
ja durch ihn ausdrücklich ausgeschlossen sei. Deutscher Kaiser bedeute nationaler
Kaiser, nicht, gleich dein Papste, den Anspruch ans Regierung der ganzen
Christenheit erhebender Kaiser, nicht Weltbeherrscher, nicht einmal Gebieter
über alle Deutschen, auch die in Österreich, Holland und den baltischen
Landen beisammen wohnenden, oder auch nur die Hoffnung auf eine zukünftige
Stellung der Art. Die große Mehrheit der Nation verwerfe jede Erinnerung
an das mittelalterliche Kaisertum mit seinen Kreuzzügen und Nomfahrten und
wolle auch von nichts ähnlichen! wissen. Sie verlange einen friedlichen
Herrscher, der das Volk zusammenhalte, seine Kräfte für die innere Wohlfahrt
entwickle und seine Freiheit gegen das Ausland sicher stelle und wahre.

Die Königsidee, so argumentirte der Kanzler, sei unausführbar und ohne
Stütze im Volke und bei deu meisten Fürsten. Drei kleinere Könige unter
einem größern seien etwas noch nicht dagewesenes. Ans gütlichem Wege
ließen sich die Könige nicht degradiren. Dann wurden dem Kronprinzen die


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[0357] Die Uaisorfrago und Gesslers Tagebnchsblätter lösung des Bundesstantes in einen Staatenbund durch. Für seinen Enkel Karl V. war das deutsche Reich nur eine Provinz seines Weltreiches, und nicht diejenige, die ihm die liebste war. Das war vielmehr Spanien, für das er Italien eroberte, nachdem er die Franzosen von da vertrieben hatte, mit dessen militärischen Kräften er die deutschen Protestanten bekämpfte, und das ihm gemeinschaftlich mit Italien die Rate lieferte, denen er dann die Leitung der deutschen Politik übertrug. Wie der Protestantismus von der alten Kirche, so war unter ihm die deutsche Nationalität von Fremdherrschaft bedroht, und wenn in keinem Nachbarstaate über dem religiösen Streite das nationale Be¬ wußtsein für geraume Zeit verloren ging, so war dies unter diesem welt¬ beherrschenden Kaiser in Deutschland der Fall. Der Kaiser bedrängte die evangelischen Fürsten mit spanischen Heerhaufen, und die Fürsten riefen dagegen französischen Beistand auf. Der Kaiser bezahlte die spanische Hilfe mit Über¬ weisung der Niederlande, die Fürsten die französische mit Überlassung von Metz, Toul und Verdun. Wie die Weltpolitik der mittelalterlichen Kaiser die Kräfte Deutschlands für hoffnungslose Aufgaben im Auslande vergeudet hatte, so riß die des ersten Kaisers der neuen Zeit die Glieder der Nation stückweise ans einander. Ähnlich verfuhren in wichtigen Fragen die österreichischen Nach¬ folger Karls, indem sie ihre Thätigkeit für die Verteidigung Deutschlands gegen Frankreich nicht nach dem deutschen, sondern nach dein Habsburgischen und dem kirchlichen Interesse bemaßcn. Konnte nnn der Kronprinz bei seinem Widerstreben gegen den Kaisertitel auf diese Erinnerungen hinweisen, so war ihm zu erwidern, daß an eine Erneuerung des heiligen römische» Reiches, an einen halb priesterlichen Charakter seines Oberhauptes nicht gedacht werde und gar nicht gedacht werden konnte, und daß in dem Namen Kaiser, deutscher Kaiser nicht das Streben nach Er¬ oberung fremder Länder, nicht die Absicht, ein Weltreich zu gründen, liege, ja durch ihn ausdrücklich ausgeschlossen sei. Deutscher Kaiser bedeute nationaler Kaiser, nicht, gleich dein Papste, den Anspruch ans Regierung der ganzen Christenheit erhebender Kaiser, nicht Weltbeherrscher, nicht einmal Gebieter über alle Deutschen, auch die in Österreich, Holland und den baltischen Landen beisammen wohnenden, oder auch nur die Hoffnung auf eine zukünftige Stellung der Art. Die große Mehrheit der Nation verwerfe jede Erinnerung an das mittelalterliche Kaisertum mit seinen Kreuzzügen und Nomfahrten und wolle auch von nichts ähnlichen! wissen. Sie verlange einen friedlichen Herrscher, der das Volk zusammenhalte, seine Kräfte für die innere Wohlfahrt entwickle und seine Freiheit gegen das Ausland sicher stelle und wahre. Die Königsidee, so argumentirte der Kanzler, sei unausführbar und ohne Stütze im Volke und bei deu meisten Fürsten. Drei kleinere Könige unter einem größern seien etwas noch nicht dagewesenes. Ans gütlichem Wege ließen sich die Könige nicht degradiren. Dann wurden dem Kronprinzen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/357>, abgerufen am 26.06.2024.