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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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warmer und kalter Schichten und in den großen kalten Tiefseestrinnen kennen
gelernt, man hat den Einfluß der Luftströmungen auf die Bewegungen an
der Meeresoberfläche als einen wesentlich anstvßgebenden nachgewiesen und in
neuester Zeit den örtlichen Systemen der Küstenstrvme und der Branduugs-
welle ihre Bedeutung für die Küstenbildnug zuerkannt. Gleichzeitig ist den
Biologen in der nicht geahnten Fülle des Thier- und Pflanzenlebens in den
Meerestiefen eine neue Welt aufgegangen, aus der auch ein Licht auf die
Bildungsgeschichte des Meeresbodens und der geologischen Schichten fällt,
die einst am Meeresboden lagen. Überblicken nur alle diese Fortschritte und
deuten dazu noch an, was für Insel- und Riffbildnng, besonders durch das
Studium des Vulkanismus und der Korallenbänken, für die Kenntnis der
Fjorde, der Schwankungen des Meeresspiegels, der Eisberge und des Treib¬
eises noch geleistet wurde, so begreift man, daß auf keinem andern Boden
das Erscheinen eines neuen Handbuches so willkommen geheißen werden mußte,
wie auf dem der Ozeanographie. Seitdem Maurys Musical (^evAraxb^ ok
t-to Sog, veraltet war, fehlte eine umfassende und gründliche Darstellung der Ge¬
samtheit der hier einschlägigen Thatsachen und Theorien. G. von Bognslawsky,
als Sektionsvorstand im Hydrographischen Amt der Kaiserlich Deutschen Ad¬
miralität und Herausgeber der "Nuualeu der Hydrographie" dazu vor allen
berufe", übernahm es, das bis auf den kleinsten Baustein neue Werk, das der
vorhin geschilderte Werdeprozeß der Ozeanographie erforderte, zu schaffen.
Leider war es ihm beschieden, nur den beschreibenden Teil zu vollenden; der
Tod rief ihn ab, ehe er die Hand an die Forsetzung legen konnte. Zöppritz,
der sein Erbe übernommen hatte, folgte ihm ins Reich der Schatten, noch ehe er
mich nur ein Kapitel ganz vollendet hatte. seinen Nachlaß hat Otto Krummel
einer Darstellung der Vewegungserscheiuuugen des Meeres zu gründe gelegt,
der das Gesamtwert nnn aufs würdigste abschließt.

Das zuletzt erschienene Werk unsrer Sammlung ist K. von Fritschs
Allgemeine Geologie. Man kaun nicht sagen, daß die deutsche Litteratur
Maugel leide an Lehr- und Handbüchern der Geologie; am praktischen Bedarf
gemessen oder mit der Zahl der möglichen oder wahrscheinlichen Käufer ver¬
glichen, sind sie sogar in Überfluß vorhanden. Aber damit ist nicht gesagt,
"alß nun jedes später kommende keinen Platz und vor allem keine Wirksamkeit
finden könnte. Die Geologie ist von allen mit naturwissenschaftlicher Methode
arbeitenden Disziplinen am meisten uns Hypothesen angewiesen. In sie erhebt
sich auf einem Boden, der nicht der Natur ungehört, sondern ein Gedankcn-
gerüst ist, mit dessen Sturz der ganze Bau dieser Wissenschaft fallen müßte.
Die^ Plutonisten und Neptunisten stehen bis auf den heutige" Tag einander
in strenger Sonderung gegenüber. Fechten sie keine harten Kämpfe mit weit¬
hinschallender Waffen, so hält doch jede Partei zäh an dem Grunde fest, auf
dem allein sie ganz fest baue" zu können glaubt. Die Eigenartigkeit des vor


warmer und kalter Schichten und in den großen kalten Tiefseestrinnen kennen
gelernt, man hat den Einfluß der Luftströmungen auf die Bewegungen an
der Meeresoberfläche als einen wesentlich anstvßgebenden nachgewiesen und in
neuester Zeit den örtlichen Systemen der Küstenstrvme und der Branduugs-
welle ihre Bedeutung für die Küstenbildnug zuerkannt. Gleichzeitig ist den
Biologen in der nicht geahnten Fülle des Thier- und Pflanzenlebens in den
Meerestiefen eine neue Welt aufgegangen, aus der auch ein Licht auf die
Bildungsgeschichte des Meeresbodens und der geologischen Schichten fällt,
die einst am Meeresboden lagen. Überblicken nur alle diese Fortschritte und
deuten dazu noch an, was für Insel- und Riffbildnng, besonders durch das
Studium des Vulkanismus und der Korallenbänken, für die Kenntnis der
Fjorde, der Schwankungen des Meeresspiegels, der Eisberge und des Treib¬
eises noch geleistet wurde, so begreift man, daß auf keinem andern Boden
das Erscheinen eines neuen Handbuches so willkommen geheißen werden mußte,
wie auf dem der Ozeanographie. Seitdem Maurys Musical (^evAraxb^ ok
t-to Sog, veraltet war, fehlte eine umfassende und gründliche Darstellung der Ge¬
samtheit der hier einschlägigen Thatsachen und Theorien. G. von Bognslawsky,
als Sektionsvorstand im Hydrographischen Amt der Kaiserlich Deutschen Ad¬
miralität und Herausgeber der „Nuualeu der Hydrographie" dazu vor allen
berufe», übernahm es, das bis auf den kleinsten Baustein neue Werk, das der
vorhin geschilderte Werdeprozeß der Ozeanographie erforderte, zu schaffen.
Leider war es ihm beschieden, nur den beschreibenden Teil zu vollenden; der
Tod rief ihn ab, ehe er die Hand an die Forsetzung legen konnte. Zöppritz,
der sein Erbe übernommen hatte, folgte ihm ins Reich der Schatten, noch ehe er
mich nur ein Kapitel ganz vollendet hatte. seinen Nachlaß hat Otto Krummel
einer Darstellung der Vewegungserscheiuuugen des Meeres zu gründe gelegt,
der das Gesamtwert nnn aufs würdigste abschließt.

