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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wolf Baudissin

Schaffenden, iir seiner Weise Kenntnisse und Eindrücke sammelnd und seinen
Geschmack läuternd. Dann war er, durch Briefe von befreundeter Hand ge¬
warnt, nicht in die Machtsphäre seines grollenden Landesherrn zurückgekehrt,
sondern hatte, nach verschiednen wechselnden Aufenthalten, im Jahre 1827 sich
in Dresden niedergelassen. Dort wurde ihm im Jahre 1836 seine erste Gattin,
nach 22jähriger glücklicher Ehe, durch deu Tod entrissen. Zwei Jahre darauf
raffte er sich aus seiner Trauer wieder zu einer größern Reise auf, diesmal
nach Griechenland, wo er gemeinsam mit Geibel und Curtius sich in genu߬
reiche Studien über Land und Leute, über Einst und Jetzt vertiefte, um dann
seine Schritte auch noch nach Konstantinopel und Smyrna zu lenken. Nach
weitern zwei Jahren wurde ihm das Glück zu teil, von neuem einen Herzens-
bnnd zu schließen; er verband sich mit Fräulein Sophie Kasket, einer knnst-
begabten Tochter Dresdens. Bis an sein Lebensende wurde er nicht müde,
für den Segen dieses Bundes dem Himmel zu danken.

Werfen wir nun einen Blick auf das, was Baudissin, dieser Fleißigste
aller Sterblichen, auf litterarischem Gebiete geleistet hat. Außer deu schon
erwähnten Sprachen, von denen er sich keiner je ganz wieder entfremdete, be¬
herrschte er in seiner gründlichen Weise Dänisch, schwedisch, Italienisch und
Spanisch. Tief in den Geist fremder Sprachen einzudringen, die in ihnen ge¬
dichteten Meisterwerke in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, so vollkommen,
daß ihre Eigenart gewahrt blieb, und daß sie doch nicht wie ein Fremdes an¬
muteten, das war seine große und schöne Leidenschaft.

Schon in Kiel lernte er abends im Bett spanische Vokabeln und Grammatik.
Während seiner Festungshaft in Friedrichsort verwertete er seine unfreiwillige
Muße zum Übersetzen von Dantes Hölle. Während seines Stilllebens auf Schloß
Rantzan trat er mit seinem ersten Buche in die Öffentlichkeit, dem einzigen Ge¬
schichtsdrama Shakespeares, das Schlegel nicht übersetzt hatte, mit Heinrich VIII.;
es ist später in die sogenannte Schlegel-Tiecksche Übersetzung aufgenommen worden.
In Dresden bot sich ihm dann endlich Gelegenheit, sich den Übersetzern von
Beruf zuzugefellen. Wie bekannt ist, hatte Tieck die Fortführung der von
Schlegel begonnenen Shakespeare-Übersetzung zwar übernommen, aber ans
allerlei Gründen es doch vorgezogen, diese mühevolle Arbeit lieber nicht selbst
Zu leisten, und so traten Tiecks Tochter Dorothea und Baudissin für den bequem
gewordenen Alten in die Bresche. Unter den dreizehn vou Baudissin übersetzten
Stücken befinden sich, um uur die wichtigeren zu nennen, anßer Heinrich VIII.,
Othello, König Lear, Die Zähmung der Widerspenstigen, Ende gut alles gut,
Die lustigen Weiber von Windsor und Viel Lärm um nichts. Das Honorar
überließ Baudissin der Tochter Tiecks.

Über die Art. wie Tieck sich in der Anerkennung sonnte, welche die Schlegel-
Tiecksche Shakespeareausgabe gefunden hat, will ich hier hinweggehen. Wie ich
versichern kann, hat Baudissin sie ihm von Herzen gegönnt, war doch ein be-


Wolf Baudissin

Schaffenden, iir seiner Weise Kenntnisse und Eindrücke sammelnd und seinen
Geschmack läuternd. Dann war er, durch Briefe von befreundeter Hand ge¬
warnt, nicht in die Machtsphäre seines grollenden Landesherrn zurückgekehrt,
sondern hatte, nach verschiednen wechselnden Aufenthalten, im Jahre 1827 sich
in Dresden niedergelassen. Dort wurde ihm im Jahre 1836 seine erste Gattin,
nach 22jähriger glücklicher Ehe, durch deu Tod entrissen. Zwei Jahre darauf
raffte er sich aus seiner Trauer wieder zu einer größern Reise auf, diesmal
nach Griechenland, wo er gemeinsam mit Geibel und Curtius sich in genu߬
reiche Studien über Land und Leute, über Einst und Jetzt vertiefte, um dann
seine Schritte auch noch nach Konstantinopel und Smyrna zu lenken. Nach
weitern zwei Jahren wurde ihm das Glück zu teil, von neuem einen Herzens-
bnnd zu schließen; er verband sich mit Fräulein Sophie Kasket, einer knnst-
begabten Tochter Dresdens. Bis an sein Lebensende wurde er nicht müde,
für den Segen dieses Bundes dem Himmel zu danken.

Werfen wir nun einen Blick auf das, was Baudissin, dieser Fleißigste
aller Sterblichen, auf litterarischem Gebiete geleistet hat. Außer deu schon
erwähnten Sprachen, von denen er sich keiner je ganz wieder entfremdete, be¬
herrschte er in seiner gründlichen Weise Dänisch, schwedisch, Italienisch und
Spanisch. Tief in den Geist fremder Sprachen einzudringen, die in ihnen ge¬
dichteten Meisterwerke in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, so vollkommen,
daß ihre Eigenart gewahrt blieb, und daß sie doch nicht wie ein Fremdes an¬
muteten, das war seine große und schöne Leidenschaft.

