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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wolf Baudissin

Preußen ohne Gewehr und Patrontasche füllten in langen Zügen die Land¬
straßen. Nahe vor Göttingen stieße" die beiden Reisenden auf ein französisches
Kürassierregiment.

Wir haben heute Mühe, uns in die damaligen Zustände und in die
Empfindungen der damals lebenden hineinzudenken. Freilich, der Sieger hat
immer die Annahme der überwiegenden Tüchtigkeit für sich. Aber hier spielte
noch andres mit hinein. Der Staat Hannover, zu welchen: Göttingen gehörte,
war durch sein Herrscherhaus seit langen von England abhängig gewesen, und
doch hatte England ihn nie ernstlich zu schützen vermocht. Dazu kam, daß
die Wegnahme der dänischen Kriegsflotte durch die Engläuder sich vorbereitete.
In dem allgemeinen Wirrsnl waren nicht wenige der Meinung, erst wenn die
Welt von dem Joche der englischen Alleinherrschaft auf dem Meere dnrch
Napoleon befreit sei, erst dann werde die Menschheit sich in Eintracht ver¬
ständigen können. "Ich Haffe die Engländer, wie ich noch nie ein Volk gehaßt
habe," schrieb der Student Baudissin im September 1807, nachdem die Weg-
führung der dänischen Flotte zur Thatsache geworden war; "ein Volk, bei dem
alles Thun und Treiben sich auf Gelderwerb gründet, das um seines Handels
willen die ganze Welt des Friedens beraubt, spielt eine schändliche Rolle!"

Doch wo ein einziger Gewaltiger es dahin gebracht hat, für alle übrigen
zu denken und zu Handel", nur das vou ihm Gewollte schreiben und drucken
zu lassen, da erlahmt nach und nach in weiten Kreisen der Sinn für die
Politik. Wie gut durch Napoleon in dieser Richtung auch in Göttingen
Fürsorge getroffen war, ist bekannt. Nur ab und zu - so während der
Kampfe in Tirol -- wurde die Ungeduld wieder rege. Wie lange sollte es
denn so fortgehen? Mau saß ja wie in einem Nebel! In einem Briefe, den
Baudissin an seinen Freund Hudtwalker in Hamburg schrieb, den spätern
dortigen Senator, heißt es: "Kohlrausch fleht dich inständig an, und so
auch ich, wenn du Berliner Zeitungen zu sehen bekämest, interessante Fakta zu
exzerpiren und uns zu schicken; aber auf verblümte Weise. Hier sind diese
erguickeuden Blätter scharf verpönt. Nenne den Kaiser Napoleon Fiekchen
(Sophiechen), den Erzherzog Karl ihren Doktor, eine gewonnene Schlacht Leib¬
weh, die Tyroler Waldbären." Beiläufig wird noch folgendes Geschichtchen
nach Hamburg eingeschmuggelt: Ein französischer Grenadier renonunirt, er habe
mit der Königin von Preußen getanzt. Die Leute fragen, was sie denn gesagt
habe? <zu'fils a an>? antwortet er, vllo g. an: 8i^r<z allen, voinmo es Are-
viMoi- nig-uso bien!

Übrigens war unser Student viel zu emsig bei der Arbeit, als daß
^ anders als vorübergehend Zeit gefunden hätte, sich in den Rat der
streitende" Mächte zu mischen. Hier sein tägliches Pensum, wie ers ans
Göttingen für seine Schwester aufschreibt. "Des Morgens 7 aufgestnuden,
bis 9 Heidelberger Pandekten nachgelesen, um 9 Pandekten gehört, um 10


Wolf Baudissin

Preußen ohne Gewehr und Patrontasche füllten in langen Zügen die Land¬
straßen. Nahe vor Göttingen stieße» die beiden Reisenden auf ein französisches
Kürassierregiment.

Wir haben heute Mühe, uns in die damaligen Zustände und in die
Empfindungen der damals lebenden hineinzudenken. Freilich, der Sieger hat
immer die Annahme der überwiegenden Tüchtigkeit für sich. Aber hier spielte
noch andres mit hinein. Der Staat Hannover, zu welchen: Göttingen gehörte,
war durch sein Herrscherhaus seit langen von England abhängig gewesen, und
doch hatte England ihn nie ernstlich zu schützen vermocht. Dazu kam, daß
die Wegnahme der dänischen Kriegsflotte durch die Engläuder sich vorbereitete.
In dem allgemeinen Wirrsnl waren nicht wenige der Meinung, erst wenn die
Welt von dem Joche der englischen Alleinherrschaft auf dem Meere dnrch
Napoleon befreit sei, erst dann werde die Menschheit sich in Eintracht ver¬
ständigen können. „Ich Haffe die Engländer, wie ich noch nie ein Volk gehaßt
habe," schrieb der Student Baudissin im September 1807, nachdem die Weg-
führung der dänischen Flotte zur Thatsache geworden war; „ein Volk, bei dem
alles Thun und Treiben sich auf Gelderwerb gründet, das um seines Handels
willen die ganze Welt des Friedens beraubt, spielt eine schändliche Rolle!"

