Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geographische Handbücher

lebt, wenn auch in der Tiefe, wo es gesucht werden "aß. Man kann es
niemand aufdrängen, doch muß man gelegentlich darauf hinweisen, wenn es
auch uur wäre, um den Anschein zu meiden, als sei das deutsche Publikum
nur noch im Stande, sich von Brühe zu nähren und vermöge die Brocken
nicht mehr beißen. Es wird immer einigen von Wert sein, von Büchern
ernster Arbeit zu vernehmen, die bis in das Innerste eines Wissensgebietes
hinein und hart bis an das Selbstforschen hinanführen. Ist nicht auch eine
nationalpolitische Erwägung hier am Platze? Was alles von unserm Ansehen
und unsern Erfolgen richt doch auf dem gründlichen Lernen! Wenn unsre
Bildung an Eleganz es nicht mit der romanischen aufnehmen kann und soll,
so bewahre sie sich um so treuer deu Vorzug der ehrlichen Vertiefung. Der
Wert des Kernes geht doch immer über den der Hülle, mag diese noch so
anziehend gestaltet sein. Und hauptsächlich ist wichtig, daß er so unabhängig
von aller Schätzung ist, die andre ihm nugedeiheu lassen mögen. Wer ihn
erarbeitet hat, der besitzt ihn als ein wirkliches Gut, dessen Wert keine Kurs¬
schwankungen des geistigen Verkehrs zu mindern vermögen.

Wir wollen hier von einigen Büchern sprechen, die zwar nicht zu den
abschreckenden Werken der Gelehrsamkeit gehöre,:, an die aber doch nnr der
hinantreten möge, dem es ernst ist mit der Wissenschaft, der zu lernen denkt
und nach fest zu eigen werdendem und fortwirkenden geistigem Besitze strebt.
Es sind Bücher, von denen jedes einzelne so recht ans der eingehendsten Be¬
schäftigung mit seinem Gegenstande herausgeboren ist, ohne daß doch irgend
eines den Stempel des Handwerksmäßigen an sich trüge. Das wahrhaft An¬
ziehende und das dauernd Fesselude bleibt doch immer das Originale. Wenn,
wie in der Geographie, den Gedankenentnücklungen sich der rasche Wechsel der
die ganze Erde umspannenden, ans allen Zonen und Ländern ihre Belege
holenden Darstellung gesellte, gingen aus wissenschaftlichen Werkstätten Schriften
vom höchsten Grade der "Lesbarkeit" hervor, wie Humboldt, Buch, Peschel
sie geschaffen haben. In der Handbüchersammlung, von der wir hier sprechen
wollen, befindet sich ein und das andre Buch, das ein Erzeugnis ursprüng¬
licher Gedankenarbeit ist und doch die Reize einer litterarischen Schöpfung
nicht vermissen läßt.

Die Anthropogeographie von Friedrich Ratzel nimmt den Herder-
Ritterschen Gedanken der Abhängigkeit der geschichtlichen Entwicklung der
Menschheit von den Naturbedingungen ihres Bodens, des Klimas, der Pflauzen-
und Tierwelt wieder auf und sucht die Grenzen der Nachweisbarkeit dieser
Abhängigkeit zu bestimmen. In besondern Abschnitten werden die Beziehungen
besprochen, die zwischen den geschichtlichen Bewegungen und ihren Erzeugnissen,
den Staaten, Ansiedlungen, Wärter- und Verkehrswegen ans der einen Seite
und den räumlichen Verhältnissen des Erdballs, der Verteilung des Landes
und des Wassers, den Meeren, Seen, Flüssen, Gebirgen, der Küstenbildnng,


Geographische Handbücher

lebt, wenn auch in der Tiefe, wo es gesucht werden »aß. Man kann es
niemand aufdrängen, doch muß man gelegentlich darauf hinweisen, wenn es
auch uur wäre, um den Anschein zu meiden, als sei das deutsche Publikum
nur noch im Stande, sich von Brühe zu nähren und vermöge die Brocken
nicht mehr beißen. Es wird immer einigen von Wert sein, von Büchern
ernster Arbeit zu vernehmen, die bis in das Innerste eines Wissensgebietes
hinein und hart bis an das Selbstforschen hinanführen. Ist nicht auch eine
nationalpolitische Erwägung hier am Platze? Was alles von unserm Ansehen
und unsern Erfolgen richt doch auf dem gründlichen Lernen! Wenn unsre
Bildung an Eleganz es nicht mit der romanischen aufnehmen kann und soll,
so bewahre sie sich um so treuer deu Vorzug der ehrlichen Vertiefung. Der
Wert des Kernes geht doch immer über den der Hülle, mag diese noch so
anziehend gestaltet sein. Und hauptsächlich ist wichtig, daß er so unabhängig
von aller Schätzung ist, die andre ihm nugedeiheu lassen mögen. Wer ihn
erarbeitet hat, der besitzt ihn als ein wirkliches Gut, dessen Wert keine Kurs¬
schwankungen des geistigen Verkehrs zu mindern vermögen.

