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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Kaiserfrage und Gesslers Tagebuchsblätter

nicht in richtiges und organisches Gleichgewicht, sondern bedrohte die deutsche
Freiheit mit Überflnthnng durch welsches Cäsarentnm. Das Kaiserreich erlebte
nnter Karl dem Großen Schöpfung lind höchsten Stand in demselben Augen¬
blick, es gestaltete sich gleich bei seiner Gründung als priesterliche Weltherr¬
schaft, und es brach sofort nach den: Tode seines Stifters nach raschem Sinken
auseinander. Nachdem alsdann König Heinrich der Finkler mit politischer
Genialität und weltlicher Gesinnung die Kräfte der Nation gesammelt hatte,
erneuerte Otto I. das Kaisertum auf kirchlichem Boden, mit dein Anspruch
aus höchste Gewalt über die gesamte Christenheit; aber zum zweitenmale
erwies sich das System des "heiligen" Reiches unhaltbar, und Schritt für
Schritt ging es unter seinen Nachfolgern mit ihm an Umfang und Kraft
bergab, bis zum Aussterben des sächsischen Hauses. Wieder trat in Konrad II.
ein echter Staatsmann als Hersteller des politischen und nationalen Königtums
auf, und wieder erfaßte bereits dessen Sohn der Zauber der geweihten Welt¬
krone. Zum drittenmale wurden von ihm die Grenzlinien zwischen .Kirche
und Staat verwischt, und nicht zufrieden mit der Aufgabe, sein deutsches Volk
zu regieren, von dem Wunsche erfüllt, mittels der Kirche den Erdkreis zu
beherrschen, wirkte er mit zu einer Verfassung der letztern, bei der die
kaiserliche Vormundschaft ein Widersinn war. Auf dem Boden eines theokra-
tischer Weltreiches konnte es nicht zwei Regenten geben, die dauernd in
Frieden mit einander lebten, und als Heinrich IV. mit Gregor VII. brach, be¬
hielt der Priesterfürst die Oberhand über den Laienkaiser. Es war die dritte
Niederlage des Kaisertums, die entscheidende und die letzte. Deutschland als politi¬
scher Organismus ging aus seiner Kaiserzeit zerrüttet hervor, es gab noch
den Namen eines Reiches, aber keine wirksame Staatsgewalt mehr. Zwei Jahr¬
hunderte hindurch strebte die Nation auf allerlei Wegen aus der Anarchie heraus zu
kommen, und um das Jahr 1490, wo die Bewegung für eine Reichsreform ver¬
breiteter und energischer als je vorher war, schien dies gelingen zu wollen.
Aber das neue Kaisertum stand seiner Natur nach in demselben schneidenden
Widersprüche mit den Interessen des deutschen Volkes wie das alte. Als der
Erzbischof Verthold von Mainz dein Kaiser Maximilian die geschichtliche Summe
jenes Strebens in Gestalt von Verfassnngsverträgen vorlegte, war dieser vor
die Frage gestellt, was er vorziehe, eine starke Reichsgewalt, die er aber nur
gemeinsam mit den im Reichstage vertretenen Ständen und nach fester Ordnung
zu führen hätte, oder die bisherige Verwirrung, dabei aber die Hoffnung,
sie für dynastische Zwecke auszubeuten. Er entschied sich für das letztere,
und mit der nationalen Verfassung war es vorbei. Mit dem Streben nach
auswärtigen Eroberungen für die Dynastie vertrug sich keine konstituirte deutsche
Nation, die der Politik ihres Oberhauptes Maß und Regel nach den Be¬
dürfnissen Deutschlands gegeben hätte. Um die Streitkräfte des letztern für
die habsburgische Weltherrschaft gebrauchen zu dürfen, fetzte der Kaiser die Auf-


