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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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unter die "Halbgötter" versetzt, nachdem er sich schon früher einmal vermessen
hatte, nicht sterben zu wollen, ohne ihn gesehen zu haben. Jetzt sollte ihm
dieser Wunsch gewährt werden.

Goethe empfing die drei Studenten Baudissin, Kohlrausch und Hudtwcilker
gleichzeitig mit dem Professor Hofrat Hugo aus Göttingen in dem Mineralien-
knbinet des Jenaer Schlosses, nicht in seinem dortigen Arbeitszimmer, worin
er auch speiste und schlief, und das, wie er sich entschuldigte, für den Empfang
von Besuchen zu klein und schlecht sei. Hier nur einiges aus dem langen
Bericht, den seine Schwester darüber empfing. "Ich schwöre, schreibt er, daß
ich nie einen schöneren Mann von sechzig Jahren gesehen habe. Stiru, Nase
und Augen sind wie vom olympischen Jupiter . . . Erst konnte ich mich nur
recht an den schönen Zügen und der herrlichen braunen Gesichtsfarbe weiden;
nachher aber, wie er anfing lebhafter zu erzählen und zu gestiknliren. wurden
die beiden schwarzen Sonnen noch einmal so groß und glänzten und leuchteten
so göttlich, daß, wenn er zürnt, ich nicht begreife, wie ihre Blitze nur zu er¬
tragen sind. Mehrere Fremde haben über seine Härte und Steifheit geklagt,
gegen uns ist er äußerst human und freundlich gewesen. Er hatte einen blauen
Überrock um und gepudertes Haar ohne Zopf. Seine ehemalige Korpulenz
hat er verloren und seine Figur ist jetzt im vollkommenste" Ebenmaß . . .
Man kann keine schönere Hand sehen als die seinige. und er gestikulirt beim
Gespräch mit Feuer und einer entzückenden Grazie ... Er spricht leise, aber
mit einem herrlichen Organ und wie kommt er in die Stube, wie steht und
geht er! Er ist ein geborner König der Welt."

Auf einem Spaziergange, wozu Goethe seine vier Besucher aus den folgen¬
den Tag in den botanischen Garten entboten hatte, rühmte Goethe Fichtes
Reden an die deutsche Nation und sagte, Brennholz sei in dieser Zeit recht
gut zusammengetragen, aber es fehle an einem tüchtig zusammenhaltenden Ofen.
Wir wissen, daß Deutschland diesen Ofen noch bis in den Lebensspätherbst
Baudissins hat entbehren müssen. Ihm selbst ist dieser Mangel in den nächsten
beiden Jahren, nach dem Schlüsse seiner Studien, wohl im stärksten Grade
fühlbar geworden, denn nnn war er als dänischer Legationsrat zu Stockholm
in die diplomatische Laufbahn eingetreten und blickte den am großen Spieltisch
des Völkerschachers sitzenden Personen in die Karten. Sein Chef, Graf Demuth,
hatte alles daran gesetzt, Dänemark, das bereits Norwegen besaß, mit Napoleons
Beistand noch dnrch die Gewinnung Schwedens zu bereichern. Er war damit
gescheitert, wurde von seinein Posten abgerufen, und Baudissin rückte als Ge¬
schäftsträger in seine Stelle. Jetzt überschütteten der russische Gesandte und
der Kronprinz Bernadotte den jungen Geschäftsträger mit Vorschlägen, die
Dänemark bestimmen sollten, sich den Widersachern Napoleons zuzugefellen.
Für den von Bernadotte geforderten dänischen Verzicht auf Norwegen bot
der russische Gesandte, wie es scheint mit Englands Zustimmung, beide


unter die „Halbgötter" versetzt, nachdem er sich schon früher einmal vermessen
hatte, nicht sterben zu wollen, ohne ihn gesehen zu haben. Jetzt sollte ihm
dieser Wunsch gewährt werden.

Goethe empfing die drei Studenten Baudissin, Kohlrausch und Hudtwcilker
gleichzeitig mit dem Professor Hofrat Hugo aus Göttingen in dem Mineralien-
knbinet des Jenaer Schlosses, nicht in seinem dortigen Arbeitszimmer, worin
er auch speiste und schlief, und das, wie er sich entschuldigte, für den Empfang
von Besuchen zu klein und schlecht sei. Hier nur einiges aus dem langen
Bericht, den seine Schwester darüber empfing. „Ich schwöre, schreibt er, daß
ich nie einen schöneren Mann von sechzig Jahren gesehen habe. Stiru, Nase
und Augen sind wie vom olympischen Jupiter . . . Erst konnte ich mich nur
recht an den schönen Zügen und der herrlichen braunen Gesichtsfarbe weiden;
nachher aber, wie er anfing lebhafter zu erzählen und zu gestiknliren. wurden
die beiden schwarzen Sonnen noch einmal so groß und glänzten und leuchteten
so göttlich, daß, wenn er zürnt, ich nicht begreife, wie ihre Blitze nur zu er¬
tragen sind. Mehrere Fremde haben über seine Härte und Steifheit geklagt,
gegen uns ist er äußerst human und freundlich gewesen. Er hatte einen blauen
Überrock um und gepudertes Haar ohne Zopf. Seine ehemalige Korpulenz
hat er verloren und seine Figur ist jetzt im vollkommenste» Ebenmaß . . .
Man kann keine schönere Hand sehen als die seinige. und er gestikulirt beim
Gespräch mit Feuer und einer entzückenden Grazie ... Er spricht leise, aber
mit einem herrlichen Organ und wie kommt er in die Stube, wie steht und
geht er! Er ist ein geborner König der Welt."