Wir wollen hier von einigen Büchern sprechen, die zwar nicht zu den
abschreckenden Werken der Gelehrsamkeit gehöre,:, an die aber doch nnr der
hinantreten möge, dem es ernst ist mit der Wissenschaft, der zu lernen denkt
und nach fest zu eigen werdendem und fortwirkenden geistigem Besitze strebt.
Es sind Bücher, von denen jedes einzelne so recht ans der eingehendsten Be¬
schäftigung mit seinem Gegenstande herausgeboren ist, ohne daß doch irgend
eines den Stempel des Handwerksmäßigen an sich trüge. Das wahrhaft An¬
ziehende und das dauernd Fesselude bleibt doch immer das Originale. Wenn,
wie in der Geographie, den Gedankenentnücklungen sich der rasche Wechsel der
die ganze Erde umspannenden, ans allen Zonen und Ländern ihre Belege
holenden Darstellung gesellte, gingen aus wissenschaftlichen Werkstätten Schriften
vom höchsten Grade der „Lesbarkeit" hervor, wie Humboldt, Buch, Peschel
sie geschaffen haben. In der Handbüchersammlung, von der wir hier sprechen
wollen, befindet sich ein und das andre Buch, das ein Erzeugnis ursprüng¬
licher Gedankenarbeit ist und doch die Reize einer litterarischen Schöpfung
nicht vermissen läßt.