Die Kaiserfrage und Gesslers Tagebuchsblätter

nicht in richtiges und organisches Gleichgewicht, sondern bedrohte die deutsche
Freiheit mit Überflnthnng durch welsches Cäsarentnm. Das Kaiserreich erlebte
nnter Karl dem Großen Schöpfung lind höchsten Stand in demselben Augen¬
blick, es gestaltete sich gleich bei seiner Gründung als priesterliche Weltherr¬
schaft, und es brach sofort nach den: Tode seines Stifters nach raschem Sinken
auseinander. Nachdem alsdann König Heinrich der Finkler mit politischer
Genialität und weltlicher Gesinnung die Kräfte der Nation gesammelt hatte,
erneuerte Otto I. das Kaisertum auf kirchlichem Boden, mit dein Anspruch
aus höchste Gewalt über die gesamte Christenheit; aber zum zweitenmale
erwies sich das System des „heiligen" Reiches unhaltbar, und Schritt für
Schritt ging es unter seinen Nachfolgern mit ihm an Umfang und Kraft
bergab, bis zum Aussterben des sächsischen Hauses. Wieder trat in Konrad II.
ein echter Staatsmann als Hersteller des politischen und nationalen Königtums
auf, und wieder erfaßte bereits dessen Sohn der Zauber der geweihten Welt¬
krone. Zum drittenmale wurden von ihm die Grenzlinien zwischen .Kirche
und Staat verwischt, und nicht zufrieden mit der Aufgabe, sein deutsches Volk
zu regieren, von dem Wunsche erfüllt, mittels der Kirche den Erdkreis zu
beherrschen, wirkte er mit zu einer Verfassung der letztern, bei der die
kaiserliche Vormundschaft ein Widersinn war. Auf dem Boden eines theokra-
tischer Weltreiches konnte es nicht zwei Regenten geben, die dauernd in
Frieden mit einander lebten, und als Heinrich IV. mit Gregor VII. brach, be¬
hielt der Priesterfürst die Oberhand über den Laienkaiser. Es war die dritte
Niederlage des Kaisertums, die entscheidende und die letzte. Deutschland als politi¬
scher Organismus ging aus seiner Kaiserzeit zerrüttet hervor, es gab noch
den Namen eines Reiches, aber keine wirksame Staatsgewalt mehr. Zwei Jahr¬
hunderte hindurch strebte die Nation auf allerlei Wegen aus der Anarchie heraus zu
kommen, und um das Jahr 1490, wo die Bewegung für eine Reichsreform ver¬
breiteter und energischer als je vorher war, schien dies gelingen zu wollen.
Aber das neue Kaisertum stand seiner Natur nach in demselben schneidenden
Widersprüche mit den Interessen des deutschen Volkes wie das alte. Als der
Erzbischof Verthold von Mainz dein Kaiser Maximilian die geschichtliche Summe
jenes Strebens in Gestalt von Verfassnngsverträgen vorlegte, war dieser vor
die Frage gestellt, was er vorziehe, eine starke Reichsgewalt, die er aber nur
gemeinsam mit den im Reichstage vertretenen Ständen und nach fester Ordnung
zu führen hätte, oder die bisherige Verwirrung, dabei aber die Hoffnung,
sie für dynastische Zwecke auszubeuten. Er entschied sich für das letztere,
und mit der nationalen Verfassung war es vorbei. Mit dem Streben nach
auswärtigen Eroberungen für die Dynastie vertrug sich keine konstituirte deutsche
Nation, die der Politik ihres Oberhauptes Maß und Regel nach den Be¬
dürfnissen Deutschlands gegeben hätte. Um die Streitkräfte des letztern für
die habsburgische Weltherrschaft gebrauchen zu dürfen, fetzte der Kaiser die Auf-


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[0356] Die Kaiserfrage und Gesslers Tagebuchsblätter nicht in richtiges und organisches Gleichgewicht, sondern bedrohte die deutsche Freiheit mit Überflnthnng durch welsches Cäsarentnm. Das Kaiserreich erlebte nnter Karl dem Großen Schöpfung lind höchsten Stand in demselben Augen¬ blick, es gestaltete sich gleich bei seiner Gründung als priesterliche Weltherr¬ schaft, und es brach sofort nach den: Tode seines Stifters nach raschem Sinken auseinander. Nachdem alsdann König Heinrich der Finkler mit politischer Genialität und weltlicher Gesinnung die Kräfte der Nation gesammelt hatte, erneuerte Otto I. das Kaisertum auf kirchlichem Boden, mit dein Anspruch aus höchste Gewalt über die gesamte Christenheit; aber zum zweitenmale erwies sich das System des „heiligen" Reiches unhaltbar, und Schritt für Schritt ging es unter seinen Nachfolgern mit ihm an Umfang und Kraft bergab, bis zum Aussterben des sächsischen Hauses. Wieder trat in Konrad II. ein echter Staatsmann als Hersteller des politischen und nationalen Königtums auf, und wieder erfaßte bereits dessen Sohn der Zauber der geweihten Welt¬ krone. Zum drittenmale wurden von ihm die Grenzlinien zwischen .Kirche und Staat verwischt, und nicht zufrieden mit der Aufgabe, sein deutsches Volk zu regieren, von dem Wunsche erfüllt, mittels der Kirche den Erdkreis zu beherrschen, wirkte er mit zu einer Verfassung der letztern, bei der die kaiserliche Vormundschaft ein Widersinn war. Auf dem Boden eines theokra- tischer Weltreiches konnte es nicht zwei Regenten geben, die dauernd in Frieden mit einander lebten, und als Heinrich IV. mit Gregor VII. brach, be¬ hielt der Priesterfürst die Oberhand über den Laienkaiser. Es war die dritte Niederlage des Kaisertums, die entscheidende und die letzte. Deutschland als politi¬ scher Organismus ging aus seiner Kaiserzeit zerrüttet hervor, es gab noch den Namen eines Reiches, aber keine wirksame Staatsgewalt mehr. Zwei Jahr¬ hunderte hindurch strebte die Nation auf allerlei Wegen aus der Anarchie heraus zu kommen, und um das Jahr 1490, wo die Bewegung für eine Reichsreform ver¬ breiteter und energischer als je vorher war, schien dies gelingen zu wollen. Aber das neue Kaisertum stand seiner Natur nach in demselben schneidenden Widersprüche mit den Interessen des deutschen Volkes wie das alte. Als der Erzbischof Verthold von Mainz dein Kaiser Maximilian die geschichtliche Summe jenes Strebens in Gestalt von Verfassnngsverträgen vorlegte, war dieser vor die Frage gestellt, was er vorziehe, eine starke Reichsgewalt, die er aber nur gemeinsam mit den im Reichstage vertretenen Ständen und nach fester Ordnung zu führen hätte, oder die bisherige Verwirrung, dabei aber die Hoffnung, sie für dynastische Zwecke auszubeuten. Er entschied sich für das letztere, und mit der nationalen Verfassung war es vorbei. Mit dem Streben nach auswärtigen Eroberungen für die Dynastie vertrug sich keine konstituirte deutsche Nation, die der Politik ihres Oberhauptes Maß und Regel nach den Be¬ dürfnissen Deutschlands gegeben hätte. Um die Streitkräfte des letztern für die habsburgische Weltherrschaft gebrauchen zu dürfen, fetzte der Kaiser die Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/356>, abgerufen am 26.06.2024.