Auf einem Spaziergange, wozu Goethe seine vier Besucher aus den folgen¬
den Tag in den botanischen Garten entboten hatte, rühmte Goethe Fichtes
Reden an die deutsche Nation und sagte, Brennholz sei in dieser Zeit recht
gut zusammengetragen, aber es fehle an einem tüchtig zusammenhaltenden Ofen.
Wir wissen, daß Deutschland diesen Ofen noch bis in den Lebensspätherbst
Baudissins hat entbehren müssen. Ihm selbst ist dieser Mangel in den nächsten
beiden Jahren, nach dem Schlüsse seiner Studien, wohl im stärksten Grade
fühlbar geworden, denn nnn war er als dänischer Legationsrat zu Stockholm
in die diplomatische Laufbahn eingetreten und blickte den am großen Spieltisch
des Völkerschachers sitzenden Personen in die Karten. Sein Chef, Graf Demuth,
hatte alles daran gesetzt, Dänemark, das bereits Norwegen besaß, mit Napoleons
Beistand noch dnrch die Gewinnung Schwedens zu bereichern. Er war damit
gescheitert, wurde von seinein Posten abgerufen, und Baudissin rückte als Ge¬
schäftsträger in seine Stelle. Jetzt überschütteten der russische Gesandte und
der Kronprinz Bernadotte den jungen Geschäftsträger mit Vorschlägen, die
Dänemark bestimmen sollten, sich den Widersachern Napoleons zuzugefellen.
Für den von Bernadotte geforderten dänischen Verzicht auf Norwegen bot
der russische Gesandte, wie es scheint mit Englands Zustimmung, beide


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[0333] unter die „Halbgötter" versetzt, nachdem er sich schon früher einmal vermessen hatte, nicht sterben zu wollen, ohne ihn gesehen zu haben. Jetzt sollte ihm dieser Wunsch gewährt werden. Goethe empfing die drei Studenten Baudissin, Kohlrausch und Hudtwcilker gleichzeitig mit dem Professor Hofrat Hugo aus Göttingen in dem Mineralien- knbinet des Jenaer Schlosses, nicht in seinem dortigen Arbeitszimmer, worin er auch speiste und schlief, und das, wie er sich entschuldigte, für den Empfang von Besuchen zu klein und schlecht sei. Hier nur einiges aus dem langen Bericht, den seine Schwester darüber empfing. „Ich schwöre, schreibt er, daß ich nie einen schöneren Mann von sechzig Jahren gesehen habe. Stiru, Nase und Augen sind wie vom olympischen Jupiter . . . Erst konnte ich mich nur recht an den schönen Zügen und der herrlichen braunen Gesichtsfarbe weiden; nachher aber, wie er anfing lebhafter zu erzählen und zu gestiknliren. wurden die beiden schwarzen Sonnen noch einmal so groß und glänzten und leuchteten so göttlich, daß, wenn er zürnt, ich nicht begreife, wie ihre Blitze nur zu er¬ tragen sind. Mehrere Fremde haben über seine Härte und Steifheit geklagt, gegen uns ist er äußerst human und freundlich gewesen. Er hatte einen blauen Überrock um und gepudertes Haar ohne Zopf. Seine ehemalige Korpulenz hat er verloren und seine Figur ist jetzt im vollkommenste» Ebenmaß . . . Man kann keine schönere Hand sehen als die seinige. und er gestikulirt beim Gespräch mit Feuer und einer entzückenden Grazie ... Er spricht leise, aber mit einem herrlichen Organ und wie kommt er in die Stube, wie steht und geht er! Er ist ein geborner König der Welt." Auf einem Spaziergange, wozu Goethe seine vier Besucher aus den folgen¬ den Tag in den botanischen Garten entboten hatte, rühmte Goethe Fichtes Reden an die deutsche Nation und sagte, Brennholz sei in dieser Zeit recht gut zusammengetragen, aber es fehle an einem tüchtig zusammenhaltenden Ofen. Wir wissen, daß Deutschland diesen Ofen noch bis in den Lebensspätherbst Baudissins hat entbehren müssen. Ihm selbst ist dieser Mangel in den nächsten beiden Jahren, nach dem Schlüsse seiner Studien, wohl im stärksten Grade fühlbar geworden, denn nnn war er als dänischer Legationsrat zu Stockholm in die diplomatische Laufbahn eingetreten und blickte den am großen Spieltisch des Völkerschachers sitzenden Personen in die Karten. Sein Chef, Graf Demuth, hatte alles daran gesetzt, Dänemark, das bereits Norwegen besaß, mit Napoleons Beistand noch dnrch die Gewinnung Schwedens zu bereichern. Er war damit gescheitert, wurde von seinein Posten abgerufen, und Baudissin rückte als Ge¬ schäftsträger in seine Stelle. Jetzt überschütteten der russische Gesandte und der Kronprinz Bernadotte den jungen Geschäftsträger mit Vorschlägen, die Dänemark bestimmen sollten, sich den Widersachern Napoleons zuzugefellen. Für den von Bernadotte geforderten dänischen Verzicht auf Norwegen bot der russische Gesandte, wie es scheint mit Englands Zustimmung, beide

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/333>, abgerufen am 26.06.2024.