Die Anthropogeographie von Friedrich Ratzel nimmt den Herder-
Ritterschen Gedanken der Abhängigkeit der geschichtlichen Entwicklung der
Menschheit von den Naturbedingungen ihres Bodens, des Klimas, der Pflauzen-
und Tierwelt wieder auf und sucht die Grenzen der Nachweisbarkeit dieser
Abhängigkeit zu bestimmen. In besondern Abschnitten werden die Beziehungen
besprochen, die zwischen den geschichtlichen Bewegungen und ihren Erzeugnissen,
den Staaten, Ansiedlungen, Wärter- und Verkehrswegen ans der einen Seite
und den räumlichen Verhältnissen des Erdballs, der Verteilung des Landes
und des Wassers, den Meeren, Seen, Flüssen, Gebirgen, der Küstenbildnng,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204429"/>
          <fw type="header" place="top"> Geographische Handbücher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1085" prev="#ID_1084"> lebt, wenn auch in der Tiefe, wo es gesucht werden »aß. Man kann es<lb/>
niemand aufdrängen, doch muß man gelegentlich darauf hinweisen, wenn es<lb/>
auch uur wäre, um den Anschein zu meiden, als sei das deutsche Publikum<lb/>
nur noch im Stande, sich von Brühe zu nähren und vermöge die Brocken<lb/>
nicht mehr beißen. Es wird immer einigen von Wert sein, von Büchern<lb/>
ernster Arbeit zu vernehmen, die bis in das Innerste eines Wissensgebietes<lb/>
hinein und hart bis an das Selbstforschen hinanführen. Ist nicht auch eine<lb/>
nationalpolitische Erwägung hier am Platze? Was alles von unserm Ansehen<lb/>
und unsern Erfolgen richt doch auf dem gründlichen Lernen! Wenn unsre<lb/>
Bildung an Eleganz es nicht mit der romanischen aufnehmen kann und soll,<lb/>
so bewahre sie sich um so treuer deu Vorzug der ehrlichen Vertiefung. Der<lb/>
Wert des Kernes geht doch immer über den der Hülle, mag diese noch so<lb/>
anziehend gestaltet sein. Und hauptsächlich ist wichtig, daß er so unabhängig<lb/>
von aller Schätzung ist, die andre ihm nugedeiheu lassen mögen. Wer ihn<lb/>
erarbeitet hat, der besitzt ihn als ein wirkliches Gut, dessen Wert keine Kurs¬<lb/>
schwankungen des geistigen Verkehrs zu mindern vermögen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1086"> Wir wollen hier von einigen Büchern sprechen, die zwar nicht zu den<lb/>
abschreckenden Werken der Gelehrsamkeit gehöre,:, an die aber doch nnr der<lb/>
hinantreten möge, dem es ernst ist mit der Wissenschaft, der zu lernen denkt<lb/>
und nach fest zu eigen werdendem und fortwirkenden geistigem Besitze strebt.<lb/>
Es sind Bücher, von denen jedes einzelne so recht ans der eingehendsten Be¬<lb/>
schäftigung mit seinem Gegenstande herausgeboren ist, ohne daß doch irgend<lb/>
eines den Stempel des Handwerksmäßigen an sich trüge. Das wahrhaft An¬<lb/>
ziehende und das dauernd Fesselude bleibt doch immer das Originale. Wenn,<lb/>
wie in der Geographie, den Gedankenentnücklungen sich der rasche Wechsel der<lb/>
die ganze Erde umspannenden, ans allen Zonen und Ländern ihre Belege<lb/>
holenden Darstellung gesellte, gingen aus wissenschaftlichen Werkstätten Schriften<lb/>
vom höchsten Grade der &#x201E;Lesbarkeit" hervor, wie Humboldt, Buch, Peschel<lb/>
sie geschaffen haben. In der Handbüchersammlung, von der wir hier sprechen<lb/>
wollen, befindet sich ein und das andre Buch, das ein Erzeugnis ursprüng¬<lb/>
licher Gedankenarbeit ist und doch die Reize einer litterarischen Schöpfung<lb/>
nicht vermissen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1087" next="#ID_1088"> Die Anthropogeographie von Friedrich Ratzel nimmt den Herder-<lb/>
Ritterschen Gedanken der Abhängigkeit der geschichtlichen Entwicklung der<lb/>
Menschheit von den Naturbedingungen ihres Bodens, des Klimas, der Pflauzen-<lb/>
und Tierwelt wieder auf und sucht die Grenzen der Nachweisbarkeit dieser<lb/>
Abhängigkeit zu bestimmen. In besondern Abschnitten werden die Beziehungen<lb/>
besprochen, die zwischen den geschichtlichen Bewegungen und ihren Erzeugnissen,<lb/>
den Staaten, Ansiedlungen, Wärter- und Verkehrswegen ans der einen Seite<lb/>
und den räumlichen Verhältnissen des Erdballs, der Verteilung des Landes<lb/>
und des Wassers, den Meeren, Seen, Flüssen, Gebirgen, der Küstenbildnng,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] Geographische Handbücher lebt, wenn auch in der Tiefe, wo es gesucht werden »aß. Man kann es niemand aufdrängen, doch muß man gelegentlich darauf hinweisen, wenn es auch uur wäre, um den Anschein zu meiden, als sei das deutsche Publikum nur noch im Stande, sich von Brühe zu nähren und vermöge die Brocken nicht mehr beißen. Es wird immer einigen von Wert sein, von Büchern ernster Arbeit zu vernehmen, die bis in das Innerste eines Wissensgebietes hinein und hart bis an das Selbstforschen hinanführen. Ist nicht auch eine nationalpolitische Erwägung hier am Platze? Was alles von unserm Ansehen und unsern Erfolgen richt doch auf dem gründlichen Lernen! Wenn unsre Bildung an Eleganz es nicht mit der romanischen aufnehmen kann und soll, so bewahre sie sich um so treuer deu Vorzug der ehrlichen Vertiefung. Der Wert des Kernes geht doch immer über den der Hülle, mag diese noch so anziehend gestaltet sein. Und hauptsächlich ist wichtig, daß er so unabhängig von aller Schätzung ist, die andre ihm nugedeiheu lassen mögen. Wer ihn erarbeitet hat, der besitzt ihn als ein wirkliches Gut, dessen Wert keine Kurs¬ schwankungen des geistigen Verkehrs zu mindern vermögen. Wir wollen hier von einigen Büchern sprechen, die zwar nicht zu den abschreckenden Werken der Gelehrsamkeit gehöre,:, an die aber doch nnr der hinantreten möge, dem es ernst ist mit der Wissenschaft, der zu lernen denkt und nach fest zu eigen werdendem und fortwirkenden geistigem Besitze strebt. Es sind Bücher, von denen jedes einzelne so recht ans der eingehendsten Be¬ schäftigung mit seinem Gegenstande herausgeboren ist, ohne daß doch irgend eines den Stempel des Handwerksmäßigen an sich trüge. Das wahrhaft An¬ ziehende und das dauernd Fesselude bleibt doch immer das Originale. Wenn, wie in der Geographie, den Gedankenentnücklungen sich der rasche Wechsel der die ganze Erde umspannenden, ans allen Zonen und Ländern ihre Belege holenden Darstellung gesellte, gingen aus wissenschaftlichen Werkstätten Schriften vom höchsten Grade der „Lesbarkeit" hervor, wie Humboldt, Buch, Peschel sie geschaffen haben. In der Handbüchersammlung, von der wir hier sprechen wollen, befindet sich ein und das andre Buch, das ein Erzeugnis ursprüng¬ licher Gedankenarbeit ist und doch die Reize einer litterarischen Schöpfung nicht vermissen läßt. Die Anthropogeographie von Friedrich Ratzel nimmt den Herder- Ritterschen Gedanken der Abhängigkeit der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit von den Naturbedingungen ihres Bodens, des Klimas, der Pflauzen- und Tierwelt wieder auf und sucht die Grenzen der Nachweisbarkeit dieser Abhängigkeit zu bestimmen. In besondern Abschnitten werden die Beziehungen besprochen, die zwischen den geschichtlichen Bewegungen und ihren Erzeugnissen, den Staaten, Ansiedlungen, Wärter- und Verkehrswegen ans der einen Seite und den räumlichen Verhältnissen des Erdballs, der Verteilung des Landes und des Wassers, den Meeren, Seen, Flüssen, Gebirgen, der Küstenbildnng,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/340>, abgerufen am 26.06.2024.