Doch wo ein einziger Gewaltiger es dahin gebracht hat, für alle übrigen
zu denken und zu Handel», nur das vou ihm Gewollte schreiben und drucken
zu lassen, da erlahmt nach und nach in weiten Kreisen der Sinn für die
Politik. Wie gut durch Napoleon in dieser Richtung auch in Göttingen
Fürsorge getroffen war, ist bekannt. Nur ab und zu - so während der
Kampfe in Tirol — wurde die Ungeduld wieder rege. Wie lange sollte es
denn so fortgehen? Mau saß ja wie in einem Nebel! In einem Briefe, den
Baudissin an seinen Freund Hudtwalker in Hamburg schrieb, den spätern
dortigen Senator, heißt es: „Kohlrausch fleht dich inständig an, und so
auch ich, wenn du Berliner Zeitungen zu sehen bekämest, interessante Fakta zu
exzerpiren und uns zu schicken; aber auf verblümte Weise. Hier sind diese
erguickeuden Blätter scharf verpönt. Nenne den Kaiser Napoleon Fiekchen
(Sophiechen), den Erzherzog Karl ihren Doktor, eine gewonnene Schlacht Leib¬
weh, die Tyroler Waldbären." Beiläufig wird noch folgendes Geschichtchen
nach Hamburg eingeschmuggelt: Ein französischer Grenadier renonunirt, er habe
mit der Königin von Preußen getanzt. Die Leute fragen, was sie denn gesagt
habe? <zu'fils a an>? antwortet er, vllo g. an: 8i^r<z allen, voinmo es Are-
viMoi- nig-uso bien!

Übrigens war unser Student viel zu emsig bei der Arbeit, als daß
^ anders als vorübergehend Zeit gefunden hätte, sich in den Rat der
streitende» Mächte zu mischen. Hier sein tägliches Pensum, wie ers ans
Göttingen für seine Schwester aufschreibt. „Des Morgens 7 aufgestnuden,
bis 9 Heidelberger Pandekten nachgelesen, um 9 Pandekten gehört, um 10


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[0331] Wolf Baudissin Preußen ohne Gewehr und Patrontasche füllten in langen Zügen die Land¬ straßen. Nahe vor Göttingen stieße» die beiden Reisenden auf ein französisches Kürassierregiment. Wir haben heute Mühe, uns in die damaligen Zustände und in die Empfindungen der damals lebenden hineinzudenken. Freilich, der Sieger hat immer die Annahme der überwiegenden Tüchtigkeit für sich. Aber hier spielte noch andres mit hinein. Der Staat Hannover, zu welchen: Göttingen gehörte, war durch sein Herrscherhaus seit langen von England abhängig gewesen, und doch hatte England ihn nie ernstlich zu schützen vermocht. Dazu kam, daß die Wegnahme der dänischen Kriegsflotte durch die Engläuder sich vorbereitete. In dem allgemeinen Wirrsnl waren nicht wenige der Meinung, erst wenn die Welt von dem Joche der englischen Alleinherrschaft auf dem Meere dnrch Napoleon befreit sei, erst dann werde die Menschheit sich in Eintracht ver¬ ständigen können. „Ich Haffe die Engländer, wie ich noch nie ein Volk gehaßt habe," schrieb der Student Baudissin im September 1807, nachdem die Weg- führung der dänischen Flotte zur Thatsache geworden war; „ein Volk, bei dem alles Thun und Treiben sich auf Gelderwerb gründet, das um seines Handels willen die ganze Welt des Friedens beraubt, spielt eine schändliche Rolle!" Doch wo ein einziger Gewaltiger es dahin gebracht hat, für alle übrigen zu denken und zu Handel», nur das vou ihm Gewollte schreiben und drucken zu lassen, da erlahmt nach und nach in weiten Kreisen der Sinn für die Politik. Wie gut durch Napoleon in dieser Richtung auch in Göttingen Fürsorge getroffen war, ist bekannt. Nur ab und zu - so während der Kampfe in Tirol — wurde die Ungeduld wieder rege. Wie lange sollte es denn so fortgehen? Mau saß ja wie in einem Nebel! In einem Briefe, den Baudissin an seinen Freund Hudtwalker in Hamburg schrieb, den spätern dortigen Senator, heißt es: „Kohlrausch fleht dich inständig an, und so auch ich, wenn du Berliner Zeitungen zu sehen bekämest, interessante Fakta zu exzerpiren und uns zu schicken; aber auf verblümte Weise. Hier sind diese erguickeuden Blätter scharf verpönt. Nenne den Kaiser Napoleon Fiekchen (Sophiechen), den Erzherzog Karl ihren Doktor, eine gewonnene Schlacht Leib¬ weh, die Tyroler Waldbären." Beiläufig wird noch folgendes Geschichtchen nach Hamburg eingeschmuggelt: Ein französischer Grenadier renonunirt, er habe mit der Königin von Preußen getanzt. Die Leute fragen, was sie denn gesagt habe? <zu'fils a an>? antwortet er, vllo g. an: 8i^r<z allen, voinmo es Are- viMoi- nig-uso bien! Übrigens war unser Student viel zu emsig bei der Arbeit, als daß ^ anders als vorübergehend Zeit gefunden hätte, sich in den Rat der streitende» Mächte zu mischen. Hier sein tägliches Pensum, wie ers ans Göttingen für seine Schwester aufschreibt. „Des Morgens 7 aufgestnuden, bis 9 Heidelberger Pandekten nachgelesen, um 9 Pandekten gehört, um 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/331>, abgerufen am 26.06.2024.