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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Raiserfrage und Goffkens Tagebuchsblcitter

Vorzüge des Titels Kaiser auseinandergesetzt und zwar zunächst der, welcher
später dem König Ludwig gegenüber geltend gemacht wurde, es werde leichter
sein, sich einem Landsmanne, der den Titel deutscher Kaiser führe, als einem
Nachbar, dein Könige von Preußen, unterzuordnen und ihm Rechte in Krieg
und Frieden einzuräumen. Sodann aber habe im Volke der Kaiser offenbar
mehr Eindruck hinterlassen, als die wenigen Fürsten des Mittelnlters, die sich
deutsche Könige genannt hätten, trotz ihrer Verdienste um die Nation. Die
seien in der Masse des Volkes ebenso vergessen wie die unheilvolle Politik
der alten Kaiser. Die Nation hoffe bei der Erneuerung des Reiches nicht auf
einen deutschen König, sondern auf einen Kaiser als Schlußstein und Krönung
des Baues. Nicht ein König, sondern ein Kaiser sitze, der Auferstehung harrend,
im norddeutschen Kyffhäuser und im süddeutschen Untersberge. Der Kniser-
gcdcmke habe schon in der Burschenschaft von 1818 gelebt, 1848 sei er in der
Paulskirche zu Worte gekommen, 1863 habe Österreich mit seinem Verfassungs-
eutwurfe für den Frankfurter Fürstentag etwas ühuliches im Sinne gehabt.
Später war, so schloß diese Empfehlung der Kaiseridee, bei der Gründung
des Norddeutschen Bundes nachweislich von einem Kaiser desselben die Rede,
und man sah davon nur deshalb ab, weil es eine Spaltung Deutschlands
gegeben hätte, weil der Anschluß vou Bnieru und Württemberg durch vor¬
zeitige Herstellung des Kaisertums erschwert worden wäre. Ans ähnlichen
Gründen habe die Regierung im Februar 1870 den Abgeordneten Laster mit
seinem Ansinnen abgewiesen, Baden in den Bund aufzunehmen; es wäre das
ein starker und verstimmender Druck auf dessen süddeutsche Nachbarn gewesen,
der den durch den Zollverein und die Militärverträge vorbereiteten freiwilligen
Eintritt erschwert haben würde. Die Kaiseridee wäre in allen Kreisen des
Volkes bereits lebendig, aber kein Verständiger denke dabei an einen heiligen
römischen Kaiser, niemand verbinde damit eine Salbung in Rom, Eroberungs¬
kriege jenseits der Alpen und das Streben uach einer Weltmonarchie, über¬
haupt an etwas, was dem nationalen Interesse widerstreite. Man erwarte viel¬
mehr von dem neuen deutschen Oberhaupte, daß dieses Interesse ihm alleinige
Richtschnur sei, daß es sie mit allem seinem politischen Thun und Lassen reprä-
sentire. Der Kaiser, der Vismarcks Denken vorschwebte, war somit eine rein
nationale Idee, die Idee der Einigung uach langer Zwietracht und tiefem Ver¬
fall, der neuen Macht und Sicherheit, des neuen Gedeihens, Aufblühens und
Fruchtbringens durch diese Einigung, diese Organisation und Konzentrirnng
aller Glieder der Nation um einen erhöhten Mittelpunkt. Nun, diesen ganzen
Akt der Verhandlungen über die Kaiserfrage, der in verschiedene Szenen zer¬
fiel, erwähnt das kronprinzliche Tagebuch uicht mit einem Worte; die Voll¬
ständigkeit der Darstellung aber liegt im Interesse der Geschichtschreibung.

Nun kam der zweite Akt, in welchem Bismarck und der Kronprinz ver¬
eint den König Wilhelm für die Idee zu gewinnen suchten. Der wies sie


Die Raiserfrage und Goffkens Tagebuchsblcitter

Vorzüge des Titels Kaiser auseinandergesetzt und zwar zunächst der, welcher
später dem König Ludwig gegenüber geltend gemacht wurde, es werde leichter
sein, sich einem Landsmanne, der den Titel deutscher Kaiser führe, als einem
Nachbar, dein Könige von Preußen, unterzuordnen und ihm Rechte in Krieg
und Frieden einzuräumen. Sodann aber habe im Volke der Kaiser offenbar
mehr Eindruck hinterlassen, als die wenigen Fürsten des Mittelnlters, die sich
deutsche Könige genannt hätten, trotz ihrer Verdienste um die Nation. Die
seien in der Masse des Volkes ebenso vergessen wie die unheilvolle Politik
der alten Kaiser. Die Nation hoffe bei der Erneuerung des Reiches nicht auf
einen deutschen König, sondern auf einen Kaiser als Schlußstein und Krönung
des Baues. Nicht ein König, sondern ein Kaiser sitze, der Auferstehung harrend,
im norddeutschen Kyffhäuser und im süddeutschen Untersberge. Der Kniser-
gcdcmke habe schon in der Burschenschaft von 1818 gelebt, 1848 sei er in der
Paulskirche zu Worte gekommen, 1863 habe Österreich mit seinem Verfassungs-
eutwurfe für den Frankfurter Fürstentag etwas ühuliches im Sinne gehabt.
Später war, so schloß diese Empfehlung der Kaiseridee, bei der Gründung
des Norddeutschen Bundes nachweislich von einem Kaiser desselben die Rede,
und man sah davon nur deshalb ab, weil es eine Spaltung Deutschlands
gegeben hätte, weil der Anschluß vou Bnieru und Württemberg durch vor¬
zeitige Herstellung des Kaisertums erschwert worden wäre. Ans ähnlichen
Gründen habe die Regierung im Februar 1870 den Abgeordneten Laster mit
seinem Ansinnen abgewiesen, Baden in den Bund aufzunehmen; es wäre das
ein starker und verstimmender Druck auf dessen süddeutsche Nachbarn gewesen,
der den durch den Zollverein und die Militärverträge vorbereiteten freiwilligen
Eintritt erschwert haben würde. Die Kaiseridee wäre in allen Kreisen des
Volkes bereits lebendig, aber kein Verständiger denke dabei an einen heiligen
römischen Kaiser, niemand verbinde damit eine Salbung in Rom, Eroberungs¬
kriege jenseits der Alpen und das Streben uach einer Weltmonarchie, über¬
haupt an etwas, was dem nationalen Interesse widerstreite. Man erwarte viel¬
mehr von dem neuen deutschen Oberhaupte, daß dieses Interesse ihm alleinige
Richtschnur sei, daß es sie mit allem seinem politischen Thun und Lassen reprä-
sentire. Der Kaiser, der Vismarcks Denken vorschwebte, war somit eine rein
nationale Idee, die Idee der Einigung uach langer Zwietracht und tiefem Ver¬
fall, der neuen Macht und Sicherheit, des neuen Gedeihens, Aufblühens und
Fruchtbringens durch diese Einigung, diese Organisation und Konzentrirnng
aller Glieder der Nation um einen erhöhten Mittelpunkt. Nun, diesen ganzen
Akt der Verhandlungen über die Kaiserfrage, der in verschiedene Szenen zer¬
fiel, erwähnt das kronprinzliche Tagebuch uicht mit einem Worte; die Voll¬
ständigkeit der Darstellung aber liegt im Interesse der Geschichtschreibung.

