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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Geographische Handbücher

Albert Heims Gletscherkunde ist die erste erschöpfende Darstellung
der Gletscher, ihrer Entstehung und Bewegung, ihrer Veränderungen und
Wirkungen. Wir haben ein riesiges Sammelwerk über Gletscher und Firn
von Dollfuß-Ausset, die Litteratur der Physik und Geographie besitzt ältere
Werke über einzelne Gletscher und zahlreiche Monographien, die bestimmte
Fragen der Gletscherlehre behandeln. Auch war vor mehr als dreißig Jahren
eine kurze Zusammenfassung alles über Gletscher Bekannten, wissenschaftlich und
doch verständlich, von Moussou herausgegeben worden. Das vorliegende Buch
hat aber keinen Vorgänger gehabt und steht auch hente allein da. Heim ist
einer der ersten Gletscherkenner und beherrscht die Gletscherlitteratnr wie wenige.
Er hat sich in seiner originalen Weise mit den Gletschererscheinungen seit Jahren
denkend und beobachtend beschäftigt, und das Buch, das er geschaffen hat, ist
daher kein Augenblickswerk. Es bespricht eingehend das Große wie das Kleine,
die ersten Anfänge am obern Rande der Firnmulde, wo der Bergschrund klafft,
und den Ausgang in den trüben, schlammerfülltcn Gletscherbach. Aber nicht
der Hauch des Studierzimmers weht durch die einzelnen Kapitel, die mancher
reicher an Verweisungen und Anmerkungen wünschen möchte, sondern etwas von
der Frische unmittelbarer Beobachtung und einer von Liebe zur Natur erfüllten
Versenkung in die Probleme des Hochgebirges spricht uus wohlthuend daraus
an. Eine Beigabe von hervorragendem Wert ist die schöne Gletscherkarte, die
aus den Blättern Jungfrau und Aletsch der Eidgenössischen Topographischen
Karte zusammengestellt ist.

Kein Zweig der physikalischen Geographie hat in den letzten Jahrzehnten
so viel höchst wirksame Förderungen erfahren, wie die Kunde vom Meere. Den
Meeresboden kennen wir in den allgemeinen Grundzügen seiner Gestalt erst
seit dreißig Jahren. Es waren die Untersuchungen im Interesse der Kabel-
legungen, die in den fünfziger Jahren zuerst am Boden des nordatlantischen
Ozeans einen überraschenden Gegensatz von Tief- und Hochebenen nachwiesen,
der dann langsam weiter verfolgt wurde. Erst seit den systematischen For¬
schungen des "Challenger," der "Gazelle," der "Tnsearora" u. n. staatlich
unterstützten Expeditionen der siebziger Jahre sind in allen befahrenen Meeren
Bodenverhältnisse von vielfach ähnlicher, in einzelnen Fällen aber anch sehr
abweichender Beschaffenheit erkannt worden. Noch sind unsre Vorstellungen
von subniariner Topographie sehr mangelhaft, aber wir wissen, nach welchen
Grundsätzen der Meeresboden gestaltet ist, und jede einzelne Lotung findet
nun ihren Platz, vervollständigt das Bild, das, die Karte der oberirdischen
Topographie fortsetzend, uns die Formen des Meeresbodens sehen läßt.
Die Theorie der Meeresströmungen bewegte sich vor 20 Jahren in dein Vor-
stellungskreis des großen thermischen Austausches an der Meeresfläche, des
offnen Polarmeeres, der scharf gesonderte:? Meeresströme; seitdem hat man die
Rolle der mehr oder weniger kalten Tiefseewässer im vertikalen Austausche


Geographische Handbücher

Albert Heims Gletscherkunde ist die erste erschöpfende Darstellung
der Gletscher, ihrer Entstehung und Bewegung, ihrer Veränderungen und
Wirkungen. Wir haben ein riesiges Sammelwerk über Gletscher und Firn
von Dollfuß-Ausset, die Litteratur der Physik und Geographie besitzt ältere
Werke über einzelne Gletscher und zahlreiche Monographien, die bestimmte
Fragen der Gletscherlehre behandeln. Auch war vor mehr als dreißig Jahren
eine kurze Zusammenfassung alles über Gletscher Bekannten, wissenschaftlich und
doch verständlich, von Moussou herausgegeben worden. Das vorliegende Buch
hat aber keinen Vorgänger gehabt und steht auch hente allein da. Heim ist
einer der ersten Gletscherkenner und beherrscht die Gletscherlitteratnr wie wenige.
Er hat sich in seiner originalen Weise mit den Gletschererscheinungen seit Jahren
denkend und beobachtend beschäftigt, und das Buch, das er geschaffen hat, ist
daher kein Augenblickswerk. Es bespricht eingehend das Große wie das Kleine,
die ersten Anfänge am obern Rande der Firnmulde, wo der Bergschrund klafft,
und den Ausgang in den trüben, schlammerfülltcn Gletscherbach. Aber nicht
der Hauch des Studierzimmers weht durch die einzelnen Kapitel, die mancher
reicher an Verweisungen und Anmerkungen wünschen möchte, sondern etwas von
der Frische unmittelbarer Beobachtung und einer von Liebe zur Natur erfüllten
Versenkung in die Probleme des Hochgebirges spricht uus wohlthuend daraus
an. Eine Beigabe von hervorragendem Wert ist die schöne Gletscherkarte, die
aus den Blättern Jungfrau und Aletsch der Eidgenössischen Topographischen
Karte zusammengestellt ist.