Das zuletzt erschienene Werk unsrer Sammlung ist K. von Fritschs
Allgemeine Geologie. Man kaun nicht sagen, daß die deutsche Litteratur
Maugel leide an Lehr- und Handbüchern der Geologie; am praktischen Bedarf
gemessen oder mit der Zahl der möglichen oder wahrscheinlichen Käufer ver¬
glichen, sind sie sogar in Überfluß vorhanden. Aber damit ist nicht gesagt,
"alß nun jedes später kommende keinen Platz und vor allem keine Wirksamkeit
finden könnte. Die Geologie ist von allen mit naturwissenschaftlicher Methode
arbeitenden Disziplinen am meisten uns Hypothesen angewiesen. In sie erhebt
sich auf einem Boden, der nicht der Natur ungehört, sondern ein Gedankcn-
gerüst ist, mit dessen Sturz der ganze Bau dieser Wissenschaft fallen müßte.
Die^ Plutonisten und Neptunisten stehen bis auf den heutige» Tag einander
in strenger Sonderung gegenüber. Fechten sie keine harten Kämpfe mit weit¬
hinschallender Waffen, so hält doch jede Partei zäh an dem Grunde fest, auf
dem allein sie ganz fest baue» zu können glaubt. Die Eigenartigkeit des vor


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[0343] warmer und kalter Schichten und in den großen kalten Tiefseestrinnen kennen gelernt, man hat den Einfluß der Luftströmungen auf die Bewegungen an der Meeresoberfläche als einen wesentlich anstvßgebenden nachgewiesen und in neuester Zeit den örtlichen Systemen der Küstenstrvme und der Branduugs- welle ihre Bedeutung für die Küstenbildnug zuerkannt. Gleichzeitig ist den Biologen in der nicht geahnten Fülle des Thier- und Pflanzenlebens in den Meerestiefen eine neue Welt aufgegangen, aus der auch ein Licht auf die Bildungsgeschichte des Meeresbodens und der geologischen Schichten fällt, die einst am Meeresboden lagen. Überblicken nur alle diese Fortschritte und deuten dazu noch an, was für Insel- und Riffbildnng, besonders durch das Studium des Vulkanismus und der Korallenbänken, für die Kenntnis der Fjorde, der Schwankungen des Meeresspiegels, der Eisberge und des Treib¬ eises noch geleistet wurde, so begreift man, daß auf keinem andern Boden das Erscheinen eines neuen Handbuches so willkommen geheißen werden mußte, wie auf dem der Ozeanographie. Seitdem Maurys Musical (^evAraxb^ ok t-to Sog, veraltet war, fehlte eine umfassende und gründliche Darstellung der Ge¬ samtheit der hier einschlägigen Thatsachen und Theorien. G. von Bognslawsky, als Sektionsvorstand im Hydrographischen Amt der Kaiserlich Deutschen Ad¬ miralität und Herausgeber der „Nuualeu der Hydrographie" dazu vor allen berufe», übernahm es, das bis auf den kleinsten Baustein neue Werk, das der vorhin geschilderte Werdeprozeß der Ozeanographie erforderte, zu schaffen. Leider war es ihm beschieden, nur den beschreibenden Teil zu vollenden; der Tod rief ihn ab, ehe er die Hand an die Forsetzung legen konnte. Zöppritz, der sein Erbe übernommen hatte, folgte ihm ins Reich der Schatten, noch ehe er mich nur ein Kapitel ganz vollendet hatte. seinen Nachlaß hat Otto Krummel einer Darstellung der Vewegungserscheiuuugen des Meeres zu gründe gelegt, der das Gesamtwert nnn aufs würdigste abschließt. Das zuletzt erschienene Werk unsrer Sammlung ist K. von Fritschs Allgemeine Geologie. Man kaun nicht sagen, daß die deutsche Litteratur Maugel leide an Lehr- und Handbüchern der Geologie; am praktischen Bedarf gemessen oder mit der Zahl der möglichen oder wahrscheinlichen Käufer ver¬ glichen, sind sie sogar in Überfluß vorhanden. Aber damit ist nicht gesagt, "alß nun jedes später kommende keinen Platz und vor allem keine Wirksamkeit finden könnte. Die Geologie ist von allen mit naturwissenschaftlicher Methode arbeitenden Disziplinen am meisten uns Hypothesen angewiesen. In sie erhebt sich auf einem Boden, der nicht der Natur ungehört, sondern ein Gedankcn- gerüst ist, mit dessen Sturz der ganze Bau dieser Wissenschaft fallen müßte. Die^ Plutonisten und Neptunisten stehen bis auf den heutige» Tag einander in strenger Sonderung gegenüber. Fechten sie keine harten Kämpfe mit weit¬ hinschallender Waffen, so hält doch jede Partei zäh an dem Grunde fest, auf dem allein sie ganz fest baue» zu können glaubt. Die Eigenartigkeit des vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/343>, abgerufen am 26.06.2024.