Nun kam der zweite Akt, in welchem Bismarck und der Kronprinz ver¬
eint den König Wilhelm für die Idee zu gewinnen suchten. Der wies sie


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[0358] Die Raiserfrage und Goffkens Tagebuchsblcitter Vorzüge des Titels Kaiser auseinandergesetzt und zwar zunächst der, welcher später dem König Ludwig gegenüber geltend gemacht wurde, es werde leichter sein, sich einem Landsmanne, der den Titel deutscher Kaiser führe, als einem Nachbar, dein Könige von Preußen, unterzuordnen und ihm Rechte in Krieg und Frieden einzuräumen. Sodann aber habe im Volke der Kaiser offenbar mehr Eindruck hinterlassen, als die wenigen Fürsten des Mittelnlters, die sich deutsche Könige genannt hätten, trotz ihrer Verdienste um die Nation. Die seien in der Masse des Volkes ebenso vergessen wie die unheilvolle Politik der alten Kaiser. Die Nation hoffe bei der Erneuerung des Reiches nicht auf einen deutschen König, sondern auf einen Kaiser als Schlußstein und Krönung des Baues. Nicht ein König, sondern ein Kaiser sitze, der Auferstehung harrend, im norddeutschen Kyffhäuser und im süddeutschen Untersberge. Der Kniser- gcdcmke habe schon in der Burschenschaft von 1818 gelebt, 1848 sei er in der Paulskirche zu Worte gekommen, 1863 habe Österreich mit seinem Verfassungs- eutwurfe für den Frankfurter Fürstentag etwas ühuliches im Sinne gehabt. Später war, so schloß diese Empfehlung der Kaiseridee, bei der Gründung des Norddeutschen Bundes nachweislich von einem Kaiser desselben die Rede, und man sah davon nur deshalb ab, weil es eine Spaltung Deutschlands gegeben hätte, weil der Anschluß vou Bnieru und Württemberg durch vor¬ zeitige Herstellung des Kaisertums erschwert worden wäre. Ans ähnlichen Gründen habe die Regierung im Februar 1870 den Abgeordneten Laster mit seinem Ansinnen abgewiesen, Baden in den Bund aufzunehmen; es wäre das ein starker und verstimmender Druck auf dessen süddeutsche Nachbarn gewesen, der den durch den Zollverein und die Militärverträge vorbereiteten freiwilligen Eintritt erschwert haben würde. Die Kaiseridee wäre in allen Kreisen des Volkes bereits lebendig, aber kein Verständiger denke dabei an einen heiligen römischen Kaiser, niemand verbinde damit eine Salbung in Rom, Eroberungs¬ kriege jenseits der Alpen und das Streben uach einer Weltmonarchie, über¬ haupt an etwas, was dem nationalen Interesse widerstreite. Man erwarte viel¬ mehr von dem neuen deutschen Oberhaupte, daß dieses Interesse ihm alleinige Richtschnur sei, daß es sie mit allem seinem politischen Thun und Lassen reprä- sentire. Der Kaiser, der Vismarcks Denken vorschwebte, war somit eine rein nationale Idee, die Idee der Einigung uach langer Zwietracht und tiefem Ver¬ fall, der neuen Macht und Sicherheit, des neuen Gedeihens, Aufblühens und Fruchtbringens durch diese Einigung, diese Organisation und Konzentrirnng aller Glieder der Nation um einen erhöhten Mittelpunkt. Nun, diesen ganzen Akt der Verhandlungen über die Kaiserfrage, der in verschiedene Szenen zer¬ fiel, erwähnt das kronprinzliche Tagebuch uicht mit einem Worte; die Voll¬ ständigkeit der Darstellung aber liegt im Interesse der Geschichtschreibung. Nun kam der zweite Akt, in welchem Bismarck und der Kronprinz ver¬ eint den König Wilhelm für die Idee zu gewinnen suchten. Der wies sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/358>, abgerufen am 26.06.2024.