Schon in Kiel lernte er abends im Bett spanische Vokabeln und Grammatik.
Während seiner Festungshaft in Friedrichsort verwertete er seine unfreiwillige
Muße zum Übersetzen von Dantes Hölle. Während seines Stilllebens auf Schloß
Rantzan trat er mit seinem ersten Buche in die Öffentlichkeit, dem einzigen Ge¬
schichtsdrama Shakespeares, das Schlegel nicht übersetzt hatte, mit Heinrich VIII.;
es ist später in die sogenannte Schlegel-Tiecksche Übersetzung aufgenommen worden.
In Dresden bot sich ihm dann endlich Gelegenheit, sich den Übersetzern von
Beruf zuzugefellen. Wie bekannt ist, hatte Tieck die Fortführung der von
Schlegel begonnenen Shakespeare-Übersetzung zwar übernommen, aber ans
allerlei Gründen es doch vorgezogen, diese mühevolle Arbeit lieber nicht selbst
Zu leisten, und so traten Tiecks Tochter Dorothea und Baudissin für den bequem
gewordenen Alten in die Bresche. Unter den dreizehn vou Baudissin übersetzten
Stücken befinden sich, um uur die wichtigeren zu nennen, anßer Heinrich VIII.,
Othello, König Lear, Die Zähmung der Widerspenstigen, Ende gut alles gut,
Die lustigen Weiber von Windsor und Viel Lärm um nichts. Das Honorar
überließ Baudissin der Tochter Tiecks.

Über die Art. wie Tieck sich in der Anerkennung sonnte, welche die Schlegel-
Tiecksche Shakespeareausgabe gefunden hat, will ich hier hinweggehen. Wie ich
versichern kann, hat Baudissin sie ihm von Herzen gegönnt, war doch ein be-


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[0335] Wolf Baudissin Schaffenden, iir seiner Weise Kenntnisse und Eindrücke sammelnd und seinen Geschmack läuternd. Dann war er, durch Briefe von befreundeter Hand ge¬ warnt, nicht in die Machtsphäre seines grollenden Landesherrn zurückgekehrt, sondern hatte, nach verschiednen wechselnden Aufenthalten, im Jahre 1827 sich in Dresden niedergelassen. Dort wurde ihm im Jahre 1836 seine erste Gattin, nach 22jähriger glücklicher Ehe, durch deu Tod entrissen. Zwei Jahre darauf raffte er sich aus seiner Trauer wieder zu einer größern Reise auf, diesmal nach Griechenland, wo er gemeinsam mit Geibel und Curtius sich in genu߬ reiche Studien über Land und Leute, über Einst und Jetzt vertiefte, um dann seine Schritte auch noch nach Konstantinopel und Smyrna zu lenken. Nach weitern zwei Jahren wurde ihm das Glück zu teil, von neuem einen Herzens- bnnd zu schließen; er verband sich mit Fräulein Sophie Kasket, einer knnst- begabten Tochter Dresdens. Bis an sein Lebensende wurde er nicht müde, für den Segen dieses Bundes dem Himmel zu danken. Werfen wir nun einen Blick auf das, was Baudissin, dieser Fleißigste aller Sterblichen, auf litterarischem Gebiete geleistet hat. Außer deu schon erwähnten Sprachen, von denen er sich keiner je ganz wieder entfremdete, be¬ herrschte er in seiner gründlichen Weise Dänisch, schwedisch, Italienisch und Spanisch. Tief in den Geist fremder Sprachen einzudringen, die in ihnen ge¬ dichteten Meisterwerke in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, so vollkommen, daß ihre Eigenart gewahrt blieb, und daß sie doch nicht wie ein Fremdes an¬ muteten, das war seine große und schöne Leidenschaft. Schon in Kiel lernte er abends im Bett spanische Vokabeln und Grammatik. Während seiner Festungshaft in Friedrichsort verwertete er seine unfreiwillige Muße zum Übersetzen von Dantes Hölle. Während seines Stilllebens auf Schloß Rantzan trat er mit seinem ersten Buche in die Öffentlichkeit, dem einzigen Ge¬ schichtsdrama Shakespeares, das Schlegel nicht übersetzt hatte, mit Heinrich VIII.; es ist später in die sogenannte Schlegel-Tiecksche Übersetzung aufgenommen worden. In Dresden bot sich ihm dann endlich Gelegenheit, sich den Übersetzern von Beruf zuzugefellen. Wie bekannt ist, hatte Tieck die Fortführung der von Schlegel begonnenen Shakespeare-Übersetzung zwar übernommen, aber ans allerlei Gründen es doch vorgezogen, diese mühevolle Arbeit lieber nicht selbst Zu leisten, und so traten Tiecks Tochter Dorothea und Baudissin für den bequem gewordenen Alten in die Bresche. Unter den dreizehn vou Baudissin übersetzten Stücken befinden sich, um uur die wichtigeren zu nennen, anßer Heinrich VIII., Othello, König Lear, Die Zähmung der Widerspenstigen, Ende gut alles gut, Die lustigen Weiber von Windsor und Viel Lärm um nichts. Das Honorar überließ Baudissin der Tochter Tiecks. Über die Art. wie Tieck sich in der Anerkennung sonnte, welche die Schlegel- Tiecksche Shakespeareausgabe gefunden hat, will ich hier hinweggehen. Wie ich versichern kann, hat Baudissin sie ihm von Herzen gegönnt, war doch ein be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/335>, abgerufen am 26.06.2024.