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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wolf Baudissin

wäre ein kleiner Verstandskasten, so sage ihr, ich wohnte mitten in der Biblio¬
thek. Ade guter Vater, komme bald wieder, mich verlangt nach Dir, auch
um etwas von Asien zu hören, da sind so viele Tiere, und ich mochte recht
viel von den Ländern hören, und Mutter weiß so wenig davon. Dein Wolf
war recht krank, Grüße Lili und vergesse nicht Deinen Wolf." Der kleine
Verstandskasten erlernte, seinen drei Brüdern und seiner Schwester voran, früh
und mühelos Lateinisch, Griechisch nud Französisch. Auch das Englische wurde
ihm zeitig geläufig, und zwar so, daß er sich im fünfzehnten Jahre bereits
an die Übersetzung des König Lear wagen konnte, eine von Schlegel selbst
gelobte Arbeit, von der seiner Zeit ein beträchtlicher Teil durch den Pseudo¬
nymen Shakespeareübersetzer Both benutzt worden ist.

Dieser erste den Manen des großen englischen Dichters dargebrachte
Tribut fällt schon in die Berliner Zeit. Als nach Berlin übergesiedelt wurde,
hatte der Knabe sein dreizehntes Jahr erreicht. Bald darnach schenkte ihm
sein Vater ein Reitpferd, erlaubte ihm auch, seinem Arbeitstriebc im Abschreiben
und Ausziehen von Depeschen Befriedigung zu verschaffen. Mit seinein Lehrer
Kvhlrnusch besuchte Wolf die Vorlesungen Fichtes und Schlegels, begeisterte
sich für Glucks Opern, für die gediegenen Aufführungen der Zelterschen Sing¬
akademie; in einem öffentlichen Wohlthätigkeitskonzert spielte er Klavier. Da¬
zwischen wurde ihm Gelegenheit geboten, ans den Kinderbällen des Hofes unter deu
Augen der Königin Luise Proben seiner Tanzkunst abzulegen, mit den preußischen
Prinzen und Prinzessinnen zu verkehren, im väterlichen Hause die Ideen zur
Veranstaltung einer scherzhaften Akademie der aufstrebenden Jugend anzugeben
und dabei sich als Sekretär dieses Instituts nützlich zu machen. Füge ich
noch hinzu, daß er das Hnfelandsche Haus besuchen durfte, einen Sammelpunkt
von Künstlern und Gelehrten, und daß er unter vielen andern heimischen und
zugereister Berühmtheiten dort im Jahre 1804 auch Schiller sah und sprechen
hörte, so wird man die Fülle von Eindrücken fördernder Art ermessen können,
unter denen der begabte, immer aufmerksame Kunde für die Universität
heranreifte.

Im Herbst 1805, also noch nicht siebzehn Jahre alt, bezog er dann mit
seinem geliebten Kohlrausch, von nun an dessen Mudiengenvsse, die Kieler
Hochschule. Er sollte Jura studiren, tun einst Diplomat zu werden; und er
führte auch, wie schon hier gesagt werden mag, nach seiner gewissenhaften Weise
das trockene Studium bis zu seinem im einundzwanzigsten Jahre bestandenen
Examen getreulich durch. Aus jeuer Kieler Zeit stammte die Freude Baudissins
an dem Vorlesen und verteilten Rollen, einem gesellschaftlichen Verkehrsmittel,
das in den damaligen Kreisen der Stolbergs, Neventlvws, Bernstorff, Vandissin-
Knovps unter Teilnahme des dünischen Kronprinzen, sowie der Professoren
Reinhold und Pfaff, sorgfältige Pflege fand. Im Herbst 1806 wurde uach
Göttingen übergesiedelt. Es war nach der Schlacht von Jena. Versprengte


Wolf Baudissin

wäre ein kleiner Verstandskasten, so sage ihr, ich wohnte mitten in der Biblio¬
thek. Ade guter Vater, komme bald wieder, mich verlangt nach Dir, auch
um etwas von Asien zu hören, da sind so viele Tiere, und ich mochte recht
viel von den Ländern hören, und Mutter weiß so wenig davon. Dein Wolf
war recht krank, Grüße Lili und vergesse nicht Deinen Wolf." Der kleine
Verstandskasten erlernte, seinen drei Brüdern und seiner Schwester voran, früh
und mühelos Lateinisch, Griechisch nud Französisch. Auch das Englische wurde
ihm zeitig geläufig, und zwar so, daß er sich im fünfzehnten Jahre bereits
an die Übersetzung des König Lear wagen konnte, eine von Schlegel selbst
gelobte Arbeit, von der seiner Zeit ein beträchtlicher Teil durch den Pseudo¬
nymen Shakespeareübersetzer Both benutzt worden ist.

Dieser erste den Manen des großen englischen Dichters dargebrachte
Tribut fällt schon in die Berliner Zeit. Als nach Berlin übergesiedelt wurde,
hatte der Knabe sein dreizehntes Jahr erreicht. Bald darnach schenkte ihm
sein Vater ein Reitpferd, erlaubte ihm auch, seinem Arbeitstriebc im Abschreiben
und Ausziehen von Depeschen Befriedigung zu verschaffen. Mit seinein Lehrer
Kvhlrnusch besuchte Wolf die Vorlesungen Fichtes und Schlegels, begeisterte
sich für Glucks Opern, für die gediegenen Aufführungen der Zelterschen Sing¬
akademie; in einem öffentlichen Wohlthätigkeitskonzert spielte er Klavier. Da¬
zwischen wurde ihm Gelegenheit geboten, ans den Kinderbällen des Hofes unter deu
Augen der Königin Luise Proben seiner Tanzkunst abzulegen, mit den preußischen
Prinzen und Prinzessinnen zu verkehren, im väterlichen Hause die Ideen zur
Veranstaltung einer scherzhaften Akademie der aufstrebenden Jugend anzugeben
und dabei sich als Sekretär dieses Instituts nützlich zu machen. Füge ich
noch hinzu, daß er das Hnfelandsche Haus besuchen durfte, einen Sammelpunkt
von Künstlern und Gelehrten, und daß er unter vielen andern heimischen und
zugereister Berühmtheiten dort im Jahre 1804 auch Schiller sah und sprechen
hörte, so wird man die Fülle von Eindrücken fördernder Art ermessen können,
unter denen der begabte, immer aufmerksame Kunde für die Universität
heranreifte.

Im Herbst 1805, also noch nicht siebzehn Jahre alt, bezog er dann mit
seinem geliebten Kohlrausch, von nun an dessen Mudiengenvsse, die Kieler
Hochschule. Er sollte Jura studiren, tun einst Diplomat zu werden; und er
führte auch, wie schon hier gesagt werden mag, nach seiner gewissenhaften Weise
das trockene Studium bis zu seinem im einundzwanzigsten Jahre bestandenen
Examen getreulich durch. Aus jeuer Kieler Zeit stammte die Freude Baudissins
an dem Vorlesen und verteilten Rollen, einem gesellschaftlichen Verkehrsmittel,
das in den damaligen Kreisen der Stolbergs, Neventlvws, Bernstorff, Vandissin-
Knovps unter Teilnahme des dünischen Kronprinzen, sowie der Professoren
Reinhold und Pfaff, sorgfältige Pflege fand. Im Herbst 1806 wurde uach
Göttingen übergesiedelt. Es war nach der Schlacht von Jena. Versprengte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/330>, abgerufen am 26.06.2024.