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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wolf Baudissin

Krimmalrecht, um 11 deutsches Privatrecht, um 12 Generalbaß studirt,
um 1 gegessen, um 2 Klavierstunde, um 3 Prozeß, welches eine Fund¬
grube aller Langenweile ist -- ein Gebirge und Bleibergwerk, ans welchem
der kleine Bergmann (so heißt mein unseliger Prvzeßprofessvr) alle Tage
ein ganzes Haus voll vninn nusgräbt, auspocht, bereitet und wäscht. Die
andern Cvllegin und Hefte kommen nur dagegen wie Romane vor." Aber
wir sind noch nicht zu Ende. "Von 4--7, heißt es weiter, juristische Sachen
gelesen, geschrieben und gedacht; von 7--8 Klavier gespielt, von 8--9 Thee
getrunken, von 9--11 meiner Göttin, der Musik, geopfert." Wo bleibt die
Kneipe? wird man fragen. Sie war für ihn nicht vorhanden. In dem¬
selben Briese nimmt Baudissin much von dem König "Morgen wieder instit"
ironische Notiz. "Morgen, schreibt er, ist Jerümes Geburtstag. Heut ist hier
ausgerufen, daß kein Handwerker u. s. w. morgen arbeiten solle; heut Abend
läßt der König in Kassel von seinen .Kavalieren und Offizianten privatim
eine neue Oper aufführen, worin eine Szene ans seinem jungen Heldenleben
dargestellt ist, wie er nämlich eine Galeere voll Algierer Sklaven befreit,
und morgen wird dies Ereignis auf allen Kasseler Theatern dein Volke vor¬
gestellt. Der König hat gesagt, er bedaure, daß morgen nicht sein ganzes
Königreich in Kassel sein könne, um den Jubel zu erleben."

Der Herbst 1808 brachte unserm Studenten eine Abschlagzahlung auf
eine fast bis in seine Kindheit hinabreichende Forderung an die Gunst des
Schicksals: eine Schweizerreise, die sich bis nach dem Lande seiner Sehnsucht,
nach Italien, erstreckte. Freilich gelangte er nur bis Jsvln bella, aber der
damalige Jean Paul-Kultus hatte ja dieses romantische Stückchen Erde zu
einem Mekka verklärt. Heim ging es über die Simplvnstrnße, dann wurde
trotz großer Schneehindernisse die Grimsel bestiegen und über Bern, Basel
und Straßburg das freundliche Heidelberg wieder erreicht, wo Baudissin das
Sominersemester verlebt hatte, im nahen Verkehr mit den beiden Voß, mit
Brentano und Achin von Arnim.

Auf einem Ferienritte nach Jena wurde ihm dann im Jahre 1809 anch
noch eine andre Sehnsucht erfüllt: er durfte Goethe besuchen. Aus dem darüber
an seine Schwester geschriebenen Briefe will ich einiges mitteilen. Natürlich
fehlt es darin nicht an überschwänglichen Worten; aber was wir heute so
nennen, entströmte in jener vaterlandslosen Zeit dem natürlichen Herzens¬
bedürfnis, in dem Kultus der großen deutschen Genien Ersatz zu finden für
alles, was sonst dem nationalen Bewußtsein versagt war. So nannte der
junge Baudissin auch den Altmeister Sebastian Bach gern einen Heiligen.
Über Friedemann Bachs Werke war er so entzückt, daß er sie auf eigne Kosten
drucken lassen mochte. "Es ist schändlich, schrieb er eines Tages an seine
Schwester, daß die Deutschen, geistig das erste und göttlichste Volk in der
Welt, noch so viel unbekannte Schätze haben." Kein Wunder, wenn er Goethen


Wolf Baudissin

Krimmalrecht, um 11 deutsches Privatrecht, um 12 Generalbaß studirt,
um 1 gegessen, um 2 Klavierstunde, um 3 Prozeß, welches eine Fund¬
grube aller Langenweile ist — ein Gebirge und Bleibergwerk, ans welchem
der kleine Bergmann (so heißt mein unseliger Prvzeßprofessvr) alle Tage
ein ganzes Haus voll vninn nusgräbt, auspocht, bereitet und wäscht. Die
andern Cvllegin und Hefte kommen nur dagegen wie Romane vor." Aber
wir sind noch nicht zu Ende. „Von 4—7, heißt es weiter, juristische Sachen
gelesen, geschrieben und gedacht; von 7—8 Klavier gespielt, von 8—9 Thee
getrunken, von 9--11 meiner Göttin, der Musik, geopfert." Wo bleibt die
Kneipe? wird man fragen. Sie war für ihn nicht vorhanden. In dem¬
selben Briese nimmt Baudissin much von dem König „Morgen wieder instit"
ironische Notiz. „Morgen, schreibt er, ist Jerümes Geburtstag. Heut ist hier
ausgerufen, daß kein Handwerker u. s. w. morgen arbeiten solle; heut Abend
läßt der König in Kassel von seinen .Kavalieren und Offizianten privatim
eine neue Oper aufführen, worin eine Szene ans seinem jungen Heldenleben
dargestellt ist, wie er nämlich eine Galeere voll Algierer Sklaven befreit,
und morgen wird dies Ereignis auf allen Kasseler Theatern dein Volke vor¬
gestellt. Der König hat gesagt, er bedaure, daß morgen nicht sein ganzes
Königreich in Kassel sein könne, um den Jubel zu erleben."