Kein Zweig der physikalischen Geographie hat in den letzten Jahrzehnten
so viel höchst wirksame Förderungen erfahren, wie die Kunde vom Meere. Den
Meeresboden kennen wir in den allgemeinen Grundzügen seiner Gestalt erst
seit dreißig Jahren. Es waren die Untersuchungen im Interesse der Kabel-
legungen, die in den fünfziger Jahren zuerst am Boden des nordatlantischen
Ozeans einen überraschenden Gegensatz von Tief- und Hochebenen nachwiesen,
der dann langsam weiter verfolgt wurde. Erst seit den systematischen For¬
schungen des „Challenger," der „Gazelle," der „Tnsearora" u. n. staatlich
unterstützten Expeditionen der siebziger Jahre sind in allen befahrenen Meeren
Bodenverhältnisse von vielfach ähnlicher, in einzelnen Fällen aber anch sehr
abweichender Beschaffenheit erkannt worden. Noch sind unsre Vorstellungen
von subniariner Topographie sehr mangelhaft, aber wir wissen, nach welchen
Grundsätzen der Meeresboden gestaltet ist, und jede einzelne Lotung findet
nun ihren Platz, vervollständigt das Bild, das, die Karte der oberirdischen
Topographie fortsetzend, uns die Formen des Meeresbodens sehen läßt.
Die Theorie der Meeresströmungen bewegte sich vor 20 Jahren in dein Vor-
stellungskreis des großen thermischen Austausches an der Meeresfläche, des
offnen Polarmeeres, der scharf gesonderte:? Meeresströme; seitdem hat man die
Rolle der mehr oder weniger kalten Tiefseewässer im vertikalen Austausche


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[0342] Geographische Handbücher Albert Heims Gletscherkunde ist die erste erschöpfende Darstellung der Gletscher, ihrer Entstehung und Bewegung, ihrer Veränderungen und Wirkungen. Wir haben ein riesiges Sammelwerk über Gletscher und Firn von Dollfuß-Ausset, die Litteratur der Physik und Geographie besitzt ältere Werke über einzelne Gletscher und zahlreiche Monographien, die bestimmte Fragen der Gletscherlehre behandeln. Auch war vor mehr als dreißig Jahren eine kurze Zusammenfassung alles über Gletscher Bekannten, wissenschaftlich und doch verständlich, von Moussou herausgegeben worden. Das vorliegende Buch hat aber keinen Vorgänger gehabt und steht auch hente allein da. Heim ist einer der ersten Gletscherkenner und beherrscht die Gletscherlitteratnr wie wenige. Er hat sich in seiner originalen Weise mit den Gletschererscheinungen seit Jahren denkend und beobachtend beschäftigt, und das Buch, das er geschaffen hat, ist daher kein Augenblickswerk. Es bespricht eingehend das Große wie das Kleine, die ersten Anfänge am obern Rande der Firnmulde, wo der Bergschrund klafft, und den Ausgang in den trüben, schlammerfülltcn Gletscherbach. Aber nicht der Hauch des Studierzimmers weht durch die einzelnen Kapitel, die mancher reicher an Verweisungen und Anmerkungen wünschen möchte, sondern etwas von der Frische unmittelbarer Beobachtung und einer von Liebe zur Natur erfüllten Versenkung in die Probleme des Hochgebirges spricht uus wohlthuend daraus an. Eine Beigabe von hervorragendem Wert ist die schöne Gletscherkarte, die aus den Blättern Jungfrau und Aletsch der Eidgenössischen Topographischen Karte zusammengestellt ist. Kein Zweig der physikalischen Geographie hat in den letzten Jahrzehnten so viel höchst wirksame Förderungen erfahren, wie die Kunde vom Meere. Den Meeresboden kennen wir in den allgemeinen Grundzügen seiner Gestalt erst seit dreißig Jahren. Es waren die Untersuchungen im Interesse der Kabel- legungen, die in den fünfziger Jahren zuerst am Boden des nordatlantischen Ozeans einen überraschenden Gegensatz von Tief- und Hochebenen nachwiesen, der dann langsam weiter verfolgt wurde. Erst seit den systematischen For¬ schungen des „Challenger," der „Gazelle," der „Tnsearora" u. n. staatlich unterstützten Expeditionen der siebziger Jahre sind in allen befahrenen Meeren Bodenverhältnisse von vielfach ähnlicher, in einzelnen Fällen aber anch sehr abweichender Beschaffenheit erkannt worden. Noch sind unsre Vorstellungen von subniariner Topographie sehr mangelhaft, aber wir wissen, nach welchen Grundsätzen der Meeresboden gestaltet ist, und jede einzelne Lotung findet nun ihren Platz, vervollständigt das Bild, das, die Karte der oberirdischen Topographie fortsetzend, uns die Formen des Meeresbodens sehen läßt. Die Theorie der Meeresströmungen bewegte sich vor 20 Jahren in dein Vor- stellungskreis des großen thermischen Austausches an der Meeresfläche, des offnen Polarmeeres, der scharf gesonderte:? Meeresströme; seitdem hat man die Rolle der mehr oder weniger kalten Tiefseewässer im vertikalen Austausche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/342>, abgerufen am 26.06.2024.