Der Herbst 1808 brachte unserm Studenten eine Abschlagzahlung auf
eine fast bis in seine Kindheit hinabreichende Forderung an die Gunst des
Schicksals: eine Schweizerreise, die sich bis nach dem Lande seiner Sehnsucht,
nach Italien, erstreckte. Freilich gelangte er nur bis Jsvln bella, aber der
damalige Jean Paul-Kultus hatte ja dieses romantische Stückchen Erde zu
einem Mekka verklärt. Heim ging es über die Simplvnstrnße, dann wurde
trotz großer Schneehindernisse die Grimsel bestiegen und über Bern, Basel
und Straßburg das freundliche Heidelberg wieder erreicht, wo Baudissin das
Sominersemester verlebt hatte, im nahen Verkehr mit den beiden Voß, mit
Brentano und Achin von Arnim.

Auf einem Ferienritte nach Jena wurde ihm dann im Jahre 1809 anch
noch eine andre Sehnsucht erfüllt: er durfte Goethe besuchen. Aus dem darüber
an seine Schwester geschriebenen Briefe will ich einiges mitteilen. Natürlich
fehlt es darin nicht an überschwänglichen Worten; aber was wir heute so
nennen, entströmte in jener vaterlandslosen Zeit dem natürlichen Herzens¬
bedürfnis, in dem Kultus der großen deutschen Genien Ersatz zu finden für
alles, was sonst dem nationalen Bewußtsein versagt war. So nannte der
junge Baudissin auch den Altmeister Sebastian Bach gern einen Heiligen.
Über Friedemann Bachs Werke war er so entzückt, daß er sie auf eigne Kosten
drucken lassen mochte. „Es ist schändlich, schrieb er eines Tages an seine
Schwester, daß die Deutschen, geistig das erste und göttlichste Volk in der
Welt, noch so viel unbekannte Schätze haben." Kein Wunder, wenn er Goethen


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[0332] Wolf Baudissin Krimmalrecht, um 11 deutsches Privatrecht, um 12 Generalbaß studirt, um 1 gegessen, um 2 Klavierstunde, um 3 Prozeß, welches eine Fund¬ grube aller Langenweile ist — ein Gebirge und Bleibergwerk, ans welchem der kleine Bergmann (so heißt mein unseliger Prvzeßprofessvr) alle Tage ein ganzes Haus voll vninn nusgräbt, auspocht, bereitet und wäscht. Die andern Cvllegin und Hefte kommen nur dagegen wie Romane vor." Aber wir sind noch nicht zu Ende. „Von 4—7, heißt es weiter, juristische Sachen gelesen, geschrieben und gedacht; von 7—8 Klavier gespielt, von 8—9 Thee getrunken, von 9--11 meiner Göttin, der Musik, geopfert." Wo bleibt die Kneipe? wird man fragen. Sie war für ihn nicht vorhanden. In dem¬ selben Briese nimmt Baudissin much von dem König „Morgen wieder instit" ironische Notiz. „Morgen, schreibt er, ist Jerümes Geburtstag. Heut ist hier ausgerufen, daß kein Handwerker u. s. w. morgen arbeiten solle; heut Abend läßt der König in Kassel von seinen .Kavalieren und Offizianten privatim eine neue Oper aufführen, worin eine Szene ans seinem jungen Heldenleben dargestellt ist, wie er nämlich eine Galeere voll Algierer Sklaven befreit, und morgen wird dies Ereignis auf allen Kasseler Theatern dein Volke vor¬ gestellt. Der König hat gesagt, er bedaure, daß morgen nicht sein ganzes Königreich in Kassel sein könne, um den Jubel zu erleben." Der Herbst 1808 brachte unserm Studenten eine Abschlagzahlung auf eine fast bis in seine Kindheit hinabreichende Forderung an die Gunst des Schicksals: eine Schweizerreise, die sich bis nach dem Lande seiner Sehnsucht, nach Italien, erstreckte. Freilich gelangte er nur bis Jsvln bella, aber der damalige Jean Paul-Kultus hatte ja dieses romantische Stückchen Erde zu einem Mekka verklärt. Heim ging es über die Simplvnstrnße, dann wurde trotz großer Schneehindernisse die Grimsel bestiegen und über Bern, Basel und Straßburg das freundliche Heidelberg wieder erreicht, wo Baudissin das Sominersemester verlebt hatte, im nahen Verkehr mit den beiden Voß, mit Brentano und Achin von Arnim. Auf einem Ferienritte nach Jena wurde ihm dann im Jahre 1809 anch noch eine andre Sehnsucht erfüllt: er durfte Goethe besuchen. Aus dem darüber an seine Schwester geschriebenen Briefe will ich einiges mitteilen. Natürlich fehlt es darin nicht an überschwänglichen Worten; aber was wir heute so nennen, entströmte in jener vaterlandslosen Zeit dem natürlichen Herzens¬ bedürfnis, in dem Kultus der großen deutschen Genien Ersatz zu finden für alles, was sonst dem nationalen Bewußtsein versagt war. So nannte der junge Baudissin auch den Altmeister Sebastian Bach gern einen Heiligen. Über Friedemann Bachs Werke war er so entzückt, daß er sie auf eigne Kosten drucken lassen mochte. „Es ist schändlich, schrieb er eines Tages an seine Schwester, daß die Deutschen, geistig das erste und göttlichste Volk in der Welt, noch so viel unbekannte Schätze haben." Kein Wunder, wenn er Goethen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/332>, abgerufen am 26.06.2024.